Samstag, 9. Februar 2008

Zimmer mit Aussicht

Irgendwann in diesem Monat hab ich Geburtstag, ich werde 45.

Fünfundvierzig. Oh mein Gott.

Das ist so unvorstellbar alt.

Wenn ich die reinen Daten mal vergesse, und nur auf das innere, gefühlte Alter schaue, dann wird mir klar: Ich bin zurückgeblieben, irgendwo unterwegs.

Das äußert sich nicht nur in gelegentlich aufblühenden Pickeln in meinem Gesicht, sondern auch darin, wie absurd mir das vorkommt. 45. Selbst bei positivster Prognose (auf die statistische Lebenserwartung bezogen) ist das definitiv das, was man „mittleres Alter“ nennt.

Müsste ich mich da nicht anders fühlen? Wenigstens – irgendwie? Bitte?

Eigentlich wird es Zeit für die Dauerwelle und einen Haarfarbwechsel hin zu klimakterischem Rot.

Zeit, nicht mehr im Coolibri zu blättern, sondern die Welt am Sonntag zu abonnieren. Die youtube-Sitzungen zugunsten einer Philharmonie-Dauerkarte aufzugeben.

Meinen Motorrad-Führerschein abzuheften und nach einem vernünftigen, abgasarmen 34-PS-Miniauto zu suchen, von wegen gestiegenem Umweltbewusstsein und so- und nicht wieder in einem übermotorisierten Golf geblitzt zu werden...

Ich sollte nicht mehr mit der Akzeptanz meines Diabetes’ kämpfen, sondern mich damit abfinden- das nächste, was kommen wird, ist der hohe Blutdruck in Verbindung mit hohen Cholesterinwerten.

Wassergymnastik statt Step-Aerobic (nicht dass ich sowas je gemacht hätte).

Sich abfinden mit einem Leben als Tante, und, so Gott will, als Oma.

Aber ich fühl mich nicht so- wenn ich draußen herumlaufe, dann mit Robbie Williams auf den Ohren (gut: Joe Cocker ist auch dabei). In einer Lautstärke, die bei 16jährigen Rentnerproteste hervorrufen würde, weil auch andere es hören können. Und die dröhnenden Bässe meiner Auto-Stereoanlage erfreuen mich immer wieder- ganz im Gegensatz zu den Leuten neben mir an der Ampel.

Andererseits weiß ich, dass ich das Aufziehbändchen an den OB nur noch mit Lesebrille finden kann- und es ist gut, dass ich eine Gleitsichtbrille trage. Sonst müsste ich erstmal die Lesebrille suchen. Zeit für die Wechseljahre? Oh ja.

Ich weiß immer noch, welches Motorrad ich mir am liebsten kaufen würde (eine Duc Monster), wenn ich das Geld dafür hätte, und ich weiß, dass ich wieder fahren werde. Sobald ich wieder bei Kasse bin. Ach ja, ich sollte langsam ein Aktiendepot mein eigen nennen, oder wenigstens ein paar Fonds-Anteile.

Meine Vorliebe für Bier sollte sich langsam Richtung Rotwein bewegen- oder? Soll ja so gesund sein.

Meist kann ich drüber grinsen. Denn Chaos gehört zu mir, wie man mir immer wieder sagt. Zumindest scheint es einen gewissen Unterhaltungswert für meine Umgebung zu haben- und was tut man nicht alles für seine Freunde.

Es sollte Schluss sein mit der reflexhaften Verweigerung sinnvoller Verhaltensweisen, dem absurden Theater, dem starken Entfremdungsgefühl bei Vorhaben, die meinem Kalender-Alter entsprechen.

Dann kommen wieder Dinge, wie gestern. Als ich meiner Aufgabe als ehrenamtlicher Parkplatzwächterin (jawoll, die mit der Kippe in der Hand) im Büro nachgekommen bin, sah ich das Auto einer besonders lieben Kollegin direkt vor dem Eingang parken- und leider, leider, ist das auch ein Notausgang. Und ich musste- MUSSTE!- ihr mailen, und ihr sagen, dass ich das Auto da weg stellen würde. Sorry, G.- mein innerer Sicherheitsbeauftragter ist Amok gelaufen.

Ich kann zum verbalen Mörder werden, wenn ich in Bezug auf Radar-Anlagen oder Politessen das Wort „Abzocke“ höre- niemand, niemand ist gezwungen, zu schnell zu fahren. (Wenn doch- und wenn mans dann noch beweisen kann, braucht man nicht zu zahlen.)

Keiner muss einen Cent zahlen, wenn er sich an die Regeln hält. Und wenn man erwischt wird- okay- wo ist das Problem? Dann wird gezahlt, und gut ist. Freie Fahrt für freie Bürger hin oder her: Auch wenn der Grund für eine Geschwindigkeitsbeschränkung oder ein Parkverbot erstmal nicht ersichtlich ist, und wenn ich der beste Autofahrer der Welt bin, viele von diesen Schildern haben ihren Sinn, ob ich ihn im Vorbeifahren erkennen kann oder nicht. Und ja, ich bin schon geblitzt worden, s.o., und ja, ich habe Parkknöllchen gekriegt. Und ich hatte keinen Spaß beim Zahlen, habe mich aber über mich selbst geärgert. Weil ich so blöd war.

Bei Diskussionen über sowas komm ich mir trotzdem uralt vor- wer wird denn so sklavisch konservativ sein, und sich an Regeln halten? Nun ja, ich offenbar.

Auch regt mich dieses schlechte Deutsch auf: Abzocke. Privatsender-Niveau, und ich meine nicht ARTE. Ebenso „Sextäter“, oder „Asylant“. Das ist eingefärbt, Meinungsmache im ganz kleinen, aber sehr wirkungsvollen Rahmen. Dahinter steckt die gleiche Intention wie hinter „Freistellung“ für Massenentlassung, „Entsorgung“ oder „Kollateralschaden“. Aufgrund der unterschiedlichen Quellen, der halb- oder gar nicht offiziellen Benutzung dieser Worte fällt es nicht so auf, dass diese Art Worte Meinung färben und somit Freiheit einschränken, die Freiheit der Wahrnehmung nämlich. Sie tun es aber trotzdem.

Arrgh. Lasst nicht zu, dass das hier mit mir durchgeht.

Wenn ich lese, wie dogmatisch ich auf diesem Sektor sein kann, komm ich mir unendlich vergreist vor. Unflexibel. Erbarmungslos streitsüchtig. Kaum fähig, mich zu zügeln.

Wo soll das noch hinführen? Wird das schlimmer, wenn man älter wird?

Wahrscheinlich.

Und es wird kommen der Tag, an dem meine Umwelt darum bittet, dass man mich bitte, bitte, erschlagen möge.

Vermutlich muss ich ihnen dann Recht geben.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Moin!
Sei getröstet, Du bist völlig normal. Hast Du schon mal darüber nachgedacht, dass es (fast ) allen Menschen so geht?
Die Motorrad-(Harley-)Fans, die sich bei uns am Sonntag immer am Deich an einem Fähranleger treffen, sind zwischen 60 und 70 Jahre alt und hören Rockmusik aus "ihrer" Zeit. Oder die jetzt 55- jährigen Damen mit Langhaarfrisuren aus den 70er Jahren mit dem Hang zu folkloristischen Hippiekleider-Versionen (hören sie Soulmusik von Aretha Franklin in ihrer Freizeit?). Oder 65-jährige Omis mit Hochtoupierfrisur-Variationen, wie man sie in den 60er Jahren trug.

Meine 80 jährige Schwiegermutter bevorzugt die Volksmusik-Tänze aus der Zeit als sie 20 war (und hätte am liebsten auch solch eine Dauerwelle, wie man sie in den 40er Jahren trug, wenn sie denn noch genug Haare auf dem Kopf hätte).

Es gibt keine Norm für "erwachsen" oder "altersgemäß", wir sind bestenfalls alle junge Seelen in alternden Körpern, die noch verdammt viel zu lernen haben, bis sie in die Kiste müssen.

Tragisch wäre nur, wenn man zum Zeitpunkt des Ablebens noch nicht ganz geboren wäre.

Es gibt allerdings auch solche, die schon in der Kindheit und das Seelenleben von alten Leuten haben und schon gestorben sind, bevor sie richtig geboren wurden.

Sei froh, dass Du zu der ersten Spezies gehörst.

In diesem Sinne hol ich mir jetzt mal 'nen Salmilolly aus der Schublade und hör ein bisschen "aretha&otis" von meiner neu erstandenen CD.

Liebe Grüße
E. aus H.

Anonym hat gesagt…

Zitat
"Wenn ich lese, wie dogmatisch ich auf diesem Sektor sein kann, komm ich mir unendlich vergreist vor. Unflexibel. Erbarmungslos streitsüchtig. Kaum fähig, mich zu zügeln.

Wo soll das noch hinführen? Wird das schlimmer, wenn man älter wird?"

Nö, das wird eher wieder weniger nach dem Hormongewitter in den Wechseljahren und geht dann bestenfalls über in eine wesentlich entspanntere und mildere Altersweisheit, jedenfalls zeicnet sich das bei mir ab.
E. aus H.