Donnerstag, 3. September 2009

Marleen

was bisher geschah

*

Emma schlief; erschöpft und verwirrt, der Streit zwischen ihren Eltern und den Hoffmanns setzten sich in ihrem Traum fort, und immerzu hielt sie Ausschau nach Johanna.

*

Im Untersuchungsgefängnis hatte Johanna den Lichtschalter gesucht und die Notfallklingel gefunden.
Die Beamtin warf nur einen Blick auf ihre Gesichtsfarbe und rief sofort einen Kollegen. Gemeinsam brachten die beiden Johanna in die Krankenstube.
Nach einer kurzen Untersuchung wurde die Platzwunde auf ihrem Kopf genäht, sie bekam eine Kopfschmerztablette und ein paar Ratschläge. Nur Minuten später lag sie wieder auf ihrer Pritsche und schloss die Augen.

*

Marleen lief.
Wie ihr schien, lief sie immer schon, seit Beginn aller Zeit.
Über stoppelige Wiesen und sandige Wege führten sie ihre Füße, und sie war dankbar dafür, dass die Sonne aufging und sie wieder sehen konnte, wohin sie trat.
Ihre Schuhe, flache Tennisschuhe ohne Absatz (und auch ohneProfil, wie es schien), waren schmutzverkrustet und hatten inzwischen Löcher in den Sohlen, aber sie machte sich nicht mehr die Mühe, sie auszuziehen und die Steinchen herauszuschütteln. Statt dessen lief sie einfach immer weiter. Ein paar Mal war sie gestürzt, einmal in einen mit Wasser gefüllten Graben, öfter hatte sie sich an Dornen zerstochen und die Haut an Händen und Knien war längst abgeschürft.
Ihre Füße hatten, zusammen mit der Angst, längst die Regie übernommen und schleiften das, was von Marleen übrig war, nur noch mit.
Ihr war klar, dass sie irgendwann schlafen musste, sie konnte sich jedoch nicht entscheiden, wann.
Tagsüber zu schlafen würde bedeuten, dass sie zwar schutzlos im Hellen irgendwo liegen würde, aber dafür nachts im Dunkeln sicherer war, sicherer vor dem, was ihr auf dem Fuß folgte. Nachts hingegen würde sie vermutlich besser schlafen, und bei Tageslicht eher ihren Weg finden- wenn sie erst einmal wüsste, wo sie hingehen sollte.

Sie war geweckt worden von lautem Geschrei und Gebrüll. Das Haus schien zu klein zu sein für solchen Lärm, und neben ihr hatte Johanna gelegen, bleich und in tiefem Schlaf, wie es aussah. Es war bereits dunkel gewesen, und durch das Fenster mit dem blasigen Glas schien ein verzerrter Mond.
Der Lärm war von unten gekommen, aus dem muffig riechenden Wohnzimmer, vielleicht auch aus der kleinen Küche mit den klebrigen, verschmierten Schränken darin.
Sie war vorsichtig zur Tür gegangen, und hatte sie einen Spalt geöffnet- der Streit hatte ihr Angst gemacht.
Auch so hatte sie kein Wort verstanden. Mindestens drei Leute stritten sich da, und sie überlegte gerade, ob sie die Treppe hinunter schleichen und lauschen sollte, als das Gebrüll in einem Klatschen und einem Schrei, lautem Stöhnen und einem Poltern unterging.
Hastig und auf Zehenspitzen war sie in das Bett zurück gekehrt und hatte die Augen geschlossen. Und gebetet hatte sie, wie schon seit Jahren nicht mehr.

Eine kleine, endlose Weile später hatte sie die dritte Stufe der Holztreppe knarren hören, sonst war alles still geblieben. Dann hatte jemand die Klinke heruntergedrückt und die Zimmertür eine Handbreit weit geöffnet.
Johannas schwere Atemzüge und ihr eigener Herzschlag waren das einzige, was zu hören war. Dann hustete Johanna, und sie war dankbar dafür..

Die Tür schloss sich wieder, sehr langsam.
Das nächste, was zu hören war, waren zwei Autotüren, die zugeknallt wurden und ein sich rasch entfernendes Motorgeräusch.
Erst eine Ewigkeit später hatte sie genug Mut gefasst, um die wacklige Treppe hinunterzusteigen. Automatisch mied sie die dritte Stufe.

Die Tür zum Wohnzimmer war nur angelehnt.
Drinnen lag ein Mann, dessen Kleidung aussah wie Manuels, dessen Gesicht aber niemals mehr an einen Menschen erinnern würde.

Langsam, wie eine Katze, die in eine Wasserlache getreten ist, ging sie rückwärts auf die Tür zu, schnappte sich ihre Jacke vom Haken im Flur und rannte aus dem Haus.
Weg, nur weg hier, weg von dem gruseligen... Ding auf dem wüst gemusterten Teppich, weg von der schlafenden, teilnahmslosen Johanna, weg von Männerstimmen und Streit und stumpfbraunen Tapeten.

Würgend, nach Atem ringend und mit revoltierendem Magen hielt sie irgendwann an, unter freiem Himmel.
Sie wusste nicht mehr, wo sie war.




Fortsetzung folgt.

3 Kommentare:

Georg hat gesagt…

Unerwartet aber echt klasse. Das hätte ich nicht gedacht.

Wie immer super spannend.

Danke Lily

Frau Vau hat gesagt…

..hoffentlich kommt die Fortsetzung bald..

Meise hat gesagt…

Seehr spannend!