Samstag, 22. Dezember 2012

Bah, Bah, Black Sheep



Hier meldet sich wieder der Haussender mit einer kleinen Reportage aus dem Innenleben der Lily.
Lange nicht auf Sendung gewesen, wenn ich mich hier so umschaue...
Das letzte Posting ist einigen Leuten zu weit gegangen, entweder wegen der Musik (nun ja, de gustibus und so), anderen wegen der Erwähnung des potenziellen Ablebens, welches mir nun mal genau so bevorsteht wie allen- rein von der Wahrscheinlichkeit her betrachtet. Aber trotzdem: Es bleibt da stehen, und sei es nur, um zu demonstrieren, welchen musikalischen Einflüssen so eine Psyche standhalten kann, wenn sie muss.
Nun denn.
Wie ihr wisst, bin ich seit Anfang November (schon wieder) in einem neuen Berufsinhalt unterwegs, der mir viel Spaß macht.
Das hab ich auch schon über den letzten Ausflug in das Fachgebiet Geschäftsprozessgestaltung gesagt, und rein vom Arbeitsinhalt (dem theoretischen!) stimmte das auch. Was nicht so stimmte, waren die Erwartungen, die man so gegenseitig an sich stellte. Kurz und gut: Man hat die Lily nicht so sehr gemocht, und die Lily hat umgekehrt auch nicht gerade vor Liebe geseufzt, sondern sich ordentlich in Formalien verhaspelt. Es ist schon ein spezieller Verein da. Den dort vertretenen Ansprüchen hab ich nicht genügt, und je mehr ich das Gefühl hatte, dass man mir auf die Finger schaut, desto schlechter und unsicherer wurde ich. Die Tatsache, dass die Stelle dann eingespart wurde, hat mich schlussendlich nicht gerade mit tiefem Elend und Verzweiflung erfüllt.

Jetzt aber hab ich das Gefühl, zu Hause zu sein (was nicht daran liegt, dass dort auch ein 45 cm-Geschirrspüler steht, wie in meiner Küche) und natürlich erheblich darüber nachgedacht, warum das so ist.
Ein Grund ist sicherlich, dass mir die Arbeitsatmosphäre dort sehr behagt. Es wird viel getan, und dabei schiebt man mich nicht als „die Verwaltungsfrau“ beiseite (ist nicht selten in Fachreferaten und -Ämtern, die Spezialisten aus anderen als Verwaltungsberufen einsetzen), sondern ich kann mir eine inhaltliche Meinung bilden und die äußern, kann nachfragen und insgesamt ziemlich ganzheitlich dran gehen. Das kommt mir entgegen - ein nicht auszuräumender Kritikpunkt meines ehemaligen Vorgesetzten war der, dass ich mich zu tief reinhänge in die Inhalte der Stellen, die ich doch nur formal angehen sollte.
Zweites Wohlfühlkriterium ist, dass die ganze Aufgabe dort mich in frühere Zusammenhänge zurück holt, und zwar in die politischen Diskussionen und die Inhalte der frühen Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Es ist ein Nachhause-Kommen, und zwar zu den Demos und den Thesen meiner Jugendjahre, nach Bonn in den Hofgarten und zu den langsamen Gangarten unter den Transparenten.
Jawoll, Leute, die Lily ist hoffnungslos vieux-jeu, und daran wird sich nichts mehr ändern. Was mir fehlt(e), ist der Anspruch, mit dem ich erwachsen geworden bin: In meinem Rahmen für einen anständigen Umgang unter Mitmenschen zu sorgen, ohne Vorurteile und ohne Ausgrenzung. So, wie wir das damals alle als Utopie mit uns trugen. Irgendwie ist das verloren gegangen in den letzten zwanzig, dreißig Jahren...
Und dazu gehört noch mehr.
Schau ich mich in meiner Wohnung um, so sehe ich jetzt (wenn ich mal die Unordnung beiseite denke) nicht mehr nur alte Möbel Ikea-Regale voller Bücher und wilde Bilder an der Wand, sondern ich sehe meine Anfänge, zu denen ich stehen kann und in die ich das Vertrauen verloren hatte. In den letzten Jahren hab ich mich immer mies gefühlt, wenn ich mich umgeschaut habe, und zwar, weil ich mich immer unterschwellig genötigt gefühlt habe, ähnlich viel Tamtam um Deko und Mobiliar zu machen wie viele Menschen in meiner Umgebung. Im Gegensatz zu denen hab ich aber überhaupt keine Priorität auf diese Dinge legen wollen. Das allein schon hat für Unbehagen und ein Gefühl von Minderwertigkeit gesorgt. Ich bin halt nicht nur altmodisch, sondern auch noch merkwürdig.
Man mag jetzt ruhig annehmen, dass ich beschlossen habe, alt zu sein und mich nicht mehr zu ändern. Das kann jeder beurteilen, wie er mag. Ich nutze meine Medien des 21. Jahrhunderts auch weiterhin, und werde nicht zu miesem Recycling-Papier und türkiser Tinte wechseln, sondern weiterhin Mails schreiben. Darum geht’s mir nicht. Aber:
Meiner Meinung nach fehlt eine gute, solide Achtzigerjahre-Moral in dieser unserer Gesellschaft, es fehlt die Wahrnehmung der Person neben uns als Mensch, es gibt zu viel Urteil, zu viel Verachtung, zu viel Schubladen-Denken über Andere. Es gibt entschieden zu wenig Rotwein und schlechte Spaghetti-Gerichte in verrauchten Kneipen, und zu wenig Menschen dort, die das nicht stört, weil sie so in ihre Gespräche vertieft sind. Ich möchte mich mal wieder mit einem Oberstudienrat beim Wühltisch in Ikeas Resterampe um das letzte runtergesetzte Ivar-Regal prügeln und es zu Hause dann bunt anmalen, bevor ich es aufstelle.
Und ich möchte nie wieder an mir zweifeln, weil mir Jacobsmuscheln an pochiertem Seeigel einfach komplett wurscht sind, weil ich nie wirklich Wert auf teuren Zwirn gelegt habe und weil es mir immer noch leichter fällt, Freundschaften mit Putzfrauen zu schließen als Smalltalk mit Anzugträgern zu haben.

In diesem Sinne:
Frohe Weihnachten, zusammen. 

Lily.







Samstag, 15. Dezember 2012