Sonntag, 19. Juli 2009

Können

Neulich las ich bei Merlix, der die schöne Rubrik „Neu auf dem Nachttisch“ hat, etwas über Galsworthy.
Nun gehör ich noch zu den Leuten, die weiland vor gefühlten hundert Jahren die Forsyte-Saga im Fernsehen bewundert haben, komplett mit Soames und Winifred und Irene (Eirini :-) ), das war kurz vorm Haus am Eaton Place und knapp zu der Zeit der Waltons.
Also fernseherische Frühgeschichte.
Irgendwann in den letzten zwanzig Jahren hatte ich die Forsytes auf Deutsch gelesen, und fand, dass es jetzt Zeit ist, das mal in der Originalsprache zu tun. Schließlich hat der Mann nicht umsonst einen Literaturnobelpreis dafür bekommen. Richtig? Richtig.
Nun ja- trotzdem ich reichlich englischsprachige Lektüre habe, und eigentlich durch die Bank wenig Probleme damit, hat es mich eine Weile gekostet, mich da einzulesen. Ist schließlich schon so ca. 80 Jahre her, dass er das geschrieben hat, und auch die englische Sprache hat Veränderungen erfahren. Mal ganz abgesehen vom persönlichen Stil.
Inzwischen hat mich der Virus endgültig erwischt. Meine Güte, konnte der Mann schreiben.
Das schönste Stück Prosa, das ich je gelesen habe, nicht nur rein sprachlich, ist ein Einschub in die erste Trilogie (die Forsytes bestehen aus drei Trilogien, also insgesamt 9 Bücher), genannt „Interlude: Awakening“ (letztes Kapitel des dritten Teils des zweiten Buchs der ersten Trilogie...) . Es ist nicht mehr und nicht weniger als die Beschreibung eines Nachmittags im Leben eines kleinen Jungen, eines der insgesamt (also, bisher) vier Figuren in diesen Büchern, die Jolyon Forsyte heißen. Der Nachmittag, verbracht im Garten und in den Räumen eines Hauses auf dem Land, zeigt die Dinge, die der Junge so anstellt, enthält ein paar Rückblicke auf die Geschehnisse seit seiner Geburt – nie lang, nur in Stichworten und halben Sätzen- und steigt ein, als der kleine Junge oben auf der Treppe steht und überlegt, wie herum er das Treppengeländer herunterrutschen soll. Er wartet auf seine Eltern, die aus Irland zurück kommen sollen.
Die Eltern kommen wenig später nach Hause. Man isst gemeinsam zu Abend, und die Mutter bringt das Kind zu Bett. Als Jolyon nicht einschlafen kann, steht er noch einmal auf und hört seine Mutter durch das offene Fenster, wie sie im Salon Klavier spielt. Später, die Mutter schaut noch einmal nach ihm, trifft sie ihn wach an, und er darf die Nacht in ihrem Bett verbringen.
Es geschieht nicht viel auf diesen paar Seiten, aber es ist ungeheuer beeindruckend, wie Galsworthy die Gestalt des etwas einsamen kleinen Jungen zeigt, seinen Alltag und seine Freuden, die Mischung aus Einfallsreichtum und liebenswertem Dickkopf, die warmherzige Distanz, die sein Vater zu ihm hat und die Manifestation einer tiefen Liebe zu seiner Mutter.
Mit der farbigen Ansicht des Innenlebens des kleinen Jungen kriegt Galsworthy es gleichzeitig hin, eine weitere Zeitenwende in dieser langen Saga auf den Weg zu bringen, einen Generationswechsel und gleichzeitig die Vorstellung eines Protagonisten, der erst Jahre später in dieser Erwachsenengeschichte eine Rolle spielen wird.
Der kleine Junge taucht erst wieder auf, als er neunzehn ist, und sich in die Tochter des ersten Mannes seiner Mutter verliebt. Weiter bin ich noch nicht, aber ich glaube, dass er einer von denen sein wird, die die Geschichte weiter führen.

Dieses kurze Stück, sprachlich ein Genuss und sowohl von der Konstruktion in sich als auch in Bezug auf seine Stellung im Gesamtgeschehen so wunderbar präzise geschrieben, hat mir heute Nacht einen englischen Land-Traum beschert und dafür gesorgt, alle Versuche, selbst zu schreiben wegen Mangels an Talent in einer Schublade einer alten Kommode in einem abgeschlossenen Raum am Ende eines Flurs in einem Keller eines Hochhauses am Ende der Welt zu begraben.
Ihr solltet ihm dankbar sein, dem Herrn Galsworthy.
Ich bin ihm dankbar für dieses wunderschöne Stückchen Geschichte.


Lily

4 Kommentare:

Paula hat gesagt…

Die Beschäftigung mit der schönen Literatur muss ich leider mangels Zeit bis zm Ruhestand verschieben.

Zum "Können" fällt mir nur ein, dass man bestimmt jede Menge Müll geschrieben haben muss, um auch wunderbare Zeilen hervorzubringen.
Die Hauptsache für mich ist immer noch, dass der Schriftsteller wirklich etwas zu erzählen hat.

Go on writing, Babe!

Lily hat gesagt…

Oha- da muss man mal drüber nachdenken, wieviel man geschrieben haben muss, um die neun Bücher dieser Saga hinzukriegen... oder auch, wieviel Tolkien produziert haben muss, um die tausenden Seiten im Herrn der Ringe fertig zu haben.
Wahrscheinlich liegt das Geheimnis im Streichen :-)

Meise hat gesagt…

Na na. Es kann ja nicht jeder, der schreibt, gleich so gut sein, dass er einen Nobelpreis verdient hat. Oder?

Lily hat gesagt…

Das nicht- aber so wunderbar schreiben zu können ist schon was.
Hach.