Donnerstag, 31. Januar 2008

Lost in space and lost in time.

Vor ein paar Minuten habe ich in meinem Schreibtisch etwas gefunden… ein angefangenes Stück Scoobi-doo. Oder so. Also diese bunten Plastik-Spagetti, die vor drei oder vier oder sieben Jahren mal furchtbar aktuell waren, und aus denen man allerlei überflüssiges Zeug basteln konnte.
Schlüsselanhänger aus diesem Material sind immer noch an dem ein oder anderen Bund befestigt.
Ich weiß noch, dass ich dieses Geschnüre und Geschlinge im Schlaf und mit auf den Rücken gebundenen Händen beherrscht habe.

So eine Art Makramee, nur öko-feindlicher.
Direkte Vorgänger waren Freundschaftsbändchen, die Nachfolger vermutlich Indianerperlen-Basteleien.
Die flüssige Variante nannte man Window-Colours.
Ich habe in insgesamt 3 Wohnungen versucht, die von kreischflitterbunten Symbolen verfärbten Fliesen wieder sauberzukriegen, Hinterlassenschaften von Vormietern mit wenig Geduld beim Abkratzen und noch viel weniger Geschmack. Man stelle sich das vor: Ein schweinerosa gekacheltes Bad, der Boden dunkelgrün-braun-schlierig gefliest, und dazu dunkelviolette Schmetterlinge, mit Glitter. An der Wand, in der Wanne, überall.
In der Wohnung davor pappte das Zeug am Fliesenspiegel in der Küche, und in meiner jetzigen an den Fenstern in Küche, Arbeitszimmer und an der Balkontür. Es scheint, dass die Dinger, direkt und ohne Folie angebracht, eine Art Verbindung mit dem Untergrund eingehen, der nicht nur Haftung ist. Für die Entfernung auf den Fenstern habe ich einen Ceranfeld-Kratzer gebraucht, alles andere hätte Kratzer auf der Scheibe hinterlassen.

Jedenfalls ist dieser Hype abgeflaut, man kriegt keine Window-Colours mehr an der Tankstelle und am Kiosk.
Ebenso keine Scoobi-doos. Letztere kamen in gewissen Kreisen ins Gerede, angeblich wegen hoher Anteile an Weichmachern.

Und machen wir uns nichts vor: Trendbasteleien und Spielzeug-Must-haves gab es schon in den Sechzigerjahren. Als ich ein Kind war, ungefähr 6 oder 7, MUSSTE man ein Kullertränchen haben. Das war eine blonde, geschlechtsneutrale Babypuppe, mit einer Art Dauerwelle auf dem Kopf, die man „füttern“ konnte. Dazu schob man ihr ein mit Wasser gefülltes Fläschchen in das Mäulchen und spritzte die Flüssigkeit in die Puppe. Dann konnte man den linken Arm der Puppe herunterdrücken, eine Mechanik verzog das Gesicht zu einem weinenden Frätzchen und es stiegen „Tränen“ in die Augen- außerdem nässte das Püppchen dann ein. Funktionierte nicht allzu oft. Meist verlor man zuerst das Fläschchen, und dann verlor die Puppe die Dichtigkeit und pinkelte nicht mehr, sondern leckte aus allen Gelenken.

Später war es dann eine kleine Schwester der Barbie, die Biggi-Puppe, die unbedingt nötig war. Die hatte biegsame Knie und so was- eine Neuheit. Der Hammer.
Ich hatte es nie so mit Puppen. Die kriegten meist recht schnell eine neue Frisur und ein Dauer-Makeup aus Filzstift, und das wars dann.

Die Ohne-geht’s-nicht-Zopfspangen meiner Kindheit waren runde Kugeln, zwei an einem Gummiband. Weil ich seit meiner Geburt kurze Haare habe, hab ich sie nie tragen können.
Aber ich war neidisch, mein lieber Herr Gesangverein.

Auf dem Schulhof schlug man sich mit zwei schweren Plastikkugeln die Handgelenke blau… Ich hab nie gewusst, wie die Dinger heißen, aber man ließ die beiden Kugeln an einem Band mit einem kleinen Griff in der Mitte zusammenprallen, immer schneller, bis sie oben und unten zusammenschlugen.
Heutzutage wären die schneller verboten als ein Ego-Shooter. Es gibt sie wieder, aber mit nicht ganz so schweren Kugeln und nicht ganz so langen Bändern.

Das war in den Siebzigern, und während wir einander schwere Kugeln an Kordeln hinterher warfen, knoteten unsere Mütter farbiges Packband zu mehr oder minder eindrucksvollen Gehängen für Blumenampeln, Wandbehänge oder sonstigem Gezumpel.
Oder sie knüpften Teppiche. Damals verstand man unter „Berber“ noch was anderes als heutzutage.
Besonders kunstvolle Exemplare hingen an der Wand, hatten abstrakte Muster in beißenden Farben, und aus ihnen wuchsen lange, schlingpflanzengleiche Makrameegeflechte. Und braune, dicke Holzperlen, die manchmal auch orangefarben waren. Aus ihnen sickerte allgemein eine eher organische, um nicht zu sagen bösartig-botanische Atmosphäre.

Wir hatten so ein Ding im Treppenhaus hängen.

In den Achtzigerjahren haben wir gestrickt. Mit Zöpfen, ohne Zöpfe, Schneesterne, Rentiere, Namenszüge, Pinocchios für die Kinderpullover. Norwegische Muster. Irische Muster. Ajour-Muster. Morgens, mittags, abends. Auf Feiern, im Park, in Hörsaal und Schule. Immer.

Währenddessen begeisterte sich vor allem der männliche Nachwuchs an kriegerischen Puppen, Testosteron-verheißenden Kens, die man „He-Man“ nannte. Und so wie ich auf die Zopfspangen verzichten musste, waren die Dinger für meinen Sohn „Leichenspielzeug“- die gab es nur über meine Leiche, also gar nicht.

Da wir schon immer etwas anders waren, hatten wir auch keinen C64, sondern einen Atari. (Separatisten.)
Mit Datasetten.
Später mit zweiseitig verwendbaren 5 1/4 Zoll-Disketten, zu laden über ein externes, drei Kilo schweres Laufwerk, und einer Sammlung von ungefähr 700 Spielen, in der bekannten monochromen Klötzchengrafik mit ohrenkrebserzeugendem Gepiepse als Soundtrack. Bevor man irgendwas spielen konnte, musste man unter Umständen dem Computer erst noch das Basic beibringen (also es in den Speicher laden) in dem das Spiel programmiert war.
32 Kilobyte Speicher, da kann man Spiele mit programmiert kriegen.

Als IBM seine ersten PCs auf den Markt warf, bekamen wir irgendwann einen Schneider-Euro-PC. Ein vom Bau her hybrides Teil irgendwo zwischen 8-Bit-Rechner und PC. Das Ding hatte zwar eine IBM-kompatible CPU, aber kein extra Gehäuse, die ganze Recheneinheit wohnte in der Tastatur. Da gab es auch ein Diskettenlaufwerk. Der Bildschirm war bernstein-monochrom, also eine orange-schwarze Angelegenheit. Kostete damals 999 Mark.

Den haben wir nach und nach umgebaut, inklusive Umzug der Hauptplatine in ein Desktop-Gehäuse, und dann gab es auch die erste Festplatte, eine 20 Megabyte-Seagate. Auch die kostete ein Vermögen.
Und während Aldi noch darüber nachdachte, ob man Elektronik neben Knäckebrot verkaufen kann, kaufte mein Mann seinen ersten Akustikkoppler. So ein Ding, auf das man einen Telefonhörer auflegen konnte. Mit zwei Muscheln, eine mit Mikro, eine mit Lautsprecher.
Mit Hilfe dieses Wundergeräts konnte man sich per Telefon in eine Art Netz (Usenet?) einwählen, und zur Verständigung nutzten die Geräte dieses Zwitschern, das man von Modems und Faxgeräten kennt.
Dafür hab ich damals extra ein Telefon mit Tasten bei der Post bestellt, denn ohne Tasten keine Wahlwiederholung- und die brauchte man fast noch mehr als den Akustikkoppler. Damals, zu Zeiten der Monopolisten…Ein Tastentelefon kostete im Gegensatz zu dem ordinären Wählscheiben-Modell 60 Pfennig extra im Monat- oder sechs Mark? Und ich musste was dafür zahlen, dass ein längeres Kabel dran kam. Dafür kam extra ein Techniker ins Haus und schraubte an der Leitung herum.
Die ganze Verbindung war, da sie tatsächlich auf akustischem Weg funktionierte, extrem störanfällig. Mit chronischem Husten brauchte man sich gar nicht in der Nähe aufhalten…

Etwas später dann, während die Menschen mit Stellvertreter-Helfersyndrom ein piepsendes Tamagotchi mit sich herumschleppten, und der Rest am Nintendo die kleinen Supermarios durch die Levels schickte, hatten wir gerade den Konsumterror entdeckt, wendeten uns von RTL und Tamagotchis ab, und zahlten lieber an der Hypothek. Das machten damals auch alle- in der Niedrigzinsphase ab Mitte der Neunziger.

Der Bastelwahn fing dann Anfang des Jahrtausends so richtig an. Serviettentechnik (uärgh…) Seidenmalerei (zartlila Kravatten! Hussa!) Brandmalerei. Puppen basteln. Trockensträuße (hust!). Tiffany-Lampen. Besagte Window-Colours. Und, und, und.
Irgendwann, wenn so eine Hysterie abflaut, kann eine sechzig-Quadratmeter-Wohnung nur noch mit Mühe unter den ganzen Gimmicks und dem Selbstgebissenen hervorgegraben werden.
Abschreckendstes Beispiel für mich war eine Frau, die wunderbare Filet-Häkelarbeiten machte. Sie machte nichts anderes, und vor nichts halt. Aber gutes Garn ist teuer. Und unauffällig cremefarben.
Nachdem sie Ende der Siebziger losgelegt hatte, trug 1988 sogar ihre Tiefkühltruhe eine Schutzdecke in Filethäkelei, aus türkiser Wolle, mit Lurex. In Gold.

Wenn man die Bastelgeschäfte besucht, findet man in den Ecken immer noch Reste von Material für die ein oder andere bereits ausgestorbene Beschäftigung, für die unentwegt weiter Werkenden, die auch im Jahr 2008 noch Bedarf an Styroporringen (Trockenkränze?), Holzbrettchen, Stopfwatte und Papierservietten haben.

Aus den recycelten Tamagotchis hat man dafür Scoobi-doos gemacht, und das Makramee-Material dient wieder zum Paketverschnüren.


Die Scoobi-doos hab ich weg geworfen: Ich kanns nicht mehr.
Sic transit gloria mundi.

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