Samstag, 27. September 2008

42

Gepolter aus der Wohnung (hoffentlich aus den Räumen ohne andere Wohnung drunter). Pünktlich um sieben. Dummerweise ist es Samstag, also eigentlich nicht pünktlich- der Wecker ist für 9 Uhr mit Wecken beauftragt.

Das schert die Katzen keinen feuchten Kehricht, recht haben sie, sie haben Hunger.

Ein Fetzchen Information nach dem andern kriecht so langsam durch die Ohren in mein Hirn.

Realität will sich Eingang verschaffen, aber ich will nicht. Will liegen bleiben.

Ein Durchzählbefehl ergibt, dass noch alles da ist, auch Dinge, die morgens gern fehlen, zum Beispiel Hände und/oder Arme.

Leider meldet sich auch die Zentraleinheit mit Kopfschmerzen.

Hmpf.

Etwas weiter unten -vom Hirn aus betrachtet- poltert es.

Im Arbeitszimmer fällt was um.

Was poltert da so.

Mein Puls poltert.

Selbst das Nur-fünf-Stunden-Schlaf-Hirn wittert in Zusammenhang mit den Kopfschmerzen einen Unterzucker.

Scheiße.

Denn auch das benebelte Hirn weiß, dass die Zuckervorräte in der Wohnung schlicht erschöpft sind.


Was tun?

Totstellen ist eine beliebte Reaktion auf zu erwartende Unannehmlichkeiten.


Also: Umdrehen, weiterschlafen.

Das hat natürlich keinen Sinn, wenn die Pumpe weiterhin volle Lotte ihr Insulin absondert, also macht man das Ding besser aus.

Ha. Pumpe abschalten heißt Brille suchen, aufsetzen, Pumpenlicht einschalten und gut aufpassen, dass man die richtigen Tasten bedient. Pumpe wieder dahin packen, wo ich sie nachts aufbewahre.


Sanft einkuscheln.


Woraufhin sich Frau Pumpe mit einem Vibrationsalarm meldet.


Ein anderes Mal gerne, Mäuschen, jetzt hab ich Kopfschmerzen.


Während ich die Pumpe wirklich im Halbschlaf abschalten kann (und das leider auch schon mal im Traum gemacht habe), ist dieser miese Alarm mehr, als ich um die Zeit ertrage. Jedenfalls mehr, als sich mit Schlaf vereinbaren lässt.

Also schmeiß ich nochmal das Hirn an, das daraufhin zu verstehen gibt, es hätte doch jetzt gern ein paar Kohlenhydrate, vorzugsweise von der Sorte mit dem hohen glykämischen Index. Danke sehr.


Da fällt mir ein, im Kühlschrank ist noch Jogurt.


Kein Grund also, weiter liegen zu bleiben und darauf zu warten, dass der Blutzucker von selbst steigt.


Brille suchen. Aufstehen. Zur Tür tappen. Aufpassen, der Wäschekorb- aua. Genau der.


Tür auf, den Katzen ausweichen, die das Zimmer entern wollen, und in die Küche wanken. Prioritäten setzen: Im Gegensatz zu normalen Tagen zuerst an den Kühlschrank.


Jogurt raus holen, ins Wohnzimmer gehen. Feststellen, dass alle verfügbaren Löffel noch in der Besteckschublade warten.


Zu viel Bewegung ist jetzt Gift für Ihren Blutzucker, gnä Frau.


Weiß ich, Arschloch.


Die Katzen versammeln sich wie die Geier um mich und meinen Jogurt. Klar, sie haben Hunger.



Aber ich auch.


Der Jogurtbecherdeckel will nicht so, wie ich will, was daran liegen könnte, dass die Finger auch nicht so wollen.


Das Prinzip bei einer Hypo lautet: Erst essen, dann messen, also schieb ich mir den Jogurt rein (alles in allem suboptimal, weil eiweißhaltig- aber besser als nichts) und beschäftige mein erwachendes Hirn mit heiterem Blutzuckerraten.


Fühlt sich nach einem Wert unterhalb der 50 an, nicht gut und ziemlich nahe am Umkippen, was auch nicht gut ist, wenn grad niemand zu Hause ist außer den Katzen. Die haben keine Daumen, also Schwierigkeiten mit dem Notruf. Mal ganz abgesehen von der Adressangabe und solchen Dingen.


Mit dem Jogurtlöffel teile ich drohende Schläge in die Luft aus, um die (natürlich zurückweichenden) Pelzganoven davon abzuhalten, mich um meinen Jogurt zu bringen. Meiner. Nur meiner. Merkt euch das.


Allein das Bewusstsein, dass Zucker nun irgendwo im System vorhanden ist, macht mich gleich viel fitter. Kein Grund also, den Herrschaften mit den Pfoten ihr Frühstück weiter vorzuenthalten.


Es gibt Fisch, meine sehr verehrte Dame, liebe Fräulein Kater. Fisch.


Ich wickle mich in meine Decke und nehme wieder Platz, und weil ich einem Lesezwang unterliege, sobald Buchstaben irgendwo auftauchen, nehme ich mir den leeren Jogurtbecher und entziffere (brauche neue Brillengläser... oder Tageslicht im Wohnzimmer) die folgenden Worte:

„Diätetisches Lebensmittel zur Ernährung im Rahmen eines Diätplans bei Diabetes Mellitus. 25 g Zucker ersetzt durch Zuckeraustauschstoff und 1 g Fructose“.

Oh, Scheiße.

Der Nährwerttabelle kann ich trotzdem noch entnehmen, dass 100 g dieses fabulösen Erzeugnisses (im übrigen Erdbeere mit Vollkornzeugs drin, bäh) noch über 8 g Kohlenhydrate verfügen. Aus der Milch, zweifelsohne.

Mein Hirn kann (immer!) bis zur magischen 1-BE-Grenze von 12 g Kohlenhydraten rechnen, und ermittelt demzufolge, dass dieser Becher immerhin 1 BE hat.

Nun ja.

Theoretisch kann das reichen. Bei Blutzuckern unterhalb von 50 ist allerdings die Menge doch noch ziemlich gefährlich gering.

Die Erkenntnis nützt mir aber gar nichts, denn das war definitiv alles, was der Vorrat an Süßem noch hergab.


Also tu ich das, was ich immer mache, wenn ich nicht weiter weiß: Ich werf den Rechner an und beginne, gedanklich an einem Text herumzufummeln.


Der dann auch langsam Gestalt annimmt.


Ich beschließe, ihn „42“ zu nennen, als Hommage an Douglas Adams, und den Anhalter.

Nach den ersten zwei Zeilen erinnert mich das Messgerät (schwarz, mit schicken gelben Symbolen und Zeichen im Display- bin mal gespannt, ob sie irgendwann eine Schalke-Ausgabe haben) daran, dass man ja trotzdem noch mal den Wert gern hätte.


Stechen (aua), Gerät starten, die Trommel dreht sich, ein Messstreifen lugt aus dem Gehäuse.


Aus der Küche würgende Geräusche.


Den Zeigefinger quetschen, bis Blut kommt, kurz den Wert -42?- vorweg nehmen (Blutzuckerraten, ihr wisst schon- sinnvolle Übung, btw.).

Teststreifen mit Blutstropfen in Kontakt bringen.

Warten.

7:20 Uhr. Draußen sind 5 °, und es ist neblig.


Piep.


Piieeeep.


65.


Ha.



Eigentlich könnte ich jetzt wieder schlafen gehen. Aber jetzt will ich nicht mehr.


Erfreulichen Samstag, allerseits.




Lily




7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kein Zucker im Haus? Wie das? Keine Cola, kein Traubenzucker neben dem Bett? Plan A, Plan B, mach Dir'n Plan und kauf das Zeugs heute ein!

Meise hat gesagt…

Oh Mann, das ist aber ein fieser Start ins Wochenende. Ich hoffe, dir geht's jetzt viel viel besser! Und schaffst dir gleich ordentliche Notfallrationen für zukünftige ähnlich gelagerte Fälle an. Bittebitte!

Lily hat gesagt…

Der Witz war: Ich war so benebelt, dass ich an die Dauer-Vorräte in der Sporttasche überhaupt nicht mehr gedacht habe. Da sind immer sechs BE drin, für alle Fälle. Genau für solche Fälle, nämlich. Deshalb bringt auch Traubenzucker am Bett nur bedingt was. Ich muss mich dann auch dran erinnern, und die Vorräte im Zweifel auch noch finden können. Was auf meinem Nachttisch schwer fallen kann.
Aber das ist keine Entschuldigung für schlechte Notfallpläne.
(schlägt die Hacken zusammen)
Ich denk mir nen neuen aus, versprochen.

Lily

Anonym hat gesagt…

Dann nagel Dir eine Tüte Traubenzucker an die Wand über dem Nachttisch oder direkt in Griffweite über dem Bett, völlig egal, Hauptsache so nah und deutlich, dass Du die Notfallvorräte auch im völlig benebelten Zustand siehst und erreichen kannst.

Anonym hat gesagt…

Puh, das ist ja gerade noch mal gut gegangen, und wir durften es erfahren!
Mit den Sauerstoffmasken im Flugzeug ist das genial gelöst: wenn die meinen, daß man kurz vorm Ersticken ist, kommen sie ganz von selber von der Decke gepurzelt.
Ob sich sowas auch für Zucker machen läßt?
Da "Pumpe abschalten" "Brille suchen" impliziert (es lebe die Miniaturisierung): Brillenetui als Zuckerspender?
Ich fürchte, wenn die Antwort "42" lautet, reicht auch das nicht mehr :(

Lily hat gesagt…

Der heutige Tag (bisher) sowie der gestrige (in den Restbeständen seit dem Posting) haben noch ungeahnte Vorräte ergeben: Nicht nur die Sporttasche, sondern auch beide Bürohandtaschen enthielten Traubenzucker, und auf der ansonsten leeren Arbeitsfläche in der Küche stand eine große Tupper-Dose voller Zucker.
Das Problem sind wirklich nicht die Vorräte, sondern die sichere Überzeugung, keine zu haben, die mich in diese Art Schwierigkeiten bringt.
Aus dem Dilemma weiß ich zurzeit einfach keinen leichten Ausweg. Eine große, orangebedeckelte Dose zu übersehen ist schon was. Da fällt es doch vergleichsweise leicht, auch Stapel von Glucose auf dem Nachttisch nicht wahrzunehmen.
Bzw. so benebelt zu sein, nicht hinzuschauen. Ich weiß auch nicht, warum.
Grübel.

Lily

Anonym hat gesagt…

Was spricht dagegen, eine Flasche oder gar Kiste Cola neben das Bett zu stellen?
Oder einen Minikühlschrank (wie im Hotel) mit Vorräten von Cola, Kinderschokolade, whatever) als Nachttisch zu benutzen?

Kein Scherz jetzt, ungewöhnliche Umstände erfordern ungewöhnliche Maßnahmen.