Montag, 24. Dezember 2007

Ist Bloggen Therapie?

Den Verdacht hab ich nicht als einzige... Laurie hat ihn auch. Es hat tatsächlich etwas von Sitzungen.
Da das Bloggen hier auf blogspot.com kostenlos ist, ist es auch eine gesellschaftsfreundliche Art des Dampfablassens, denn die Krankenkassen müssen nicht dafür bluten. Und die von besagten Kassen gesponserten Sitzungen müssen nicht so sehr unter Alltagskram leiden. Knapp wie sie sind, sollte man jede Möglichkeit nutzen, außerhalb der Termine ein paar Dinge zu klären.
Den Alltagskram halt, also die Dinge, die so am Rand des Lebens herumlungern und einem den ein oder anderen Schreck einjagen, wenn man sie im Augenwinkel sieht.
Derdiedas Post über Weihnachten und wie ich es feiere/feiern will, zum Beispiel, der hat mir geholfen, in mir zu sortieren und mir darüber klar zu werden, welche Einstellung ich wirklich zu dem Thema habe.
Es war befreiend, soviel kann ich sagen.
In mancher Beziehung neige ich dazu, Durcheinander anzurichten und dann lieber nicht mehr hinzuschauen. Das führt dazu, dass überall mentale Müllhaufen herumliegen, die erstens im Weg sind und zweitens irgendwann anfangen zu stinken.
Am Beispiel des Weihnachtspostings kann ich das gut erkennen. Allein schon dadurch, dass in den letzten 10 Jahren eigentlich jedes Weihnachten etwas anders verlief, oder auch viel anders als das vorherige, im Hintergrund aber immer sowas wie Wehmut über den verlorenen Zauber des Kinderweihnachtens lauerte, war ich eigentlich nie ganz zufrieden mit "meinem Weihnachten", geschweige denn entspannt. Einige Jahre lang habe ich das mit Bergen von Geschenken kompensiert, bis mir Geld und Geduld ausging, aber wir waren lange mit Auspacken beschäftigt, was auch zum Füllen des Abends beitrug. Teilweise wurde auch bei uns der Abend schlicht mit Essen verbracht, was dann zur Anschaffung von Fonduesets und Raclette-Grills geführt hat. In vielen eher kleinen Feierrunden ist das immer noch sehr beliebt.
Satt und wieder hungrig essen. Gefolgt von massiven Dosen weiterer Kalorien am ersten und zweiten Feiertag, trägt das langfristig nur zum Frust bei.
Jedenfalls hat mir die Diskussion mit mir selbst dazu verholfen, meinen Frieden damit zu machen, dass "mein" Fest ein a) ruhiges und b) personenarmes ist. Wenn ich das anders haben will, muss ich rechtzeitig den Hintern hochkriegen und mir Leute suchen, mit denen ich den Abend verbringen will. Wobei mir klar ist, dass für viele Mitmenschen Weihnachten und Familie untrennbar zusammengehören, trotz allem, und dass es daher schwierig sein kann, Leute einzuladen, die dann auch tatsächlich kommen.
Dies(e/r) Post hat also zu meiner Seelenruhe beigetragen. Therapeutischer Zweck erfüllt, und zwar der der Bewältigung.
Dieser Begriff war mir immer ein Rätsel. Was um alles in der Welt ist Vergangenheitsbewältigung? Ich habe irgendwann den Stier bei den Hörnern gepackt, und einfach meine Therapeutin, the best ever, gefragt. Die Vergangenheit bewältigen bedeutet nach ihrer Aussage, einen Sachverhalt aufzunehmen und darauf zu reagieren, ohne dass vergangene Ereignisse Wahrnehmung und/oder Reaktion einfärben, oder einen in Automatismen verfallen lassen.
Beispiel?
Beispiel. Öhm.
Dein Partner spricht dich an, und gebraucht dazu eine Formulierung, mit der deine Mutter immer eine Runde elterlicher Verhöre eingeleitet hat. Deine Reaktion als Kind darauf war heillose Wut, weil du genau wusstest, was kommt, und weil deine kindlichen Fähigkeiten nicht erlaubten, dich auf Datenschutz zu berufen und die Antwort zu verweigern.
Also kommt der Kerl eines sonnigen Wintermorgens aus dem Bad und beginnt seinen Satz mit "Kannst du mir vielleicht mal sagen, wo/wer/wie..." Die Chancen, dass man nur bis zum Komma zuhört und SOFORT unangemessen reagiert, selbst wenn er nur den Kamm sucht, sind ganz gut. Die Chancen auf einen Streit aus heiterem Himmel sind ebenfalls gut, hängen aber davon ab, in welchem Umfang man als Kind Wut und hilflosen Zorn empfunden hat, ohne sich wehren zu können.
Eine Reaktion aufgrund einer bewältigten Vergangenheit wäre, erstens zuzuhören und ihm zu sagen wo/wer/wie (oder auch, er möge doch bitte selbst auf seinen Kram aufpassen), und zweitens, nicht wegen einer vollkommen harmlosen Bemerkung auszurasten, ohne selbst zu wissen, warum eigentlich.
Selbige Bewältigung ermöglicht unter Umständen auch, dass man als Erwachsene(r) seine Eltern so sehen kann, wie sie sind: Mit ihren Vorzügen, Schwächen, Eigenheiten und Angewohnheiten, halt als andere Erwachsene mit den gleichen Rechten und Pflichten, wie man sie selbst hat. Sich nicht reinziehen zu lassen in alte Strukturen und Rollenzuweisungen (Du bist doch meine Große, du musst aber * HierbitteZumutungnachWahleinsetzen * ) indem man die kleinen Hinweise einfach und recht locker überhört, oder auf die üblichen Trigger nicht anspricht.
Ich bin mir nicht sicher, ob zu einer gelungenen Auseinandersetzung auch das leicht pubertäre Verweigern und trotzige Überhören gehört, aber ich glaube, dass das ein notwendiges Durchgangsstadium ist.
In einer solchen Phase habe ich mal ein Jahr lang jeglichen Kontakt zu meinen Eltern strikt verweigert, durch einfaches Nichterscheinen, Nichttelefonieren, Totstellen. Da wir alle eigentlich eine beredte Sippe sind, die sich zu 95% über wortreiche Diskussionen (ja, es ist manchmal SEHR laut) austauscht, war das für sie eine echte Strafe. Und ohne jetzt diskutieren zu wollen, ob diese Strafe angemessen war: Es war für mich wichtig, einfach mal trotzig zu sein. Nachdem mir aufgrund einer persönlichen Entscheidung, die für meine seelische Gesundheit entscheidend war, vorgeworfen wurde, diese würde negativen Einfluss auf den Familienruf und deren Wohlbefinden haben, musste ich -wenigstens- für mich die Prioritäten klar stellen.
Hätte ich diese persönliche Entscheidung nicht getroffen, sondern in der Situation ausgeharrt, wäre das zum damaligen Zeitpunkt mein Tod gewesen. Wenn nicht physisch, so doch seelisch.- Und ich brauchte dieses Jahr, um erstens zu erkennen, dass mein eigenes Leben mir zu wichtig ist, um mich Verhaltensnormen zu unterwerfen, die nicht meine sind, und zweitens, um den beiden klar zu machen, was die Alternative gewesen wäre- nämlich eine Tochter, die entweder tot am Treppengeländer baumelt, oder innerlich abstirbt und dann ebenso wenig zu erreichen ist. Okay, das war schon hart, aber die Zeit insgesamt war für mich erheblich härter. Zudem habe ich in dem gesamten Jahr den Kontakt zu meinen Geschwistern gehalten, so dass alle über die Fakten informiert waren.
Inzwischen können wir reden. Ich erzähle zwar immer noch wenig von mir, da sie nunmal zur Einmischung neigen, und ich nicht gewillt bin, irgendwas zu diskutieren, aber Versuche, aus mir was rauszukriegen, lösen kein trotziges Schweigen mehr aus. Ich sage dann, dass ich darüber erst noch nachdenken muss, oder dass ich das schon hinkriege, und das wars.
Auf meiner Seite gehörte dazu auch, zu akzeptieren, dass sie eine andere Biographie haben als ich, dass sie in schrecklichen Zeiten geboren sind, und dass sie das erheblich beeinflusst.

Manche Verhaltensweisen meines Vaters zum Beispiel sind durch seine Kindheitserfahrungen als Flüchtling durch das Chaos und das Elend der letzten Kriegsmonate geprägt- das kann einen Menschen innerlich verkrüppeln. Und das hat es auch getan. Von der Vorstellung, um jeden Preis mit leichtem Gepäck reisen zu müssen und deshalb nicht viel Dinge besitzen zu wollen, bis zu dem Konstrukt, um keinen Preis aufzufallen, ist da vieles in diesem kleinen Kästchen, tief vergraben und angestrichen mit blutiger Farbe. Erst in den letzten Jahren ist er manchmal in der Lage, darüber zu sprechen.
Ich frage mich manchmal, wie es war, Kinder zu haben für so jemanden, wenn der kalte Krieg tobt und man einerseits seinen Kindern eine sorgenfreie Kindheit ermöglichen will, und andererseits weiß, dass das allein niemals reichen wird, wenn es denn zum erneuten Zusammenbruch kommt. Mit welchen Werten geht man an das Projekt, diese Kinder zu erziehen? Wie vermittelt man das, was man ihnen eigentlich sagen will, wenn man es selbst nicht weiß, sondern an den Marionettenfäden seiner eigenen Geschichte hängt? Wie erträgt man es, wenn die eigenen Kinder sorglos in den Tag hineinleben, beschäftigt mit Schule, Freunden, Musik und solchen Dingen, wenn man tief in sich die Angst spürt, dass nichts davon ausreicht, um das Überleben dieser Kinder zu sichern, wenn es wieder los geht?
Meine Mutter hört jedes Jahr zu Silvester die Gewehre. Inzwischen geht sie raus, aber als ich Kind und Jugendliche war, hat sie das nicht getan. Aber sie konnte darüber sprechen, vermutlich, weil sie damit keine Schuldgefühle verbindet.
Für meinen Vater ist sein eigenes Überleben (als Ältester) mit seinem Versagen in der ihm zugesprochenen Rolle als Beschützer seiner Mutter und Geschwister verbunden- denn von seinen 5 Geschwistern haben nur zwei überlebt. Und er war zwölf Jahre alt, also wage es niemand, von Schuld zu sprechen.
Wenn ich darüber nachdenke, wird mir erst bewusst, welches Geschenk 62 Jahre Frieden auf deutschem Boden sind. Ich schreibe nicht "in Europa", denn das wäre nicht wahr.
Ein bisschen mehr Frieden, für die Menschen, die um ihr Überleben kämpfen, für die Kinder, die zu früh zuviel Verantwortung tragen müssen (oder sogar eine Waffe) wäre doch was wirklich nettes. Und nein, dies ist nicht die Miss-World-Wahl, Weltfrieden ist für mich fast schon ein Widerspruch in sich. Der scheint nicht im Bereich des menschlich Möglichen zu liegen. Nichtmal zu Weihnachten.

Keine Kommentare: