Dienstag, 29. März 2016

Vielen lieben Dank...

für eure verständnisvollen und hilfreichen Kommentare zum letzten Beitrag. Im Moment ist das wirklich ein Thema, was mich massiv beschäftigt, allein schon, weil ich soviel Zeit mit meinen Eltern verbringe. Oft reicht es abends wirklich nur dazu, mit der Couch zu verwachsen und den Feierabend einzuläuten. Manchmal geht es mir so auf den Geist, dass ich einfach nur noch abhauen möchte. Dann wiederum ist es eine Herausforderung, die mir auch Spaß macht. Einen Teil von dem, was jetzt so zu regeln ist, hab ich auch mal gelernt, und weiß, dass ich das gut beherrsche. Leider bin ich da besonders intolerant, wenn mir Menschen nicht zuhören oder in komplett überflüssige Panik verfallen, nur weil ein Bescheid eintrudelt. Ganz vorbei ist meine Geduld, wenn Leute diesen Bescheid nicht lesen, sondern in Windeseile in alle Blätter zerlegt in der Wohnung verstreuen, um anschließend durchblicken zu lassen, dass sie alles, aber auch alles persönlich nehmen, was drin steht. Und es gemein finden.
Waaaaaaaaaah. Wah!!!
Ein bisschen mehr Lesegeduld, ein bisschen weniger demonstriertes Unverständnis wären da hilfreich, finde ich. Ich finde auch, dass man durchaus mal wo anrufen und sich kritische/unverständliche/unlogische Teile eines Bescheides erklären lassen sollte. Soviel Zeit muss sein. Vor allem, bevor man in die Rechtsmittelschiene einschwenkt. Ich kann auch beim Ersteller anrufen und mehr oder minder zart andeuten, dass sein Text komplett unverständlich ist, wichtige Teile  fehlen oder von falschen Voraussetzungen ausgegangen wurde. Niemand, auch nicht der öffentliche Dienst, ist scharf auf Widersprüche oder Klagen. Das dauert alles, macht die Bilanz kaputt und kostet überflüssigerweise auch noch Geld.

Und warum sollte man sich da echauffieren? Bringt außer Ärger nix.
So.
Und jetzt geh ich zu meinen Eltern und versuch, meiner Mutter das beizubringen.
Wünscht mir Glück :-)


DieLily

Samstag, 12. März 2016

Vergessen. Vorbei.

Wie einige von euch vielleicht wissen, leidet mein Vater an einer Demenzerkrankung. Oder vielleicht kann man besser sagen (ohne bösartig sein zu wollen): Er hat sie, und meist leiden wir darunter.
Demenz, egal, wie sie mit Vornamen heißt, ob Alzheimer oder Lewy-Körperchen-Krankheit, is a bitch, meine Lieben. Wir wissen seit beinahe 10 Jahren davon, und man sollte meinen, dass das eine gute Vorbereitung bedeutet, auf das was da kommt.
Leider ist es aber so, dass jede Zwischenstufe einen dazu bringt, sie für das zu halten, was maximal passieren kann. Meist ist sie jedoch nur ein Moment, in dem Selbsttäuschung zuschlägt und einen in falscher Sicherheit wiegt. Manchmal gibt es Meilensteine. Bei Kindern ist das der Tag, an dem das erste "Mama" zu hören ist. Bei Demenzpatienten der letzte Tag, an dem man ihn oder sie alleinlassen konnte, um einzukaufen.
Demenz ist ein Verlust der Freiheit, für den Patienten und vor allem für die Angehörigen. Ein ultimativer Freiheitsverlust, ein Eintritt in ein Gefängnis, das seine Insassen nicht mehr freigibt, außer in den Tod. Primäre Gefangene in diesem Knast ist meine Mutter, die sich um meinen Vater kümmert. Wir als ihre Kinder haben unsere Arbeit, unsere Abende, die Wochenenden- wir können gehen. Ich sehe unsere Arbeit als Freiheit an- denn die hat ein Ende, täglich. Wenn meine Mutter abends ins Bett geht, weiß sie nicht, was sie erwartet, denn mein Vater schläft nicht mehr durch. Er steht dann aber nicht auf, um den Fernseher einzuschalten oder mit einem Buch im Sessel zu hocken oder auch nur irgendwo zu sitzen  und nachzudenken. Er schaltet das Licht ein, und begehrt Auskunft darüber, wer neben ihm liegt, warum seine Frau noch schläft, obwohl er schon wach ist (das bedeutet nämlich Aufstehzeit). Oder er benötigt Hilfe, welcher Art auch immer.
Morgens dann kommt er nicht aus dem Bett. Der Kreislauf macht nicht mit, manchmal will er auch einfach nicht. Das ist fatal, denn fast einsneunzig schlappe Menschlichkeit kriegt meine Mutter nicht manövriert, sie ist nur 1,62 m groß und nicht die Kräftigste. Dann wird motiviert und geredet, bis er dann doch aufsteht. Beim Duschen und Anziehen braucht er Unterstützung, die Treppe hinunter geht es nicht mehr flott und die Treppe ist schmal- keine gute Ausgangsposition um jemanden beim Runtergehen abzusichern. Neben der Demenz ist die körperliche Einschränkung durch Parkinsonismus (klitzekleine Schrittchen, schlurfend und zunehmend unsicher) und die kreislaufbedingte Neigung zu Schwindel eine große Bürde. In der Wohnung gehen klappt nur noch mit Stock. Im letzten Jahr hat er den noch ständig irgendwo stehen lassen- das Stocksuchen ist aber seit ein paar Wochen Vergangenheit, denn jetzt geht kein einziger Schritt mehr ohne. Außerhalb des Hauses ist Bewegung fast nicht mehr möglich. Für den Rollator ist das Grundstück zu hindernisreich. Der Rollstuhl ist schlecht manövrierbar, weil er wegen der elektrischen Schiebehilfe tonnenschwer ist und die Treppenstufen nicht leicht zu überwinden sind.
Den Rollstuhl mag er auch nicht. Damit sieht jeder, der ihn trifft, dass er nicht mehr kann. Das ist ihm so unangenehm, dass er in einer Tour meckert. Aber andererseits kann meine Mutter das Teil auch trotz Schiebehilfe nicht oder kaum bewegen. Ich hab es selbst schon getan, und fand es höchst anstrengend, weil die Geschwindigkeit unrealistisch mühsam zu dosieren ist, und die zwei kurzen Griffe das schwere Ding mit einem schweren Insassen nur sehr eingeschränkt lenken können. Die Bürgersteige in der kleinen Straße, an der sie wohnen, sind stark zur Straße hin abfallend. Das gesamte Teil muss über Kraftanstrengung in den Handgelenken geradeaus gesteuert werden. Geht nicht mit Handgelenken, die sind dafür nicht gebaut. Also steht das Ding herum, setzt Staub an und ist ein ständiger Vorwurf, dass man den armen Kerl nicht öfter mal ausfährt. Hätte er noch alle seine Sinne beisammen, könnte er den Rolli wohl selbst steuern, aber das hat er eben nicht.
Bis vor sechs Wochen sind meine Mutter und ich einmal in der Woche zum Einkaufen gefahren. Die üblichen Discounter, manchmal unser geheimes Suchtziel Baumarkt- zwei, drei Stunden waren immer ein bisschen Auszeit für sie und Gelegenheit, mit einem Erwachsenen zu reden, und nicht mit einem dreijährigen, hilflosen alten Mann. Das ist vorbei, seit er sich keine 10 Minuten mehr merken kann, wo sie ist. Sobald ihm auffällt, dass sie nicht da ist, fängt er an, sie zu suchen. Das ist zu gefährlich, weil er nicht mehr sicher läuft und sich oft nicht mehr zurecht findet, da, wo er gerade ist. Also bin ich in den letzten Wochen allein einkaufen gefahren. Was für meine Mutter bedeutet hat, dass sie teilweise 14 Tage lang das Haus nicht mehr verlassen hat- außer, um die Mülltonnen nach vorn zu schieben.
Das ist kein Leben mehr. Für meine Mutter, meine ich.
Leider ist aber das ständige Habt-Acht-Gefühl, dass man wohl entwickelt, für ihre eigene Intelligenz nicht gut. Sie kann und darf sich auf nichts konzentrieren, was nicht mit ihm zu tun hat, das merkt er nämlich und wird dann schnell böse. Manchmal auch bösartig, denn bei aller Demenz hat er sich eine gewisse Schläue bewahrt, die erschreckend zuschlägt, wenn man es nicht erwartet.
Mutter verliert daher oft den Faden und erzählt die Dinge in Schleifen- vermutlich auch, weil sie das so gewohnt ist. Immer wieder jemandem das gleiche vorzubeten, verdirbt den Stil.
Gleichzeitig aber ist jemand, der so untergetaucht ist in diesem demenziellen Elend, der fortschreitende Abbau überhaupt nicht mehr klar. Welche Dinge jetzt seit neuestem nicht mehr funktionieren, wird nicht mehr reflektiert. Die Hilflosigkeit und die 24/7 nötige Konzentration treiben Raubbau mit der Gesundheit.
Unseren Vater haben wir verloren. Unsere Mutter (noch) nicht. Die beiden wollen da leben, wo sie sind, wo sie seit fünfzig Jahren leben. Das sollen sie auch. Davon hängt so viel für sie beide ab, dass niemand es wagen sollte, das zu ändern.
Andererseits geht es so nicht weiter.
Anfang letzten Jahres habe ich das erste Mal eine Tagesstätte für Demenzerkrankte besucht, um zu schauen, ob das eine Lösung wäre. Damals war das ziemlich schrecklich, denn die Patienten dort waren um einiges schlechter drauf als mein Vater zu diesem Zeitpunkt.
Das neue Jahr hat eine Wiederauflage desselben Besuchs (andere Einrichtung jedoch) gebracht.
Natürlich wollte er nicht dahin. Für ihn war das gleichbedeutend mit einer Abschiebung in ein Heim, und das, wo Mutter ihm doch versprochen hatte, dass sie beide zusammen bleiben (das hat er sich natürlich merken können...) Dass es nur einmal die Woche ist, macht es gleichzeitig besser und schlimmer. Besser, weil er natürlich sechs Tage in der Woche zu Hause bleibt, schlimmer, weil es jedesmal neu ist. Herzzerreißend der Moment,  als er mich gefragt hat, ob ich nicht bei ihnen wohnen möchte, damit Mutter es einfacher hat und er nicht weg muss. Ich kam mir vor wie ein Arsch, ihm das zu verweigern. Aber das geht nicht, unter anderem, weil ich es nicht will.

Gestern war er zum zweiten Mal dort. Den Schnuppertag zu Beginn hat er mit Mutters Hilfe gut überstanden, in der Woche darauf hat er (o-Ton...) keinen Bock gehabt. Diesmal musste es sein, und ich hätte auch den Argumentationsverstärker gespielt, aber Mutter war entschieden genug. Auch, weil ihre eigene Gesundheit es erfordert hätte, ihn den halben Tag allein zu lassen. Ihn irgendwo hin mitzunehmen hat wenig Sinn, vor allem, weil er soviel Aufmerksamkeit braucht. Und sich so langsam bewegt, dass man nicht rechtzeitig von A nach B kommt.
Er war überraschend sortiert, als er wieder zu Hause war. Aber erschöpft bis zum geht-nicht-mehr.
Vor einem Jahr konnte er noch auf die Leiter klettern, um Mutters komplett unschuldige Magnolie mittels Säge zu verunstalten, sobald seine Frau aus dem Haus war. Jetzt weiß er nicht mehr, wo die Leiter steht, zum Glück.
Der Antrag auf Ausweitung der Pflegestufe ist gestellt. Natürlich war er beim Besuch des MDK fit wie ein Ölkännchen, charmant und flott auf den Beinen (ich hätte ihm die Hölle heiß machen können). Aber das liegt daran, dass Besuch von Fremden bei ihm, vielleicht durch Adrenalin, immer ein Programm startet, was den Anschein von Gesundheit hat. Er kann dann sogar passende Begrüßungssätze äußern, und dem Gespräch folgen. Zum Glück hält das nicht lange an, sondern erschöpft sich schnell. Wenn der Antrag durchgeht, können wir die Betreuungstage auf zwei in der Woche ausweiten. Meine Mutter ist so fertig, dass sie nicht mal was unternehmen will, wenn er nicht da ist, sondern einfach nur da sitzen und sich ausruhen.

Alt werden? Nix für Feiglinge.





Mittwoch, 9. März 2016

Vermutung: Bestätigt.

Hatte ich am Sonntag noch den Eindruck, unsichtbar zu sein, und klärte sich dieser auch wieder, so weiß ich seit heute, dass ich das tatsächlich bin.
Erst hat mir jemand die Vorfahrt genommen und anschließend mit keinem Wimpernzucken zu erkennen gegeben, dass er/sie das überhaupt bemerkt hat.
Dann wollte ich tanken. Der Mensch, der zum Auto gehörte, das an der Zapfsäule vor mir schon fertig betankt auf den Fahrer wartete, stieg ein. Dann sah man ihn kramen. Dann holte er etwas aus dem Handschuhfach, und fuhr immer noch nicht los. Irgendwann bin ich ausgestiegen hab an die Scheibe geklopft... der Mensch saß da, und machte seine Spritverbrauchsbuchhaltung. Ohne auch nur ein Bewusstsein dafür, dass er eine ganze Reihe Zapfsäulen blockierte. Dem wütenden Gesichtsausdruck nach waren ihm die Scheinwerfer der Autos, die hinter ihm standen, schlicht entgangen. Oder doch alle unsichtbar?
Heute mittag in der Bäckerei stand vor mir in der Schlange eine ältere Dame. Die kaufte den halben Laden, dann lieber doch die andere Hälfte, dann aber in Scheiben, aber nicht so dicke, bitte. Es dauerte.
Schließlich war sie fertig. Die Verkäuferin kassierte, die Dame verließ den Laden, ich machte gerade den Mund auf, da kam sie wieder rein. Und redete einfach weiter auf die Verkäuferin ein, weil sie jetzt doch noch lieber wieder etwas anderes brauchte. Oder etwas zusätzlich, wer weiß das schon. Die Verkäuferin,  die sich soeben dem Rest der Schlange hatte zuwenden wollen, stieg sofort auf das neu beginnende Geplapper der Frau ein- und ignorierte einfach alle anderen, die da ja jetzt schon länger standen.
Da bin ich dann gegangen. Was auch keiner bemerkt hat, fürchte ich.

Montag, 7. März 2016

Vorurteile.

Wie ist es doch befriedigend, das ein oder andere Vorurteil bestätigt zu sehen... wie sehr, konnte ich gestern mal wieder feststellen.
Und das kam so:

Sonntag soll ab sofort (also ab vor 14 Tagen) bei mir Wellnesstag sein, zwecks dieses Behufs begab ich mich ergo gestern erneut in den örtlichen Wohlfühltempel (Sauna und so). Diesmal war ich schon um acht Uhr da, denn um 10 kriegte man in der Vorwoche schon keinen Parkplatz mehr. Um acht Uhr, oder nur Minuten später, bekam ich keinen Platz mehr in der Kassenschlange- oder doch nur einen, der seeeehr nah an der Eingangstür war.
Vor mir: Rentner.
Man darf ja am Wochenende nicht aus der Übung kommen, mit dem Frühaufstehen, das ist mir klar, also hab ich Verständnis. Die Tendenz der Pensionisten, sich vorzudrängeln als wäre ich unsichtbar, hat jedoch etwas weniger Verständnis ausgelöst. Aber ich hab aufblasbare Schultern, kann mich groß und sehr sichtbar machen, wenn ich das will, und der Durchschnittspensionist prügelt sich offenbar doch nicht gern in Schwimmbädern.Ich kam also rein, und abgesehen davon, dass mir da wer seinen Zigarrenatem ins Genick blies, blieb ich auch unbehelligt.
Aus meiner Jugend kenn ich noch ein paar Tricks, um möglichst schnell am Beckenrand aufzutauchen. Dazu zählt, zu Hause schon mal den Badeanzug anzuziehen, Joggingzeugs drüber, und los... dann das Joggingzeug in Rekordzeit in den Spind werfen, und schon steht man, sozusagen, an der Saunatür. Das Rennen gewinne ich, Herrschaften.
So auch gestern. Die Sauna war noch gar nicht richtig warm, da lag ich auch schon auf den Brettern.
Nur Sekunden später öffnete sich die Tür und eine ziemlich laute Dame sprach zur anderen:
Tja, Anneliese. Hätteste mal dein' Namen auf die Bank geschrieben.
Und lachte meckernd.
Vor dreißig Jahren wäre sie für den Spruch noch aus der Sauna geflogen. Nicht wegen des Inhaltes, aber wegen der Lautstärke. Gehörte doch zum damaligen Strafgesetzbuch auch ein Paragraf, der da lautete: Du sollst in der Sauna nicht brüllen.
Mit Trompetenschall ging die Unterhaltung weiter.
Man muss sich das so vorstellen: Ich mit meinen knapp einsachtzig nahm ungefähr ein Drittel der unteren Bank ein. Es blieben also noch gute drei Meter Raum, um sich auszubreiten, und dann noch Platz, damit andere noch einen Aufstieg auf die oberen Bänke wagen konnten. Was mein Verständnis für Gewohnheitsplätze und Erbbaurechte an öffentlichen Saunabänken betrifft, so ist das eher im Minusbereich.
So auch gestern.
Und da werd ich hartnäckig, und schwerhörig, und bleibe, wo ich bin.
Anneliese setzte sich dann, schnaubend (eher wegen des Blutdrucks, schätze ich), und hub an, zu warten, bis das Jungvolk (also die ich) IHREN Platz räumte.
Womit ich mir zwanzig Minuten Zeit ließ. Dann bin ich, mit einer Verneigung zu Anneliese, und unter Schnappung meines Liegetuchs, aus der Sauna gerauscht. Und konnte noch beobachten, wie die tutende und prustende Anneliese IHREN Platz wieder einnahm. Womit die Gerechtigkeit in der Welt wieder hergestellt war.
Die folgende Zeit brachte ich auf einer Liege zu, unterbrochen von Saunagängen, Abkühlung und so nem Kram, bis ich dann auf die Idee kam, das beigefügte Solebad zwecks Schwimmens (kann man da nicht wirklich. Weil das Wasser zu warm ist... unter anderem.) aufzusuchen.
Dort fand sich dann eine Wiederholung des Sauna-Gewohnheitsrechts. Diesmal mit Sprudeldüse.
Davon gibt es so einige, und auch noch mit Varianten. In Fuß-, Knie-, und Arschhöhe sprudelt es aus der Wand, aus dem Boden, und es gibt auch noch eine Art Unterwasser-Liegen mit Sprudeldüsen.
Auf allen Liegen, vor allen Düsen, unter allen Schwallbrausen: Rentner. Grimmigen Gesichts klammern sie sich an den Beckenrand, liegen wie tot auf den sprudelnden Kacheln, tun so, als seien sie gar nicht da.
Über das Schild am Rand "Bei Erklingen des Gongs bitte Düsenplatz räumen!" hab ich mich amüsiert, bis, ja bis zum ersten Mal der Gong ertönte.  Und...nichts geschah. Die Gesichtsausdrücke (oder eher, DEN Gesichtsausdruck) beibehaltend, behielten sämtliche Leute am Beckenrand, auf Sprudelbetten und unter Schwallbrausen auch ihren Platz bei. Absolut. Aus lauter Spaß an der Provokation hab ich mich in Aggressionsentfernung vor einem besonders hochdruckig aussehenden Mann aufgebaut, der ob seines prolongierten Aufenthalts im sehr warmen Solebad schon recht violett angelaufen war. Hinter mir zog ein älterer Herr, der den toten Mann machte (also auf dem Wasser liegend einfach nur daher dümpelte) seine Kreise. Ab und zu trieb ihn die Wasserbewegung auf einen anderen Badegast zu, der meist Platz machte- man konnte nämlich nicht wirklich erkennen, ob er den toten Mann nur spielte.
Grillen zirpten.
Am Horizont ging irgendwo eine Sonne auf, oder unter.
Der Gong ertönte. Ich setzte ein hoffnungsvolles Gesicht auf, und schaute dem Beckenrandler tief in die Augen... die der dann schloss.
Einfach so.
Den toten Mann zu spielen scheint ein Überlebenstrick zu sein, in der harten, kalten Wirklichkeit westdeutscher Wellnessbäder.

Ich suche jetzt eine andere Tageszeit, zu der man dort vielleicht schwimmen kann, ohne an tote Männer, Sprudeldüsenpiraten oder Saunaplankengewohnheitsrechtler zu geraten.





Dienstag, 1. März 2016

Viel zu lang.



Inspiriert hat mich Nicola. Die vom Lied der Dicken Dame. Und zwar dazu, mich mit dem Thema Diät und Dick und so noch mal gründlich auseinanderzusetzen.So richtig gründlich ist das hier jetzt nicht, eher eine argumentative Reise... 


Nach herkömmlichen Maßstäben klinischen Zahlen ergibt mein Gewicht auf der Waage nur ein Ergebnis: Übergewicht. Nix dran zu deuteln, Herrschaften.
Nach meinem persönlichen Empfinden bin ich inzwischen halbwegs normalfigurig. Das mach ich daran fest, dass ich in Standard-Läden Standard-Sachen kaufen kann. Ihr, die ihr nie über Größe 46 hinausgekommen seid, macht euch keine Vorstellungen, wie ätzend, mühsam, deprimierend und teuer es ist, etwas zum Anziehen zu finden, das nicht nur zu schließen ist, sondern sitzt. Das nicht nur den Erfordernissen des Wetters Rechnung trägt (und, vor allem im Sommer, oft nicht mal dem), sondern ein bisschen schön aussieht. Das dem Anlass entspricht (Büro, Freizeit, Feste). Mit dem man sich nicht mit Mitte Dreißig schon fühlt wie auf dem Weg ins Altenheim.

Es gibt für ein und dieselbe Figur so viel verschiedene Beurteilungskriterien… Da ist das Gewicht in Kilos. Das sagt erst mal gar nix, das ist nur eine Zahl. Das ist so wenig aussagekräftig, dass es sogar einige Methoden und Formeln gibt, um diese Zahl zu bewerten. Broca, zum Beispiel. Dann den BMI, in seinen Varianten. Da gibt es noch mehr, aber die könnt ihr selbst googeln, Dass auch diese Methoden und Formeln eigentlich nicht allgemeingültig sind, weil z. B. eine sehr aktive Sportlerin, bedingt durch die Schwere der Muskelmassen, einen ziemlich hohen BMI haben kann, aber keinesfalls dick ist, ist inzwischen bekannt.
Hat man die Kilogramm hinter sich gelassen, kommt noch mehr Subjektivität ins Spiel, nämlich Ästhetik. Da wahre Schönheit ohnehin im Auge des Betrachters liegt (was vor mir schon diverse Leute gesagt haben) ist ab hier der Markt für Bewertungen eröffnet. Ästhetik ist ganz klar eine Zeiterscheinung. Ihr wisst das alle, schätze ich :-)
Von den Bildern, mit denen wir bombardiert werden, und die uns laufend präsentiert werden, kann ich selbst mich nur schwer lösen. Spontane Reaktionen passieren mir manchmal. Die sind dann oft weder für mich noch für die Person schmeichelhaft, die da gerade zufällig unterwegs ist. Übergewicht ist da nicht das, was Reaktionen auslöst. Meist ist es Kleidung, die mich  zu der Frage führt (die ich im Übrigen für mich behalte…), ob die Person keinen Spiegel hat.
Das ist böse. Ich weiß nämlich, dass selbst ein Spiegel niemals der Betrachterin das zeigt, was vor ihm steht. Anders formuliert: Selbstwahrnehmung is a bitch, Herrschaften. Und sie geht nach. Was man an Fotos merkt, die einem plötzlich in die Hand fallen. Da ist ein Schnappschuss, den man damals, nach der Party, wo man das super schöne rote Kleid getragen hat, ganz toll fand. Zwei Jahre später sieht man dann, dass es viel zu groß war (das Kleid). Oder zipfelig. Oder nicht saß. Oder dass die Brüste (für dieses Kleid) knapp unterm Kinn hätten montiert sein müssen.  Genau so kann es sein, dass man sich für megadick hielt. Nur um Jahre später festzustellen, dass man das gar nicht war. Umgekehrt natürlich auch.
Das entschuldigt nicht solche absoluten Faux-Pas wie ihn die Frau gelandet hat, die vor ein paar Jahren mal durch die Fußgängerzone lief, im Ultra-Mini. Ohne was drunter, was die gesamte Innenstadt sehen konnte, als sie sich bückte. Ja, sie ging nicht in die Knie. Und es war komplett egal, dass sie dünn war.

Aber zum Thema: Was sind (zu) viele oder (zu) wenige Kilos? Wer bestimmt, wo das „zu“ anfängt, und das „noch“ aufhört? Und die einzig akzeptable Antwort ist: Nur die Person selbst kann und darf sagen, dass es ihr zu viel oder zu wenig ist. Wessen Ästhetik sich dran stört, der soll als erster  wegschauen. Welche Gründe die Person hat, um an irgendeinem Punkt die Überschreitung der „zu-Grenze“ festzustellen, ist auch ihre Sache. Niemandem steht ein Urteil zu. Und auch jeder, der vor gesundheitlichen Schäden warnt, sollte nicht glauben, dass er heutzutage irgendwem was Neues erzählt. Er oder sie kann sich also genau so gut den Atem sparen.  Das ist auch meist nur ein Versuch, Kontrolle auszuüben.

Was den Moment des Überschreitens der Zu-Grenze betrifft: Ich habe im vergangenen Jahr diesen Moment gehabt. Und der hatte nix mit Ästhetik zu tun, sondern einfach nur damit, dass ich Schmerzen beim Gehen hatte. Und nicht mehr von der Couch hochkam. Jedenfalls nicht mit Schwung. Und dass ich mich gefragt habe, ob das Leben so weiter gehen sollte – und wie lang es wohl noch dauert, das Leben, mit den konzertierten Wirkungen von Älterwerden und Übergewichthaben in der meinigen Ausprägung. Dazu kommen meine gesundheitlichen Einschränkungen durch den Diabetes und die Essstörung. Letztere verbietet mir eine Diät sowieso, und der Diabetes macht, dass ich mich nur schwer daran halten kann. Der ist nämlich das, was man brittle nennt, also schwer einstellbar. Mit Diät nicht zu beeindrucken. 

Davon mal abgesehen kotzt mich dieser Figur-Faschismus so an… Ästhetik ist eine Sache, Gesundheit eine andere. Beide Haltungen sind m. E. zweifelhaft.
Die dritte Haltung ist besonders verwerflich: Menschen pauschal für dumm oder faul oder eine Mischung aus beidem zu erklären, nur weil sie nicht dem eigenen Bild von Schönheit oder Attraktivität entsprechen, ist faschistoid. Der Irrsinn dieser Haltung kann einfach betrachtet werden, wenn man sich eine x-beliebige Zeitschriftenauslage in diesem unserem Lande anschaut. Yellow-Press, Autozeitschriften, Computerjournale, Dekopostillen. Und in Greifhöhe eine Mischung von „Frauenzeitschriften“, die eins gemeinsam haben: Abwechselnd schick gestylte Fressblättchen oder ebenso bunt bebilderte Diätwerbung-cum-überflüssige-Tipps. Samt amtlich genehmigter Rezepte für kalorien- und genussfreie Knechtschaft für immer. Den wahnwitzig unterernährten Vorbildern, die man in vielen dieser Publikationen sieht, kann man nur nacheifern, wenn man den Rest seines Lebens auf jede Kalorie verzichtet, die nicht unbedingt zur Aufrechterhaltung basaler Lebensprozesse nötig ist.
Das hab ich nicht vor. Essen hat, und das nicht nur für Essgestörte wie mich, viele, viele Facetten und Funktionen. Die schlichte Ernährung ist nur eine davon. Genuss und Wohlbehagen, Trost und inneres Aufwärmen, sozialer Kontaktanlass, kulturelle Errungenschaft, alles das kommt zu kurz, wenn man Essen nur unter dem Kalorien-Aspekt sieht. Und ganz besonders kommt natürlich alles das zu kurz, was Essgestörte wie ich vom Essen erwarten. Ausgleich für Leere, Besänftigung von Zorn und Ausübung von Kontrolle, Protest, Widerstand gegen was auch immer. Jede merkwürdige Verhaltensweise hat ihren sehr realen Gewinn. Zumindest mal gehabt.
Ich für meine Person futtere auch immer noch gerne mal, weil es grade lecker ist, mehr, als ich brauchen würde, um satt zu sein. Ein bisschen hat mir das vergangene Jahr aber dabei geholfen, nicht nur Hunger und Appetit wahrzunehmen, sondern auch Zustände wie „keinen Hunger“ und „noch satt von gestern“. Es gibt also Tage, an denen ich nicht oder nicht viel essen muss, und inzwischen kann ich das bemerken und darauf dann ebenso Rücksicht nehmen wie auf meine Vorliebe für vollfetten Käse. Ein paar Tricks hab ich mir angewöhnt, die mir helfen, nicht wieder in Essräusche zu verfallen. Die haben nix mit Diät zu tun, sondern mit einer Balancierung von Input und Output.
Diese Balance für mich zu finden und zu behalten, das ist mein Ziel. Beim Erreichen des Ziels hilft es mir, den Output zu erhöhen durch die Bewegung, die ich inzwischen sehr zu schätzen weiß. Sport hat in meinem Leben keine große Rolle gespielt, meine beiden Eltern sind nicht sportlich unterwegs und es gab bei uns  nicht das, was man eine Sportkultur nennen könnte. Manche Dinge hab ich trotzdem gerne gemacht, Schwimmen zum Beispiel, oder Radfahren, und wenn es sich ergab, Tischtennis. Und ins Studio bin ich auch immer gern gegangen. Nur das Aufraffen… Oh je.
 Es hat mich aber dann doch gefreut, zu entdecken, dass mein innerer Schweinehund dressierbar ist. Und es hat mich gefreut, das Laufen zu entdecken. Die positiven Wirkungen von Bewegung wie mehr Ausgeglichenheit, ein höheres Energielevel, mehr Motivation für alle anderen Dinge im Leben, haben einen gewissen Mitnahmeeffekt, von dem ich bis dato nur gelesen hatte. Und geglaubt hab ich das sowieso nicht.
Ziemlich viel Hilfe hatte ich durch den Sport bei den sekundären und tertiären Gewinnen des Essens. Also bei deren Abwendung bzw. bei deren Ersatz. Nämlich zum Beispiel bei der Reduzierung meines Grundlevels an Aggressivität (Zorn und Trotz ist bei mir ein Standard-Auslöser für Binge-Eating-Attacken). Ausgetobt sein ist eine gute Basis für das Nicht-gleich-Ausflippen, und manchmal auch eine Gelegenheit, um sich aus allem heraus zu ziehen und mal eine Runde ungestört nachdenken zu können. Kontakt und solche Dinge bekommt man auch, wenn man mit einer Freundin um die Häuser rennt, nicht nur, wenn man sich einen schönen Abend mit einem leckeren Essen gönnt oder ausgeht. Der Sport hat also mein Verhaltensspektrum erweitert, was mir sehr gut gefällt. Kein anstatt, sondern ein sowohl-als auch.
Was ganz selten geworden ist, ist das Binge-Eating-Ergebnis des „Essens bis absolut nix mehr reingeht“. Das passiert nur noch, wenn ich rausgehe zum Essen und nicht darauf achte, ob ich satt bin oder nicht. Weil ich mich gerade ärgere, zum Beispiel. Der „angenehme“ Zustand des Suppenkomas ist nicht mehr so präsent und er gefällt mir auch nicht mehr. Wirklich gefallen hat er mir auch früher nicht. Aber er war das, was der angenehme Rausch für den Alk ist. Ist nix dran zu deuteln, und genauso ein Selbstbetrug.
Und spätestens hier kann natürlich jemand, der mit entsprechenden Urteilen um sich wirft, sich komplett bestätigt fühlen in allem, was er/sie so über Menschen mit Übergewicht denkt. Darf er oder sie auch gerne tun, da die Gedanken ja bekanntlich frei sind. Solange er oder sie aber nicht eigene entsprechende Erfahrungen gemacht hat, sollte er/sie schön den Ball flach und seine Gedanken für sich behalten. Ebenso bitte sehr seine/ihre Blicke. Über einige Menschen die ich kenne, die sich mit sehr viel Gewicht plagen, mache ich mir große Sorgen, weil ich sehen kann, dass sie Schmerzen haben und dass es ihnen nicht gut geht. Die gleichen Sorgen mache ich mir auch bei Menschen, die aus anderen Gründen leiden. Die versuche ich jedoch, ihnen nicht auf die Nase zu binden. Das wäre genau so unerträglich wie jemanden, der schwer krank ist, mit Stories über eigene Erlebnisse trösten zu wollen. Nicht hilfreich. Fragt jemand, wo die dreißig Kilo geblieben sind, geb ich gern Antwort.

Was ich nie mehr tun will: „Frauen“blättchen lesen. Die mit den Fress- und- Hunger- Tipps. Warum, oh Göttin, geht das nicht ohne? Wollen wir als Frauen heutzutage auf diese Themen beschränkt werden? Wollen wir uns wirklich für so dumm verkaufen lassen? Haben wir nix anderes, was uns wirklich als Gruppe bewegt und interessiert? Keine politischen, sozialen oder humanitären Themen? Interessiert uns Wissenschaft, Forschung, Technik nicht? Was ist mit unseren Töchtern, welche Werte sind uns für sie wichtig? Wollen wir uns von der Werbebranche auf zwei Gebiete fokussieren und zur Profitmaximierung zwischen den Extremen hin- und herschubsen lassen?
Nö.
Nicht wirklich. Wirklich nicht.