Sonntag, 2. März 2008

Yesterday


Derdiedas Posting von gestern hat mir abends noch einen üblen Flashback beschert: Der-immer -dabei-ist (oder, in diesem Fall, war) hat angerufen und meine Erinnerung an Textzeilen wachgerufen.

„Utopia onaniert im Seidenbette“ (Konstantin Wecker auf jeden Fall- aber war das „Es herrscht wieder Frieden im Land“ oder welches Lied?)

„Armer Staat

bittet um ne milde Gabe

denn all die Bunker für die Funker

und die Panzer für die Landser sind bestellt.

Armer Staat

bringt dich bald um deine Habe

denn wo die Pleite so total ist,

ja, da braucht man die totale Schnorrerei“ - das war -äh.- Liederjan? Zupfgeigenhansel? Keine Ahnung, hab ich verdrängt.


„Es geht die Lou lila

von Kopf bis Schuh lila

selbst das Dessous lila

ist das nicht schön!

Sie trägt das Hemd lila

wenn jemand kömmt -lila

macht sie die Lampe lila

beim lila Bett...“

auch einfach unsterblich, und in mir nicht mehr bekannter Autorenschaft- weiter hinten heißt es:

„Es kommt der Kanzler

nicht mehr in Modequalen,

seine Sandalen strahlen

ultra-violett...“

Das waren noch Zeiten. Da hatten wir noch einen. Einen Kanzler.


„Unter dem Pflaster, ja da liegt der Strand

drum reiß auch du ein paar Steine aus dem Sand“


Ton Steine Scherben. Oh ja. Allerdings bin ich erst Jahre später zur ersten Demo mit Atac-Beteiligung losmarschiert.


Und erinnert sich noch wer an Bettina Wegner, die DDR-Gesandte für Betroffenheit und schlechtes Gewissen? Kein Cassettendeck, aus dem nicht „Sind so kleine Hände“ schepperte.

Gemischt mit dem holländischen Gewächshaus-Politpop der Marke BOTS:

„Alle, die gegen Atomraketen sind, sollen aufstehn“ hieß es damals.

Bleibt sitzen, Leute. Heute wird dafür eine 0180er Nummer eingeblendet, da kann man dann eine sms hinschicken, und wird gleich gezählt (und vermutlich vom ‘Bundesamt für Hacken und Mithören’ aufgeschrieben- inklusive Handynummer).


Ach, und Hannes Wader war auch da, damals in Bonn im Hofgarten.

An dem Tag (war das 1981? Ist das wirklich fast 30 Jahre her?) haben meine Eltern den ganzen Tag am Fernseher gesessen, weil sie wissen wollten, ob man mich schon in Handschellen und Fußeisen verhaftet hatte. Man hat nicht- es waren ein paar Leute zuviel. Hunderttausend oder so.

Heute, mit der Vorratsdatenspeicherung, hätte man uns schon von den Ortspolizisten einsammeln lassen können. Direkt an der Haustür, und damit hätte man gleich die CO2-Bilanz verbessert. Man denke nur an die vielen Busse, die NICHT hätten fahren müssen, wenn man die Jungs und Mädels frühzeitig abgefischt hätte.

Aber das zeigt ja schon, wie sich das politische Bewusstsein inzwischen geändert hat: An die CO2-Belastung hat damals noch kein Öko-Schwein gedacht. Alle haben nur egoistisch auf ihrem Demonstrationsrecht beharrt, und keinen Blick für größere Zusammenhänge gehabt. Ts, ts.

Und kein einziger Bus hatte einen Rußfilter.

Andererseits zeigt sich, dass man damals insgesamt noch etwas langsamer unterwegs war: Einige Mütter (die mir damals unvorstellbar alt vorkamen) sind mitgekommen, samt Handwagen, Thermoskanne und Rodonkuchen für alle. Heute würde so ein Mütterchen im biblischen Alter von vielleicht 50 oder so nicht mehr ohne weiteres mitrennen können, wenn die Demo in zeitgemäßem Laufschritt vorbei rast.


Der Untergang des Abendlandes, the end of the world as we know it, zeigt sich auch an anderer Stelle.

Einst war das Ruhrgebiet berühmt und bekannt für seine flächendeckend vorhandenen Handelsstützpunkte der maximalen Versorgung (aka „die Bude“).

Bei der Bude handelte es sich um ein eher schrömmeliges Etablissement, in dem meist ein Opa oder eine Oma dem Programm des ZDF entrinnen konnten, indem sie über Klümpchengläser, Noname-Filtertüten, abgelaufenem, vakuumverpacktem Kaffee und Eier zweifelhafter Haltbarkeit wachten, und dabei die Bevölkerung mit Kippen, Boulevardpresse und belegten Brötchen versorgten.

Keine Dosenchampignons für das sonntägliche Jägerschnitzel?

Gehste anne Bude.

Nur zwanzig Pfennig in der Tasche, aber Appetit auf Süßes? Kauf dir eine Handvoll Veilchenpastillen. Mausespeck, Super-Bum (so hieß dieses Kaugummi, mit dem wir uns die Milchzähne ruiniert haben doch, oder?), völlig vertrocknete Schaumzucker-Erdbeeren, die ‘Bravo’, loser Pfefferminzbruch, Magenbitter, ein Pilsken, you name it, you get it. Es war immer eine Traube Schulkinder vor einem dran, die alle für 30 Pfennig die halbe Bude kaufen wollten.

Und der Opa S., der die Bude an der Ecke hatte, hatte die besten Nylonstrümpfe ever. Unkaputtbar, in Farben, die tragbar waren, und nicht nur in diesem Gummistrumpf-Verwesungs-Braun.

Hatte man das Glück, so eine Bude in der Nähe einer Schule pachten zu können, konnte man schon mal den Ferrari bestellen. Oder wenigstens den neuen Kleinbus, für die Fahrt zum Großmarkt.

In der Nähe meiner Arbeitsstelle ist noch so ein Juwel. Die Frau, die dort verkauft, hat nicht nur Süßes und die Tagespresse. Nee. Die hat auch Schulmaterial. Karnevalskostüme. Spielzeug. Getränke. Brötchen, Teilchen, Zigaretten. Tabak. Feuerzeuge. Kaffee, Tee, besagte Filtertüten. Wurst, Käse, Schlüsselanhänger, Handy-Aufladekarten. Glühbirnen, Postkarten, Briefumschläge.

Ich glaube, vor Winterreifen schreckt sie noch zurück, aber nur, weil man auf 20 m² nicht so viele davon unterbringen kann.

Worauf ich hinauswill?

Hier, da wo ich zu wohnen beschlossen habe, gibt’s sowas nicht. Die nächste Bude ist über drei Kilometer entfernt. Die gesetzliche Regelung schrieb einst eine Bude alle 800 m vor... Oder so kam es einem vor. Wie sollte man sonst in geschwächtem Zustand an seine Frikadellen oder heißen Würstchen kommen?

Hier gibt es sowas also nicht. Und mein Tabak neigt sich bedrohlich dem Ende zu. Und es ist sieben Minuten nach sieben, an einem Sonntag morgen. Das heißt, dass ich gleich ins Auto steigen und zur Tankstelle fahren muss, Tabak kaufen. Denkt bei der Planung einer Wohngegend doch bitte demnächst an eine Bude, ihr Jungs und Mädels in den Stadtentwicklungsämtern. Das ist auch wichtig für die Öko-Bilanz. 3 km fahren, für ein Päckchen Tabak. Also bitte.

Oder schenkt mir ein Fahrrad, das auch fährt.



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Mein Gott, bin ich froh, dass ich ob meines Alters an dieser Protestwelle vorbeigekommen bin und ich in der guten alten Zeit der NDW groß geworden bin! Und jetzt weiß ich auch endlich, warum soviele Lieder mit englischen Texten gesungen werden! Man muss nicht immer alles verstehen... ;-)

Schönen Sonntag,
Kate