Mittwoch, 17. November 2010

Die Würde des Menschen ist unantastbar

Neulich las ich irgendwo, dass einem/einer Schreiber/in beim Anblick „wallender Massen faltiger Haut“ die Lust auf alles, einschließlich Sport, vergehe. Ich weiß nicht recht, was in dieser Gesellschaft los ist- mir kommt bei solchen Äußerungen das Mittagessen hoch. Sicher ist es so, dass der/diejenige seine oder ihre Meinung sowohl haben als auch äußern darf. Gleichzeitig diskriminiert die Äußerung Andere, in dem sie deren äußere Erscheinung in die Ekel-Ecke rückt. Mit Sicherheit verletzt eine derartige Formulierung beabsichtigt oder auch unbeabsichtigt die Träger solcher Massen- die das alles nämlich nicht freiwillig mit sich herumschleppen, oder weil sie es toll finden.

Ich hab auch schon beim Anblick so mancher be-legging-ter Dame gedacht oder auch mich gefragt, ob sie keinen Spiegel hat oder wer ihr den Mist verkauft hat. Genau deshalb überlege ich, was eher zu schützen ist- die Meinungsfreiheit der Ästheten oder das Selbstbewusstsein der Menschen, die da in die Kritik geraten.
Alles in allem denke ich, die psychische Unverletztheit eines Gegenübers ist mit Sicherheit das schützenswertere Gut- ohne den Spottenden ihre Meinung nehmen zu wollen.
Nicht die Meinungsfreiheit, die sollen sie haben.
Aber seine Meinung auch zu äußern, um jeden Preis? Hm, nö, muss nicht sein. Die Freiheit des einen endet nämlich da, wo sie jemand anderen verletzt, ob psychisch oder physisch ist pfeifegal.

Einen schönen Abend wünscht
die Lily

7 Kommentare:

Svenja-and-the-City hat gesagt…

Ich erinnere mich, wo du diesen Ausspruch gelesen hast und ich muss dir leider recht geben, das ist nicht in Ordnung.
Mir verleiden übrigens genau die anderen Menschen die gute Laune. Dann nämlich, wenn ich merke, dass ich irgendwo die einzige über 22 und jenseits von 50 Kilo bin. Dann fühle ich mich plötzlich ganz schrecklich. Wenn jemand aber größere Problemzonen hat als ich, dann macht mir das eher Mut, weil es meine eigenen ein klein wenig unscheinbarer wirken lässt.
Herzliche Grüße,
Svenja

Volker hat gesagt…

Auch ich kann mich an diese Worte erinnern.
Als ehemaliger Soldat habe ich mich sehr oft in Gemeinschaftsräumen geduscht oder auch nur umgezogen. Dort ist mir auch alles mögliche an Körpern begegnet. Aber nie fühlte ich mich abgestoßen.
In dem vorliegenden Fall ging es doch um eine rühmliche Sache- die "wallenden Massen" haben in einem Sportstudio versucht, diese zu bekämpfen.
Die Meinungsfreiheit wird im Internet doch nur so "ausgenutzt", da es doch so schön "anonym" ist. Anders sähe es da aus, wenn so etwas direkt ins Gesicht betroffener Menschen gesagt werden sollte.
DAS sehe ich als sehr, sehr großes Problem an. In die gleiche Kerbe schlägt das "Hinklatschen" von Beiträgen ohne grobes Rechtschreibbewusstsein, ohne Punkt und Komma und leider auch ohne Verstand. Und unsere Kinder recherchieren im Internet für die Schule und ziehen solche Beiträge aus Unwissenheit mit in ihre Quellen ein.
Also, ja, ich stimme dir zu, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Auch virtuell. Und es wird Zeit, dass der Kreis derer, die die Würde beachten, größer wird.

Zumindest können wir das doch hoffen, oder?

Liebe Grüße aus Dortmund
Volker

Tina hat gesagt…

Gefallen tun mir solche Äußerungen null und ich kann das auch nicht nachempfinden. Ich freue mich, wenn dickere Sport treiben und wenn sie ihre "wallenden Massen" zeigen, sehe ich das eher als selbstbewußte Menschen. Eben als Zeichen, dass es egal ist, wie man aussieht....

Aber ob das gegen die Menschenwürde geht? ich glaube nicht. Die Meinungsfreiheit ist da in meinen Augen deutlich höher zu bewerten. Und auch wenn ich es nicht verstehen kann, gibt es sicher Menschen, die das wirklich nicht sehen MÖCHTEN. Sonst dürfte man ja einiges nicht mehr sagen, dass jemand hässlich ist, dass jemand unsympathisch ist, schlecht riecht, ungepflegt ist, furchtbar gekleidet ist, dumm ist etc. Natürlich sind alle diese Äußerungen verletzend und es wäre besser, man würde das im stillen denken, aber ich denke nicht, dass jede Verletzung gleich die Menschenwürde verletzt. Jede Art von Ablehnung verletzt, das kann genauso nonverbal geschehen: Lachen, hochgezogene Augenbrauen, Tuscheln hinterm Rücken...ich denke Toleranz kann man nicht per Gesetz verordnen. Mir tun Menschen eher leid, die die Welt so abstoßend sehen.. und andere Menschen.

Andrea hat gesagt…

Wenn man irgend etwas äußert, was kontrovers klingt, wird es jemanden geben, der es in den falschen Hals bekommt. Ist ein Naturgesetz.

Die besagte Äußerung stammt von mir und wurde als Erklärung angebracht, warum ich in Fitness-Studios Einzel-Umkleidekabinen den Umkleideräumen vorziehe. Dort wo ich früher im Studio war, gab es nur eine ziemlich beengte Umkleide, wo man zu fast jeder Tageszeit beim Umziehen ganz unvermittelt von ganzen Rudeln unbekleideter Rentnerinnen umzingelt wurde, die meistens in die Sauna gingen oder aus selbiger kamen.

Ich weiß nicht, wie es euch damit geht, ich sehe fremde Menschen nicht besonders gerne nackt. Schon gar nicht auf eine Distanz von weniger als einem Meter und ohne dass ich dem aus dem Wege gehen kann oder überhaupt auch nur daran vorbeisehen.

Nein, ich sehe auch nicht perfekt aus. Ja, ich finde auch, dass um Jugend/Schlanksein/Schönheit zuviel Bohei gemacht wird. Ja, auch mir ist klar, dass ich in einigen Jahrzehnten wie eine olle Rosine aussehen werde.

Deswegen ist es aber trotzdem ein traumatisches Erlebnis, wenn mir jemand den Inhalt seiner ehemals D-Körbchen vor der Nase herumschwenkt, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Und rein darum ging es und um nichts anderes. Es tut mir leid, falls ich damit die Gefühle von irgend jemandem verletzt haben sollte, das war nicht meine Absicht.

Paula hat gesagt…

Das ist doch mal ein Wort von der Andrea, verstehen kann ich das auch. Es gibt eine gewisse Distanz, die der Mensch braucht, um sich nicht von anderen belästigt zu fühlen, einen Dunstkreis, einen Radius...

In den Siebzigern waren wir ja radikal und haben jene als prüde verachtet, die sich nicht halbnackt im am Strand oder nackt im Schwimmbad unter der Dusche zeigten. Inzwischen bin ich da etwas respektvoller geworden und drehe mich unter der Dusche dezent zur Seite, sowohl beim Anblick fremder Frauen als auch mit meinen eigenen wallenden Massen, die ich lieber im Badeanzug lasse...

Schamgrenzen machen tatsächlich Sinn, das hätte ich früher nie gedacht.

Lily hat gesagt…

So ein Mist- ich hatte hier schon fünfhundert Worte hingeschrieben, und jetzt ist alles wech.
Menno.
Aber das zwingt mich jetzt, etwas kürzer zu sein:
Ich glaube, Paula bringt es auf den Punkt. Schamgrenzen haben ihren Sinn, denn sie ersparen dem einen den Anblick und dem anderen die Kritik, beides kann verletzen, wenn auch auf unterschiedliche Weise.
Liebe Andrea, ich wollte dich nicht vorführen mit dem Posting, sondern eigentlich nur mein eigenes Dilemma anhand deiner Bemerkung klar machen. Denn so gerne ich genüsslich ablästere, so sehr fühle ich mich auch oft betroffen von Kritik. Und ich hab mich immer gefragt, ob mein eigenes Empfinden für Ästhetik mich berechtigt, an der 90-Kilo-Dame im Ultramini herumzukritteln- bzw. ob mein Gefühl für passende und angemessen Kleidung der Maßstab sein kann, andere in mehr Stoff zu zwingen. Im Endeffekt kann man vermutlich nur wegsehen, wenn man den Anblick nicht verträgt, und Gemeinschaftsumkleiden sowie -Duschen einfach meiden, wo es geht.

Andrea hat gesagt…

Das ist irgendwie ein klassischer Fall von „Ich bin nur verantwortlich für das was ich sage, nicht für das, was ihr versteht.“

Hätte ich in einem Posting geschrieben, dass mir dumme oder ignorante Menschen unglaublich auf die Nerven gehen, hätte sich kaum jemand darüber echauffiert. Wer fühlt sich schon persönlich angesprochen, wenn es um dumm oder ignorant geht?
Geht es um Figurprobleme, fühlt sich aber jeder sofort angesprochen, weil ausnahmslos jedem von uns irgendwas an ihm selbst nicht gefällt. Das Bizarre daran ist: das geht selbst ausgesprochen schönen Menschen nicht anders, die haben dann vielleicht Komplexe wegen ihrer großen Füße oder knubbeligen Knie. Kein Witz.

Ich werde aber trotzdem nicht jetzt anfangen, auf verbalen Zehenspitzen herumzutippeln, damit sich niemand auf seine eigenen getreten fühlen kann.