Donnerstag, 17. September 2009

Frühstück mit Vorurteilen

Seit einiger Zeit hat sich die Crew an meinem Arbeitsplatz um zwei Teilzeitkräfte erweitert, die den Platz einer ausgeschiedenen Kollegin einnehmen.
Zwei Frauen, eine etwas jünger und eine etwas älter als ich, beide Rückkehrerinnen aus der Beurlaubung zur Kinderbetreuung.
Wie das in vielen Büros so ist, trifft man sich morgens und mittags kurz, um seinen Kaffee zu trinken, und ein bisschen Smalltalk zu machen.
Das war schon immer so, je nach Arbeitsanfall dauert das mal länger und mal kürzer, und die Themen der Unterhaltung sind weit gefächert, wie sich das bei einer sehr gemischten Gruppe quasi von selbst ergibt.
In den letzten Monaten muss ich jedoch öfter wirklich an mich halten…
Und, Herrschaften, in Diskussionen an mich zu halten ist derartig schwer für mich, dass ich dafür eigentlich eine extra Belobigung verdient habe.
So wie heute Morgen…
Der genaue Hergang ist für mich nicht mehr zu entschleiern, aber die Aufmerksamkeit der diskutierenden Runde wandte sich dem Thema Homosexualität zu.
Und in kürzester Zeit lernte ich folgendes:

1. Homosexuelle Männer haben ja, schon rein hormonell (!) bedingt, eine hohe Stimme.

2. Homosexuelle Männer erkennt man auch schon sehr schnell an ihrem tuckigen Gehabe. Das ist auch hormonell.

3. Obwohl es ja so ist, dass es in reinen Männerbeziehungen immer einen gibt, der den Mann spielt (das „Mann“ in dem Satz war entschieden von Anführungszeichen geprägt) und einen, der die „Frau“ gibt, machte sich die Kollegin, von der diese Äußerung stammte, keine Vorstellung, wie das denn funktionieren soll, wenn alle schwulen Männer Tucken sind.

4. Homosexuelle Frauen werden von Männern dazu gemacht.
Dazu gab es frei Haus ein Beispiel: Die Tochter eines entfernten Verwandten hatte, während ihres Studiums, an einer Sexhotline gearbeitet- und anschließend war sie, die doch vorher höchst hetero war, plötzlich homosexuell. Weil das so eklig war, was die Männer, die da anriefen, von ihr wollten. Manche Frauen seien aber auch so „bi-sexuell“, da wär das dann bestimmt ganz besonders schnell so, dass die beeinflusst würden von schlechter Behandlung.

Nun ja.

Insgesamt höchst interessant, belegt doch in diesem Fall wieder einmal Volkes Stimme, dass männliche Sexualität, wenn auch vielleicht unter Einfluss geheimnisvoller Hormone, etwas Eigenständiges ist. Weibliche Sexualität scheint sich jedoch lediglich unter männlichem Einfluss zu entwickeln…
Ich hab versucht, die Klappe zu halten. Ehrlich. Ich war wirklich bemüht- aber ich konnte nicht. Es hat aber nichts geändert. Sie hat mir nämlich gar nicht zugehört, sondern unentwegt und mit ziemlich erhobener Stimme (klar, sie musste mich ja übertönen) weiterhin Weisheiten aus der Goldenen Frau im Spiegel oder so von sich gegeben.

Dass die Menschen vielleicht ein paar Jahre brauchen, um ihre sexuelle Orientierung klar zu erkennen, dass viele vielleicht lange Zeit bemüht sind, sich dem Mainstream anzupassen, um vergleichsweise ruhig zu leben, und daher einfach später erst „ihre“ Richtung finden, all das hab ich ins Rennen geworfen- vergebens. Das drang nicht durch.

Dass genau diese Art sturen, ignoranten Beharrens auf einer „Meinung“ bei ihrer Tochter vielleicht mal zu einem Leben voller Elend führen kann, wird ihr nicht klar zu machen sein.

*seufz*
Und das im Jahre 2009.


19 Kommentare:

dievonunten hat gesagt…

*kopfschüttel* aber es passt bei ihr so gut ins Bild.

Pauls-wunderwords hat gesagt…

Mach weiter! Überzeuge sie! Du schaffst das! Die darf doch nicht blöd sterben. :)

Lily hat gesagt…

@dievonunten: Ich weiß...
@Paul: Ich will siegar nicht überzeugen, sondern ich will lernen, sowas gelassener hinzunehmen. Einfach nach dem alten Eiche->Schwein-Prinzip, ruhig bleiben. Aber ich fürchte, dass ich dafür zu Tranqulizern greifen muss.

Meise hat gesagt…

Und sie will auch sicher gar nicht überzeugt werden. Sie hat ihre Meinung und bestimmt gefällt sie ihr auch so.
Wo käme man denn auch dahin, wenn man Homosexuelle nicht an ihrem Benehmen (tuckiges Gehabe) erkennen könnte?
Und außerdem muss ja immer irgendwas (Hormone, schlechte Erfahrungen) "schuld" an ihrem "Zustand" sein.
Himmel. *kopfschüttel*

Georg hat gesagt…

Klar. Homosexualität ist eine Krankheit. Weiß doch jeder.
Die Erde ist eine Scheibe.

Bea hat gesagt…

Hella von Sinnen ist lesbisch,
Jodie Forster ist lesbisch
und mir ist auch schon ganz schlecht.

Bea hat gesagt…

PS: ICH hätte auf KEINEN Fall ruhig bleiben können!

Lily hat gesagt…

Es ist tatsächlich so, dass offenbar eine ganze Epoche, nämlich die ab 1960 bis zum Jahr 2009 einfach in manchen Hirnen nicht stattgefunden haben.
Der Witz ist: Sie ist ansonsten sogar wirklich nett, sehr lieb und so. Aber sobald irgendwas ihr solides 50er Jahre-Meinungsbild berührt, spuckt sie Blödsinn aus. Was ich überhaupt nicht verstehe ist, dass diese Frau Abitur hat, sie hat studiert, und sie hat einen anspruchsvollen Job. Und sie merkt nicht, wie hoffnungslos der Müll ist, den sie absondert. Sie steht, was manche Dinge betrifft,unter Dauerbeschuss, nicht nur von mir. Aber sie schaltet komplett auf Durchzug bei bestimmten Themen.
Leider nutzt es nicht mal was, wenn man laut wird. Ich meine, richtig laut- alles schon passiert, wenn auch nicht bei diesem Thema. Dann schaut sie sehr verletzt und ist es wohl auch, und am nächsten Tag- schwupps- alles vergessen.

Bea hat gesagt…

Klarer Fall von (prä)seniler Beratungsresistenz. Beim näxten Mal Ohrstöpsel oder Walkman. Ach nee, das heißt ja jetzt MP3-Player ... egal, Hauptsache schön laut.

Lily hat gesagt…

Oder, ganz im Sinne des Arbeitgebers: Steh auf, nimm deine Tasse und geh arbeiten :-)

Svenja-and-the-City hat gesagt…

Oh, Lily, ich kann dich so gut verstehen.
Wenn mein ehemaliger Chef, ein absoluter Schwulenhasser, sich so richtig darüber ausgelassen hat, "wie die so sind", dann hätte ich kotzen können.
Als ich dann meinen transsexuellen Weg begonnen habe, hatte ich wirklich die A...karte gezogen. Dabei hat transsexuell nicht mal was mit sexuell zu tun. Aber für viele gehört das in eine gemeinsame Ecke.
Letztens bei der Frühbesprechung platzte es aus mir raus, wobei ich aber äußerlich ganz cool war:
"Wisst ihr was? Ich nehm euch mal mit ins Nachtleben und in meine Welt. Dann ERLEBT ihr endlich mal die Dinge, von denen ihr hier immer nur faselt."

Ich kann fast alles verzeihen, aber absolute Dummheit in Verbindung mit großem Selbstbewußtsein, fällt sogar mir schwer, zu ignorieren.

Ach Lily, wir beide könnten gut auf einer Dienststelle zusammenarbeiten und den Doofen die Welt erklären :-)

Paula hat gesagt…

Abitur schützt leider nicht vor Dummheit. Der Dame kann man eigentlich nur mit eiskalter Logik begegnen:

0. Alle Menschen mit Abitur sind klug. Alle Menschen ohne Abitur sind dumm.

1. Alle Männer mit hohen Stimmen sind schwul. Also sind alle Frauen mit tiefen Stimmen lesbisch.

2. Wenn ein homosexueller Mann Testosteron einnehmen würde, wäre er nicht mehr homosexuell. desgleichen für lesbische Frauen, wenn sie Östrogen nehmen würden.

3. Du hast es schon gesagt.

4. Homosexuelle Männer werden von Müttern zu solchen gemacht.

Da hilft nur ad Absurdum führen und aus dem Raum gehen, wenn man den Unsinn nicht mehr aushält. Und außerdem kann man Rechthaber sowieso nicht überzeugen.

Übrigens können nette Menschen nicht gleichzeitig dumm sein? Schon in der Bibel steh:

Selig sind, die da geistig arm sind.

Lily hat gesagt…

Ernsthaft: Ich mag nicht, dass solchen Leuten das Himmelreich gehören wird, um mal biblisch zu bleiben. Obwohl...ich werd da nicht hinkommen, das ist schon mal klar. Dafür ist meine Stimme zu tief.
Und zu vorlaut.

Lily hat gesagt…

Kannst du auch nicht schlafen?

Lily hat gesagt…

@Svenja: Ich lese mit Vergnügen, dass es sich um deinen ehemaligen Chef handelt, und nicht mehr um einen aktuellen.
Ja, Leute, die einem erzählen, wie man selbst oder irgendeine andere Randgruppe "so ist", die sind ein Pickel am Arsch des lieben Gottes.
Ich hab ja mal gedacht, den Doofen die Welt zu erklären könne man gut in einem Blog. Aber dazu müssten hier Doofe auflaufen, das tun sie aber nicht.
Zum Glück :-)

Georg hat gesagt…

Da fällt mir was lustiges zu ein. Ein "Mitarbeiter" entgegnete mal auf meine Bemerkung, man müsse über den Scheiß den wir hier machen mal etwas in einem Blog schreiben:

Du, ich will Dich ja nicht schon wieder berichtigen, aber man schreibt AUF einem Block nicht in...

Und ich schwieg und setzte ihm gedanklich die Narrenlappe auf.

Es erübrigt sich zu sagen, dass er Polizei studiert hat.

Georg hat gesagt…

Es war natürlich eine Narrenkappe.

Kodo.....

Bea hat gesagt…

"... Es erübrigt sich zu sagen, dass er Polizei studiert hat."

Soviel zum Thema Vorurteile ...

Georg hat gesagt…

Ich glaube, dass man das nur lernen kann...

Aber nichts für ungut.