Montag, 29. September 2008

Butterzeit

Krawullke schraubte seine Thermoskanne auf und goss Kaffee in den Becher. Dann wickelte er das letzte Brot aus dem Papier.
„Hier, Junge, willste auch mal?“ bot er dem Neuen an.
Der winkte mit seiner Schwarzbrotstulle ab.
„Nee danke, hab selber.“
„Musste mal probieren, hat meine Alte selbs' gekocht, die Mettwurst, is' echt lecker!“ Krawullke hielt ihm die Scheibe unter die Nase.

Die Alte brauchte neue Kunden.
Am Ende vom Geld war immer noch reichlich Monat übrig. Die Blagen fraßen ihnen die Haare vom Kopf. Alle gingen sie zur Schule und sollten mal was lernen, meinte Anni, nicht so wie sie beide, die bloß Volksschule hatten. Und solang sie ihre Jolanthe halten und zweimal im Jahr in der Waschküche Wurst machen konnten, kam man auch halbwegs über die Runden.

Für ihn fiel jedes Mal ein gutes Stück Schinken ab. Das hängte er in den Rauch, hinten bei der Laube.
„Für die Skatrunde,“ sagte die Alte immer. „Und daste orntlich Werbung machs!“


Jedes Schwein hieß Jolanthe, wie seine Schwiegermutter. Die hatte die gleiche Frisur: Dünne graublonde Fusseln, über rosa Kopfhaut gebürstet. Und auch die gleichen Äuglein. Schweinsäuglein, blassblau. Bloß, dass das Schwein meist freundlicher war.


Der Neue griff zu und biss ein ordentliches Stück ab. Krawullke sah es mit ein bisschen Wehmut.

„Mensch, Klasse!“ schmatzte sein Gast. „Deine Alte, die kann was. Verkauft ihr auch? Habt ihr Leberwurst?“
„Klar. Auch Speck, wenne willz! Komm doch nachher mit zu uns, da kannz' gleich was mitnehm. Kriegst 'n Korn, dann rutschtet besser! Wie heißte eigentlich?“
„Udo Wängler. Klar komm' ich mit. Mein Vatter wird sich freu'n, der isst sowat gern.“
Krawullke zerknüllte sein Butterbrotpapier und hieb Udo die Pranke auf die Schulter.
„Dann sieh ma zu, Jung. Wir treffen uns am Tor, wenn du fertich bist. Glück auf!“ Er nahm die reparierte Hacke und machte sich auf den Weg zurück.
Gut, wenn neue Kunden kamen. Ging doch nix über große, kräftige Jungs, die gut zulangten. Die Alte würde froh sein.
Er kletterte auf das Podest und sprang aufs Band. Auch mit Knieschonern konnte man sich hübsch verletzen, wenn man auf den dicken Brocken landete, oder vor den Brechern nicht rechtzeitig wieder runter kam...

Im Streb hatten die Kumpel schon alles zusammengepackt. Der Weg zum Korb war lang, fast anderthalb Stunden.
Schwarze Gesichter grinsten ihn an, dass die Zähne blitzten.
„Na, Krawullke?“ meinte der Meisterhauer. „Auf Kundenfang? Solltest doch nur das Werkzeug aus der Schweißerei holen. Aber lieber Krach mit 'm Steiger als mit deine Anni, was?“
Die anderen brüllten vor Lachen.
„Jau, Erwin, mit die Alte is nich gut Kirschen essen!“ sagte der Jüngste und verzog das Gesicht. „Die ihr Mundwerk, da kannste dat kalte Grausen kriegen..:“
„Mensch Jürgen, halt den Rand.“ Krawullke kam die Galle hoch. „Watt bin ich froh, dass unser Petra nich mehr mit dir geht. Die Anni hat schon ganz recht gehabt. Du gehs noch vor die Hunde mit deine Sauferei.“
„Halt's Maul, du hast doch keine Ahnung. Deine liebe Tochter Petra...“ Jürgen baute sich vor ihm auf.
Der Meister legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Nu lasst mal gut sein, ihr beide. Jetzt is sowieso Feierabend, vertragt euch wieder. Ich will hier kein' Zoff!“
Krawullke schoss Jürgen noch einen bösen Blick zu und schlurfte los, zum Korb.
In der Waschkaue ging er Jürgen aus dem Weg. Der war ewig lang um die Petra rumscharwenzelt, und hatte sich immer nur mit Anni angelegt. Sie hätte der Petra eins hinter die Löffel geben sollen.
Aber das Kind hatte doch noch Vernunft angenommen. Hatte die Lehrstelle bei der Stadt gekriegt, im Oktober gings los.

Energisch scheuerte er sich das Gesicht mit dem groben Schwamm. Seine Alte war zwar ein Drachen, aber sie hatte ihre Qualitäten. Ihr Bohneneintopf, der war ein Gedicht, und die Hühnersuppe weckte Tote auf. Leider sah man ihr an, dass sie gut kochte. Sie wurde immer fetter.

Aber das hatte keinen zu interessieren.

Er zog sich an und ging hinaus. Wie immer war er erstaunt, dass es draußen hell war und die Vögel sangen. In der Vorhölle unter Tage vergaß er die Sonne so schnell und gründlich, als bekäme er sie nie wieder zu sehen.
Beinahe hätte er auch vergessen, auf den Neuen zu warten. Wie hieß er noch? Udo, klar. Der kam grad aus dem Tor und zündete sich gierig eine Kippe an.
„Na, Jung, alles in Butter?“
„Sicher. Soll ich dich mitnehmen? Ich bin mit dem Auto.“
Krawullke nickte eifrig. Für 'n Auto reichte es nicht, fand Anni. Meist fuhr er mit dem Bus, und im Sommer mit dem Rad.
Schweigend gingen sie zum Parkplatz. Unter der alten Kastanie stand ein blitzender BMW 2000. Krawullke linste den Wagen an, und warf dann dem jungen Riesen neben ihm einen Blick zu.
„Neu?“
„Nee, ein Jahr alt. Aber immer noch ganz schön teuer, fast zehntausend Mäuse. Hundert PS, der macht glatt hundertachtzig Sachen. Hab ihn Samstag geholt, und gestern die erste Tour gemacht. Stark, was?“ verliebt strich er über die leuchtend rote Haube.
„Und wo haste die Kohle her? Hast doch grad erst die Lehre aus!“
„Och, Vatter hat was dazu getan. Aber das meiste die Bank.“
„Das lass mal nicht meine Alte hören, die reißt dir den Kopf ab. Was machste denn, wenn du dein Mädchen mal heiraten muss'?“
„Hab keins. Ist auch besser so, kann ich mir nicht leisten - siehste ja.“ Udo grinste ihn an.
Er schloss den Wagen auf und Krawullke stieg ein.

Es war nicht weit. Udo heizte durch die Siedlung, dass die Leute erschreckt von der Straße sprangen, und hielt vor Krawullkes Häuschen. Der löste die verkrampften Finger vom Sitz und öffnete die Wagentür.
„So, Jung, denn komm ma mit rein, zu meine Anni.“ Krawullke stieg aus und ging Udo voraus zur Haustür.
Nee, was für 'n Raser. Hätte doch fast die Omma Menzyk überfahren.
Auf dem Treppenstein saß Petra mit Hennepohls Elvira.
„Tach Pappa! Mamma is eh’m zum Edeka. Du sollst dir das Essen selbst heiß machen. Wen haste denn da mitgebracht?“
„Tach Schätzeken. Das is' der Udo, der neue Schweißer. Udo, das is' unser Petra. Zieh dir was Warmes an, Kind, du holst dir den Tod mit dei'm kurzen Rock, so auffe Steine!“
Petra warf das lange Haar zurück. Ihre Augen weiteten sich, sie drückte den Rücken durch und lächelte. Dann schlug sie ein Bein über das andere.
Krawullke ging kopfschüttelnd in die Küche.
„Immer rein in die gute Stube“ rief er über die Schulter, nahm die Flasche Korn vom Eis und schenkte ein. Dann hob er den Topfdeckel, schnupperte. Lecker Bohnen, mit Speck. Er zog den Topf auf die Herdplatte und schaltete sie ein.
„Mensch Jung, wo bleibste denn? Der Schnaps wird warm!“ Mit den Pinnchen in der Hand ging er zur Tür.
Da stand der Udo und glotzte. Petra lehnte mit verschränkten Armen an der Hauswand und kicherte albern. Von Elvira keine Spur.
Krawullke sah Petras Lehrstelle und Karriere bei der Stadt mit Schmackes die Emscher runter rauschen.

Scheiße auch.

So'n BMW, der zieht mehr als wat Muttern sacht...

Prost Anni! Er setzte an, und der Korn brannte sich den Weg durch den Kloß in seinem Hals. Prost, Anni.

Und nix für ungut.


4 Kommentare:

Frau Vau hat gesagt…

Mensch, da schlummern ja Talente..

Davon möcht ich gern mehr lesen!
Unbedingt!!!

lg, frauvau

Lily hat gesagt…

Oha.
Da muss ich mal schauen, ob ich liefern kann :-)

Danke,

Lily

Anonym hat gesagt…

Toller Text weiter so!!

Lily hat gesagt…

Danke schön :-)

Lily