Sonntag, 6. Juni 2010

Weisheiten am Sonntag

>


Kinderleben soll ja bekanntlich dazu führen, irgendwann ein Erwachsenenleben zu haben. D. h. das ganze romantisch verklärte, großäugige Krabbeln und Brabbeln soll nur fleißige, nüchterne (okay, nicht zu nüchterne) Arbeitsbienen erzeugen, die brav ihren Anteil am Bruttosozialprodukt erzeugen. Das wiederum möglichst stabil (Autos dürfen gern mal kaputt gehen, da kann man dann neue verkaufen, das Bienchen aber soll brav seinen Honig sammeln, diesen an der Bienchenhonigsammelstelle abgeben und vorbildlich in einen konsumorientierten, aber späten Feierabend abschwirren. Bloß nicht ausfallen, meine Damen und Herren!).
Da aber schon der Volksmund, dieses Verlautbarungsorgan des Volkskörpers, gern mal in Weisheiten spricht, öffnete sich derselbe und äußerte da die folgende: 

Schmiede das Hänschen, solang es noch heiß ist!(oder so),

und daher gibt’s jetzt als Volksmedizin Klosterfrau Melissengeist schon seit langem Sing- und Spielübungen, die das großäugig daher krabbelnde Kind spätestens ab dem dritten Geburtstag in fröhlichen Stuhlkreisen auf das Leben vorbereiten.
Im Folgenden lest ihr, was ich meine...

Wir üben das Befolgen von Befehlen
Dazu sitzen die Kindlein um einen Tisch herum, und klopfen mit dem jeweils aufgerufenen Körperteil auf die Tischplatte- unter freudigem Absingen des Reimes:
Mit Fingerchen, mit Fingerchen,
mit flacher, flacher Hand
mit Fäustchen, mit Fäustchen,
mit Ellenbogen,
klatsch, klatsch, klatsch
(Und nein, die letzten drei Worte sind nicht eine lautmalerische Beschreibung erzieherischen Eingreifens angesichts des schmollenden Kevin-Marius', sondern der Befehl, dreimal in die Hände zu klatschen).

Wir üben uns im Verdinglichen der Menschen, die uns umgeben
Dazu stehen wir im Kreis und stimmen alle miteinander das fröhliche Lied vom Christian an.
Und das geht so:

Wo mag denn nur mein Christian sein,
In Hamburg oder Bremen?
Schau ich nur seine Stube an,
So denk ich an mein Christian.

In seiner Stub' da hängt ein Holz,
Damit hat er gedroschen.
Schau ich mir diesen Flegel an
So denk ich an mein Christian.

In unserm Hof, da steht ein Klotz,
Darauf hat er gesessen.
Schau ich mir diesen Holzklotz an
So denk ich an mein Christian.

Der Esel, der den Milchkarrn zog,
Den hat er selbst geführet
Höre ich diesen Esel schrei'n,
So fällt mir gleich mein Christian ein.

In unserm Stall, da steht 'ne Kuh,
Die hat er oft gemolken.
Schau ich mir dieses Rindvieh an,
So denk ich an mein Christian.


So wird der Krischan nicht nur verdinglicht, sondern die Mutter oder Witwe oder wer auch immer wird bezeiten dran gewöhnt, einen tobenden, schreienden und herumflegelnden Krischan als kleinere Unbill zu akzeptieren. Keine Rede davon, einen Suchtrupp auszuschicken, Trauerarbeit in Angriff zu nehmen oder sich im Internet eine neue Liebschaft zu suchen. Vorbildlich bleibt der/die Hinterbliebene auf dem Hof, hackt ihr/sein Holz in Zukunft selbst und begnügt sich mit Singen.

Kleine Einführung in Logik und Kausalität

Dazu singt die ganze Gruppe, während die Mädchen häkeln und die Jungs mit kleinen Holzhämmern kleine Holzplättchen mit kleinen Nägeln auf kleinen Korkplatten befestigen:

Ist ein Mann in Brunn' gefallen
Hab ihn hören plumpsen
Wär er nicht hineingefallen,
wär er nicht ertrunken.

Erschütternd, nicht wahr? Wer die Begrenztheit dieses Reims, was seine logische Tiefe betrifft, als Grenze seiner Fähigkeiten aus dem Kindergarten mit in die Schule und Richtung Erwachsenenleben schleppen kann, der, liebe Leserinnen und Leser an den Monitorinnen und Monitoren, der wählt im späteren Leben FDP, und dem fällt auch nicht auf, dass man dem armen Ersoffenen ja beizeiten das Schreien und Schwimmen hätte beibringen können. Aber das Schwimmen kann man nur in den Städten lernen, in denen noch nicht alle Bäder geschlossen sind.
Und das wollen wir doch nicht öffentlich diskutieren, oder?

Schönen Sonntag wünscht

Die Lily, die trotz allem manchmal gern um sich schlagen würde, und ein bisschen schreien.

2 Kommentare:

Georg hat gesagt…

Wie lautet es so schön: wer sich nicht wehrt, der wird verarscht.
Und jetzt alle:
mit fingerchen mit fingerchen mit flacher flacher Hand mit ....

Das Volk will dumm gehalten werden. .

Wortbestätigung: warsizes. Erschreckend

Svenja-and-the-City hat gesagt…

Liebe Lily, an dir ist eine Kindergarten Spitzenkraft verloren gegangen. (und mit etwas Glück für die Kleinen wird sie auch nie entdeckt :-)
Nervlich ist das übrigens auch noch nichts für mich mit kleinen Kindern. Vielleicht, wenn ich älter bin.