Mittwoch, 23. Januar 2008

Kinder haben. Oder nicht.

Irgendwie scheint den Kindern von heute das Wissen verloren gegangen zu sein, dass Autos aua machen, wenn man zulässt, dass sie einen überfahren.

Anders ist es nicht zu erklären, dass sie, ungeachtet der ungefähr 1500 PS, die in einer blechverkleideten Schlange, noch dazu bunt lackiert, auf sie zubrausen, in Scharen über die Straße laufen. Bei rot.

Sollte es sich um ein erbliches Problem handeln, so können wir, Darwin sei Dank, mit einer Erholung des Gen-Pools in zwei oder drei Generationen rechnen.


Unsere Mutproben, damals, im Pleistozän, als ich noch jung war, sahen Sprünge vom Dach vor. Ob man das überlebte oder nicht: Es war jedenfalls kein Blechschaden zu befürchten.

Und niemand wäre verklagt worden- Eltern wussten damals, dass Kinder einfach dämlich sind, was manche Dinge betrifft. Keiner wäre auf die Idee gekommen, die Eigentümer des Grundstücks, auf dem wir unsere Absprünge geübt haben, vor Gericht zu zerren um sie wegen der Zutrittsmöglichkeit zu eben jenem Grundstück zu Schmerzensgeld verurteilen zu lassen.

Heute kann man das vermutlich.


Nicht verklagen kann man vermutlich (und was mich betrifft, auch leider) die Leute, die soeben- angeblich zu dem einzigen Zweck, eine Diskussion anzustoßen) planen, die Republik flächendeckend mit Nachbildungen von 10 Wochen alten Föten zu überziehen. In jedem Briefkasten soll einer landen, aus Plastik und in Hautfarbe. So letzten Samstag ein Bericht auf Arte. Leider habe ich zu dieser Sendung/Reportage keinen Bericht auf der Seite des Senders gefunden.

Das ganze läuft unter 'Aktion „Durchblick“'.

Nun ja.


Grundsätzlich bin ich für Diskussion. Ich bezweifle aber, dass das wirklich der Anlass für diese Aktion ist- denn ein Sprecher der Aktionsgruppe sagte in diesem Bericht, dass (sinngemäß) „die Diskussionen beendet sind, sobald man ihnen (gemeint sind die, die seiner Meinung nach „für Abtreibung“ sind) diese Nachbildung zeigte“.

Da ich weiblichen Geschlechts bin und bereits eine sehr frühe und damals nicht geplante Schwangerschaft hinter mir habe, kann man getrost davon ausgehen, dass ich da qualifiziert genug bin, mitzureden. Jedenfalls fühle ich mich so.

Und keine der Frauen, mit denen ich in den letzten- sagen wir 30- Jahren gesprochen habe, hatte eine Einstellung, wie sie eine junge Frau, Mitglied der Organisation, die diese Aktion betreibt, beschrieb: Nämlich eine befürwortende Haltung zum Abtreiben zwischen Suppe und Nachtisch, leichtfertig und verantwortungslos.


Allein schon dadurch, dass Frauen, die abtreiben, von einem vielleicht 19 Jahre alten Mädchen Ernsthaftigkeit abgesprochen wurde, habe ich mich angegriffen, diffamiert und herabgesetzt gefühlt, und ich habe nie eine Abtreibung vornehmen lassen.


Die Absicht, diesen Frauen zu verdeutlichen, was sie da tun, ist vielleicht ehrenwert. Aber vollkommen überflüssig. Denn: Entweder, die Frau trifft die Entscheidung nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände- oder sie tut das nicht. Im letzteren Falle ist dem nicht mit einem Plastikpüppchen abzuhelfen. Im ersten Fall wissen die Frauen sehr wohl, was sie tun.


Keine Frau, die noch alle Sinne beisammen hat, unterzieht sich diesem doch im Vergleich zur Empfängnisverhütung enorm aufwändigen Schritt einfach nur so- besorgt sich Termine, hält Bedenkzeiten ein, nimmt sich frei für den Eingriff und eine Erholungszeit, und nimmt vielleicht Jahre voller Alpträume in Kauf.


Keine Frau veranlasst so etwas ohne Angst und Trauer. Trauer um die Möglichkeiten, die beendet werden, Angst vor eventuellen Nachwirkungen, emotionaler oder körperlicher Art, Angst vor Stigma und dem Gerede der Leute, wenn es doch nicht geheim bleibt.


Genau so wenig wie alle anderen Frauen, mit denen ich jemals über dieses Thema gesprochen habe, finde ich, dass Abtreibung ein Mittel zur Empfängnisverhütung sein darf. Aber Empfängnisverhütung ist das eine- sozusagen der gute Vorsatz, die blanke Seite der Medaille. Es wäre gut, wenn sie immer zuverlässig wäre, wenn unsere Körper immer so funktionierten wie Maschinen: Zuverlässig, pünktlich und genau. Aber das tun sie nicht. Und dann?


Die Zahlen von 120-140.000 Abtreibungen im Jahr sind erschreckend. Leider sind sie nicht wirklich erhellend in Bezug auf die Motive. Da wird gern gesagt, dass das Gros der Eingriffe auf Frauen zwischen 18 und 35 Jahren entfällt- aber da wird nicht zurück geschlossen darauf, dass dies die Jahre sind, in denen gerade Frauen mit einer anspruchsvollen Ausbildung und einer erfolgversprechenden beruflichen Laufbahn einfach für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, und dieses zusammen mit dem Aufziehen eines Kindes für sie nicht machbar erscheint.


Trotzdem ich meine Mutter zur Betreuung meines Sohnes hatte (der geboren wurde, als ich noch zur Schule ging), hat das Vorhandensein meines Kindes meine berufliche Laufbahn mehr als bestimmt: Kein Studium, sondern eine Ausbildung, damit möglichst früh Geld hereinkommt. Als sich für mich herausstellte, dass ich diesen Beruf nicht sehr mag, sondern eigentlich täglich mehr darunter leide, konnte ich nicht umsatteln- das Geld wurde gebraucht, und zwar nicht für mich. Auch heute noch, rund 25 Jahre später, muss ich ihn unterstützen. Sein Vater, der studiert hat, bis unser Sohn 16 Jahre alt war, ist Rentner, seit mein Sohn 18 ist. Und er ist selbstverständlich seit ungefähr 27 Jahren nicht da, wo sein Sohn ist. Sondern genießt sein Alleinleben.


Wieviele Frauen müssen abtreiben, weil sie einfach nicht die Kraft haben (mal abgesehen vom Geld), ein Kind allein großzuziehen? Wie belastend ist es, immer allein für jede Entscheidung verantwortlich zu sein, oder in vielleicht sehr jungem Alter den Anschluss an seine Freunde vollständig zu verlieren, weil die unterwegs sind und man selbst zu Haus hockt?

Die Betreuung eines Kindes zu organisieren, damit sie reibungslos läuft, während man seinen Lebensunterhalt verdient, ist eine logistische Aufgabe von enormen Ausmaßen.
Sicher, da sind Tagesgruppen, Tagesmütter- aber was macht man mit 28 Tagen Urlaub und einem Vierteljahr Schulferien? Mit einem Kind, das kränkelt? Mit Arbeitszeiten von 7 bis halb fünf? Mit Schichtdienst im Krankenhaus? So lange alles wie geplant läuft, ist das kein Thema. Aber was ist, wenn die Tagesmutter krank wird? Der Kindergarten im Sommer drei Wochen schließt, und anschließend, weil irgendwer einen Virus eingeschleppt hat, nochmal 5 Wochen Quarantäne drangehängt werden?

Das sind noch vergleichsweise harmlose Probleme, denn die hat man nur, wenn man Arbeit hat.

Und wenn nicht? Wenn man arbeitslos, lehrstellensuchend oder im Studium ist?

Wie gefasst und in sich ruhend muss man sein, um es nicht seinem Kind vorzuwerfen, wenn man seine Freundin trifft, die nach dem Abitur erstmal eine lange Reise plant? Ein freiwilliges soziales Jahr oder ein Jahr im Ausland als Au pair? Wenn alle Bekannten, die zu Haus bei den Eltern wohnen und eine Ausbildung machen, ihr Geld zur Verfügung haben für ein Auto, Kleider, Kontakte- und nichts für Windeln, Gläschen und Strampler ausgeben müssen?


Wie viele Kinder werden unter Umständen groß, die man nur mit Erschrecken zur Kenntnis nehmen kann, weil ihre Mütter ihre Ausbildung nicht beenden konnten und demzufolge arm sind, in Beziehungen mit den falschen Partnern festsitzen, keine Zeit hatten, erwachsen zu werden, bevor sie ein Kind im Gepäck hatten?


Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, von Hartz IV leben zu müssen, mit Kindern. Nicht nur, dass die Mutter vielleicht niemals mithalten konnte mit ihren Freunden- ihre Kinder können es auch nicht. Macht sich jemand Gedanken dazu, was das für eine Belastung ist für Familien, ob mit einem oder zwei Elternteilen? Wie oft die Kinder auf etwas verzichten müssen, was für viele andere selbstverständlich ist? Und da lasse ich trinkende, prügelnde, terrorisierende Eltern aus dem Spiel. Ich meine nur den täglichen, grauen Einheitsfrust.

So lange Kinder zu haben bedeutet, schmerzhafte Einbußen an Geld, sozialem Status und Perspektive zu riskieren, kann ich keine Frau verurteilen, die sich hierzu nicht in der Lage sieht.


Deshalb bin ich dafür. Dafür, dass jede Frau ein Recht hat, zu wählen- ob und wann sie ihr Kind austragen will.


Ich finde die aktuelle gesetzliche Lage trägt dem Dilemma, in dem sich sowohl die Frau als auch der Staat befinden, ausreichend Rechnung- indem sie den Eingriff grundsätzlich missbilligt, ihn aber unter Umständen rechtfertigt.


Jede Schwangere, die eine solche Entscheidung wirklich leichtfertig trifft, der man also mit diesen verteilten Püppchen zu weitergehenden Erkenntnissen verhelfen könnte, halte ich für zu blöd, als dass ich ihr die Erziehung eines Kindes anvertrauen würde. Und ich bezweifle zudem, dass diese Aktion ihr zu auch nur einer Minute weiterer Überlegung verhilft.

Und weshalb ich gern einen Grund hätte, die Verteiler dieser Gaben zu verklagen? Ganz einfach- ich möchte nicht die Frau sein, die soeben ein Kind verloren hat, und diesen Homunkulus in ihrem Briefkasten findet.




2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich finde Deinen Beitrag sehr gut, weil er zeigt, wie wichtig die Selbstbestimmung für die Frauen ist, gerade in dem Bereich Beruf und/oder Kind! Das kann einem niemand abnehmen! Und solche Aktionen mit den Föten, wie die von dir beschriebenen, sind irgendwie nur ein Pflaster auf die darunterliegende Problematik zu kleben. Traurig, wie von vielen Menschen (Männern?) Einfluss auf junge Frauen geübt wird, die so eine schwierige Entscheidung zu verantworten haben.
mfg, Julia

Lily hat gesagt…

Danke für deinen Kommentar- ich finde auch, dass die Entscheidung so persönlich ist, dass niemand das Recht hat, ungefragt Einfluss zu nehmen. Was nicht bedeutet, dass man die Frauen allein lassen soll mit ihrer Situation.
Lieben Gruß,
Lily