Sie war weitergelaufen, hatte sich im Dunkeln nicht wirklich orientieren können und fand sich nun, kurz nach Sonnenaufgang, am Rande eines Dorfes wieder. Über die eingezäunte Weide vor ihr konnte sie eine Bushaltestelle und in der Ferne einen Kirchturm sehen, aber keine Straße -und keine Menschen.
Sie schaute an sich herunter.
So konnte sie eigentlich nur noch nachts weiterlaufen. Die Jeans waren nass und schlammverschmiert bis zu den Knien, die Schuhe ein einziger Matschklumpen, das T-Shirt zerknittert, mit eingerissenem Saum. Jedem, der sie sähe, wäre sofort klar, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte.
Zeit also, sich einen Schlafplatz zu suchen.
Sie beschloss, dem Weidezaun zu folgen, bis sie auf einen Weg oder eine Straße treffen würde. Um diese Jahreszeit ging die Sonne früh auf, das war ihr klar, und vermutlich war es noch vor fünf Uhr.
Langsam setzte sie sich wieder in Bewegung.
Sie fand schnell in einen Rhythmus, jetzt, wo sie den Boden vor sich erkennen konnte und nicht immer vorsichtig auftreten musste. Und bald kam sie sich schon beinahe wie im Urlaub auf einer Wanderung vor- die klammen Jeans, die um ihre Knöchel schlackerten, mal außen vor gelassen.
Nach kurzer Zeit stieß sie auf einen Feldweg, der zwischen der Weide und einem Gestrüpp verlief-Wald konnte man das nicht nennen. Nicht, wenn man die Wälder rings um ihre Heimatstadt kannte. Aber das wichtigste war, dass dieses Gestrüpp so etwas wie Deckung bot. Nicht genug, um sich darin für Stunden zu verstecken, aber vom Dorf aus würde man sie nicht sehen können.
Johanna fiel ihr ein, und sie blieb unwillkürlich stehen. Warum war sie nicht wach geworden? Von ihnen beiden hatte sie immer den leichteren Schlaf gehabt. Gestern abend war sie schon beinahe im Wohnzimmer eingeschlafen, und Marleen hatte sie nur mit Mühe überreden können, nach oben in ihr Schlafzimmer zu gehen.
Schwerfällig war sie die Treppen hinauf gewankt, hatte sich nur die Schuhe ausgezogen und war auf dem Bett zusammen geklappt, samt Rock, T-Shirt und allem. Das Geschrei und der Lärm hatten sie nicht geweckt, ihr Gesicht war bleich und sie hatte tiefdunkle Ringe unter den Augen gehabt. Ihr Atem ging schwer.
Wie- betäubt.
Betäubt.
Oh Mann.
Und Manuel...
An Manuel dachte sie lieber nicht. Das, was da im Wohnzimmer gelegen hatte, war nicht der Mensch, den sie seit ein paar Wochen kannte. Er war immer rätselhaft für sie gewesen, eine Nuss, die es zu knacken galt, eine Herausforderung.
Mal zärtlich, fröhlich und gut drauf, dann wieder voller düsterer Stimmungen. Und sein Kumpel Ivo? Der ihm folgte wie ein siamesischer Zwilling? Der war noch viel merkwürdiger.
Aber Manuel gabs nur mit Ivo, sowie es Marleen nur mit Johanna gab. Und jetzt hatte sie sie zurück gelassen. Schlafend, allein in einem Haus mit einem Toten darin.
Von Ivo war keine Spur gewesen, fiel ihr ein- ob er einer von denen gewesen war, die sie mit dem Auto hatte davon fahren hören?
Sie hätte dort bleiben sollen. Sie hätte die Polizei rufen sollen.
Kurz entschlossen fingerte sie ihr Handy aus der Hosentasche und schaltete es ein. In dem Haus war kaum Empfang gewesen, vermutlich weil es einfach zu weit weg war von zivilisierten Gegenden. Hier jedoch war ein Dorf, und vielleicht...ja. Das Display zeigte Empfang.
Sie wählte Johannas Nummer.
Mist.
Nur diese synthetische Stimme: „The person you’ve called is temporarily unavailable“.
You bet, baby.
Einen Moment lang überlegte sie.
Dann wählte sie mit unsicheren Fingern drei Ziffern.
1-1-0.
Fortsetzung folgt.
Fortsetzung folgt.
5 Kommentare:
Ich habe vorhin noch gedacht: Es wird Zeit für eine Fortsetzung. Danke.
Die Fotos sind Klasse! Du wirst immer besser...
"die gewuenschte person ist zur zeit nicht erreichbar" - wie ich das hasse ... ;-)
Doch nicht Marleen. Mist, das wirft ja meine ganze Konstruktion über den Haufen.
Klugscheißermodus: Englische Nichtverfügbarkeitsansage an der Nordsee?
Ach, was soll's.
Fortsetzung bitte.
Englische Nichtverfügbarkeitsansage musste ich lange auch anhören bei Bruderherzens altem D1-Vertrag... Was glaubst du, wie lang ich jetzt gegrübelt habe, ob dieser Satz ein Rätsel à la Zeitmagazin ist :D
Und was mir alles an (falschen) Antworten eingefallen ist, geht auf keine Kuhhaut...
L
Spannend. Spannend!
Kommentar veröffentlichen