Dienstag, 2. März 2010

Oh, der Jugend unschuldige Tage.

Die Erinnerungs-Reihe drüben bei Britta hat mir reichlich Stoff zum Nachdenken gegeben. Nicht, dass ich mich plötzlich (und unerwartet :D ) zu einer Transidentität bekennen würde, das nicht. Aber über das Dazugehören zu einer (seiner?) Peergroup hab ich nachgedacht.

Ein bisschen war ich schon als Kind so, wie ich es heute bin: Gern allein, sehr zufrieden mit einem Buch und mir selbst- aber ein paar Freunde hatte ich auch. Nie viele, im Sinne eines ganzen Schwarms voller Mädchen und inmitten der fröhlichen rosa Versammlung eine junge und rundäugige Lily, im Schmuck blonder Locken.
Nein.
Erstens hatte ich keine Locken. Bis auf einmal, aber die hießen Dauerwelle und waren nicht sehr schmückend (Gibt’s so was heute noch? Am einen Tag sind die Haare ingenieursgrade, und am nächsten zeigt sich ein wüster Afrolook? Ich kann’s mir nicht mehr vorstellen.)
Rundäugig war ich schon, und recht naiv, wie mir heute scheint. Nicht blöd, aber seltsam weg vom Weltlichen.
Wenn ich auf Britta zurück kommen darf: Mir musste man (als Mädchen, mit 15!)ebenfalls erklären, was eine Möse ist, weil ich das nicht wusste. Den Spruch, aus dem ich den Ausdruck entnahm, musste mir meine damals beste Freundin auch erhellen… „Wer andere in die Möse beißt, ist böse meist“.- Sie, als Tochter aus gutem Hause verstand das- ich, die ich aus einem „klassischen“ Arbeiterhaushalt stammte, hatte keine Ahnung.

Aber bei uns las man das Kolpingblatt, in der Familie meiner Freundin brachten die Angestellten ihres Vaters vermutlich die Bildzeitung mit in den Betrieb.

Eine gewisse Signifikanz kann man diesem Beispiel abgewinnen. In den Folgejahren zeigte sich immer öfter, dass in mancher Beziehung meine Sozialisation nicht ganz aus dieser Welt war. Die Anforderungsprofile meiner Eltern an den Haufen Kinder, den sie in die Welt gesetzt hatten, waren lückenhaft. Zwar sollten wir alle unser Bestes geben, was die Schule betraf- aber was man danach mit einem Schulabschluss anfangen sollte, das wurde niemals thematisiert. Als es dann um die Entscheidung ging, was wir jeweils werden sollten, spielte das Abizeugnis plötzlich keine Rolle mehr- wir sind vier, davon zwei Beamte (Abi = nicht zwingend), eine Krankenschwester (Abi = nicht zwingend) und ein Handwerker(Abi = fast schon störend).

Es wurde von uns ebenfalls erwartet (auf eine diffuse Art), dass wir zum Fortbestand der Art beitragen sollten. Wie jedoch das anzufangen war, darüber erfolgte kein Kommentar. Ich weiß, dass Freundinnen so manche Dinge mit ihren Müttern oder Vätern besprechen konnten, auch, dass diese informiert waren, was den Stand der jeweiligen Affäre betraf. Meine Eltern haben das so wenig diskutiert, dass es für uns immer etwas einerseits Anrüchiges, aber andererseits Banales hatte, eine Beziehung zu führen. Üble Mischung.
Beziehung war, wenn sie ihm das Essen vorsetzte, wenn er ihr den Küchenabfluss säuberte, wenn sie nörgelte, weil er seine Sachen herumliegen ließ und er sauer war, weil sie wieder Kräuter in sein bestes Blumenbeet säen wollte.
Bloß doof, dass das nicht so die Probleme waren, die einen mit sechzehn und siebzehn in den Endsiebziger Jahren beschäftigten.

Beziehung war irgendwo natürlich auch Sex, von dessen Vorhandensein man uns zu tunlicher Zeit in Kenntnis gesetzt hatte. Wie man das nun wieder praktisch zuwege brachte? Hm. Das konnten wir mal hübsch selbst abkaspern. Haben wir auch.

Das Prinzip Trial and Error machte sich breit, und sorgte bei vier Kindern für sieben Ehen, von denen fünf geschieden sind.

Es braucht niemanden zu wundern, dass unsere Eltern auch heute noch jedes Mal vom Glauben abfallen, wenn mal wieder eine Ehe eines ihrer Kinder endet, sind sie doch die Letzten, die einer von uns konsultiert, wenn es mit der Beziehung bergab geht…

Was das Frau-Sein betrifft (über das Mann-Sein kann ich aus naheliegenden Gründen nichts sagen :D ) so war das im Focus meiner Mutter eher eine Tracy-Chapman-Geschichte: „Woman’s work is never done“.

Dass es Spaß machen kann, eine Frau zu sein, dass man einen Körper nicht nur hat, um den Kopf von der Nachbarin mit einer Dauerwelle versehen zu lassen (uääää!) und den Rest in merkwürdige Farben (Je älter die Fru, desto beiger der Schuh!) zu kleiden, das hat sich irgendwie unterwegs etwas verloren, wenn es überhaupt jemals da war. Auf meine Schwester und mich hat sich das jedenfalls keineswegs übertragen.

Eigentlich muss einen das auch nicht wundern. Als meine Eltern sich kennenlernten, war meine Mutter 14. Sie hat also nie das Kästchen mit den Tricks, äh--- den Spektren der Weiblichkeit (*snicker*) öffnen müssen, das der liebe Gott ihr vielleicht mitgegeben hat. Und inzwischen ist es mit Sicherheit irgendwo in der Strickwolle verklüngelt, oder liegt ganz unten in einem der Schränke mit den Stoffen.

Mein Vater wiederum ist ein bisschen ein Bauer, ein katholischer, und hat die Zeit, in der ich Kind und Jugendliche war, überwiegend auf der Arbeit verbracht. Es ergab sich für keine von uns die Möglichkeit, „Vaters Tochter“ zu werden, oder kindliches Schäkern mit Papa zu üben, meist ja eine der ersten Arenen, in denen ein Augenaufschlag Opfer fordert.

Alles, was ich übers Frau –Sein weiß, hab ich mir also selbst beigebracht, und meine Acquisetechniken (was Partner betrifft) auch.
Ein bisschen was hab ich natürlich auch meinen Geschlechtsgenossinnen abgeguckt. Die Schwester meiner besten Freundin, die eine Zeitlang als Avon-Beraterin arbeitete, hat da einiges in Bewegung gebracht, und das stundenlange Getuschel ebenso. Dabei ging es jahrelang nicht wirklich um Sex. Wir wären entsetzt gewesen über die harten Tatsachen im Beziehungsalltag und den Mangel an rosa Wölkchen, der in Liebesbeziehungen herrscht.
Es ging um Romantik und Schwärmerei, alles im absolut fiktiven Bereich, verschärft durch die Tatsache, dass unsere „geheimen Freunde“ irgendwelche Musiker oder Filmstars waren.

 Und die Realität als solche hinkte dem wirklich beträchtlich hinterher. Allein schon durch die Tatsache, dass die einzige Möglichkeit für uns, irgendwo Tanzen zu gehen, das kirchliche Jugendheim (uaäääääää!) war, in dem einmal im Monat von 18.00-21.30 Uhr Tanzabend (hieß echt so) war. Da hingen unsere Kindergartenkumpel ab- uninteressant- und die, die zwei, drei Jährchen älter waren (schon interessanter). Die „gefährlichen“ Kneipen und Discos in der Innenstadt waren für Lily so was von off-limits, das kann sich heut keiner mehr vorstellen, außer er ist Klosterschüler und die Disco ist ne Crack-Kneipe.

Menno, und ich wär so gern hingegangen. Ich hätte ausgesehen wie das Mondkalb auf Sonntagsausflug, aber dennoch. Das hatte Flair, da lauerte das richtige Leben, Spaß, Gefahr und wilde Abenteuer!!!einseinself.
Da gingen die Mädels hin, die keinen guten Ruf hatten, und die ich immer so anziehend fand… ich hätte keine davon mit nach Hause bringen dürfen, und hätte mich das auch nie getraut- ich hätte mich ja blamiert.
Aber ich fand ihr Leben immer soviel spannender als das, was mir so zugedacht zu sein schien. Die machten Erfahrungen über Erfahrungen, lauter Dinge, bei denen ich sicher war, dass sie mir nützlich sein könnten… aber die im Programm der braven Mädchen, mit denen ich abhing, irgendwie nicht vorkamen. Außerdem waren die alle viel, viel hübscher, und ich schaute sie so gern an. Gabi mit den blonden Locken, die fällt mir da wieder ein, auch nach über dreißig Jahren kommt sie mir noch vor wie eine Märchenprinzessin- gut, eine etwas unsolide Prinzessin, aber dennoch.
Außerdem war ich ganz schön neugierig. Furchtbar neugierig, und auf Neues immer mehr als versessen.

Aber wie das so ist: Neugier, gepaart mit nicht optimalen und vor allem nicht sicheren Informationsquellen führen oft zu einem: Früher Schwangerschaft. Der Typ? Weg. Der Bauch? Täglich dicker.

Bums, das hatte ich dann davon.

Fürderhin schien es aus mit dem wilden Leben.

Aus?

Wirklich?

Nee.

Eigentlich ging es jetzt erst richtig los.

Nur zu einer Peergroup hab ich irgendwie nie (wieder?) wirklich gehört.




3 Kommentare:

Lily hat gesagt…

Test

Britta hat gesagt…

Oh Lily ... danke schön! Wow ...
Die 70er waren schon 'ne komische Zeit, was?
Und was bin ich froh, nicht die einzige zu sein, die mit dem bösen M-Wort nix anzufangen wußte! ;)

Hast Du geahnt, dass wiederum DEIN Beitrag über Deine Mutterschaft, DEINE schonungslose Ehrlichkeit mit Dir selbst, mich überhaupt erst auf die Idee brachte, mich in meinem Blog mit den "Leichen in meinem Keller" zu beschäftigen??

Und ist das nicht das Großartige an der Bloggosphäre - dass der Funke hin- und herspringt?
Finde ich jedenfalls ...

Ich fühle mich durch Dein Blog immer wieder reich beschenkt.
Das wollte ich Dir eigentlich länger schon mal sagen.

mkh hat gesagt…

Die frühe Vergangenheit seines eigenen Lebens zu betrachten, ist immer ein bisschen so, als wäre man erst allmählich aus der Ferne in das hineingewachsen, was man heute ist. Wie es wohl im Jahr 2030 sein wird?

War schön, bei dir zu lesen.