Donnerstag, 10. Januar 2008

The Things We Do For Love

Akt 1.


Die Tür zur Wohnung öffnet sich. Eintritt der Hauptmieterin, ca. 44, gefühltes Alter: 88. Eine Schultertasche baumelt rechts, eine Einkaufstüte (irgendwie doch jeden Tag voll) links. Hysterisches Auseinanderrennen der hinter der Tür versammelten kätzischen Bewohneranteile. Die ältliche Perserdame auf dem Stuhl in der Diele blinzelt phlegmatisch. Der sieben Monate alte Zwergkater kommt angehüpft und gibt Laute von sich, die schwer an einen Welpen denken lassen; Neufundländer oder Rhodesian Ridgeback. Was großes, definitiv Nichtfelines.

Die Hauptmieterin antwortet mit einem Mix aus Babysprache und Miauen. Ja. Ich weiß.


„Na, Ihr Kackbären? Alles im grünen Bereich? Keine Tapeten gefressen heute?“ (Wer Tapeten frisst, oder Topfpflanzen, ist schon satt und kriegt nichts mehr. Also gibt es keiner zu.)


Taschen und Tüten werden abgestellt, und sofort von einer vierbeinigen, befellten Gruppe Sicherheitsbeamter in Angriff genommen. Hauptmieterin bringt (vor allem und zuerst) den Käse in Sicherheit. Während sie die Tür des Kühlschranks öffnet, versucht der Neufundländer-Katzenmischling in denselben zu klettern. Abruptes Schließen des Kühlgerätes verbietet sich, denn je größer der Nachwuchs wird, desto eher geraten seine Ohren in die schließende Tür, was unmittelbares Katzenelend zur Folge hat und demnach zu vermeiden ist.

Dann wird die Jacke abgelegt, der Rest der Einkäufe verstaut und -Trommelwirbel- die Hauptmieterin wechselt in die Rolle der Dosenöffnerin. Zwei Dosen Katzenfutter müssen geöffnet und unter Gefahr für Leib und Leben gerecht auf vier Näpfe verteilt werden. Die Jungs im Zoo haben Gitter zwischen sich und den Tigern, und sie kriegen Geld dafür. Ich nur Kratzer.

Während die Dosenöffnerin die Dosen öffnet (tunlichst auf der Arbeitsplatte und nicht auf dem Boden, denn den Sprung auf die Arbeitsplatte kriegen nur zwei von vieren ohne Probleme geregelt) verteidigt sie sich mithilfe Gabel-unterstützter Schimpfattacken.


„He, ihr Kackbären, es IST langsam gut. Weg da. Ich komm da nicht dran...“

Dann wird es Zeit, mit möglichst wenig Arbeitsschritten (also gleichzeitig) die vier Näpfe auf den Boden zu befördern.


Kurzes Philosophieren darüber, warum Katzenfutter so furchtbar auf dem Boden klebt und haftet. Außer Sekundenkleber kriegt man wirklich jedes andere Zeug besser wieder weg.


Während die Plüschnasen je nach Charakter mehr oder minder gierig über ihren Napf herfallen (oder, in Eddies Fall, versuchen, ihn in die Fliesen zu scharren- ich bevorzuge es, das als „Aufbewahren für später“ und nicht als „Was mutet die Alte uns heute wieder zu“ zu interpretieren) macht die Dosenöffnerin sich daran, notwendige Hausarbeit zu beginnen. Wäsche waschen. Irgendwas aufräumen. Oder vielleicht einfach nur unzeremoniell auf der Couch zusammenbrechen.



Akt 2


Nachdem die schlimmsten Erschöpfungszustände behoben sind, kann zunehmend an a) weitere Freizeigestaltung oder b) an die Bereitung der eigenen Nahrung gedacht werden. Da die Dosenöffnerin selbst nicht dazu neigt, Dosen zu öffnen, wenn es an ihr eigenes Abendessen geht, wird also gekocht. Oder einfach zur Anfertigung einiger belegter Brote geschritten.



Die Gefahren bei der Öffnung des Kühlschranks sind unverändert- denn egal, ob das Katzentier gerade gegessen hat oder nicht: Es will immer in den Kühlschrank klettern. Also heißt es: Schnell sein.

Mentales Training hat sich hier als unverzichtbar erwiesen. Memorieren des Inhalts besagten Gerätes, gedankliches Lokalisieren der gewünschten Nahrung, anschließendes Anpeilen der Küchenecke, in der der Kühlschrank steht, und blitzschnelles Vorgehen ist hier gefragt.


Einmal der Kälte entnommen, ist der weitere Umgang mit den Nahrungsmitteln stark von deren Eigenschaften abhängig.

Gemüse, Zerealien, Fette und Gewürze sind da unkritisch.

Lebensmittel tierischen Ursprungs sind bedroht. Durch jahrelanges Training haben die Katzen es geschafft, zu unterscheiden, ob gerade ein oder zwei Putenschnitzel oder eine Packung Champignons auf dem Schneidbrett landen- vollkommen gleichgültig ist es, dass beides in identische Schalen verpackt ist. Ich wette, sie trainieren heimlich mit dem Kleinen, wenn ich auf der Arbeit bin.

Sobald irgendein Infraschall oder was auch immer „Fleisch“ signalisiert, sind sie da, und die Dosenöffnerin ist gezwungen, unter herzzerbrechenden Blicken aus acht Katzenaugen ihr Werk zu vollenden. Dabei sollte sie darauf achten, niemals Brett oder Fleisch unbeobachtet zu lassen- dann ist es nämlich weg.

Einfach so.

Auch das Verfrachten des Fleisches in die Pfanne wird gern mit Blicken und vorwurfsvollem Geschrei kommentiert. Mein Verweis auf die zu dem Zeitpunkt meist noch nicht leeren Näpfe mit dem eigens unter Opfern herbeigeschleppten Futter darin wird mit eisigem Schweigen kommentiert.


Bei Eiern haben sie noch nicht raus, dass auch mit dem Inhalt der Schale etwas anzufangen ist. Die Schalen als solche interessieren sie sehr- und diese sollten niemals unbeaufsichtigt herumliegen, beispielsweise wenn man plötzlich gezwungen ist, den Frühstückstisch zu verlassen. Dann sind sie nämlich weg, die Eierschalen, und tauchen erst Tage später unter irgendwelchen Möbeln wieder auf.


Käse reiben ist auch so eine Sache: Sie lieben Käse. Sobald auch nur das kleinste Krümelchen auf dem Boden landet, brechen größere Fehden aus, wer es haben darf. Im Gegensatz zu der Erziehung von Hunden, denen man sowas auch noch mal weg nehmen kann, ist so ein Versuch bei Katzen als leichtsinnig zu klassifizieren. Da hat man eher die Krallen im Handrücken, als so ein Stück Käse wiederzukriegen. Und sobald man sich bückt, um es aufzuheben, steht ein anderer oben auf der Arbeitsplatte und bedient sich aus der Schüssel mit dem geriebenen Käse. Oder rast mit dem erbeuteten ganzen Stück davon.


Ist das Essen zubereitet, kommt es zu tumultuösen Szenen. Am Küchentisch muss die Dosenöffnerin nur darauf achten, möglichst nicht in beiden Händen Besteck zu benötigen, denn sonst ist es schwierig, mit einer Hand zu essen und mit der anderen die Katzenköpfe, die der Reihe nach über der Tischplatte auftauchen, wieder zu verscheuchen. Jeder sitzt auf einem Stuhl und sie versuchen abwechselnd, hungrig auf den Teller zu schielen. Unter dem Tisch, von Stuhl zu Stuhl hüpfend, ist der Kleine unterwegs, und unterstützt seine größeren Kumpel. Emily sitzt auf dem Boden neben dem Stuhl der Dosenöffnerin und maunzt leise.


Sollte die Dosenöffnerin planen, ihr Abendessen am Wohnzimmertisch einzunehmen, ist es schwieriger, weil die Viecher mit einem Satz auf denselben springen. Ja. Ich weiß.

Während sie den Hintern von der Couch hebt, um den einen da wieder runterzuschubsen (sonst kommt sie an den nicht dran- und vage Verscheuchbewegungen werden schon seit längerem nicht wirklich ernst genommen), sieht sie die Pfote nicht, die sich langsam über die Tischkante und den Tellerrand auf das Käsebrot zu bewegt. Ein Versuch, die solchermaßen geangelte Scheibe wieder zu ergattern, sollte immer nur unter Mitnahme aller Lebensmittel vom Tisch unternommen werden. Sonst findet man nicht mal mehr Kekse oder Nüsse wieder.

Sofern die Mahlzeit ohne schwerwiegende Verletzungen beendet werden konnte, folgt



Akt 3



Das gemütliche Fernsehen/Lesen/Telefonieren/Bloggen



Fernsehen ist so eine Sache. Darin steckt das Wort „sehen“, und das ist auch das Ziel des ganzen, mein lieber Eddie. Das heißt nicht „Katzenbreitseitesehen“. Auch wenn du dich immer genau dann direkt vor mich stellst, wenn der Krimi gerade spannend, weil wortlos ist.

Ich weiß schon, warum sie diese Kommentierungen für Sehbehinderte haben. So kriegt man vom Tatort auch was mit, wenn Eddie Zuneigung braucht.


Lesen. Nun ja. Das wär noch ein Thema für eine Diplomarbeit in Verhaltenslehre, meine lieben Biologen und Psychologen. Wieso legen sich Katzen IMMER auf die Seite, die gerade gelesen wird? Ich habe es versucht, und mehrere aufgeschlagene Bücher auf den Tisch gelegt. Paul nimmt IMMER das Buch, in dem ich tatsächlich lese.


Telefonieren- da steckt Kommunikation drin, meine Damen und Herren, Verständigung!

Da steckt nicht drin, dass, unmittelbar nachdem der Apparat geschellt hat, ein irres Toben, Kreischen und Schreien, interpunktiert von Rottweiler-artigem Knurren, anhebt. Katzen rasen durch die Wohnung, fliegen aus den Kurven und knallen mit Wucht vor Heizkörper, Wände und Möbel. Altglas erzittert an seinem Abstellort, oder fällt mit aussagestarkem Klappern einfach um. Die Dosenöffnerin, verschreckt auf ihrem Sofa, wird als Sprungbrett missbraucht, während die wilde Jagd tobt. Dann ein Kreischen- ein Klirren- und irgendwas Zerbrechliches hat soeben sein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten. Erschrecktes Augenöffnen der lieben Emily, die neben der Dosenöffnerin ihren Feierabend genießen wollte. Dann schläft sie wieder ein, weil die Dosine schon unterwegs ist, zu retten, was zu retten ist.

Während sie weiter telefoniert und mit einer Hand die Trümmer aufhebt, den Staubsauger holt und mittels wüster Beschimpfungen versucht, die Kater am Spiel mit Scherben zu hindern, nutzen im Wohnzimmer zurück gebliebene Teile der kätzischen Bewohnerschaft die Chance, Knabberartikel abzuräumen. Wenn sie sie nicht fressen, schubsen sie sie unter die Couch, wo man sie erst lange Zeit später wieder findet. Paul taucht seine Pfote in den Tee und genießt das Süßstoffaroma. Wenn er genug Zeit hat, schleppt er ein Spielzeug an und ertränkt es in der Tasse.

Sofern Kerzen brennen, ist es spätestens JETZT unabdingbar, zurückzukehren. Oder der Ausdruck „Gesengte Katze“ erlangt traurige Aktualität.


Tja, und da ist dann noch das Bloggen. Die Meute hört das Hochfahren des Rechners, und entert das Arbeitszimmer („Chez Kratzwald“). Selbst Emily erhebt sich von ihrem Schmerzenslager und wandert los, wobei sie als Alterspräsidentin den Platz auf meinem Stuhl in Anspruch nimmt. Das führt zu leichten Krämpfen im Rücken und Sehproblemen, weil nur die vorderste Stuhlkante frei ist. Und dann sitzt man nun mal ganz, ganz nah am Monitor.

Karl will auf den Schoß - meinetwegen. Da stört er nicht. Ab und zu droht er abzurutschen, dafür hat der liebe Gott ihm seine Krallen gegeben. Mit denen hält er sich dann fest. Enjoy!

Ich schreite nur ein, wenn er anfängt, auf meinem Pumpenkatheter herumzukauen. Da bin ich eisern, und da gibt’s auch was auf die Nase, wenn er nicht aufhört.

Paul legt sich auf das Maus-Pad. Bevorzugt dann, wenn meine Hand auf der Maus liegt, da kann er sie wärmen. Ich sage nur: Neun Kilo.

Eddie hingegen... Eddie liebt den Monitor. Allein schon deshalb wurde der letzte Röhrenmonitor nicht durch ein TFT-Display ersetzt. Der dicke 17-Zöller hält ihm stand, und er wärmt ihn so schön, dass das Katzentier meist drauf einschläft. Ebenso meist hängt sein Schwanz quer über der Mattscheibe. Wenn ich versuche, das Ding aus dem Blickfeld zu schieben, ist das Auftakt für eine Runde Schwanzfangen. Sehr zur Freude des sonstigen Equipments auf dem Schreibtisch; Boxen zum Beispiel. Die fallen dann schon mal runter.


Warum, warum um alles in der Welt habe ich Katzen? Ich habe keine Gardinen, keine Zimmerpflanzen, keine Stehlampen, keinen Weihnachtsbaum, keinen Plattenspieler... denn ich habe Katzen. Ich habe keine Allergiker zu Freunden, ich habe seit Jahren keine Nylons mehr getragen, und ich finde öfter als mir lieb ist, Spielzeugmäuse in meinen Schuhen. Sowie schon mal Emilys Hinterlassenschaften NEBEN der Katzenkiste. Neben der frisch gereinigten Katzenkiste.


Unweigerlich kommt gegen halb elf abends diese Frage in meinen Sinn. Und nur ein erneutes Kreischen aus der Küche bringt mich halbwegs auf andere Gedanken...


Später dann, viel später, liege ich auf meinem Sofa, und in meiner Kniekehle liegt Karlchen und schläft. Eddie hat sich vor meinem Bauch eingerollt und schnurrt. Emily sitzt auf der Lehne neben mir und putzt sich, und Paul hat es sich auf meinen Beinen bequem gemacht und schnarcht leise. Ab und zu macht er ein Auge auf, um zu schauen, ob ich noch da bin.

Deshalb habe ich Katzen.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

:-)
Einfach nur schön! Vor allen Dingen, wenn ich mir das bildlich vorstelle! Mistviecher ;-)

Anonym hat gesagt…

Klar, Du bist die Katzenrudelmutter, die abends mit der Beute nach Hause kommt. Aber wie langweilig, die Beute bewegt sich nicht mehr, und sie ist matschig, anstatt fest und mühsam zu kauen. Idee: Katzenlabyrintkasten mit Irrwegen, Löchern zum Durchschlüpfen und Deckel (für den Notfall)bauen mit gekochtem Fisch am Ziel. Oder kleine Stoffsäckchen mit echten Fleischstückchen von der Decke hängend an schwer erreichbaren Stellen im Flur. Oder ein Stück Baumstamm mit tief geborten Löchern, aus denen sie dann Lunge-Stückchen herausfischen könnten. Am besten wäre natürlich, wenn Du ab und zu mal ein paar lebendige Mäuse aus der Zoohandlung mitbringen könntest, aber wir sind ja Tierliebhaber, an so etwas zu denken...also nee.
Schönen Abend noch!
E. aus H.

Lily hat gesagt…

Moin, E aus H,

deine Ideen sind klasse- die Mäuse würden allerdings die Geduld meines Vermieters strapazieren, ich bin da eher Freundin meiner Katzen, mich würds nicht stören. Es sind schließlich Fleischfresser. Und auch der Dosenmatsch hat mal gelebt- wenn ich auch nicht sicher bin, wieviel davon.
Gibt es für so einen Labyrinthkasten irgendwo Bauanleitungen?
Und es könnte wirklich mal öfter Frischfleisch geben. Ich habs in letzter Zeit etwas reduziert, weil das durch die Bettelei beim Zubereiten immer so nach Belohnung aussieht, und ich das Betteln nicht unterstützen wollte.
Vielen Dank für deine Tipps,

L aus R