Sonntag, 3. Februar 2008

Das Scarlett-O'Hara-Prinzip





könnte von mir sein: Morgen ist auch noch ein Tag!

Das dumme ist, dass es immer ein Morgen gibt, wohin man was verschieben kann.

(Außer in manchen Hollywood-Filmen des Endzeit-Genres. Aber die schau ich mir nicht an)

Wenn ich einfach nur faul wäre, oder sorglos-gleichgültig, wäre das bis hierhin kein Problem. Alles eine Sache der Ansprüche an sich selbst, soweit.

Aber leider bin ich das nicht. Im Gegenteil: Die Dinge sollten, mindestens, perfekt sein- sofern ich für ihre Erledigung verantwortlich bin.

Und 'perfekt' fängt am Anfang an. Aufschieben ist nicht perfekt, fängt aber auch mit dem Anfang an.

So, da haben wir also eine Verpflichtung, oder auch nur etwas, das sinnvoll wäre, zu tun. Beispielweise eine Steuererklärung zu machen.


Es ist der erste Januar, ich bin wie immer knapp bei Kasse. Und da liegt nichts näher, als besagte Erklärung möglichst schnell auf ihren Weg durch die dunklen Korridore der Finanzverwaltung zu schicken. Oder?

Es ist der zweite Januar, und es ist immer noch keine Lohnsteuerbescheinigung von der Lohnbuchhaltung im Postfach.

Die könnten sich mal beeilen, schließlich braucht man die Kohle.

Dritter Januar, Postfach leer.

Vierter, fünfter, sechster Januar: Nix.

Siebter Januar. Der innere Sprachzensor erlaubt das Wort „Schlampen“.

Zehnter bis 15. Januar: Keine Bescheinigung im Radar zu entdecken.

Zwanzigster Januar. Für das Mittagessen sind Pellkartoffeln mit Quark geplant, wegen leerer Kassen und so.

Und die Bescheinigung liegt im Postfach.

Super.

Ab nach Hause, Vordrucke aus dem Netz holen, mit dem Drucker kämpfen (das ist eine andere Geschichte...), Formulare ausfüllen, feststellen, dass Bescheinigungen (anderer Art, die ich nur selbst beschaffen kann) noch fehlen.

Mist.

Es ist 18 Uhr, die Belege krieg ich heute nicht mehr.

Gut, also morgen.

Der Morgen naht, und mit ihm -das Vergessen.

Es ist viel zu tun, und das Beschaffen von Belegen gehört nicht dazu, drängt sich auch nicht ins Bewusstsein, ist ganz einfach von der To-Do-List verschwunden und taucht auch nicht wieder auf.

Bis abends, wenn ich im Bett liege.

Da wird es dann im Gedächtnis hin und her geschoben, bis es einen soliden Platz ergattert hat, von dem es sich -bitteschön!- morgen wieder melden soll.

Was es nicht tut.

Das geht dann einige Zeit so- und wenn nicht zufällig irgendwo jemand im Büro Steuererklärungen erwähnt, wird der Tag kommen, an dem auch die abendliche Einschlafphase nicht mehr von Erinnerungen daran gestört wird.

Und dann ist es vergessen.

Irgendwann, wenn die ersten Kollegen erwähnen, dass sie sich von ihrer Erstattung ein Porsche-Cabrio gekauft haben, fällts mir wieder ein. Mit einem Schuldgefühl vermischt, und mit dem dringenden Bedürfnis, ein eigenes Porsche-Cabrio zu kaufen.

Bis dahin hab ich leider vergessen, was genau noch fehlte, um die Erklärung beim letzten Mal fertig zu kriegen, und ich habe vergessen, wo ich den Kram abgelegt habe.

Beim Suchen in den Papieren (ja, ich habe einen Büro-Job, und ja, ich kann zu Hause ums Verrecken keine ordentliche Ablage machen) fallen mir allerlei andere Dinge in die Hand, die mich an andere, ebenso mit Schuldgefühlen verbundene Erledigungen erinnern. (Diese Rechnung- da wollte ich doch noch gegen angehen- jetzt ist es zu spät, jetzt ist sie fällig. Wird schon stimmen. Bezahl sie mal lieber.)

Wenn ich Glück habe, verliere ich das, was ich tun wollte, nicht total aus den Augen.

Ach ja, die Belege mussten noch beschafft werden. Grrr. Am besten schreibt man sich das mal auf einen Zettel...

Den kann man dann liegen lassen.

Irgendwann dann, wenn die Kohle wieder mal ultra-knapp ist, wird’s vielleicht was.

Bis dahin ist die Sache mit Schuldgefühlen besetzt, ist mir peinlich (Alle. Anderen. Können. Es. Doch. Auch.) und kann auch übel enden- wenn es sich nicht um sowas wie eine Steuererklärung handelt, sondern vielleicht um einen Fristablauf, um das Bezahlen einer Rechnung oder sonst eine Verpflichtung. Allen diesen Dingen ist gemein, dass, wenn einmal das schlechte Gewissen zuschlägt, die Sache nur noch mit erheblichem Druck in Angriff genommen werden kann.

Wie gesagt, einfache Faulheit oder Gleichgültigkeit ist es nicht- sonst würde es ja nicht mit derart negativen Gefühlen besetzt sein.

Es ist eher ein „Ganz-oder-gar-nicht“.

Die bescheidene, Fehler und Schwächen in Kauf nehmende Erledigung auf Normalo-Weise ist mein Ding einfach nicht.

Wenn ich’s gut mache, ist das maximal okay, wenn nicht, gibt’s eins auf die Omme.

Klar, man soll sich loben und so.

Aber sicher. Für das Abheften einer Stromrechnung. Loben.

Auf jeden Fall.

Bin ich denn blöd??

Für sowas Selbstverständliches, Einfaches, Erwachsenes Jemanden loben?

Sorry, ich find das nicht besonders überzeugend. Leider habe ich andere Ansprüche an mich, und die scheinen auch nicht mit Loben-für-pieseliges-Kleinzeug zufrieden zu sein.

Diese ganze Sich-Selbst-Loben-Geschichte ist gefährlich- erstens, wie schon gesagt, erwacht da schnell der kritische Blick, der sagt, dass man sich für sowas nicht loben sollte, denn das ist einfach zu albern, und Selbstverarschen ist auch eine Form, sich schlecht zu behandeln. Man nimmt sich auf diese Weise einfach nicht ernst. Denn unmittelbar nach der Lob-Attacke war sie da, die Frage, die sich zwangsläufig, gerade bei den kleinen Alltagssachen, stellt: Warum nicht gleich so???

Eine berechtigte Frage. Aber leider wieder selbstkritisch, und ein Einfallstor für jenes Neurotikerhobby: Grübeln und sich schlecht Behandeln.


Also was tun? Mein bisschen gesunder Menschenverstand hat mir schon gesagt, dass man erstens nicht alles sofort, zweitens nicht alles perfekt und drittens auch nicht immer mit Lust und Spaß erledigen kann.

(Das hilft nicht unbedingt. Aber es ist ein Anfang.)

Weiteres Nachdenken, unterstützt von der Besten Therapeutin Aller Zeiten, hat dann (allerdings in Bezug auf eine andere Sache) zum Vorschein gebracht, dass es Dinge gibt, mit denen ich mich wohl fühle. Einfach so. Wohl fühlen. Herrje.

Nach der letzten Stunde hab ich die Hausaufgabe bekommen, mich bei Dingen, die ich tu, zu fragen, ob ich mich dabei wohl fühle.

Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Denn das bedeutet, dass man den Maßstab verändert, mit dem man Dinge bewertet. Das bedeutet, sich selbst als Richter über das einzusetzen, was man tut. Wobei Wohlfühlen als solches ein Ausschalten der kritischen Instanzen beinhaltet, in dem es den Maßstab „Das, was alle (besser als ich) können und (besser als ich) tun“ durch „Das, was ich gern habe und genieße“ ersetzt.

Für meine nicht neurotischen Leser wird das Gähnen an dieser Stelle durch komatösen Tiefschlaf ersetzt, da bin ich mir sicher. Für mich ist es spannend.

Es fühlt sich vollkommen anders an, als sich zu loben für Selbstverständlichkeiten.

Ich bin in den letzten 14 Tagen schon stundenlang durch den Wald gelaufen, und habe festgestellt, dass ich mich dabei wohl fühle. Dass es schön ist, draußen zu sein, auch bei Regen (oder gerade bei Regen- ich mag es, wenn’s regnet.).

Ich laufe gerne draußen herum, zweckfrei und um es zu genießen.

Ich hasse es, draußen zu sein und herumzulaufen, weil irgendwer sagt, ich bräuchte Bewegung.

Wenn ich nicht losziehe, Samstag oder Sonntag oder an beiden Tagen, muss ich nicht gleich fürchten, dass mich der Mut verlässt und ich nie wieder von der Couch hoch komme. Die Furcht (bzw. die im Selbstlob für Banalitäten versteckte Kritik) war immer da, wenn ich mich für einen Spaziergang „gelobt“ habe- und sobald ich keine Lust hatte, aufzustehen, mich anzuziehen und loszulaufen, war das das Ende aller Bemühungen, jedenfalls so lange, bis ich mich genug unter Druck gesetzt hatte, um wieder von vorn anzufangen.

Ich stelle fest, dass ich mich wohler fühle, wenn ich mit halb leerem Magen zu Bett gehe, als vollständig satt zu sein. Deshalb esse ich abends weniger, und andere Sachen. Nicht, weil irgendwer meint, dass das gesünder sei. Das mag auch sein, aber das ist nicht wichtig.

Ich hab auch bemerkt, dass es in Bezug auf den Diabetes einen Unterschied macht. Natürlich fühlt man sich weder mit einem BZ von 300 noch mit einem von 50 körperlich wohl. Im ersten Fall ist man träge, kaputt und schläfrig, sowie ganz außerordentlich durstig, so dass Wohlfühlen einfach nicht drin ist, und im zweiten Fall könnte man das Adrenalin blubbern hören, wenn das Herzrasen nicht so laut wäre. Nicht so doll, und noch grässlicher als die hohen Werte.

Aber es ist was anderes, ob ich mich um eine ausgewogene Einstellung bemühe, weil ich glaube, dass der Doc sonst moppert, oder ob ich einfach von diesen Schwankungen soweit wie möglich nicht mehr behelligt werden will, weil sie sich so scheiße anfühlen.

Der letzte dreihunderter Zucker ist jetzt gute 14 Tage her. Leider nicht der letzte Unterzucker, das liegt aber daran, dass ich fünf Kilo abgenommen habe, und sich der Insulinbedarf dann ändert. Aber ich arbeite dran.

Und gestern hab ich meine Steuern erklärt.

Außerdem hab ich mit dem Drucker gekämpft, aber das ist eine andere Geschichte, und sie soll ein anderes Mal erzählt werden.


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