Donnerstag, 7. Januar 2010

Jede(r) hats gemacht in seinem/ihrem Blog: Ein Rückblick auf dieDekade, angefangen anno domini...

1999
Das Jahr 1999 sieht mich bis zum Hals in der Scheiße, einer meiner häufigsten Aufenthaltsorte, wenn ich drüber nachdenke.
Recht frisch getrennt, und schwankend zwischen Rachedurst, Trauer und tränenreicher Anhänglichkeit an den Ex, verbringe ich Ostern in Irland, zusammen mit einer merkwürdig fachlich begründeten Gruppe eigenartiger Menschen. Von der Eigenartigkeit nehm ich mich nicht aus.
In diesem Urlaub hab ich das Weglaufen gelernt: Immer, wenn es mir zu eng, zu blöd oder zu emotional wurde, hab ich mich verpisst.
2000
Millenium und so, kein Weltuntergang, aber ein Umzug, nachdem der letzte erst anderthalb Jahre her ist. Aber die Wohnung ist meine Traumwohnung. 112 m² renovierter Altbau, mitten in der Stadt, in einem Haus mit mehrheitlich gewerblicher Nutzung (= jedes Wochenende ist die Lily allein zu Haus).  Das ganze bezahlbar. Wow. Im Herbst ziehen Henry und Emily bei uns ein, und ich weiß, dass ich endlich meine Haustiere gefunden habe.
2001
Ich schreie vorlaut "hier", als im Büro danach gefragt wird, wer mit einem externen Wirtschaftsberatungsunternehmen zusammen arbeiten und die von denen durchgeführte Organisationsuntersuchung koordinieren will- und oh Wunder!- die nehmen mich. Das Ganze fängt im September an. Ende Dezember hab ich gut hundertfünfzig Überstunden und meine Katzen siezen mich. Es macht einfach  einen Riesenspaß, und ich lerne eine Menge über mich- unter anderem, dass ich gern Projektarbeit mache, dass ich das auch gut kann, und dass ich mich durchaus gut durchsetzen kann, wenn nötig.
2002
Das Jahr fängt gut an, weil ich weiter die Sachen machen kann, die ich gerne tu.
Aber ich bemerke, dass mir die Kraft ausgeht. Mein reguläres Sachgebiet, ohnehin nicht in besonders gepflegtem Zustand, leidet zusehends, weil meine Power nicht ausreicht, um sowohl die übliche Arbeit als auch die zusätzlichen Sachen zu erledigen. Immer öfter sitz ich vorm Rechner und erkenne kaum noch, was ich da grad mache. Nach der Arbeit schlepp ich mich nach Haus, erledige das allernötigste (und das ist bei Gott nicht viel) und fall um acht halbtot ins Bett. Morgens um sieben häng ich wieder vor dem Rechner.
Ich höre auf zu essen, weil ich keinen Appetit mehr habe. Ständig brauche ich neue Klamotten, weil ich wie ein Abreisskalender jeden Tag dünner werde, und Anfang Februar, nach zwei überflüssigen und vollkommen unnützen Arztbesuchen fall ich ganz einfach um und ins Koma.
Nach ein paar Tagen, keine Ahnung, wie viele, werd ich wieder wach, als Diabetikerin.
Zurückgekehrt aus Krankenhaus und Reha fühl ich mich einsam wie noch nie, und beschließe, mir einen Lover aus dem Netz zu fischen.
Das war eine Scheiß-Idee.
In 2003 spiel ich für den Netz-Fang die private Sozialarbeiterin, und lerne, die Faust in der Tasche zu lassen.
In 2004 hol ich sie ab und zu mal raus, um sie dann an Weihnachten auch zu benutzen.
Deshalb bin ich in 2005 auch wieder Single.
2006 dann kommt der Moment, in dem ich mir wieder mal sage, ab und zu müsse man was wagen. Der Mann, mit dem ich da zusammen komme, ist charmant, komplett anders als sein Vorgänger, Amerikaner und verheiratet. Das ist mir nicht so ganz unlieb, denn so hängt er mir vielleicht nicht wie ein Mühlstein am Hals, wie sein Vorgänger. Er tut auch nicht nur das nicht, sondern auch sonst eher wenig...
Es kommt auch der Moment, in dem ich erfahre, dass das Haus, in dem ich lebe, abgerissen wird, und ich schon wieder umziehen muss.
Die Renovierung mache ich komplett allein, was mir eine Warnung hätte sein müssen- war es aber nicht.
Im Januar 2007 bin ich dann wieder Single- öfter mal was Neues!- und versuche, zu ergründen, warum zum Teufel ich mir entweder Männer aussuche, die mich kaum allein aufs Klo lassen- oder das komplette Gegenteil. Dazwischen fang ich an zu bloggen- um genau zu sein: Im September 2007.
2008 bin ich immer noch nicht schlauer, was Männer betrifft, weshalb ich das Thema erstmal auf die lange Bank befördere, und mich lieber dem Fotografieren und dem Schreiben widme. Es ist, alles in allem, fruchtbarer.
2009 ist das Jahr des Lernens- ich lern so viel über mich wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr, ein paar Dinge wage ich zu Ende zu denken, und lerne noch mehr, ich lerne, was ich garantiert nicht mehr möchte, und lerne, Kompromisse zu schließen, Sachen anzusprechen, mich zu zanken und laut zu werden, und ich lerne, dass ich eigentlich gar nicht genau weiß, was ich alles will.
Aber auch, dass es nie zu spät ist, sich Wünsche und Träume zu erlauben, dass in den merkwürdigsten Ecken die denkwürdigsten Erlebnisse wohnen, und dass es viel zu viel Stillstand in meinem Leben gibt.
Ich lerne auch, dass es mühsam ist, nach Jahren des Rostens sich wieder in Bewegung zu setzen, und dass das manchmal schmerzhaft ist.
In 2010 werde ich mir mit Sicherheit das eine oder andere Mal eine blutige Nase holen, und ich wette, auch wieder Fehler machen.
Hoffentlich diesmal neue :-)

Alles Liebe,

21 Kommentare:

Meise hat gesagt…

Wow.
Sprachlos.

Aber ich möcht dich drücken.
Fühl dich umarmt...

Meise

Britta hat gesagt…

Ufff... die Welt (oder doch zumindest ein Jahrzehntchen davon) in einer Nußschale...
Wie komprimiert. Dicht gepackt.

Ich weiß schon, warum ich immer wieder auf Deinem Blog lande.

Svenja-and-the-City hat gesagt…

Ach Lily. Wenn man deinen Rückblick liest, dann möchte man den Menschen, um den es darin geht, nämlich dich, einfach nur in den Arm nehmen und ganz fest halten, um dann zusagen: "Baby, alles wird gut. Ich pass auf dich auf."
Du hast es sehr bewegend geschrieben. Zum Glück haben mich die Förmlichkeit deiner Katzen ein bisschen aufgeheitert. Woher hast du nur immer solche tollen Formulierungen: "...und meine Katzen siezen mich".
Alles Liebe, Svenja

Lily hat gesagt…

@Meise: Danke:-)
@Britta: Ich les auch gern bei dir, aber das weißt du ja:)
@Svenja: Fakt ist, dass die Katzen mich tatsächlich komplett ignoriert haben. Aber das lag vermutlich eher an dem entgleisten Zuckerstoffwechsel, dann riecht der Diabetiker heftig nach Aceton, und das mag das Gekatze nicht.
@all: Es ist wirklich kein besonderes Jahrzehnt gewesen- und es liegt kein Verdienst oder keinRecht auf besondere Zuwendung darin. Ich hab einfach nur aufgeschrieben, was passiert ist- und ganz viele Leute haben Ähnliches, Schlimmeres oder Zerstörerischeres erlebt... Bei Svenja zum Beispiel kann man es nachlesen, und da, finde ich, spricht viel mehr Mut und viel mehr Schicksal aus der schlichten Aufzählung.
Aber ihr seid lieb :-)
Lily

Paula hat gesagt…

Es geht eindeutig bergauf, aber sowas von!
Alles Liebe
P.

Georg hat gesagt…

Und trotzdem bist du der Mensch geworden den ich so sehr liebe und schätze.
Das Ganze macht dich aus.
Auf ein besseres Jahrzehnt für uns alle.




Wortbestätigung: popking.

Na wenn das nichts bedeutet.

Kate hat gesagt…

Wieso klingt "10 Jahre" soo lang und mir kommt die Zeit aber soo kurz vor??? Unglaublich...

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Georg: Da hoffe ich doch sehr, dass es sich um einen Begriff aus der Welt der Musik handelt, oder?!

Georg hat gesagt…

@ Svenja:
Ich bin ja nun schon recht lang alleinlebend. Aber ich habe das was du meinst immer mit zwei P geschrieben... ;-)
Was war das denn noch mal?

Lily hat gesagt…

@Georg: ich seh da auch 2. Eins vor und eins nach dem "o" :-)))

Georg hat gesagt…

Rechtschreibnaziklugscheissenderhimmelhergottsakramentzefixhallelujalecksmiamarsch

Lily hat gesagt…

Du hast "Scheißglumpvarreckts" vergessen.
Aber ich hab dich auch lieb.

Frau Vau hat gesagt…

Auch Wow. Und ich wünsche Dir, dass die nächsten 10 insgesamt erfreulicher, vor allem aber entspannender werden!
Alles Liebe!

Pauls-wunderwords hat gesagt…

Kann grad nicht kommentieren. Wortbestätigung: Poldi. Das geht gar nicht. :)

Pauls-wunderwords hat gesagt…

So: dedall ist okay. Obwohl Karl Dall auch nicht mein Fall ist.

Was ich sagen wollte:

Es gibt kein gut oder schlecht bei so einem Rückblick. Das Lebenswerk eines Menschen ... sind das denn immer nur Häuser, die er gebaut hat, Maschinen, die er konstruiert hat, Bücher, die er geschrieben hat, Bilder, die er gemalt hat? Kinder, die er gezeugt und erzogen hat? Müsste das nicht in erster Linie sein eigenes Leben sein - als solches ein Lebenswerk - wohl gar ein Kunstwerk, an dem lange und mit Bedacht gearbeitet wurde?

Die Antwort ist ja. Und die Arbeit an deinem Kunstwerk gefällt mir als Außenstehenden außerordentlich. Was lange währt, wird endlich gut.

Weil du es dir wert bist.

Wo die Natur nicht will, da ist Arbeit umsonst. [Seneca]

Lasst jedermann das tun, was er am besten versteht. [Cicero]

Wer schaffen will, muss fröhlich sein. [Fontane]

Der Mensch ist das einzige Tier, das arbeiten muss. [Kant]

Okay Schluss, hab ein Zitatebuch zu Weihnachten bekommen. :)

Grüße dich

Womble hat gesagt…

Ganz groß...

Falcon hat gesagt…

Ich mach diesmal keinen Rückblick. Weil alle einen machen in ihrem Blog.
Aber Deinen find ich interessant, mutig und - wie immer - schön geschrieben und trotz des ernsten Themas schön zu lesen.

Auf ein deutlich schöneres neues Jahrzehnt!

rebhuhn hat gesagt…

manmanman - zum einen ist dein blog der erste, den ich mit diesem dekadenrückblick 'erwische' [ich dachte, ich hätte mir das selbst ausgedacht! :)], zum anderen habe ich zuerst die kommentare gelesen und wer-weiß-was erwartet, aber mal ganz ehrlich:

der text klingt für mich gar nicht so negativ! [das soll nicht negativ klingen, ich meine das ganz ernst! :)] immerhin scheinst du in 2008/09 eine menge für dich selbst gelernt zu haben... und auch davor, z.b. 2001. und, klar ist nicht jedes jahr super und auch nur unterm strich gut - aber das geht allen so, denke ich. 'kopf hoch, auch wenn der hals dreck'sch ist!' :D

Lily hat gesagt…

Ich stimme da mit Kate überein: Es kommt einem gar nicht so lang vor, wie "10 Jahre" suggerieren. Klar, es hätte auch eine Aufzählung à la "MeinHausmeineYachtmeinPferd" sein können. Aber das wär ja langweilig, oder?

Bea hat gesagt…

Schön. :-)

Ich denke, jeder hat so seine guten und seine schlechten Zeiten hinter sich (und ganz sicher auch noch vor sich) und eines zeigt Dein Rückblick doch ganz klar:
es geht immer irgendwie weiter und unser Job ist und bleibt es, das Beste daraus zu machen.

Alles Liebe für Dich! :-)

PS: das Lesen in Deinem Blog hat mich schon ganz oft wieder eingenordet. Danke dafür.

Anonym hat gesagt…

Im Groben könnte ich denken, dass wir in den letzten 10 Jahren einen ähnlichen Werdegang hatten und jetzt an einer bedeutenden Wende stehen... Ich hoffe, dass 2010 den Anfang von viel Neuem und vorallem Guten für dich (und für mich) wird :))

LG
Sabrina