Donnerstag, 25. August 2011

The Zeitgeist





Ich las heute -ich glaube, in der Mode-Sparte der Zeit- dass eine Braut erstens das Zentrum der Hochzeitsfeier sei. Zweitens müsse sie ihr Brautkleid navigieren können.
Das ist beides so komplett außerhalb meiner Sphäre, dass ich mir vorkomme wie ein Alien. Wobei das nichts wirklich Neues ist. Denn ich steh vor vielen Dingen komplett ahnungslos herum wie der Ochs vorm Berge. Woran liegts? An sich würde es mich nicht sehr stören, aber es verschärft das Gefühl, irgendwie nicht dazu zu gehören. Wenn ich nicht gerade zufällig total auf Krawall gebürstet bin, was öfter vorkommt, als es das in meinem Alter sein sollte, hab ich natürlich schon den Wunsch, dabei zu sein und zu wissen, was die Leute so um treibt. Aber manche Dinge lassen mich sprachlos zurück, wie zum Beispiel, dass bei einer Hochzeit, bei der es ja zentral um die Bindung gehen sollte, eine Person die Achse ist, auf der die lokale Welt sich dreht. Bindung, meine Lieben, ist doch was für mindestens zwei, oder?

Meine bisher von mir für bösartig gehaltene Unterstellung, dass Bräute in ihrem Outfit die Chance sehen, einmal Prinzessin zu sein, scheint offenbar doch wahr zu sein... wobei das für mich bisher doch eher an den Outfits festzumachen war. Naja, die Amerikaner scheinen uns da bereits ein Stückchen voraus zu sein, denn dort ist die Braut, die auch gern mal zuhaut, als Bridezilla unterwegs. Nett, irgendwie... Und die Stories komplett durchdrehender Hochzeitsmittelpunkte scheinen sich zu häufen. Da kann die Lady mal so richtig den Nazi raushängen lassen, so zumindest mein Eindruck. Da ich öfter geheiratet habe als der Rest meiner Leser (hoffe ich, für Euch!) kann ich zumindest eins mit Sicherheit sagen: Egal, wie die Hochzeit war, Ehe ist nachher. Und da steht dann nicht mehr eine(r) im Mittelpunkt. Angesichts der Tatsache, dass auch manche Ehen eher Schlachtfelder sind als das Elysium, dient so eine Hochzeit vielleicht auch dazu, sich auf den Kampf vorzubereiten? Wer weiß das schon.

Zu navigierende Kleider lassen mich etwas hilflos zurück. Vielleicht sollte mal wer den Reifrock-Radar erfinden, damit es leichter fällt, auf dem Klo rückwärts einzuparken? Als meine Schwester unter Nutzung eines mehrstufigen eben solchen (Rocks, nicht Klos) heiratete, musste für alle persönlicheren Geschäfte das Behindertenklo aufgesucht werden. Und Recht tat sie: Es behinderte sie, das Kleid. Und sie brauchte eine Begleitperson, denn wie hätte es ausgesehen, wenn der Rock über der Coiffure gehangen hätte, damit er nicht hinter der Toilette Staub (und anderes) wischt? Nein, da musste eine Hilfskraft her, die beim Röcke-und-Schleppe-Halten fein die Öhrchen schloss, damit kein silbriges Geplätscher auch ihren Harndrang anregte.
Mütter sind da dankbare Opfer. Ihr lieben Leserinnen, die ihr Töchter Euer Eigen nennt: Macht euch darauf gefasst, dass manche Dinge nicht enden, auch wenn die Zeit der Windeln vorbei ist.
Der Bräutigamsvater ist da wirklich privilegiert. Männer haben es gut, alles in Allem.

Das Thema Hochzeit und vor allem das der Vorbereitungen hierzu lässt mich wieder aufs Internet schielen. Ohne das geht’s heut vermutlich wirklich nicht mehr, zugestanden. Gesellschaftliche Anlässe und Internet sind heutzutage in einem Wort zusammen zu fassen: Faceb**k. Ich hab schon mehr als zwei Jahre einen Account da, der bis dato eigentlich ungenutzt herum lag. Nachdem das Nichtenkind inzwischen in die USA gereist ist, und Tante ja irgendwie den Kontakt halten muss, hab ich in den letzten Tagen den Account ein bisschen aufgemöbelt, also zum Beispiel alle Freundschaftsanfragen bestätigt, ein paar Bilder hochgeladen etc.
Natürlich schaut man sich bei der Gelegenheit auch die Bilder der Leute an, die einen da befrienden- und ich muss sagen, sobald die Anzahl der Onlinefreunde einen signifikanten Prozentsatz des Wohnortes überschreitet, wird’s absurd. Es erinnert an die Berichte über Parties der Promis, bei denen zwei- bis dreitausend engste Freunde bewirtet wurden.
Naja. Vermutlich ist auch das wieder ein Stück Zeitgeist, das an mir vorbei rauscht, weil ich das Wichtigste mal wieder nicht mitbekommen habe. Je nach zu Grunde liegender Laune macht mich das entweder zur weisen Alten, oder ich komme mir vor wie der einzige Trottel in einem Raum aufgeklärter, orientierter Leute, die eine andere Sprache sprechen. Und je nach Tagesform kann ich entweder lächeln oder toben. Da ich aber die Menschen nicht ändern kann, und nicht weiß, wie ich mich ändern soll, wird das so bleiben. Und das erscheint mir dann doch eine stabile Sache zu sein.
Auf die Ignoranz!

Lily.

2 Kommentare:

Paula hat gesagt…

Ich komme ja aus einer Generation, die mal irgendwann trotzig alle bürgerlichen Vorstellungen von Kleidung, Stil und Geschmack über den Haufen geworfen hat. Omas Möbel flogen irgendwann raus (ihr Geschirr ruht seit 30 Jahren in Zeitungspapier eingewickelt oben auf irgendeinem Schrank), IKEA öffnete immer mehr Filialen und ersetzte die Sperrmüllmöbel durch zuerst Astlochkiefer und später lackierte Pressplatten...und Hochzeit feiern mit Klamotten und Choreographie war ja fast 20 JAhre lang in manchen Kreisen völlig out, so auch bei uns.
Nachdem wir uns fast zwanzig Jahre lang geweigert haben, sind wird dann doch aufs Standesamt, mit Sohn, im Kostümchen und Jeans, und rat mal, wo wir das Hochzeitsessen eingenommen haben (unser Kleiner durfte sich was aussuchen)? Richtig, MacDoof!

Und Facebook kommt mir nicht ins Haus, auf falsche Freunde kann ich gern verzichten.

Orinoko hat gesagt…

Jo, seit einigen Jahren gibt es da wohl so eine "der schönste Tag Ihres Lebens" Renaissance, so mit richtig adligen Kosten und Event Manager. Davor ist man ja lieber eben in Jeans und Jackett zum Standesamt und hat das gesparte Geld anderweitig genutzt. Das mit dem Navigationskleid ist mir aber ganz neu, ich kenne ja nur die klassische Variante der Damenmode, mit dem Schleifchen, das immer nach Norden zeigt.
Wo Sie grad erwähnen, dass Frauen auch mal müssen. Ich hab mir ja nie einen Kopf drum gemacht, dass es mit Kleid viel schwieriger ist. Runterlassen wie Hosen geht ja nicht unbedingt so in Gemeinschaftstoiletten auf Feiern (igittigitt) und mit den Zähnen hochhalten weil man die Hände grad braucht ist auch eher unelegant. Ich finde schon Jeans mit Knöpfen unpraktisch, aber wenn ich mir vorstelle, ich müsste mich für jedes Wässerchen komplett entkleiden würde ich das Feiern wohl aufgeben.
Wacker durchhalten, vielleicht sind´Se im nächsten Leben Mann ;-).