Mittwoch, 17. Juli 2013

Mir fällt kein Titel ein.



Seit ich lesen kann, hab ich die feste Überzeugung, dass zum täglichen Lesepensum eine Tageszeitung gehört. In meinem Elternhaus hatten wir die beiden lokalen Zeitungen im Abo (mir fällt jetzt erst auf, wie ungewöhnlich das für einen „Arbeiterhaushalt“ gewesen sein muss, vor allem wegen der ja immer schon recht hohen Kosten).
Nach meinem Auszug von zu Haus abonnierte ich das vermeintlich progressivere der beiden Blätter, und behielt das bei bis ich vor einigen Jahren mal enorm pleite war- danach teilte ich die Zeitung mit einer Kollegin.
Dann hab ich über zweieinhalb Jahre kein Abo mehr gehabt. Meine Mutter weiß das bis heute nicht- für sie ist es unvorstellbar und sehr kritikwürdig, nicht mindestens eine Printausgabe zu lesen sowie einmal täglich die Tagesschau zu sehen (und im Hintergrund dudelt WDR 2 seine Nachrichten…)
Seit ich hier, wo ich jetzt bin, arbeite, lese ich wieder zwei Presseerzeugnisse am Tag, die TAZ und eine Zeitung mit Lokalteil. Ich muss lesen, denn ich mache den Pressedienst für meine Dienststelle.
Natürlich könnte ich auch jeden Tag das Netz abgrasen, um zu schauen, ob es dort was gibt, was einschlägig berichtet- aber dann lieber Papierexemplare, die quälen mich nicht mit undurchsichtigen Suchfunktionen.
Ich muss feststellen, dass ich Tag für Tag ungerner (das ist ganz bestimmt ein Wort) lese. Denn mal abgesehen von dem ein oder anderen Grinser für die ein oder andere respektlose TAZ-Äußerung kann man eigentlich nur noch ein Gesicht ziehen, wenn man den Rest so verfolgt. Herrschaftszeiten- wird das immer schlimmer mit der Welt, oder macht das die schiere Konzentration der Meldungen über den galoppierenden Irrsinn, der weltweit vor sich geht?
Meine Meinung über die Mitmenschen, vor allem über Politiker, wird schlechter und schlechter, bestenfalls empfinde ich diese Branche als hilflos, schlimmstenfalls als machtgeil, gierig und vorgestrig. Der Ausdruck „Untersuchungsausschuss“ erzeugt inzwischen nur noch Schnappatmung bei mir… und bestimmte Namen blendet mein Hirn schon von ganz allein aus.
Aber auch Exemplare der Gattung Otto Normalbürger sollten sich nicht in Reichweite meines Fußes begeben (oder wenn, mir nicht den Hintern zu wenden- das könnte sich als schmerzhaft erweisen). Leserbriefe? Bitte nicht. Da sind selbst die Kommentatoren des SPON fast noch besser zu ertragen. Es scheinen nur noch Petzen, Wutbürger, Trolle und Leute mit chronifizierten Störungen der Realitätswahrnehmung unterwegs zu sein, und irgendwer hat jeden einzelnen von ihnen mit einem Computer und einem Schreibprogramm ausgestattet.

Beispiel? Da ging es jüngst in einem Artikel um einen (zugegeben lachhaft langen) Namen für ein Gesetz- das längste deutsche Wort und so weiter. Das Gesetz war aufgehoben worden, und in dem Artikel wurde darüber berichtet. Nullrelevanz, aber halt ein Füllsel für die Blätter. Und mit Kommentarfunktion!!!
Keine drei Leserbriefe später war man dann wieder damit beschäftigt, für den Untergang der Welt Beamte (irgendwie deckungsgleich mit Gesetz, vermute ich) verantwortlich zu machen, und für das längste deutsche Wort war keine andere Strafe denkbar, als allen diesen beamteten Schmarotzern die Tür zu weisen oder, noch besser, sie mal vorsorglich zu inhaftieren.
Noch ein Beispiel?
Da schreibt jemand eine Kolumne, deutlichst als fiktiv ausgeprägt erkennbar- und jeder Vollhonk, der unfallfrei vorm Monitor hängen kann, muss sofort ausführlichst, entrüstet, ungebremst und humorlosestens Kritik üben. Dem Einen ist es zu seicht. Dem Anderen ist die (satirisch, satirisch!) geschilderte Episode ein Leuchtfeuer für den Untergang des Abendlandes. Der eine findet es witzig, der nächste meint, es zeuge von tiefen Störungen (inklusive Vorschlag, welche Krankheit es denn sein könnte)… es ist einfach unerträglich.
Mal ehrlich, gibt es dafür Geld oder was?
Die wohlwollendste Reaktion, die diese Leute erwarten können, ist m. E. ein „Geht’s noch? Wenn es dir nicht passt, verpiss dich und les woanders“- aber dummerweise gibt es auch noch Leute, die die komplett entgegengesetzte Meinung vertreten, ebenso kampflustig unterwegs und auch im Besitz eines Rechners sind. Die haben auch noch nie was von „Don’t feed the troll“ gehört, und empören sich dann wiederum in den Meta-Kommentierungen.

My brain hurts.

Was ich damit sagen wollte? Ich mag keine Zeitungen mehr. Leserbriefe gehen mir auf den Sender. Und Kommentare mag ich nur von euch lesen.

Schönen Tag zusammen!!

DieLily.

11 Kommentare:

Alessa hat gesagt…

Kurz und bündig: Sie sprechen mir aus der Seele.

Viele Grüße von Alessa.

http://paulacolumna.wordpress.com hat gesagt…

Seit ich auf Herrn Buddenbohms interessante Vorauswahl gestoßen bin, geht's mir besser. Mein Hintergrundwissen nimmt zu.

Online ist doch viel ergiebiger und aktueller als Print, was braucht man da für Suchfunktionen z.B. bei www.nytimes.com?



Lily hat gesagt…

@ Alessa: Viele Grüße zurück, und Danke!

@Paula: Online ist ergiebiger. Aber es geht bei meiner beruflichen Leserei um lokale Ereignisse, regionales Geschehen und nur am Rande um NYC :-)Und der Herr Buddenbohm- da finde ich es sehr schade, dass er nur noch so wenig "Eigenes" schreibt. Das mit dem Hintergrundwissen stimmt allerdings.

Falcon hat gesagt…

Lustigerweise empfinde ich das mit den Leserbriefen und Onlinekommentaren genau anders herum - während man sich bei Leserbriefen (zumindest denen, die tatsächlich in Briefform die Zeitungen erreichen) wenigstens noch ein bisschen Mühe machen muss, ist ein Online-Kommentar dermaßen schnell hingerotzt, dass sich tatsächlich jeder, der einen PC einschalten kann, bemüßigt fühlt, seinen Sermon irgendwo abzugeben (das korrekte Benutzen der Tastatur ist hingegen keine Vorbedingung).
Ich bin jedes Mal aufs Neue entsetzt, wie viele Spinner, Verschwörungstheoretiker und sonstige Schwachmaten existieren, die jetzt, ermuntert durch die Einfachheit des Verfahrens, ihre wirren Gedanken in die Welt blasen.
Ich persönlich würde ja durchaus für bis zu zwei Leserbriefseiten je Zeitung plädieren, die aber nur unter der Voraussetzung befüllt werden dürfen, dass die Schreiber ihre Ansicht in sauberer Handschrift, hilfsweise unter Hinzuziehung einer Schreibmaschine, dargestellt und den Brief dann in einen Umschlag gesteckt und sauber frankiert per Post an die Zeitung gesandt haben.
In Sachen zeitung muss ich ansonsten leider zustimmen - ich mag es immer noch, bedrucktes Papier zu lesen, gewinne aber zunehmend den Eindruck, dass es sich, von ein paar wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum noch lohnt, Bäume dafür zu opfern.

Lily hat gesagt…

@Falcon: Seitdem man Leserbriefe auch online absondern kann, ist es NICHT aufwärts gegangen mit der Qualität. Insofern ist es ein solider, Erfolg versprechender Ansatz, Papier und solche altmodischen Voraussetzungen zu verlangen...

Falcon hat gesagt…

Übrigens, apropos Zeitungen: Schau Dir doch einmal, wenn Du Zeit und Lust hast, die Bilderstrecke zu diesem Artikel an:
(http://www.berliner-zeitung.de/politik/95--geburtstag-von-nelson-mandela-mandela-zuliebe---67-minuten-gutes-tun,10808018,23744196,view,DEFAULT.html) - insbesondere die Bildunterschriften.
Ich habe schon einen Brief (na gut, eine Mail) zu diesem rassistischen Dreck an die Berliner Zeitung geschrieben, aber man hüllt sich dort in vornehmes Schweigen.
Die Texte stammen übrigens von http://diki.heliohost.org/mandela.htm; der Verfasser macht sich keinerlei Mühe zu verheimlichen, wes Geistes Kind er ist.

Lily hat gesagt…

@Falcon: Haben die was geändert, oder bin ich zu doof, diese Bildstrecke zu finden? Bei mir ist im Artikel selbst nur ein Video verlinkt, ohne rassistische Untertitelung, und eine in der Nebenspalte enthaltene Bildreihe enthält nix rassistisches. Einen Kommentar, der wohl bereits gelöscht war, und in dem die Bildauswahl negativ kritisiert wurde, haben sie wiederhergestellt. Hat da einer was gemerkt bei der Zeitung?

Falcon hat gesagt…

Nach diversen Hinweisen gemerkt...:

"Sehr geehrter Herr ...,

wir entschuldigen uns für diesen schrecklichen Fehler. Die Bildstrecke haben wir sofort von der Website genommen. Herzlichen Dank für den Hinweis.

Mit freundlichen Grüßen

...
DuMont Digitale Redaktion

Berliner Zeitung
Karl-Liebknecht-Straße 29
10178 Berlin"

Falcon hat gesagt…

PS.: Unter dem anderen Link findest Du den Text, der so tatsächlich 1:1 im Online-Auftritt der Berliner Zeitung zu lesen war.

Manchmal hilft ein Leserbrief doch...

Lily hat gesagt…

@Falcon: Siehste. Die Welt ist nicht nur schlecht.

Georg hat gesagt…

Ist dir damals aufgefallen, dass die eine Zeitung von Oma abonniert war? Diese Redaktion, mit welcher du ja einige Jahre das Dach teiltest, hat das meiste bei der anderen abgeschrieben. So habe ich es zumindest empfunden. Mir fehlt eine gedruckte Zeitung auch. Ich hatte sie hier viele Jahre abonniert. Aber meist war ich schon aus dem Haus wenn sie geliefert wurde. Auch der Lokalteil war nicht der, welcher mich interessierte. So habe ich mich auf das online lesen verlegt. Bei Nachtschichten habe ich allerdings die Möglichkeit eine Zeitung druckfrisch zu erhalten. Das nutze ich dann gern. Mein Arbeitgeber hat diverse Exemplare im Abo. Einige Jahre auch die FAZ. Da war ich der einzige Leser. Aus nicht genannten Gründen ist das Abo im letzten Jahr ausgelaufen.
Also lese ich nur noch online auf dem Apfel Brett.
So muss ich wenigstens nicht teilen. Das hasse ich am meisten. ... Gibst du mir mal den Sportteil... NEIIIIIIN.