Donnerstag, 28. Juli 2011

Gefühltes Nichts



Abgesehen davon, dass mir für Teile meiner Vergangenheit einfach Erinnerungen fehlen, und ich nur aus allgemeiner Logik heraus schließen kann, dass ich manche Ereignisse wohl miterlebt habe, klaffen auch Lücken, was die emotionale Bewertung einiger Erlebnisse betrifft.
Klartext: Ich kann mich an Vorfälle erinnern, stand oder stehe ihnen aber mit Gleichgültigkeit gegenüber.

Das scheint erstmal nicht so schlimm zu sein. Wen kratzt das schon, wenn er anstelle von Wut oder Trauer einfach nichts fühlt? Eine Erleichterung, oder?

Angeblich nicht. Angeblich?

Dieses Nichtfühlen scheint, alles in allem, Fehlentwicklungen zu fördern, die nicht so wünschenswert sind Dazu gehört es Probleme dabei zu haben, seine eigenen Neigungen, Interessen, Wünsche. Meinungen zu entwickeln, sich zu wehren, wenn man schlecht behandelt wird, oder sich schlicht selbst zu schützen.

Interessanterweise vermag man dieses gefühlte Nichts an sich selbst nur sehr schwer zu erkennen- Jahre der Therapie haben mich nicht dazu gebracht, dieses Phänomen überhaupt zu bemerken, obwohl ich theoretisch natürlich davon gehört habe.

Die erste richtige Begegnung mit diesen Mechanismen und deren Auswirkungen hatte ich in den Gruppensitzungen in der Klinik.

Nachdem ich erstmalig dort den Mund aufgemacht habe  und ein bisschen von mir erzählen durfte/musste, fand ich es noch befremdlich, dass da andere Menschen saßen, die ich kaum kannte, die aber der Meinung waren, ich hätte in der ein oder anderen Situation dieses oder jenes empfinden müssen. Die waren doch schließlich nicht dabei, oder? Die hatten doch gar kein Recht, zum Beispiel das Verhalten oder die Reaktion meiner Eltern zu kritisieren, diese hatten doch schließlich keine andere Wahl, als so zu entscheiden, wie sie das getan hatten. Oder?
Oder??

Das war die eine Seite.

Eine andere Seite war, dass ich mich gefragt habe, was es denn nützen würde, plötzlich Groll zu entwickeln, wegen irgendwelcher  Dinge, die längst passé und vorbei waren. Schließlich hat man nur begrenzt das Recht, sich zu wehren (so eine Art innere Rechtsbehelfsfrist… Gegen diese Machtausübung ist nur innerhalb von 2 Stunden nach Verlautbarung der Widerspruch zulässig- oder so*)

Es hat mich sogar ziemlich empört, dass sich da andere Menschen ein Urteil erlaubten- aber ich hab mich beherrscht, schließlich war das ja Therapie, und lauter Kranke um mich herum.

Dann fingen die Anderen an, zu erzählen.
Und im Nu ertappte ich mich dabei, ungläubig zuzuschauen, wie sie vollkommen emotionslos über ungeheuerliche Dinge berichteten, und wie sie beteuerten, das, was ihnen geschehen sei, hätten sie verdient. Oder es sei sachlich gerechtfertigt gewesen, so oder so zu entscheiden. Oder, oder, oder. Während der ganzen Erzählung verzogen sie keine Miene. Oder ihre Gesichter zeigten keine Regung bis auf die Tränen, die liefen und liefen.

Naja, das war der Beginn meines Verständnisses des Wortes „Übertragung“- denn offenbar konnten Alle diese Emotionen spüren, bis auf die Betroffenen selbst. Die rationalisierten weiter, argumentierten, dass diese oder jene Ereignisse ja unwichtig/wohl verdient/längst vorbei waren.

Das hat mich natürlich zum Nachdenken gebracht. Bei meinen Gegenübern konnte ich wunderbar fühlen, wie wütend sie hätten sein müssen, oder wie ungerecht die Dinge waren, die ihnen entgegen getragen wurde… also hatte ich auch zu akzeptieren, was die Anderen angesichts meiner Schilderungen spüren konnten, auch wenn mir selbst diese Gefühle mehr als fremd waren.

Dummerweise entstand daraus der nächste Konflikt, hatte ich doch (z. B.) so manche miese Entscheidung meiner Eltern immer hübsch in logisch begründete Mäntelchen gewickelt (wie zum Beispiel die wirklich vollkommen misslungene und gedankenlose und (bitte hier krasses Adjektiv einfügen) Entscheidung meiner Eltern, mich mit ca. 12 Jahren umzusiedeln- aus dem Kinderzimmer ins Doppelbett zu meiner Oma). Aus der Traum vom Besuch von Freundinnen, Privatsphäre oder auch nur einer abschließbaren Schreibtischschublade. Klar war in dem Kinderzimmer mit noch drei weiteren Kindern drangvolle Enge. Aber das? Ging wirklich und wahrhaftig gar nicht.

Das Dilemma, beinahe zwanghaft Verständnis oder Argumente pro Eltern (und damit contra Kind, sozusagen) zu entwickeln war dann nur damit zu lösen, dass man tatsächlich die Erkenntnis gewann, dass Eltern auch Fehler machen, Falsche, manchmal fatale Entscheidungen treffen, oder komplett auf der Leitung stehen. Mit dieser Erkenntnis dann kann man dann Sachen verzeihen.
Es bringt hingegen gar nichts, sich selbst zu belächeln, und damit im Nachhinein das Wesen zu beleidigen, das man mal war, und die Bedürfnisse, die durch falsche Entscheidungen verletzt worden sind, damit  weiterhin zu ignorieren. Leider trägt man diese Einstellung zu sich selbst nämlich oft sehr lange und sehr weit mit sich herum, und schadet sich damit unter Umständen sehr.

Auf meiner persönlichen humanitären Waagschale sind alle Menschen in einer Familie gleich viel Wert, und es ist ihnen im gleichen Maße Respekt zu zollen, seien sie 2, 12 oder 32 Jahre alt. Der einzige Vorsprung den Eltern haben ist der, über mehr Lebenserfahrung zu verfügen. Sie sind nicht zwangsläufig intelligenter als ihre Kinder, und schon gar nicht unfehlbar. Da sie aber die Macht haben, tragen sie auch die Verantwortung für das, was geschieht. Das bedeutet weder, dass sie „immer an allem Schuld“ sind, wie böswillige Verkürzer gern behaupten, noch dass sie einen Freifahrtschein haben, weil sie die Entscheider sind.

Es bedeutet schlicht, dass sie Fehler machen, und dass sie bereit sein müssen, ihre Kinder spätestens als Erwachsene anzuhören und ihnen zuzubilligen, durch manches elterliche Verhalten auch Schäden davon getragen zu haben. Im Normalfall kann man als Kind solches dann verzeihen- nicht jedoch Taten, die aus Eigennutz, aus kriminellem Interesse oder aus kommerziellen Beweggründen geschehen sind. Verzeihen kann in diesem Verhältnis auch dann keinen Platz finden, wenn Eltern nicht zuhören und nicht bereit sind, ihre eigene Wahrnehmung als nur eine von mehreren zu akzeptieren.

Spätestens wenn ihre Kinder erwachsen sind, muss jedem Elternteil klar sein, dass das Mundverbieten, Niederschreien, Bedrohen oder Ignorieren ein Ende hat. Wer sich da als Eltern aus der Verantwortung stiehlt, und einfach, um sich selbst nicht in Frage stellen zu müssen, die Realität des Kindes leugnet, wird eventuell sein Leben sehr einsam beschließen- oder mit ansehen müssen, dass das eigene Kind sich zerstört, das damit konsequent die Lieblosigkeit und mangelnde Wertschätzung umsetzt, die ihm Zeit seines Lebens entgegen getragen worden sind.


 Findet
Lily, die immer noch Probleme hat, sofort dann wütend zu werden, wenn man ihr zu nahe rückt. 
Grrrr.


* Das ist natürlich nicht so. Jeder sollte sich selbst zugestehen, für manche Dinge länger zu brauchen. Da laufen keine Fristen ab.


2 Kommentare:

Paula hat gesagt…

In den 50er und 60er Jahren hatten Kinder keinen "Willen", und wenn sie den gehabt hätten, hätten sie was auf die Brillen bekommen.Bei Müttern war es üblich, ihre Töchter symbiotisch als Anhängsel zu betrachten und frei über sie zu verfügen. Alles war irgendwie "Gott"-gegeben, Respekt vor Kindern als eigenen Wesen haben ja erst die 68er wieder ins Spiel gebracht.

D.h. wenn man dann als Kind überhaupt keine eigene Meinung hatte, ist es ja auch kein Wunder, wenn die passenden Gefühle dazu auch gar nicht erst aufkamen. Das erklärt vielleicht die innere Teilnahmslosigkeit.

Ich habe damals so gefühlt und gedacht wie meine Mutter, also die perfekte Symbiose, wenn da nicht die unendliche Einsamkeit und Traurigkeit gewesen wäre, die dann mit der Pubertät scheinbar aus heiterem Himmel über mich hereinbrach...
Die Wut kam dann später, mit reichlicher Verzögerung, angetrieben durch die Wünsche nach Freiheit gegen Ende der Schulzeit.

Die Erkenntnis, überhaupt keine eigene Meinung zu haben, kam mir in den letzten Schuljahren, wenn es um "dialektische Besinnungsaufsätze" ging. Eigene Standpunkte habe ich dann in 30 Jahren langsam entwickelt.

Inzwischen ist die Wut verraucht und die Traurigkeit längst ausgeheult, imnmer und immer wieder. Es dauert lange!

Frau Vau hat gesagt…

Ja, das dauert. Ich fang grad wieder von vorn damit an.
Manchmal denke ich, dass es vielleicht gar nicht so schlecht ist, dass sich unser Kopf das Leben so zurechtbiegt, dass es möglichst wenig weh tut. Keine Ahnung. Für mich hab ich jedenfalls beschlossen, dass einige Dinge besser da bleiben wo sie versteckt sind. Andere werd ich austragen müssen, davor graut es mir jetzt schon.
Aber Dich bewundere ich sehr dafür, dass Du es angehst, an Dir arbeitest, die Probleme nicht verdrängst. Und wenn dabei dann noch so tolle Bilder rauskommen..