Nach längerem Schweigen melde ich mich heute mal wieder zu Wort- hier vergeht die Zeit wie im sprichwörtlichen Flug, und kaum ist der Montag vorbei, ist schon wieder Wochenende. Das liegt zum großen Teil an den vollen Wochenplänen, die uns gut beschäftigt halten. Montag und Freitag sind nett, da ist der Plan nicht ganz so voll, aber von Dienstag bis Donnerstag gilt „Früh anfangen, spät aufhören“, und wir haben von 7.45 bis 17.40 volles Programm, unterbrochen von einer Stunde Mittagspause. An den Abenden sitzt man hier gern draußen auf der Liegewiese, oder auf der Terrasse des Ergotherapie-Raums und redet, malt, bildhauert oder heult, ganz nach Geschmack. Ich hab schon soviel an Bräune abgekriegt wie seit Jahren nicht mehr, und rede hier auch soviel wie ebenfalls seit Jahren nicht mehr. Zwei meiner Mitpatientinnen sind mir so ans Herz gewachsen, dass ich sie als Freundinnen bezeichne- das ist was seltenes bei mir, und sie teilen sich den Titel mit nur zwei anderen Menschen. Leider ist eine von ihnen am Samstag entlassen worden, und die andere geht an diesem Wochenende nach Hause. Dann muss ich sehen, was sich hier so ergeben wird. Aber eigentlich sind alle hier nette Leute, die Krankheit verbindet irgendwie schon, und das Feeling von Klassenfahrt hat mich bisher noch nicht verlassen. Daran ändert auch die Visite nichts, die hier montags morgens durchrauscht, samt Chefarzt , Bezugstherapeutin und Oberschwester.
Da die drei jetzt gerade mein Zimmer verlassen haben, kann ich weiter berichten…
Um viertel vor Frühstück, unbeeinflusst von Kaffee und den warmen Brötchen, geht in der Kreisstadt die Fahne hoch, die da sagt: Wandertag in der Klapse. Dann marschieren wir einmal um den gegenüberliegenden See, zum großen Horror der Kanadagänse und des Fischreihers, die ihre Ruhe mehr lieben als uns.
Bisher musste ich immer hinterherrennen, weil meine chronisch gereizten Achillessehnen es einfach nicht gestattet haben, schnell zu laufen. Seit Freitag ist das anders: Da hat die Feldenkrais-Therapeutin mir mitgeteilt, dass sie meine Füße darüber informiert, dass sie auch anders laufen können. Und seither ist das Laufen so viel weniger schmerzhaft, dass ich heut morgen vor der Truppe hergerannt bin wie ein junges Reh. Ehrlich gesagt war ich so stolz, dass mir der Kaffee besonders gut geschmeckt hat. Für heute erwartet mich, nach der soeben absolvierten Visite, noch Psychotherapie-Gruppe, das Mittagessen (irgendwelche mit Bärlauch gefüllten Pasta-Hohlkörper), anschließend Entspannungsübungen, rezeptive Musiktherapie und zum Abschluss Wassergymnastik.
Irgendwann in dieser Woche habe ich eine traumatherapeutische Einzelsitzung probehalber, damit herausgefunden werden kann, ob ich stabil genug bin für eine längere Arbeit auf diesem Sektor- im Gegensatz zu einigen Mitpatienten, denen die Fakten ihres Lebens präsent sind, aber nicht die passenden Gefühle, sind bei mir ein Haufen mächtiger und negativer Gefühle vorhanden, aber keine diesen zugrunde liegenden Erlebnisse.
Morgen und Mittwoch sind die Highlights der Woche terminiert, nämlich Kunsttherapie (6 Einheiten je Woche, extrem anstrengend und fruchtbar), und nicht rezeptive Musiktherapie, bei der mich immer wieder wundert, dass eine Gruppe von Menschen auch ohne Instrumentenkenntnisse erstaunlich schöne Musik zusammen machen kann. Tanztherapie, Bewegungstherapie, Ergo und Einzelgespräche runden dann den Wocheninhalt ab. Ich hab inzwischen einige Bilder gemalt, auf die ich wirklich stolz bin, und zwei teure Specksteine auf ihre jeweilige Hälfte reduziert. Auf jeden Fall werde ich weiter malen, wenn ich zu Hause bin- das kann aber noch dauern… meine Therapeutin schätzt, dass ich Mitte bis Ende August wieder ausgewildert werden kann.
Wir werden sehen- und ich wünsche euch bis dahin, dass ihr auf euch aufpasst und einen schönen Sommertag genießen könnt- vielleicht auch zwei oder drei.
Bis bald,
sagt die Lily.