Mittwoch, 15. Juni 2016

In Gesundheit und Krankheit






Auch so ein Versprechen, das man abgibt, wenn weder das eine noch das andere besondere Relevanz hat.
Auch so ein Versprechen, das sehr schwer bis unmöglich zu halten ist, wenn es hart auf hart geht.
Denn wenn es so ist wie bei meinen Eltern, dann geht das eine und das andere kommt. Schleichend oder über Nacht, aber oft für beide.
Und dann?
Mein Vater ist dement. Er ist körperlich eingeschränkt, hat Parkinsonismen beim Laufen, Inkontinenzprobleme und sein Herz hat Vorschäden. Er hat nur noch eine funktionsfähige Niere, einen Lungenschaden und Arthritis in den Händen. Sein Blutdruck entbehrt jeder Regulation, aufgrund einer erneuerten Herzklappe ist er Macumar-Patient und so weiter, und so weiter.
Mutter ist auch schon Mitte siebzig, hat eine Autoimmunhepatitis, massive Durchblutungsprobleme, einen nigelnagelneuen Bypass im Bein (als lebenslange Nichtraucherin), das übliche an Alterswehwehchen und einen inkompetenten und unmotivierten Hausarzt. Der erwartet den Patienten samt von diesem selbst gestellter Diagnose und bereits vorausgewähltem Medikamentenvorschlag. Die Durchblutungsstörungen im Bein meiner Mutter hat er als „Ach, das ist wahrscheinlich der Ischias, nehmen Sie doch einfach noch zwei Ibu mehr am Tag“ abgetan und nur zögerlich den Weg zum Angiologen frei gemacht. Sie nimmt bereits 800 mg am Tag und das wegen Hüftproblemen nach einer unfallbedingten Beinverkürzung vor 20 Jahren. Physiotherapie? Überweisung an einen Orthopäden? Fehlanzeige.
Mein Vater kriegt weder Krankengymnastik noch Lymphdrainage für seine auf Melonengröße angeschwollenen Füße, mal zu schweigen von Diagnostik. Der Doc hat meiner Mutter erfolgreich klar gemacht, dass Vaters Blutdruck ab 140/90 kräftig und energisch nach unten korrigiert werden muss. Daher dämmert der arme Kerl ständig mit herumdümpelnden Werten im Sessel vor sich hin.
Momentan bekommt er keine Überweisung zum Neurologen. So ängstlich und depressiv und schlafgestört, wie er aufgrund seiner Demenz ist, würde dieses sich aber empfehlen. Soweit Dr. Google sagt, kann durchaus bei Demenzpatienten auch etwas gegen diese Symptome getan werden. Die Hälfte der dreizehn oder vierzehn Präparate, die er bekommt, sind gegen die Nebenwirkungen. Folsäure, Pantoprazol, MTX-Folgen-Beschränker, the works. Die Bitte meiner Mutter, ihm ein Präparat zu verordnen, das ihn nachts durchschlafen lässt, hat der Arzt abgelehnt. Mit der Begründung, wenn er stürze, hätte sie erst Recht Probleme. In Bezug auf die Blutdruckmedikation hat er solche Hemmungen nicht.
Ich empfinde es als viel größeres Risiko, dass er nachts wach wird, und sie nicht erkennt, aber verängstigt ist und sie bedroht, weil er wissen möchte, was sie mit seiner Frau gemacht hat. Er ist zwei Köpfe größer als meine Mutter und hat den Stock am Bett.
Die letzten drei Wochen hat Mutter im Krankenhaus verbracht, und er in der Kurzzeitpflege. Wir haben Mitte Juni, und das Jahreskontingent an Pflege hat er morgen erreicht.
Ab morgen Abend kommt ein Pflegedienst für ihn. Und ab dem nächsten Quartal werden die zwei einen neuen Hausarzt haben. Wir sind es nämlich leid. Und sobald ein Platz auf einer Demenzstation frei wird, wird er vermutlich den Haushalt verlassen und stationär untergebracht werden (müssen). In Gesundheit und Krankheit? Zur Hölle mit unerfüllbaren Versprechen.

13 Kommentare:

SassenachvonWaldweiler hat gesagt…

Oh weh - eine solche Konstellation ist echt schei..... schlecht. Da kann ich Deinen Unmut sehr gut verstehen. Und die Entscheidung von wegen Hausarztwechsel, Pflegedienst und evtl. sogar Demenzstation auch. Ich würde - denke ich - genau so handeln an Deiner Stelle.

Komm ich drück Dich mal *knautsch*

Sasse

Frau Vau hat gesagt…

Ich denke auch, dass ein Arztwechsel dringend angesagt ist... und der Neue soll gleich die Nitratwerte deines Vaters checken! Grade heute in NDR Info gehört, dass viele als dement abgeschriebene Patienten eigentlich "nur" einen Nitratmangel haben. Der aber NICHT mit Salz behandelt werden kann, sondern nur mit Infusionen! Salz würde das Problem im wahrsten Sinn des Wortes verwässern. Nitratmangel kommt grade bei Patienten gehäuft vor, die verschiedene Medikamente bekommen, z.B. Stimmungsaufheller, Entwässerungsmedikamente, aber auch viele Andere. Ein Test auf Nitratmangel ist übrigens günstig, es gibt also keine Ausrede.
Ansonsten finde auch ich eure Entscheidungen gut. Man muss sich nicht bis zur völligen Erschöpfung aufopfern - und das ist meiner Meinung nach durchaus mit dem Ehegelöbnis zu vereinbaren. Es wird ja nicht auf "aus den Augen, aus dem Sinn" herauslaufen...
Ich schicke dir viel Kraft! Liebe Grüße.

Paula hat gesagt…

Liebe Lily,
schlimm,zwei kranke alte Menschen. Unser super duper Gesundheitssystem funktioniert ja manchmal klasse bei einzelnen Krankheiten, aber bei so vielen Krankheiten und möglicherweise Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten, und dann auch noch Demenz, wird es wirklich zu kompliziert.Ich bin ja schon als Medizin-Coach für meinen Liebsten voll eingespannt, 1:1, eine für einen, mehr Arztbegleitung und Versorgung geht gar nicht.

Ihr brauchtet wirklich kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn Euer Vater in ein Pflegeheim käme, wie soll das sonst gehen?
Alles Liebe
Paula

Tina hat gesagt…

@Frau Vau:
Eeeh, ich muss da mal nachhaken: meinst Du wirklich einen Nitratmangel? Oder vielleicht doch eher einen Natriummangel? Der ist durchaus bekannt in Zusammenhang mit Demenz - aber Nitrat als essentieller Bestandteil, an dem es mangeln könnte ...? Wäre wirklich das neueste. :-O

@Lily:
Bin sonst nur stille Mitleserin ... wünsche Dir und Euch allen viel Kraft in dieser schweren Zeit. Ich kenne das Problem mit unfähigen und gleichgültigen Hausärzten alter Menschen.
Ich musste auch das ein oder andere Mal für meinen Dad kämpfen, und als er diese Welt verließ habe ich meine Mutter endlich überzeugen können, sich einen neuen Doc zu suchen.
Die neue Hausärztin ist zwar auch nicht gerade super engagiert, aber zumindest offen für meine Anmerkungen und Vorschläge.

Ich hoffe Deine Mutter leidet nicht zu sehr unter dem Entschluss für die Heimunterbringung. Es gibt eben Dinge, die man nicht beeinflussen kann und akzeptieren muss. Das bedeutet ja nicht, dass man nicht alles getan hätte was einem möglich ist oder den Partner nicht mehr liebt. Nur sind jedem Menschen halt natürliche Grenzen gesetzt, die man leider nicht (immer) überschreiten kann. Sie und ihr Wohlergehen sind genauso wichtig wie das ihres Mannes, und ich denke niemand ist zur völligen Selbstaufgabe verpflichtet. Gelöbnis hin, Gelöbnis her :-(

Alles Gute für Euch,
Tina

Paula hat gesagt…

Als ich jung war, erschien es mir völlig normal, dass Leute bereits mit 75 Jahren als sehr alt galten und bald sterben würden. Das hat sich geändert und mindestes um 10 Jahre nach oben verschoben, obwohl es natürlich immer noch jede Menge Ausnahmen von der Regel gibt. Im Bekanntenkreis habe ich bereits einige Todesfälle zwischen 50 und 60 erlebt, besonders in der Generation, die in den 70er und 80er Jahren auf den Putz gehauen und zuviel geraucht und gesoffen hat.

Manchmal denke ich, man sollte vielleicht den geamten Tablettencocktail, den alte Leute aus der Kriegsgeneration zu sich nehmen, auf den Prüfstand stellen (in die Tonne drücken), und nur noch Schmerzmittel verordnen, damit keiner unnütz leiden muss. Dazu gehört natürlich der Mut, dem Tod, der jeden Tag am Werk ist, ins Auge zu schauen und sich vom Leben zu verabschieden, so schlimm das auch ist.

Ich habe jedenfals beschlossen "nur" 80 Jahre alt zu werden und bis dahin selbst dafür zu sorgen, dass ich in dem Alter immer noch die Treppe bis in den 3. Stock schaffe.

Lily hat gesagt…

@ Sasse: Vielen Dank. Etwas zwischenmenschliche Wärme kann ich derzeit gut gebrauchen. Der Pflegedienst hat seine Arbeit aufgenommen, die Demenzstationen sind informiert, jetzt warten wir. Es ist gruselig. Wir wissen, wie verzweifelt mein Vater sein wird, und alle, alle hoffen, dass es irgendwie klappen wird.

@ Frau Vau, Ich schätze auch, dass du Natriummangel meinst. Aber ansonsten geb ich dir Recht- das Sich-Aufopfern ist kein tragbares Konzept, denn es zerstört alle.

@Paula, es ist teilweise wirklich elend mitanzuschauen. Ich hoffe, die neue Ärztin nimmt sich die Zeit und schlägt nach und ermittelt, womit man Beiden am besten helfen kann. Der Tablettencocktail gehört tatsächlich auf den Prüfstand. Wenn es sein muss, geh ich dahin und red mit der Ärztin. Ich finde allein die Menge an Schmerzmitteln bedenklich. Ibuprofen und Paracetamol und Metamizol in rauhen Mengen. Schmerzmittel in der Güteklasse im Dauerverbrauch sind m. E. kaum jemals durchdacht. Zumal keiner von den Beiden etwas hat, was tatsächlich chronische Schmerzen hervorrufen muss. Der Beckenschiefstand wegen der Beinverkürzung meiner Mutter wäre für mich mal primär physiotherapie-pflichtig. Aber weder sie noch mein Vater kriegen die PT, die sie brauchen, und der Doc konnte bisher nicht auf eine Begründung für die Weigerung festgenagelt werden. Grrrrrrrr.

@ Tine: Vielen Dank für den Kommentar-Einstand :-) Am bedenklichsten finde ich, wenn Aufopferung nur dazu dient, sich das Lob dafür abzuholen, damit man einen Ausgleich für den Zorn gegenüber dem Gepflegten hat. Nicht, dass das so deutlich wäre, aber Anklänge davon sind da. Ich reagiere darauf wiederum auch mit Zorn, und meine Geschwister ebenso. Was dann dazu führt, dass keiner mehr wirkliche Antennen für das hat, was wir einander so zumuten und was das anrichtet. Vertrackt, und kaum lösbar, wirklich.

Anonym hat gesagt…

Und ganz ehrlich: Die Unterbringung in einem entsprechendem Pflegeheim ist ja nichts wofür man sich schämen muss. Obwohl dieses von der Umgebung gerne mal so interpretiert wird.

Ich denke, es ist für alle Beteiligten sehr viel entspannter. Als pflegender Angehöriger ist man ja in permanenter Hab-Acht-Stellung, und man kann dann irgendwann auch nicht mehr. Ganz besonders, wenn diese "Bewachung", und ich muss das einfach so ausdrücken, nur von einer Person zu bewältigen ist.
Fakt ist: Für Deine Mutter kommt irgendwann der Punkt, wo sie das nicht mehr leisten kann. So wie sich die Lage darstellt ist mit diesem Punkt ja eher früher als später zu rechnen. Dann finde ich es schon besser, wenn sich Dein Vater im Pflegeheim schon eingewöhnt hat. So können sie auch die gemeinsame Zeit sehr viel mehr genießen, weil Deiner Mutter auch der Druck genommen ist, das sie noch Kochen, waschen, etc. muss.
Leute, die tönen, das sie ihre Angehörigen nienienie ins Heim geben....Tscha, die haben noch nie in der Lage gesteckt.

Ich habe dieses Dilemma mit der Großmutter. Die ist zwar nicht dement, aber dafür körperlich kaum noch in der Lage, sich und die Wohnung am Laufen zu halten. In dem Falle ist es so, das wann immer man da ist, soviel aufgelaufen ist, das man nur mit der Wirtschaft beschäftigt ist. Klar muss gemacht werden, sie beschwert sich, das keiner Zeit hat, mit ihr zu reden....Da denke ich manchmal, es wäre besser, sie wäre in einem geeigneten Pflegeheim. Bei den Besuchen hätte ich als Angehörige dann eben Zeit für sie. Weil eben das ganze Drumherum wegfällt. Leider, sie ist nicht bereit, wenigstens mal drüber nachzudenken. So bleibt es für uns anstrengend.
Liebe Grüße
Sylana

Tina hat gesagt…

Ja, Lily, vertrackt und kaum lösbar, das kann ich sehr gut nachvollziehen. :-(
Wer das nie erlebt hat kann überhaupt nicht verstehen, was da alles auftaucht an Problemen, welche Emotionen hochkommen können, usw...

Dazu kommt oft noch, das wohl in den meisten Familien nicht nur eitel Sonnenschein herrscht, sondern oft (alte) Konflikte zwischen den Parteien brodeln, die vielleicht nie ausgesprochen wurden. Da kann auch noch vieles zu Tage befördert werden, ob zwischen Pflegebedürftigem und Pflegendem, oder auch unter den pflegenden Angehörigen ....
Aber es reichen schon die regulären täglichen Anforderungen und Belastungen, durch die auch Gefühle wie Zorn entstehen. Hat aber auch alles seine Berechtigung finde ich und ist völlig normal.

Ja, ich finde es sehr komplex und schwierig. Und ich werde wütend wenn ich solche Sprüche höre wie "ich würde ja nieeee meine Eltern ins Heim geben", oder wenn Leute andere dafür verurteilen die es tun, selbst aber nie diese Situation hatten.
Ich weiß noch als eine Verwandte ihre Mutter zu sich geholt hatte und nach kurzer Zeit aufgeben musste. Sie lief nachts auf die Straße, schaltete den Herd an und ging sogar auf sie los. Es ging absolut nicht, obwohl der starke Wille da war.
Aber was hat sie sich gequält mit schlechtem Gewissen, weil sie es nicht geschafft hat, lange, lange Zeit hat sie sich ständig fertig gemacht damit.

Ich habe damals einen Kurs für pflegende Angehörige dementer Menschen besucht. Dort sagte ein Arzt, dass es auch oft Versprechen unter den Eheleuten gibt, dass sie sich gegenseitig versichern, dass jeder im Fall der Fälle nicht ins Heim muss, sondern vom Partner zuhause betreut/gepflegt wird.
Solche Versprechen sorgen oft dafür, dass sich Leute aufreiben bis zur Selbstaufgabe, weil sie es ja versprochen hatten und eine Heimunterbringung des Partners für sie deshalb absolut keine Option ist.

Als mein Vater urplötzlich dement wurde und nach ca. einem halben Jahr unverhofft verstarb war ich ehrlich gesagt froh, dass er nicht mehr ins Heim hatte gehen müssen. Aber es wäre nicht mehr lange gutgegangen zuhause, weil meine Mum absolut an ihrem Limit gewesen ist und niemand ihr das hätte länger zumuten können.
Ich bin ehrlich froh, dass wir diese Entscheidung nicht mehr haben treffen und umsetzen müssen, denn trotz aller Vernunft und objektiver Richtigkeit - ein schlechtes Gewissen bleibt trotzdem. Mich hat es schon mitgenommen, als er zwei mal ins Krankenhaus musste und Angst hatte, er käme dort nicht mehr weg.... puh!

Liebe Grüße
Tina

Lily hat gesagt…

@Sylana: Pflegeheime sind dazu da, Leute zu entlasten. Wer da die Nase rümpft, war noch nie in der Situation... und sollte gepflegt die Klappe halten, bevor er jemanden verurteilt. Ich bin nun nicht die, die da 24 Stunden festgetackert ist, aber der Gedanke, nicht eine Minute für mich zu haben, ist der Horror. Das hab ich schon gehasst, als ich noch mit Mann, Kind und Hund zusammen wohnte. Nicht mal allein aufs Klo zu können, geht einem schon auf die Nerven. Aber mit Kind sollte es besser werden. Mit Pflegebedürftigen wird es nur schlimmer.

@ Tina Genau so ein Versprechen hat meine Mutter gegeben- und mein Vater, der sich an nix erinnern kann, konnte sich das sehr wohl merken. Es war jetzt in der Kurzzeitpflege schon kaum erträglich, dass er sich abgeschoben und eingesperrt fühlte, und dezidiert meiner Mutter immer wieder vorwarf, dass sie ihn (in seinem Empfinden) ohne Obdach und Orientierung und zum Bleiben gezwungen allein gelassen hat. Er hat sich zwar jedesmal von der entsprechenden Erklärung beruhigen lassen, aber trotzdem... in einer Stunde Besuch musste man ihm das rund zehn Mal erklären. Und mindestens einmal war tatsächlich das Personal überfordert, weil er so verzweifelt war.

Tina hat gesagt…

:-( Das ist aber richtig heftig.
Demenz ist was echt grausames, für alle Beteiligten.

Lily hat gesagt…

Das ist es, grausam. Man wünscht sich unwillkürlich die Zeit herbei, wo der Betreffende gar nichts mehr mitbekommt.

Paula hat gesagt…

PS Ich bin regelmäßiger Fernsehgucker von VISITE, da gab es neulich einen interessanten Beitrag zu Medikamentencocktails und Wechselwirkungen,besonders bei alten Leuten. Apotheker sind auch zu einer Beratung in der Lage, auch über genaue Einnahmezeiten von Medikamenten ("vor dem Essen" bedeutet z.B. 1 Std. vor dem Essen und "nach dem Essen" bedeutet 2 Std danach...) die haben das einmal studiert und sind schließlich Fachleute.

Lily hat gesagt…

Ich fände so eine Beratung extrem wichtig. Leider trifft das auf keine Gegenliebe seitens meiner Mutter, die bei solchen Anregungen primär an die Mehrarbeit denkt.