Dienstag, 29. September 2009

Fernerziehung









Und dann war da noch die jüngste Babysitting-Aktion...
Ab und zu passe ich auf Kinder auf. Ja, es gibt wirklich Leute, die mir ihren Nachwuchs anvertrauen! Ich mach das ganz gern, weil es einfach nette Kinder gibt, mit denen ich gern Zeit verbringe. Vor allem meine Nichten gehören zu diesen netten Kindern, auch wenn sie mit 13 und 15 nicht mehr wirklich betreuungsbedürftig sind. Dafür gibt’s dann Weiberabende, mit DVDs bis der Arzt kommt, mit verbotenen Fressalien (also zu süß, zu fettig, zu salzig- you name it) und insgesamt komplett vergammelten Stunden.
Dabei wird geredet, bis uns die Ohren abfallen, wir gehen zu spät ins Bett und schlafen so lang wir wollen. Pyjamaparty von Anfang bis zum Ende.
Was ich mit den Zweien (und auch, wenn ich zurück denke, mit meinem Sohn) niemals hatte, sind Disziplinprobleme.
Sofern sich die Notwendigkeit zu erzieherischem Einschreiten ergibt, hat sich das mit Reden (zwischen 12 und 14 bei meinem Sohn auch mal mit erhöhter Stimmlautstärke) erledigen lassen.
Als unmittelbar wirksam hat sich der Mutterblick-des-Todes (+15 auf Einhaltung von Versprechen/Drohungen) erwiesen- einfach, weil es Momente gab und gibt, in denen langatmiges Erklären zwar nicht funktioniert, aber ein Funktionieren des betreffenden Minderjährigen himself dringend vonnöten ist.
Wie gesagt, von Zeit zu Zeit pass’ ich auf Kinder auf.
So auch letztens.
Ich leg Wert drauf, dass die betreffenden Kinder mich kennen, und ich ein wenig von ihrem Tagesablauf weiß, damit Entscheidungen situationsgerecht fallen können, schließlich kann man nicht ständig die Eltern anrufen und um Infos bitten.
Aber da?
Holy Moly... (Seufzer von Svenja geklaut).
Zwei Jungs, einer knapp drei, der andere knapp zehn Jahre alt.
Der Große fischt nur nach einem: Negative Aufmerksamkeit. Sein kleiner Bruder ist auf dem besten Weg, sich ihm anzuschließen.
Eine gewisse Beeinflussungsresistenz ist, denke ich, bei präpubertären Knaben nichts Besonderes, und ich rechne immer damit, eine Aufforderung auch mal wiederholen zu müssen. Ich rechne aber auch damit, als Bekannte der Eltern eine gewisse Autorität zu haben, einerseits entliehen von den Eltern, andererseits auch als quasi nicht ganz bekannte Entität, bei der man eben nicht so genau wissen kann...
Aber was soll ich sagen: Das war vergebliche Hoffnung. Knabe Nummer eins hat nicht im Mindesten die Absicht, sich in irgendeiner Form „kriegen“ zu lassen- jedenfalls nicht von mir.
Es wundert mich nicht wirklich. Die Eltern sind eine Art Fernerzieher, die „mit Kindern muss man reden“ so interpretieren, dass sie auf dem Hinterteil sitzen und die Kinder von fern mit Worten traktieren, je nach Entfernung und Fehlverhalten mit unterschiedlicher Lautstärke und Aggression.
Was zu einem gehörigen Ausmaß an Elterntaubheit bei dem Großen geführt hat. Dessen Alltag ist mit mehr oder minder offen ausgesprochenen Drohungen flankiert, die selten (aber eigentlich eher nie) wahr gemacht werden. Letztens hat er -nach ausdrücklich ausgesprochenem Verbot genau diesen Verhaltens- ein 6000-l-Schwimmbecken in den Garten entleert, wobei nicht nur das (nicht billige) Wasser, sondern auch ein Teil des Gartens Schaden genommen haben.
Die Reaktion der Eltern war: Schwimmbeckenverbot für den Sommer (soweit d’accord), Weigerung, ihn ins Schwimmbad zu fahren (naja- aber Schwimmbadbesuche wären eine Art Belohnung gewesen... obwohl einen lebhaften und kaum müde zu kriegenden Neunjährigen den Sommer über im Garten aufzubewahren eigentlich eine Strafe für die Erziehungsberechtigten ist.) sowie Taschengeldinkasso bis zur Tilgung des entstandenen Schadens.
Vielleicht ein bisschen viel, aber, wie gesagt, er war mehrfach gewarnt und aufgefordert worden, genau das nicht zu tun.
Exakt einen Tag nach dem Fehlverhalten stand das Schwimmbecken wieder, gefüllt, versteht sich, im Garten.
Ich wette, er hat weiterhin Taschengeld in voller Höhe bekommen.
So setzt sich das fort. Man verbietet ihm was, er lacht einem ins Gesicht und tut das Verbotene trotzdem. Geschrei, Strafandrohungen, und alles verpufft ins Nichts.
Der Donnerstag war dann wiederum so ein Abend, an dem er in erschreckendem Maß gezeigt hat, wie aggressiv er sein kann wenn, ja wenn... man sich nicht ausschließlich um ihn kümmert. So das aber der Fall ist, ist er lenkbar, friedlich, freundlich, kooperativ und kreativ.
Klar. Er sucht nach Aufmerksamkeit. Soweit, so gut und nachvollziehbar, auch berechtigt- aber: Er ist nicht allein auf der Welt, er ist nicht mal der einzige Sohn. Da gibt’s noch einen, jüngeren, und (noch!) lenkbareren Knaben. Wenn der Große dieses Verhalten nicht schon früher gezeigt hätte, würde ich vermuten, dass er eifersüchtig ist. Aber, wie gesagt, das macht er schon sehr lange, länger als der kleine Bruder auf der Welt ist.
Mein Problem ist, dass mich dieses Verhalten von ihm derartig sauer macht, dass ich ihn schon nicht mehr leiden kann. Das hat er nicht verdient, denn er kann nichts dafür, dass er so ist. Leider werde ich sarkastisch, verletzend, gemein und zynisch, wenn ich wahrnehme, dass mich so ein Zwerg nicht für voll nimmt. Sofern ich nicht eine Abneigung gegen körperliche Gewalt hätte, hätte ich ihn sicher schon geohrfeigt, weil ich mich verhöhnt und verspottet gefühlt habe. Ich weiß genau, wie sich seine Eltern fühlen, wenn der Knabe sie nach allen Regeln der Kunst vorführt- und ich weiß zwar auf besserwisserische Art, was sie falsch machen, aber nicht, wie sie es besser machen können. Es ist leicht gesagt, dass sie ihm mehr Aufmerksamkeit gönnen sollen. Es ist auch leicht gesagt, dass sie sich mehr um ihn kümmern, sich wirklich für ihn interessieren und ihn ernst nehmen sollen.
Wie leicht gesagt, wie leichtfertig und urteilend so eine Aussage ist, weiß man erst dann, wenn man vor ihm steht und vor Wut beinahe die Beherrschung verliert, und gleichzeitig platt ist und erschöpft von einem anstrengenden Tag, der unter anderem deshalb so lang und hart war, weil man als Eltern nichts anderes getan hat, als für etwas zu Essen und ein Dach überm Kopf seiner Arbeit nach zu gehen. Und natürlich auch dafür, dass die Kinder ihr Spielzeug, ihre Kleidung, ihre Vereine haben, dass man sie zur Schule und zu Freizeitveranstaltungen fahren und neben den Kartoffeln am Ende des Monats vielleicht noch ein oder zwei Löffel Quark anbieten kann.


Ein klassisches Dilemma, das (meiner Meinung nach) dadurch entstanden ist, dass diese Eltern mehr abgebissen haben, als sie kauen können. Sie haben zu viel am Start, weil sie mithalten wollen, was ich wiederum auch verständlich finde. Sie leben nicht im Luxus, sondern eigentlich ganz normal. Wo also ansetzen? Ich weiß es nicht.


Aber wirklich erschreckt hat mich an dem Abend, dass ich gespürt habe, dass ihn keiner seiner Eltern liebt. Sofern diese Ehe auseinander geht, wird ihn niemand haben wollen, und er wird nur deshalb zu einem Elternteil gehen, weil der ihn dem anderen nicht gönnt.


Es ist zum Heulen.










PS: Ich hab das Thema natürlich angesprochen- schließlich kann ich mein Maul nicht halten.
Hilfe ist besorgbar.

14 Kommentare:

Georg hat gesagt…

Ja, sie ist besorgbar. Aber sie muss auch gewollt werden. Ich habe diese Erfahrung auch machen müssen. Da ich sehr darauf bedacht bin mein privates Umfeld etwas harmonischer zu gestalten bereitete mir ein zweimaliger Aufenthalt bei den Vieren ein echtes Unwohlsein. Ich habe aber leider so viele eigene Baustellen, dass ich mir darum keine Gedanken gemacht habe. Ich verstehe Dein Dilemma.
Du hast sie angeboten. Kommen müssen sie selber...

Svenja-and-the-City hat gesagt…

Oh Lily. Da hast du auf einer Seite fast alles zusammengefaßt, was ich selbst über Kindererziehung in Problemsituationen erfahren habe. Ich habe fünf Kinder gehabt und weiß, wie ohnmächtig man sich manchmal fühlen kann. Wobei das gar nicht meine eigenen verursacht haben, sondern deren Spielkameraden, die absolut keinen Respekt, oder wenigstens ein bisschen Angst vor einem großen Erwachsenen hatten.
Ich hab das nie verstanden. Als Kind war ich so ein Schisser, wenn ein Erwachsener mir was gesagt hat.

Am Ende so eines Tages brauch ich meine Ruhe, dazu leise klassische Musik und drei Glas Rotwein. Und natürlich einen Ofenkäse und eine Vodoopuppe.

Mary Malloy hat gesagt…

Also was ganz anderes: Ich hab den Post gerade gelesen und wollte eigentich wissen, wo da denn nun die angekündigte "Fernbeziehung" ist. Irgendwie machen meine Augen und mein Hirn komische Sachen. Ist ja nicht so, als dass ich mir über dieses Thema gerade Gedanken machen würde, nööö... *schnüff*

Lily hat gesagt…

@Georg: Mal sehen, ob da was kommt. Mal sehen.

@Svenja: Wenigstens ein bisschen Angst- genau das ist es, nicht mal mehr die haben sie, geschweige denn stinknormalen Respekt gegenüber anderen... aber mich beschleicht da der Verdacht, dass diese Sorte Kinder zwar verwöhnt, betuttelt bis zum Ersticken und von früh bis spät bevormundet, aber niemals respektiert wurden. Auf die Idee kommen die wenigsten Erwachsenen.

Lily hat gesagt…

Oha- hab ich Fernbe... nee. Fern-ER-ziehung. Wusst ichs doch...
FernBEziehung ist aber auch ein interessanter Gedanke :-)

aworldtocome hat gesagt…

Hachja.


Ich hasse Kinder.

Paula hat gesagt…

Was für ein Dilemma. Wenn Du als Tante mal babysittest, würde ich zur Bedingung machen,nur ein Kind zur Zeit zu nehmen, und zwar bei Dir zuhause. Und ganz klare Regeln, ruhige Stimme, einfache Ansagen. Und bei Jungen ist die Action wichtig, Fahrrad fahren, Sportveranstaltungen besuchen (gibt's einen 1.FC Lilytown?)etc..

Das ist ein Fall für eine Familientherapie, da wirst Du nicht viel ausrichten können. Kinder brauchen leider echte Liebe und wirkliche Konsequenz, sonst werden daraus "Teufelsbraten", die immer stärker sind als die Erwachsenen.
Gut erkannt, das mit dem Respekt, das aus der Ferne Erziehen und Gerufe ist extrem respektlos. Und mutig von Dir die Eltern mit der Nase drauf zu stoßen.

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Lily: Es ist eine Katastrophe: heute, vier Jahre später weiß ich, was ich alles hätte besser machen können. Aber dazu kommt oft einfach die Überforderung durch viele Kinder.
Gute Mütter sind deshalb für mich die wahren Heldinnen des Alltags.

Frau Vau hat gesagt…

Ich find es klasse, dass Du auch was gesagt hast. Das war sicher der schwierigste Part von allen...
Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass gerade solche Kinder oft Autorität suchen - sie brauchen Reibungspunkte. Wenn Du also da bist, bin ich sicher, der Junge genießt das auch auf seine Art und Weise, weil er endlich mal Grenzen spürt - und das braucht er und weiß das irgendwie auch. Diese Erfahrung habe ich jedenfalls unter Anderem im Freundeskreis gemacht: meine Freundin war mit ihren Kindern auf Grund verschiedener privater Probleme absolut überfordert, hat nur noch rumgeschrien, aber die Kinder dann doch machen lassen was diese wollten. Wenn ich dann kam (und ich beherrsche den "Tödlichen Mutterblick" perfekt!*g*), gab es zwar jedes Mal ziemlichen Zoff zwischen den Kindern und mir, wenn ich dann aber wieder nach Hause fahren wollte, hingen alle Drei wie die Kletten an mir und wollten mich nicht gehen lassen.. Kein Einzelfall! Bleib also weiter Du selbst, setz dem Jungen die Grenzen und er wird Dich bald lieben und respektieren dafür.
Übrigens ging es mir früher so wie Svenja: ein absoluter Schisser Erwachsenen gegenüber (heute noch habe ich Probleme, mich sogenannten "Respektspersonen" gegenüber normal und selbstbewusst zu verhalten und MEINE Interessen zu vertreten..)! Umso mehr bewundere ich es, dass meine Kinder da anders sind: sie kennen zwar ihre Grenzen (auch wenn Kind2 diese täglich neu ausloten muss.. jeder Tag ist ein Kampf momentan.. Sch***-Pubertät!), lassen sich aber beileibe nicht alles gefallen! In dem Fall aber eine gesunde Mischung ;-)
Hab einen schönen Tag!

Lily hat gesagt…

@PropheT: Das geht mir manchmal auch so :-)
@Paula: Meist erschöpft sich mein Einsatz dort aufs Beaufsichtigen in der letzten halben Stunde, bevor die Mannschaft schlafen geht. Also richtige Freizeitgestaltung fällt weg. Das machen die Eltern auch vernünftig, muss man sagen, denn sie überlegen sehr genau, was der Knabe alles tun kann, und ob das Sinn macht. Er spielt zum Beispiel Handball, was sowohl seiner Art, sich zu bewegen als auch seinem Aggro-Level entgegenkommt, sowie seiner Reichweite... Da hat er echt Talent. Und die Hilfe würde ich nie nicht selbst leisten wollen, weil ich das gar nicht kann. Da sollen Profis ran, und die kann man auch kriegen. Und das mit der "Nase", die auf was gestoßen wird, das hat der Junge schon selbst erledigt. Er hat sein auffälliges Verhalten auf die Schule ausgedehnt. Da gibts jetzt Leute, die das auch interessiert...
@Svenja: Es gibt Dinge, da muss man einfach akzeptieren, dass man sie nicht besser machen konnte. Und aufhören, sich fertig zu machen. Denn das ändert erstens nichts an der Vergangenheit und macht uns zweitens nur die Gegenwart kaputt, der wir uns stellen sollten, ohne die Kraft schon vorher zu vergeuden.
@Frau V: :-) Pubertät ist echt anstrengend!

Falcon hat gesagt…

Die Sache mit der Pubertät macht mir natürlich echt Mut - da Danke ich schon mal ;-P.
Aber ich glaube nicht, dass der Knabe von Beginn an ungeliebt war - das wird sich irgendwo hochgeschaukelt haben.
Kinder können auch einfach von ihrem Naturell echte Kotzbrocken sein (so ein Exemplar gab es auch in unserem Bekanntenkreis) und dass die Eltern da nicht zwingend mit Begeisterung drauf reagieren, kann ich verstehen. Dummerweise wird da ganz schnell ein Teufelskreis draus.

Lily hat gesagt…

@Falcon: Mädchen sind da anders (wenn auch nicht weniger nervtötend :-)) Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Kind von dir so würde.

Falcon hat gesagt…

@Lily: Das hoffe ich auch nicht.

Paula hat gesagt…

Keine Angst vor der Pubertät, auch mit hormongesteuerten Halberwachsenen kann man respektvoll umgehen und manchmal prima reden.Das mit den Grenzen setzen wird dann natürlich schwieriger. Ich sach nur: hart verhandeln und Kompromisse machen, dann geht's.