Samstag, 10. November 2007

Kinder

Ich habe einen Sohn, der schon erwachsen ist, und allein lebt. Er wurde geboren als ich gerade 18 Jahre alt war- viel zu jung, wie ich heute weiß. Vielleicht nicht absolut und in jedem Fall zu jung- für mich schon.
An die Zeit der Schwangerschaft kann ich mich kaum erinnern. Bis auf ein paar medizinische Meilensteine, die man passiert auf dem Weg zum Kreißsaal, ist alles sehr verschwommen und ungenau. Was nicht dafür spricht, dass ich mich besonders mit dem Leben nach dem Tag X beschäftigt hätte. Ich war halt schwanger. Und das endet in den meisten Fällen mit dem Mutter-Sein, so auch in meinem.
Bis das Krankenhauspersonal mir erlaubte, den Zwerg einzupacken und mitzunehmen, hab ich nicht wirklich geglaubt, dass es meiner war. Dann schon.
Irgendwie sind wir dann zusammen groß geworden.
Mutter sein war für mich über lange Jahre ein logistisches Problem, da ich zunächst meine Schule abschließen und daran anschließend eine Ausbildung machen musste, gefolgt vom Berufseinstieg und Vollzeitarbeit. Meine Mutter hat mir da sehr geholfen.
Als mein Sohn zweieinhalb Jahre alt war, habe ich geheiratet (nicht seinen Vater) und in den nächsten 14 Jahren eigentlich immer in Beziehung(en) gelebt.
Seit mein Sohn 16 ist, ist das Zusammenleben mit Partnern Vergangenheit, wenn ich auch nicht durchgängig Single war.
Es ist in den ganzen Jahren bei nur einem Kind geblieben, und vor anderthalb Jahren habe ich mich sterilisieren lassen, nur für den Fall.
Zu oft habe ich nachts oder früh morgens mit einem Schwangerschaftstest im Bad gehockt, um riskieren zu wollen, mit Mitte vierzig noch einmal "zuzuschlagen". Aber es bleibt eine Tatsache, dass ich in den mehr als 26 Jahren, die seit der Geburt meines Sohnes vergangen sind, nicht wieder schwanger geworden bin. Obwohl rein "technisch" nichts gegen eine Schwangerschaft sprach, und Verhütung in Langzeitbeziehungen oft genug nach dem Prinzip "wenns passiert, passierts halt" lief, hat es sich nie wieder ergeben.
Ich war immer zu ambivalent dem Thema gegenüber, um da genauer nachzuforschen.
Ambivalenz heißt, zu große Angst davor, dass ich mein Leben hätte neu gestalten müssen- ein zweites oder weitere Kinder hätten nicht mehr oder minder bei Oma aufwachsen sollen und auch nicht können. Also hätte es bedeutet, den Beruf aufzugeben, oder zumindest die Arbeitszeiten erheblich zu reduzieren.
Und vom Einkommen eines anderen Menschen leben. Das wäre schwer genug gewesen, denn das Einkommen meines damaligen Partners war nicht gerade üppig. Aber abgesehen von den reinen Zahlen hätte es mir eine Heidenangst eingejagt, nicht nur emotional sondern auch noch finanziell so weit mit jemand anderem verstrickt zu sein.
Ergo habe ich das Thema nie vertieft.
Dann war ich -in wechselnder Abfolge- Single mit Teilzeitpartner (Baby = KEINE gute Idee), Frau mit Freund (und der Typ hatte sowas von den Schuss nicht gehört), Single mit Teilzeitpartner. (Teilzeitpartner = gesetzlich einer anderen Frau zugeordnet).
So, und nun bin ich Mitte 40, sterilisiert, und ohne die Absicht, mich in absehbarer Zeit mit einem Partner zu verbinden.
Mal abgesehen davon, dass potenzielle Partner mir auch aktuell nicht gerade die Tür eintreten.
Das große, schwere Ambivalenzpendel nutzt nun die Gunst der Stunde, um zurückzuschwingen...
Nicht wirklich, nein. Von meinem Wunsch nach einer Tochter, die ich wirklich gern gehabt hätte, profitieren meine Nichten, und das ist für mein grenzwertig ausgeprägtes Verantwortungsgefühl auch gut so. Ich hänge sehr an ihnen, und wir verbringen Zeit miteinander. Fertig.
Was sich aber geändert hat, ist meine Einstellung zu unfruchtbaren Paaren, die versuchen, ein eigenes Kind zu bekommen. Ich habe nie auch nur ansatzweise deren Motive verstanden, sich Jahre lang schmerzhaften, frustrierenden und, nicht zu vergessen, teuren Behandlungen zu unterziehen. Dieser intensive Wunsch nach Kindern, nach möglichst eigenen Kindern, war mir immer fremd.
Weiter noch, Berichte über diesen unbeirrbaren Drang nach eigenen Nachkommen haben mich irritiert und teilweise wütend gemacht.
Keine Ahnung, warum ich so wütend war, vielleicht weil mich Sturheit (und als solche habe ich das empfunden) sehr schnell sauer macht.
Dann kam der Tag, an dem ich mein persönliches Vorbild Brenda Leigh Johnson (The Closer herself) gegoogelt habe. Gelandet bin ich bei Laurie , und über deren Linkliste bei Allison - von da aus ging es weiter zu Helen und Julie. Sie leben teilweise (Laurie, Allison und Julie) in den USA, Helen in Großbritannien. Helen und Julie sind Mütter von Kindern, die durch IVF zur Welt kamen, und in ihren Blogs habe ich erfahren, was das bedeutet. Auch, was es bedeutet, unfruchtbar zu sein.
Sie sind nicht stur, sie sind nicht verbissen oder verbittert, sie sind "nur" unfruchtbar. Sie haben das, was ich einen Herzenswunsch nennen würde. Und sie können ihn nicht ohne weiteres erfüllen.
Und wie das mit Herzenswünschen so ist: Ich muss ihre Gründe nicht nachvollziehen können, ihren Wunsch nicht teilen, um ihn zu respektieren. Merkwürdig, dass einige Wochen, in denen ich ihre Archive auf links gedreht habe, um mehr zu erfahren, eine (meine) jahrelange Einstellung so verändern konnten. Und ich kann auch stur sein.
In den USA ist zurzeit die "National Week of Infertility Awareness", also so eine Art nationale Gedenkwoche zu Unfruchtbarkeit, und Julie ruft in ihrem anderen Blog dazu auf, etwas zu tun, um die Öffentlichkeit auf die Probleme aufmerksam zu machen, mit denen sie und ihre Leidensgenossinnen täglich kämpfen.
Warum braucht das eine nationale Woche des Gedenkens? Warum kommentieren Julies Leserinnen unter anderem darüber, dass sie mit nur sehr wenig Menschen offen darüber sprechen können, dass sie selbst ihre Kinder "nur" mit medizinischer Hilfe bekommen konnten, oder darüber, dass sie selbst ihrer Familie gegenüber nicht erwähnen, in Behandlung zu sein?
Und das, wo heute jedermann und jedefrau offen und breit darüber reden, dass und seit wann und weswegen sie in psychotherapeutischer Behandlung sind?
"Die können keine Kinder kriegen" wird auch hier meist sotto voce geäußert, und meist schließt sich (in Abwesenheit der Betroffenen) eine Diskussion darüber an, dass man das ja so gar nicht verstehen könnte, wie jemand so verbissen sein kann, und dass es ja vielleicht einfach nicht sein soll, und dass man die Ratschlüsse der Natur akzeptieren sollte. Anschließend geht jeder an seinen Platz zurück, schluckt eine Aspirin gegen die -naturgewollten?- Kopfschmerzen, und gießt sich noch einen Kaffee gegen die naturgewollte Müdigkeit ein. Ich schließe mich nicht aus, in der Vergangenheit hab ich auch an diesen selbstgerechten Diskussionen teilgenommen, und wer mich kennt, weiß, dass ich nicht geschwiegen habe.
Ich kenne mindestens drei Paare, die nach jahrelangen Versuchen erschöpft aufgegeben haben und sich der Arbeit mit Kindern auf einer anderen Ebene widmen. Alle diese Menschen wären wunderbare Eltern geworden, bessere als ich vermutlich. Das ist die Außenansicht.
Welches Ausmaß an Leid, Verzicht, und Trauer mit dem Entschluss einhergegangen ist, die Versuche aufzugeben, kann ich nicht ermessen. Und ich glaube, dass keine Woche und kein Jahr des Gedenkens daran etwas ändert.
Aber aus den Gedanken, die Julie und Helen in ihren Blogs mit der gesamten Community geteilt haben, habe ich mitgenommen, dass ich nie wieder "Vielleicht sollte es nicht sein" oder "Wer weiß, wozu es gut ist" sagen, nicht einmal denken werde, wenn jemand nicht schwanger wird. Wenn ein Paar sich nicht für eine Adoption entscheidet, weil es sich für das Paar nicht "richtig" anfühlt, habe ich kein Recht, das zu kritisieren- denn was sich nicht richtig anfühlt, ist nicht richtig. Für diese Menschen.
Die Trauer um die nie geborenen Kinder und um den Verlust einer wichtigen, vielleicht zentralen Lebensaufgabe ist etwas, was wir teilen sollten, aus Respekt vor unseren Mitmenschen.
Und so lange, aus welchen Gründen auch immer, dieses Thema mit Schweigen belastet ist, können wir mindestens soweit solidarisch sein, dass wir ohne Gezeter akzeptieren, dass unsere Krankenkassen IVF weiterhin bezahlen- wenn auch nur die mageren drei Versuche.

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