Freitag, 24. Oktober 2008

Komm in den totgesagten park und schau...

Komm in den totgesagten park und schau:
Der schimmer ferner lächelnder gestade -
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.

Dort nimm das tiefe gelb - das weiche grau
Von birken und von buchs - der wind ist lau -
Die späten rosen welkten noch nicht ganz -
Erlese küsse sie und flicht den kranz -

Vergiss auch diese letzten astern nicht-
Den purpur um die ranken wilder reben -
Und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.


aus: das jahr der seele
stefan george


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Dies ist das zweifellos bekannteste Gedicht Georges, um die Jahrhundertwende entstanden.
Anders, weniger farbig, aber auf seine Art genau so fesselnd:

DAS WORT

Wunder von ferne oder traum
Bracht ich an meines landes saum

Und harrte bis die graue norn
Den namen fand in ihrem born –

Drauf konnt ichs greifen dicht und stark

Nun blüht und glänzt es durch die mark…

Einst langt ich an nach guter fahrt
Mit einem kleinod reich und zart

Sie suchte lang und gab mir kund:

›So schläft hier nichts auf tiefem grund‹


Worauf es meiner hand entrann
Und nie mein land den schatz gewann…

So lernt ich traurig den verzicht:
Kein ding sei wo das wort gebricht.

aus: das neue reich
stefan george
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George war seinerzeit ein sehr namhafter Dichter, er scharte eine Gruppe gleichermaßen bedeutender Gelehrter und Schriftsteller (u. a. v. Hoffmannsthal, Mallarmé, Verlaine) um sich und propagierte eine stark von der Form bestimmte Richtung der Lyrik. Das ging so weit, dass er eine eigene Schriftart entwickelte, basierend auf klassischen Vorbildern.
Auch die ungleichen Absatz-Abstände im zweiten Gedicht sind durchaus Absicht.
In seinen späteren Jahren wendete er sich vom Prinzip der Kunst als Selbstzweck ab, seine Werke wurden zusehends neoromantisch-esoterisch.
Zwar lehnte er den Nationalsozialismus ab, dieser jedoch versuchte des Öfteren, George zu vereinnahmen und in politischer Hinsicht zu benutzen.
George starb im Dezember 1933 in Locarno.

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