Dienstag, 26. Februar 2008

Don't tango with a monkey.

Heute ist nicht mein Tag…
Ich bin um halb sechs wach geworden, mit einem Anfall von Tropenfieber, oder doch Hitzewellen?, und konnte nicht mehr schlafen. Das passiert öfter in letzter Zeit. Vermutlich liegts an den langen und ausgedehnten Reisen in Malaria verseuchte Gegenden.
Jedenfalls bin ich aufgestanden und hab einen Eimer Kaffee gekocht, und den Blick in den Spiegel unverzüglich bereut- denn dort sah mich nicht eine attraktiv-ausgemergelte Gestalt an, sondern eine, die gestern Abend dem dunklen Weizenbier und den Salzstangen erlegen ist. Und heute entsprechend aufgequollen aus der Wäsche guckt, wie ein auf der Heizung vergessener Klumpen Hefeteig. Grrrr.
Der Eimer Kaffee hats nicht wirklich besser gemacht, sondern nur den metallischen Geschmack in so was wie Instant-Übelkeit verwandelt.
Dann hab ich mich über eine Kollegin geärgert.
Das mache ich aber nicht hier ab, sondern mit ihr.
Der Kaffee im Büro (Eimer No.2) schmeckte abscheulich.
Die 2 Paracetamol zum Frühstück waren schon besser.
Mein Büro ist dunkel und schlecht belüftet, aber so klein, dass ein geöffnetes Fenster zu sofortigem Auskühlen führt. Es gibt nur die Möglichkeit zu heiß oder zu kalt, nichts dazwischen.
Okay, okay, ich habe schlechte Laune.



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Dieses Textverarbeitungsprogramm ist aufdringlich. Ich mag es nicht, wenn Software wohlwollend entscheidet, dass ich eine Nummerierung brauche, oder eine Rahmenlinie, was auch immer das sein mag. Oder wenn ein Programm ungefragt Updates zieht. Oder wenn mein Google meint, Updates „erfordern ein Tätigwerden“. Das reicht, mein liebes Google, danke schön, du kannst jetzt gehen!
Dafür hab ich das Internet nicht erfunden, Leute! Es gibt schon viel zuviel Realität, die ein Tätigwerden erfordert.



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Die Salzstangen (bzw. deren Verstoffwechselung) und der Eimer Kaffee sowie der halbe Liter Tee, den ich soeben konsumiert habe, erfordern ein Tätigwerden im Raum mit der Nummer 00.
Bereits das dritte Mal, seit ich heute hier bin.



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Kann mir wer einen Sport-BH empfehlen, der mir weder eine wurstartige Quertheke verpasst, noch mir die Luft abschnürt, und der trotzdem seiner Aufgabe nachkommt, nämlich heben und halten? Und zwar an Ort und Stelle?
Und mir vielleicht eine Methode erläutern, wie ich die Tauglichkeit eines solchen orthopädischen Apparates teste, ohne mich zum Gespött des Verkaufspersonals zu machen?
Mein letzter Sport-BH ist von Tchibo, und hat den Keine-Wurst-Bitte-Ansatz nicht verstanden.
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Gut, ich bin gereizt- hat wer was dagegen? Hä?

Sonntag, 24. Februar 2008

Wake me up, when September ends

Good morning, Ladies and Gentleman,


back on stage again.

Die Einquartierung ist beendet, das Objekt der Sorge wieder in seinen eigenen Haushalt zurückgekehrt.

Es waren interessante 14 Tage.

Wer bis dato mitgelesen hat, kennt ein bisschen was von meiner Biografie, und weiß, dass ich relativ früh Mutter geworden bin.

Nee, Moment, das ist falsch- ich hab ein Kind bekommen. Das mit dem Mutter werden ist was vollkommen anderes.

Das krieje mer später.

Mein Sohn hat eine chronische Krankheit, nämlich Epilepsie.

In keiner wirklich schweren Ausprägung, aber er hat sie.

Auch in nicht schwerer Ausprägung schränkt ihn das ein. Bis vor einiger Zeit hat er zur Behandlung dieser Erkrankung ein Medikament bekommen, dass ihn weitgehend anfallsfrei ließ, wenn es auch gravierende Nebenwirkungen hatte. Auch die Erkrankung selbst fordert eine gewisse Compliance, die vor allen Dingen bei jungen Leuten erhebliche Schwierigkeiten bedeutet.

Neben den Medikamenten, deren Hauptfolgeerscheinung eine schwer zu überwindende Trägheit und Müdigkeit ist, sollte er ein geregeltes Leben führen, immer zur gleichen Zeit ins Bett gehen, pünktlich aufstehen, keinen Alkohol trinken, und Lichtreize meiden, wie zum Beispiel Stroboskoplampen in Discos, flackernde Monitore, den Flackereffekt von Bäumen neben der Straße bei tief stehender Sonne.

Echt prima, wenn man sowas verkündet bekommt, wenn man 16 ist.

Noch viel besser, wenn die eigene Mutter glaubt, man hätte das gefressen und gut ist.

Als erstes kriegte er damals einen 100-Hertz-Monitor, etwas später einen tft-Bildschirm, alles andere sollte sich sozusagen von selbst einrenken.

Von Zeit zu Zeit, in weiten Abständen, gab es einen Anfall, so ungefähr einmal in 2 Jahren. Nie in gefährlichen Zusammenhängen, also meist zu Hause, meist am Rechner (aufgrund von Übermüdung), denn er ist ein Sohn seiner Mutter, und in Bezug auf Computer steht „heavy user“ in seiner Bedienungsanleitung.

Meist stellte sich dann heraus, dass er nachgelassen hatte bei der Einnahme seiner Medikamente.

Es hätte mich stutzig machen müssen, und die einzige Entschuldigung für mich ist, dass ich das Wesen und die Auswirkungen chronischer Erkrankungen auch nicht so richtig begriffen hatte. Auch nicht, als sich herausstellte, dass mein Diabetes meinetwegen ab und zu aus dem Ruder läuft, denn wer denkt schon gern über eigene Anteile an unangenehmen Dingen nach.

Nun denn, im letzten halben Jahr ist die Anfallshäufigkeit gestiegen. Und trotz entsprechender Anregung von mir hat er offenbar keinen Doc besucht, weder seinen bisherigen hier vor Ort noch einen an seinem neuen Wohnort.

Auch die Folgeerscheinungen von Anfällen, wie Prellungen, Zungenbisse, schweren Muskelkater, stunden- bis tagelange Benommenheit haben ihn nicht dazu veranlasst.

Ich habs nicht für nötig befunden, einzugreifen- er ist erwachsen, nicht wahr?

Der letzte Anfall, vor 14 Tagen, hat dann nicht in seiner Wohnung stattgefunden, sondern auf offener Straße, und irgendjemand, ein anonymer Passant, dem ich sehr dankbar bin, hat den Notarzt gerufen, und er ist ins Krankenhaus gekommen.

Dort hat man nach 10 Jahren endlich wieder eine gründliche Diagnostik durchgeführt.

Und ihm ein anderes Präparat verordnet, das nach Angaben der Ärzte nicht mehr so müde und träge macht.

Was aber noch viel nötiger war als ein neues Medikament, war eine neue Einstellung bei mir.

Ich habe jahrelang eine Hands-off-Politik betrieben, aber mein Sohn ist kein Zootier, dessen wilden Charakter es zu erhalten gilt, sondern ein menschliches Wesen. Als solches braucht er Kontakte, und Austausch, und nicht nur Informationen.

Ich habe ihn mit nach Hause genommen, ursprünglich mit dem Vorsatz, ihn nicht eher wieder aus meinen Klauen zu lassen, bis er was gelernt hat.

Wie so oft, ist es umgekehrt gekommen, und ich hab was gelernt.

Dass wir nie miteinander geredet haben, zum Beispiel. Dass ich kaum was von ihm weiß, und dass er nichts von mir weiß. Dass wir jahrelang jeder in seiner Kemenate gehaust haben, und uns wie Schiffe im Vorüberfahren nur ab und an mal zugewinkt haben. Dass es Jahre her ist, dass ich ihn das letzte Mal habe lachen hören.

Meine Distanz zu ihm hat dazu geführt, dass er auch Distanz hat- zu sich selbst. Viel zu viel, und viel zu kritisch. Er hat die gleichen Probleme, die ich auch habe, und wen wundert das? In diesen 14 Tagen habe ich viel gelernt, viel in Frage gestellt, einige Antworten bekommen, und jemand Interessanten kennen gelernt. Endlich.


Vielen Dank an meinen Bruder, meine Schwester und meinen Ex-Mann, dafür, dass ihr da wart. Vielen Dank, Kate, für Rat und Unterstützung, Vielen Dank, Uschi.

Und an Frau Z. für das Mantra.


Talk about last chances...

Dienstag, 19. Februar 2008

Palimpalim

Eine ziemliche Müdigkeit macht sich derzeit breit; hervorgerufen durch die ein oder andere üble Entwicklung.
Daran liegt auch das ungewöhnlich lange Schweigen. Es handelt sich nicht um ein freiwilliges, selbst gewähltes oder in irgend einer Form der Befriedigung von Bummelgelüsten dienendes Schweigen. Ich bin auch nicht tot.

Nein.

Mein Sohn ist krank, und jedes bisschen Energie, das nicht direkt in die Mehrarbeit durch mehr Haushalt oder in Gespräche mit ihm oder in Fahrten für ihn investiert wird, geht dafür drauf, dass ich versuche, heraus zu kriegen,
a) wie ich das finde, und
b) was ich als nächstes tun soll und
c) welche Erfolgsaussichten das alles hat.

Er ist derzeit bei mir eingezogen. Das hat was mit Kontrolle und Sorge um sein Wohlergehen zu tun, führt aber auch dazu, dass ich nicht viel Gelegenheit habe, von zu Hause aus ins Netz zu kommen (oder überhaupt an den Computer, was das betrifft- der ist halb abgebaut und staubt in der Ecke vom Arbeitszimmer langsam zu).


Bis ich die Fragen a) bis c) geklärt habe, herrscht ein Schwebezustand, den ich weder mag noch gut ertragen kann.


Frühestens nächste Woche melde ich mich wieder, freue mich aber über Mails und Kommentare.


Bis dahin,
Lily

Samstag, 9. Februar 2008

Zimmer mit Aussicht

Irgendwann in diesem Monat hab ich Geburtstag, ich werde 45.

Fünfundvierzig. Oh mein Gott.

Das ist so unvorstellbar alt.

Wenn ich die reinen Daten mal vergesse, und nur auf das innere, gefühlte Alter schaue, dann wird mir klar: Ich bin zurückgeblieben, irgendwo unterwegs.

Das äußert sich nicht nur in gelegentlich aufblühenden Pickeln in meinem Gesicht, sondern auch darin, wie absurd mir das vorkommt. 45. Selbst bei positivster Prognose (auf die statistische Lebenserwartung bezogen) ist das definitiv das, was man „mittleres Alter“ nennt.

Müsste ich mich da nicht anders fühlen? Wenigstens – irgendwie? Bitte?

Eigentlich wird es Zeit für die Dauerwelle und einen Haarfarbwechsel hin zu klimakterischem Rot.

Zeit, nicht mehr im Coolibri zu blättern, sondern die Welt am Sonntag zu abonnieren. Die youtube-Sitzungen zugunsten einer Philharmonie-Dauerkarte aufzugeben.

Meinen Motorrad-Führerschein abzuheften und nach einem vernünftigen, abgasarmen 34-PS-Miniauto zu suchen, von wegen gestiegenem Umweltbewusstsein und so- und nicht wieder in einem übermotorisierten Golf geblitzt zu werden...

Ich sollte nicht mehr mit der Akzeptanz meines Diabetes’ kämpfen, sondern mich damit abfinden- das nächste, was kommen wird, ist der hohe Blutdruck in Verbindung mit hohen Cholesterinwerten.

Wassergymnastik statt Step-Aerobic (nicht dass ich sowas je gemacht hätte).

Sich abfinden mit einem Leben als Tante, und, so Gott will, als Oma.

Aber ich fühl mich nicht so- wenn ich draußen herumlaufe, dann mit Robbie Williams auf den Ohren (gut: Joe Cocker ist auch dabei). In einer Lautstärke, die bei 16jährigen Rentnerproteste hervorrufen würde, weil auch andere es hören können. Und die dröhnenden Bässe meiner Auto-Stereoanlage erfreuen mich immer wieder- ganz im Gegensatz zu den Leuten neben mir an der Ampel.

Andererseits weiß ich, dass ich das Aufziehbändchen an den OB nur noch mit Lesebrille finden kann- und es ist gut, dass ich eine Gleitsichtbrille trage. Sonst müsste ich erstmal die Lesebrille suchen. Zeit für die Wechseljahre? Oh ja.

Ich weiß immer noch, welches Motorrad ich mir am liebsten kaufen würde (eine Duc Monster), wenn ich das Geld dafür hätte, und ich weiß, dass ich wieder fahren werde. Sobald ich wieder bei Kasse bin. Ach ja, ich sollte langsam ein Aktiendepot mein eigen nennen, oder wenigstens ein paar Fonds-Anteile.

Meine Vorliebe für Bier sollte sich langsam Richtung Rotwein bewegen- oder? Soll ja so gesund sein.

Meist kann ich drüber grinsen. Denn Chaos gehört zu mir, wie man mir immer wieder sagt. Zumindest scheint es einen gewissen Unterhaltungswert für meine Umgebung zu haben- und was tut man nicht alles für seine Freunde.

Es sollte Schluss sein mit der reflexhaften Verweigerung sinnvoller Verhaltensweisen, dem absurden Theater, dem starken Entfremdungsgefühl bei Vorhaben, die meinem Kalender-Alter entsprechen.

Dann kommen wieder Dinge, wie gestern. Als ich meiner Aufgabe als ehrenamtlicher Parkplatzwächterin (jawoll, die mit der Kippe in der Hand) im Büro nachgekommen bin, sah ich das Auto einer besonders lieben Kollegin direkt vor dem Eingang parken- und leider, leider, ist das auch ein Notausgang. Und ich musste- MUSSTE!- ihr mailen, und ihr sagen, dass ich das Auto da weg stellen würde. Sorry, G.- mein innerer Sicherheitsbeauftragter ist Amok gelaufen.

Ich kann zum verbalen Mörder werden, wenn ich in Bezug auf Radar-Anlagen oder Politessen das Wort „Abzocke“ höre- niemand, niemand ist gezwungen, zu schnell zu fahren. (Wenn doch- und wenn mans dann noch beweisen kann, braucht man nicht zu zahlen.)

Keiner muss einen Cent zahlen, wenn er sich an die Regeln hält. Und wenn man erwischt wird- okay- wo ist das Problem? Dann wird gezahlt, und gut ist. Freie Fahrt für freie Bürger hin oder her: Auch wenn der Grund für eine Geschwindigkeitsbeschränkung oder ein Parkverbot erstmal nicht ersichtlich ist, und wenn ich der beste Autofahrer der Welt bin, viele von diesen Schildern haben ihren Sinn, ob ich ihn im Vorbeifahren erkennen kann oder nicht. Und ja, ich bin schon geblitzt worden, s.o., und ja, ich habe Parkknöllchen gekriegt. Und ich hatte keinen Spaß beim Zahlen, habe mich aber über mich selbst geärgert. Weil ich so blöd war.

Bei Diskussionen über sowas komm ich mir trotzdem uralt vor- wer wird denn so sklavisch konservativ sein, und sich an Regeln halten? Nun ja, ich offenbar.

Auch regt mich dieses schlechte Deutsch auf: Abzocke. Privatsender-Niveau, und ich meine nicht ARTE. Ebenso „Sextäter“, oder „Asylant“. Das ist eingefärbt, Meinungsmache im ganz kleinen, aber sehr wirkungsvollen Rahmen. Dahinter steckt die gleiche Intention wie hinter „Freistellung“ für Massenentlassung, „Entsorgung“ oder „Kollateralschaden“. Aufgrund der unterschiedlichen Quellen, der halb- oder gar nicht offiziellen Benutzung dieser Worte fällt es nicht so auf, dass diese Art Worte Meinung färben und somit Freiheit einschränken, die Freiheit der Wahrnehmung nämlich. Sie tun es aber trotzdem.

Arrgh. Lasst nicht zu, dass das hier mit mir durchgeht.

Wenn ich lese, wie dogmatisch ich auf diesem Sektor sein kann, komm ich mir unendlich vergreist vor. Unflexibel. Erbarmungslos streitsüchtig. Kaum fähig, mich zu zügeln.

Wo soll das noch hinführen? Wird das schlimmer, wenn man älter wird?

Wahrscheinlich.

Und es wird kommen der Tag, an dem meine Umwelt darum bittet, dass man mich bitte, bitte, erschlagen möge.

Vermutlich muss ich ihnen dann Recht geben.


Freitag, 8. Februar 2008

Sterne und Kreuze

Der Himmel ist so blau, dass es in den Augen schmerzt, und die Temperatur erreicht Frühlingsniveau.
Es hält mich wirklich nichts in diesem Büro, und da es Zeit für die Mittagspause ist, beschließe ich, ein paar Meter zu laufen.
In der Nähe meines Büros ist ein alter Friedhof. Friedhöfe in dieser Stadt sind mir vertraut seit Kinderzeiten- da habe ich, zusammen mit einer Freundin, mit vom Komposthaufen geklauten Blumen, die „noch gut“ waren, vergessene Einzelgräber von Kindern geschmückt. Für Kinder gab es ein extra Grabfeld, kurz nach dem Eingang des Friedhofs. Wir zwei fanden den Gedanken daran, dass da Kinder in unserem Alter lagen, an die sich niemand mehr erinnerte, sehr schrecklich.
Einige Zeit, nachdem wir damit begonnen haben, wurde das Feld dann eingeebnet.

Uns war damals nicht wirklich klar, wie lang die Kinder dort schon tot waren, oder dass viele von ihnen, wenn sie nicht schon im Kindesalter gestorben wären, unsere Großeltern hätten sein können- die Ruhefristen betrugen in den sechziger Jahren noch 50 Jahre.

Der Friedhof, auf dem ich heute Mittag eine Stunde herumgelaufen bin, ist wirklich ein alter Friedhof. Er ist –sowohl von den Steinbildnissen her als auch von der Anlage- ein Überbleibsel aus vergangenen Jahrhunderten, und noch dazu mitten in der Stadt gelegen. Wenn man ihn nicht kennt, wird man ihn trotzdem nicht einfach so finden, denn von der Straße aus gesehen tarnt er sich als Park.
Der Hauptweg verbindet zwei Straßen, die sonst nur über Umwege miteinander verbunden sind, und ist deshalb eine willkommene Abkürzung zwischen einem Wohngebiet und einem großen Aldi-Markt.
An diesem Hauptweg liegen einige Gräber mit hier bekannten Namen, sie scheinen ein bisschen abgenutzt zu sein von den achtlosen Blicken der Abkürzer, die mit Einkaufstaschen oder Kinderwagen beladen daran vorbei laufen. Ein Bauwagen verspricht Mittagspause für die Arbeiter, die die Kieswege harken.
Wie auf vielen Friedhöfen sind auch hier die Gräber und Grüfte unter alten und mächtigen Bäumen angelegt, Immergrün streitet sich mit laubwechselnden Pflanzen, und viele Gräber sind kaum noch zu sehen unter Nest-Eiben und anderen, sich am Boden ausbreitenden Gehölzen. Manche Grabsteine stehen halb in der Erde versunken zwischen zwei eng nebeneinander hochgeschossenen Buchen- die Steine sind aufgestellt worden, als an diese Bäume noch niemand dachte.
Es gibt Grabdenkmäler, die stolz auf einem Giebel über dem Feld mit den Vornamen eine Überschrift tragen: Ruhestätte der Familie X – unterhalb des Giebels ist dann oft eine Pietà, oder ein gekreuzigter Christus in einer Nische dargestellt, unbeeinflusst von dem, was war.
Denn die Verstorbenen sind lange tot, sehr lange, und der Grabstein, eher ein Epitaph, wurde in Stein gehauen für die Ewigkeit.
Manche Inschrift dokumentiert, dass der letzte dort beerdigte Mensch starb, lange bevor ich geboren bin. Und trotzdem kennt man viele Namen- es sind wohl große und weit verzweigte Familien, deren Nachfahren immer noch in dieser Stadt leben, und immer noch Ärzte, Priester, Anwälte sind, oder die ein Familienhandwerk weiter betreiben. Viele Namen tauchen auf mehreren Grabstätten auf, und man kann erkennen, wie die Sippen zusammenwuchsen, untereinander heirateten und ihre Eltern, Großeltern, Ehepartner oder Kinder dann gemeinsam unter die alten Bäume legten.

Auf einigen Grabsteinen sind nur Sterbedaten aus den Zeiten bis Mitte der vierziger oder fünfziger Jahre- ich habe mich gefragt, wer sie beerdigt hat, wo doch offenbar niemand mehr dort hinzu kam seit über fünfzig Jahren. Sind die Familien weg gezogen? Haben sie auf anderen Friedhöfen neue Gruften erworben, weil niemand mehr dazu gelegt werden durfte?
Das sind Gräber, auf deren Steinen oft zehn oder zwölf Namen Platz gefunden haben, und Tode aus zwei Jahrhunderten dokumentieren.
Aus den dreißiger und vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts existiert eine viel vertretene Art der Steine: Wie kleine Türmchen, meist aus einem Material, das heute aussieht wie Gips (aber bestimmt mal Marmor war), mit einer Tafel aus poliertem schwarzem Stein, auf dem früher goldene Buchstaben verkündeten, wer dort liegt- sie sind vielleicht einen Meter dreißig hoch, und sie finden sich überall auf dem Gelände.
Und trotz aller aufkommenden Erinnerungen an die Zeiten zwischen 1933 und 1945- auf keinem Grabstein, keiner Gedenktafel stehen die bösen Worte „in stolzer Trauer“. Ich glaube, dass keine Mutter und kein Vater diese Worte in Stein gemeißelt sehen wollte.

Die Soldaten, derer hier gedacht wird, liegen oft nicht bei ihren Familien, sondern es wird erwähnt, dass sie gefallen sind, und am Ort ihres Todes beerdigt. Manche Tafeln tragen die Aufschrift: Vermisst.
Wie viel Hoffnung muss gestorben sein, bis man einem Friedhof eine Steintafel mit diesem Text anvertraut?

Trotzdem der Friedhof zwischen zwei Hauptstraßen liegt, ist es sehr ruhig hier, sieht man einmal von den Passanten auf dem Hauptweg ab. Ich schaue mir die Inschriften an, die Gräber der Priester an der innenstädtischen Hauptkirche, geboren, gelebt und gestorben über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrhunderten, und entdecke einen ganz kleinen, schiefen Block aus grün bealgtem, porösem Stein, zwischen dessen angeschlagenen, verschnörkelten Rändern noch schwache Zahlen und Buchstaben zu erkennen sind.
Und die zwei Zeichen, die auf beinahe keinem Stein hier fehlen: Der Stern. Und das Kreuz, die die Eckpunkte eines Menschen anzeigen: Geburt und Tod.

Dazwischen: Möglichkeiten. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

Donnerstag, 7. Februar 2008

Update

Der Mensch an der Reklamationstheke des Discounters, der mir den Drucker verkauft hat, hat eindeutig ein Problem mit Metaphern.
Ich hab ihn angerufen, um das Druckerproblem zu schildern, und er trug mir auf, mitsamt Drucker und Kartusche in den Laden zu kommen- er würde dann mal schauen, ob alles richtig zusammengesetzt sei, und wenn das so wäre und er immer noch nicht drucke, müsse er das Gerät einschicken.

Bei dem Gedanken daran, dass die magischen Hände eines Reklamationsthekenmitarbeiters das Problem beheben könnten, ist mir als erstes schon die Galle hochgekommen. Das mag an dem „Belaste dein hübsches Köpfchen nicht mit so einem Technik-Kram“-Tonfall gelegen haben- aber im Ernst: Ich halte mich nicht für zu blöd, einer bebilderten Anleitung in ca. Din A 1-Format folgen zu können. In dem Ding sind fünf verschiedene Tintenbehälter. Davon sind vier schmal, einer ist ungefähr doppelt so breit wie die anderen. Es sind fünf Einschubplätze vorhanden: Vier schmal, und einer… RICHTIG!
Schmal und breit voneinander zu unterscheiden hab ich bei aufmerksamem Betrachten der Sesamstraße schon mit fünf Jahren gelernt. Und das Alfabet auch. Und ich kann auch schon eine Vier malen.

Auf dem Weg vom Galle-Hochkommen bis zum vollendeten Kotzen kam ich noch ein Stück voran, als er sagte, er müsse das Gerät einschicken.
Einschicken.
Jawoll.

Weil ich genau wusste, was kommt, und weil ich wollte, dass er sich genau so angepisst fühlt wie ich, hab ich ihn dann gefragt, was ich denn in der Zwischenzeit ohne den Drucker machen soll.
Wohlgemerkt, nachdem ich ihm verraten hatte, dass ich in den letzten drei oder vier Wochen ganze 10 Blätter gedruckt habe.

Woraufhin dieses Kind der Sonne, das sich wahrscheinlich nichts mehr wünscht als Weltfrieden, meinte (und bitte, denkt an die gestellte Frage!)

„Bei einem Leihwagen müssen Sie den Sprit auch selbst zahlen“.

Weil ich ein schlaues Mädchen bin, hab ich gewusst, dass er mindestens zwei, eher drei logische Schritte verpasst hat auf dem Weg von meiner Frage zu seiner Antwort.
Nämlich:
Erstens: Wir haben keine Leihdrucker.
Zweitens: Sie haben ein Problem mit dem Drucker, das vermutlich mit dem Kauf einer neuen Tintenkartusche behoben werden kann, denn es handelt sich wahrscheinlich um eine schlicht defekte Kartusche.
Drittens: Wenn Sie sich durch die Reklamation den Kauf einer neuen Kartusche sparen wollen, nutzt Ihnen ein Leihdrucker wenig: Denn dafür müssten Sie die Tinte auch erst kaufen, die wäre keinesfalls mit inbegriffen.

Und weil ich nicht nur ein schlaues Mädchen bin, sondern auch ein richtiges Arschloch sein kann, hab ich ihm gesagt, dass ich niemals ein Auto einschicken würde, nur weil der Sprit schlecht ist, und dass auch kein Autohersteller sich auf so einen Unfug einlassen würde.
An dieser Stelle warf er mit deutlich dünnem Stimmchen ein, ich würde ihn nicht verstehen.

Das hab ich ihm nicht durchgehen lassen, sondern ihm gesagt, dass ich ihn leider sehr gut verstünde. Und dass ich unter Service verstehen würde, wenn man vor Ort mit einer Neukartusche testet, ob es sich um einen Drucker- oder um einen Chip-Fehler in der Kartusche handelt. Hersteller hin oder her, man hat als Einzelhandel auch noch eine Verpflichtung, wenn man seine Kunden behalten will.
Reflexartiges Einschicken hingegen würde ich nur von bildungsfernen Telefonanfängern erwarten.
Dann hab ich aufgelegt.
Zu meiner Verteidigung kann ich lediglich anführen, dass der Mensch, der zuerst in dem Laden ans Telefon ging, mich zwar mit einem ausführlichen Spruch à la „Firma Ihr-Elektro-Himmel“, Pförtnerengel am Telefon, göttliche Grüße, was kann ich für Sie tun?“ begrüßte, mich aber nicht einmal den ersten Satz zu Ende machen ließ, sondern schon nach „Ich habe da ein Problem…“ mir mit „Ich verbinde mit dem Service“ ins Wort fiel.

Das ist unhöflich und ärgert mich.

Sehr unhöflich, und daran ändert auch der Wortschwall am Anfang des Gesprächs rein gar nichts.

Bei dem Typ hat sich somit der „Service“- Mensch zu bedanken für meine gereizte Grundstimmung.

Mittags hab ich dann einfach eine neue Kartusche erstanden- mit der geht’s denn auch problemlos.
Und wenn ich den Drucker demnächst mal eine Zeitlang nicht brauche, und mal wieder wen ärgern will, schicke ich ihn ein. Mitsamt der alten Kartusche, die ganz offenbar einfach kaputt ist. Schließlich habe ich noch ca. 22 Monate Garantie darauf

Montag, 4. Februar 2008

Brothers in Arms...

Eigentlich wollte ich hier ein paar unvergessliche und wahrhaft bewegende Worte schreiben, über Musik und über Lyrik, und so.

Zu dem Zweck hatte ich eigentlich vor, mir ein paar Texte runterzuladen und auszudrucken, damit ich sie vor der Nase habe.

Eigens mit dem Ziel des Druckens hatte ich mir vor einigen Wochen einen neuen Drucker gekauft.

Welchselbiger von Beginn an bei der schwarzen Pigmentkartusche (die für Textdruck) ab und zu maulte, sie sei leer- was erstens nicht sein kann, da er noch keine 10 Seiten gedruckt hat, das elektronische Miststück, und zweitens sie hörbar gefüllt ist. Es sind Originalkartuschen, sämtlich. Sie waren im Lieferumfang enthalten. Sicherheitshalber habe ich noch einmal die Nummern kontrolliert, die sind auch richtig. Man kann sie auch nicht an der falschen Stelle einsetzen- sie ist doppelt so breit wie die anderen vier, und daher passt sie nirgendwo anders hin.

Jedenfalls ließ sich zu Beginn der Drucker mit einem schlichten Aus- und wieder Einschalten zu reibungsloser Kooperation bewegen. Beim zweiten Versuch gings dann ohne Probleme, der dritte Drucktermin (immer nur wenig- ein Blatt oder so) verlangte dann schon nach zwei Startversuchen.

Samstag ließ mich der Steuererklärungsausdruckversuch schon zartrosa anlaufen, heute bin ich lila im Gesicht.

Nicht weil irgendein Unfall mit Tinte geschehen ist, sondern weil.Dieses.Scheißteil.Nicht.Läuft.

Immer mit der gleichen Fehlermeldung: Schwarze Kartusche leer. Was sie nicht ist, s.o.

Dieses Druckerschwein ist so arrogant, dass nicht mal eine Düsenreinigung funktioniert, solang die Fehleranzeige blinkt.

Ich habs hundertmal ein- und ausgeschaltet- no siree, keine Chance.

Bevor ich mich morgen mittag in der Schlange an der Kundenabwehrtheke beim Elektro-Discounter meines ausgeprägten Missmutes entledige, gehe ich jetzt Fernsehen. Nachdem der Fernseher gestern beschloss, dass er ein frühkindliches Trauma mit komplettem Tonausfall kompensieren wollte, hat er es sich zu seinem Glück anders überlegt, und spricht wieder mit mir. Und zu den schwarz-weißen Bildern der Feuerzangenbowle, die heut abend auf NDR meiner harrt, werd ich mir den Rest des vorhandenen Alkohols reinziehen.


Sonntag, 3. Februar 2008

Das Scarlett-O'Hara-Prinzip





könnte von mir sein: Morgen ist auch noch ein Tag!

Das dumme ist, dass es immer ein Morgen gibt, wohin man was verschieben kann.

(Außer in manchen Hollywood-Filmen des Endzeit-Genres. Aber die schau ich mir nicht an)

Wenn ich einfach nur faul wäre, oder sorglos-gleichgültig, wäre das bis hierhin kein Problem. Alles eine Sache der Ansprüche an sich selbst, soweit.

Aber leider bin ich das nicht. Im Gegenteil: Die Dinge sollten, mindestens, perfekt sein- sofern ich für ihre Erledigung verantwortlich bin.

Und 'perfekt' fängt am Anfang an. Aufschieben ist nicht perfekt, fängt aber auch mit dem Anfang an.

So, da haben wir also eine Verpflichtung, oder auch nur etwas, das sinnvoll wäre, zu tun. Beispielweise eine Steuererklärung zu machen.


Es ist der erste Januar, ich bin wie immer knapp bei Kasse. Und da liegt nichts näher, als besagte Erklärung möglichst schnell auf ihren Weg durch die dunklen Korridore der Finanzverwaltung zu schicken. Oder?

Es ist der zweite Januar, und es ist immer noch keine Lohnsteuerbescheinigung von der Lohnbuchhaltung im Postfach.

Die könnten sich mal beeilen, schließlich braucht man die Kohle.

Dritter Januar, Postfach leer.

Vierter, fünfter, sechster Januar: Nix.

Siebter Januar. Der innere Sprachzensor erlaubt das Wort „Schlampen“.

Zehnter bis 15. Januar: Keine Bescheinigung im Radar zu entdecken.

Zwanzigster Januar. Für das Mittagessen sind Pellkartoffeln mit Quark geplant, wegen leerer Kassen und so.

Und die Bescheinigung liegt im Postfach.

Super.

Ab nach Hause, Vordrucke aus dem Netz holen, mit dem Drucker kämpfen (das ist eine andere Geschichte...), Formulare ausfüllen, feststellen, dass Bescheinigungen (anderer Art, die ich nur selbst beschaffen kann) noch fehlen.

Mist.

Es ist 18 Uhr, die Belege krieg ich heute nicht mehr.

Gut, also morgen.

Der Morgen naht, und mit ihm -das Vergessen.

Es ist viel zu tun, und das Beschaffen von Belegen gehört nicht dazu, drängt sich auch nicht ins Bewusstsein, ist ganz einfach von der To-Do-List verschwunden und taucht auch nicht wieder auf.

Bis abends, wenn ich im Bett liege.

Da wird es dann im Gedächtnis hin und her geschoben, bis es einen soliden Platz ergattert hat, von dem es sich -bitteschön!- morgen wieder melden soll.

Was es nicht tut.

Das geht dann einige Zeit so- und wenn nicht zufällig irgendwo jemand im Büro Steuererklärungen erwähnt, wird der Tag kommen, an dem auch die abendliche Einschlafphase nicht mehr von Erinnerungen daran gestört wird.

Und dann ist es vergessen.

Irgendwann, wenn die ersten Kollegen erwähnen, dass sie sich von ihrer Erstattung ein Porsche-Cabrio gekauft haben, fällts mir wieder ein. Mit einem Schuldgefühl vermischt, und mit dem dringenden Bedürfnis, ein eigenes Porsche-Cabrio zu kaufen.

Bis dahin hab ich leider vergessen, was genau noch fehlte, um die Erklärung beim letzten Mal fertig zu kriegen, und ich habe vergessen, wo ich den Kram abgelegt habe.

Beim Suchen in den Papieren (ja, ich habe einen Büro-Job, und ja, ich kann zu Hause ums Verrecken keine ordentliche Ablage machen) fallen mir allerlei andere Dinge in die Hand, die mich an andere, ebenso mit Schuldgefühlen verbundene Erledigungen erinnern. (Diese Rechnung- da wollte ich doch noch gegen angehen- jetzt ist es zu spät, jetzt ist sie fällig. Wird schon stimmen. Bezahl sie mal lieber.)

Wenn ich Glück habe, verliere ich das, was ich tun wollte, nicht total aus den Augen.

Ach ja, die Belege mussten noch beschafft werden. Grrr. Am besten schreibt man sich das mal auf einen Zettel...

Den kann man dann liegen lassen.

Irgendwann dann, wenn die Kohle wieder mal ultra-knapp ist, wird’s vielleicht was.

Bis dahin ist die Sache mit Schuldgefühlen besetzt, ist mir peinlich (Alle. Anderen. Können. Es. Doch. Auch.) und kann auch übel enden- wenn es sich nicht um sowas wie eine Steuererklärung handelt, sondern vielleicht um einen Fristablauf, um das Bezahlen einer Rechnung oder sonst eine Verpflichtung. Allen diesen Dingen ist gemein, dass, wenn einmal das schlechte Gewissen zuschlägt, die Sache nur noch mit erheblichem Druck in Angriff genommen werden kann.

Wie gesagt, einfache Faulheit oder Gleichgültigkeit ist es nicht- sonst würde es ja nicht mit derart negativen Gefühlen besetzt sein.

Es ist eher ein „Ganz-oder-gar-nicht“.

Die bescheidene, Fehler und Schwächen in Kauf nehmende Erledigung auf Normalo-Weise ist mein Ding einfach nicht.

Wenn ich’s gut mache, ist das maximal okay, wenn nicht, gibt’s eins auf die Omme.

Klar, man soll sich loben und so.

Aber sicher. Für das Abheften einer Stromrechnung. Loben.

Auf jeden Fall.

Bin ich denn blöd??

Für sowas Selbstverständliches, Einfaches, Erwachsenes Jemanden loben?

Sorry, ich find das nicht besonders überzeugend. Leider habe ich andere Ansprüche an mich, und die scheinen auch nicht mit Loben-für-pieseliges-Kleinzeug zufrieden zu sein.

Diese ganze Sich-Selbst-Loben-Geschichte ist gefährlich- erstens, wie schon gesagt, erwacht da schnell der kritische Blick, der sagt, dass man sich für sowas nicht loben sollte, denn das ist einfach zu albern, und Selbstverarschen ist auch eine Form, sich schlecht zu behandeln. Man nimmt sich auf diese Weise einfach nicht ernst. Denn unmittelbar nach der Lob-Attacke war sie da, die Frage, die sich zwangsläufig, gerade bei den kleinen Alltagssachen, stellt: Warum nicht gleich so???

Eine berechtigte Frage. Aber leider wieder selbstkritisch, und ein Einfallstor für jenes Neurotikerhobby: Grübeln und sich schlecht Behandeln.


Also was tun? Mein bisschen gesunder Menschenverstand hat mir schon gesagt, dass man erstens nicht alles sofort, zweitens nicht alles perfekt und drittens auch nicht immer mit Lust und Spaß erledigen kann.

(Das hilft nicht unbedingt. Aber es ist ein Anfang.)

Weiteres Nachdenken, unterstützt von der Besten Therapeutin Aller Zeiten, hat dann (allerdings in Bezug auf eine andere Sache) zum Vorschein gebracht, dass es Dinge gibt, mit denen ich mich wohl fühle. Einfach so. Wohl fühlen. Herrje.

Nach der letzten Stunde hab ich die Hausaufgabe bekommen, mich bei Dingen, die ich tu, zu fragen, ob ich mich dabei wohl fühle.

Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Denn das bedeutet, dass man den Maßstab verändert, mit dem man Dinge bewertet. Das bedeutet, sich selbst als Richter über das einzusetzen, was man tut. Wobei Wohlfühlen als solches ein Ausschalten der kritischen Instanzen beinhaltet, in dem es den Maßstab „Das, was alle (besser als ich) können und (besser als ich) tun“ durch „Das, was ich gern habe und genieße“ ersetzt.

Für meine nicht neurotischen Leser wird das Gähnen an dieser Stelle durch komatösen Tiefschlaf ersetzt, da bin ich mir sicher. Für mich ist es spannend.

Es fühlt sich vollkommen anders an, als sich zu loben für Selbstverständlichkeiten.

Ich bin in den letzten 14 Tagen schon stundenlang durch den Wald gelaufen, und habe festgestellt, dass ich mich dabei wohl fühle. Dass es schön ist, draußen zu sein, auch bei Regen (oder gerade bei Regen- ich mag es, wenn’s regnet.).

Ich laufe gerne draußen herum, zweckfrei und um es zu genießen.

Ich hasse es, draußen zu sein und herumzulaufen, weil irgendwer sagt, ich bräuchte Bewegung.

Wenn ich nicht losziehe, Samstag oder Sonntag oder an beiden Tagen, muss ich nicht gleich fürchten, dass mich der Mut verlässt und ich nie wieder von der Couch hoch komme. Die Furcht (bzw. die im Selbstlob für Banalitäten versteckte Kritik) war immer da, wenn ich mich für einen Spaziergang „gelobt“ habe- und sobald ich keine Lust hatte, aufzustehen, mich anzuziehen und loszulaufen, war das das Ende aller Bemühungen, jedenfalls so lange, bis ich mich genug unter Druck gesetzt hatte, um wieder von vorn anzufangen.

Ich stelle fest, dass ich mich wohler fühle, wenn ich mit halb leerem Magen zu Bett gehe, als vollständig satt zu sein. Deshalb esse ich abends weniger, und andere Sachen. Nicht, weil irgendwer meint, dass das gesünder sei. Das mag auch sein, aber das ist nicht wichtig.

Ich hab auch bemerkt, dass es in Bezug auf den Diabetes einen Unterschied macht. Natürlich fühlt man sich weder mit einem BZ von 300 noch mit einem von 50 körperlich wohl. Im ersten Fall ist man träge, kaputt und schläfrig, sowie ganz außerordentlich durstig, so dass Wohlfühlen einfach nicht drin ist, und im zweiten Fall könnte man das Adrenalin blubbern hören, wenn das Herzrasen nicht so laut wäre. Nicht so doll, und noch grässlicher als die hohen Werte.

Aber es ist was anderes, ob ich mich um eine ausgewogene Einstellung bemühe, weil ich glaube, dass der Doc sonst moppert, oder ob ich einfach von diesen Schwankungen soweit wie möglich nicht mehr behelligt werden will, weil sie sich so scheiße anfühlen.

Der letzte dreihunderter Zucker ist jetzt gute 14 Tage her. Leider nicht der letzte Unterzucker, das liegt aber daran, dass ich fünf Kilo abgenommen habe, und sich der Insulinbedarf dann ändert. Aber ich arbeite dran.

Und gestern hab ich meine Steuern erklärt.

Außerdem hab ich mit dem Drucker gekämpft, aber das ist eine andere Geschichte, und sie soll ein anderes Mal erzählt werden.