Aus der Zeit vor Facebook, in der man Freunde noch daran erkannte, dass man sie tatsächlich kannte, kennt die ein oder andere noch den Spruch von den Veilchen im Moose.
So wie sie sollte frau sein: Sittsam, bescheiden und rein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.
Derart teils krude Gereimtes („Hinter Rosen und Narzissen hat ein kleiner Hund geschissen!“) teils unverhohlen braun gefärbt Imperatives („Sei gut! Sei edel! Sei deutsch!“) hat man uns per Poesiealbum mit auf den Weg gegeben. Ein Wunder, dass so viele von uns denken können und überhaupt in der Lage sind, unfallfrei gleichzeitig zu atmen und zu laufen.
Ab und an kamen Goethe & Schiller zu Wort, ich kann mich auch an einen falsch zitierten Nietzsche (der war nämlich ein Kant) erinnern. Es gab ein Löschblatt im Album (ich hab werweißwie lange keines mehr gesehen- gibt’s die noch?), und ein Linienblatt, damit man auf dem weißen Papier nicht allzu schräg lag. Glanzbilder wurden eingeklebt, mit oder ohne Glitter, der damals noch Gold- bzw. Silberstaub hieß.
Unerschrockene malten die dem Sinnspruch gegenüber liegende Seite mit irgendwelchen Bildchen aus, und es war nicht selbstverständlich, dass jede Mitschülerin das Buch von jeder Anderen zum Eintrag überreicht bekommen hätte. Nein, denn das Album war eine Sache, mit der man Zu- und Abneigung kenntlich machte. Wer etwa einen Jungen da hinein schreiben ließ, der war schon ein bisschen seltsam. Andersherum kriegten Jungs, die so was ausgehändigt bekamen, meist auch Stielaugen, weil sie da plötzlich gezwungen waren, sauber zu schreiben, und zwar etwas, was sich inhaltlich von „Günter ist doof“ unterschied. Die Jungs, mit denen ich zur Schule ging, hießen noch Günter. Und Klaus, Thomas, Jürgen, Clemens, Matthias, Frank, Jörg, und so weiter.
Der erste Kevin, von dem wir hörten, war Kevin Keegan, und das war ein Fußballspieler von einer der britischen Inseln.
Da ich 1969 (kurz nach dem Aufkommen der ersten Brontosaurier) eingeschult worden bin und das erst ein Jahr später beherrschte Schreiben definitiv die zum Führen eines Poesiealbums bestimmte Kulturtechnik ist, muss der ganze gesellschaftliche und geistige Schrott, der sich da ansammelte, tatsächlich bis weit in die Siebziger hinein noch Allgemeingut gewesen sein. In Berlin und den anderen Uni-Städten diskutierte man den dialektischen Materialismus, die APO warf Steine, die RAF warf Bomben und bei uns schrieb man, mit der Zunge zwischen den Zähnen „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ und fügte ein verschämtes „Goethe“, sowie eine mehr oder minder geglückte Abschlussfloskel hinzu.
Das sah dann so aus, und damit verabschiede ich mich für heute
Dieses Sprüchlein, klein und fein, schrieb eure Freundin
Das sah dann so aus, und damit verabschiede ich mich für heute
Dieses Sprüchlein, klein und fein, schrieb eure Freundin
Lily
Rein.
6 Kommentare:
In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken...
Das war schon eine witzige Zeit.
Sicherheitsabfrage: "prust" wie geil!
Sag mal schnell, in wessen Poesiealbum du diesen Spruch hinterlassen hast :P
Mein Gott, wie schön, da kommen Erinnerungen auf!
Ich habe diese blöden Poesiealben gehasst, wenn ich reinscheiben musste. Den Spruch mit der stolzen Rose fand ich damals wie heute zum Stehhaarekriegen.
Lebe lustig, lebe froh, wie der Mops im Haferstroh
Ich hab mich lange gefragt, was "Pösie" eigentlich bedeutet und immer denselben Spruch geschrieben damals:
Rosen, Tulpen, Nelken,
alle drei verwelken.
Stahl und Eisen bricht,
aber unsere Freundschaft nicht.
Es lebt der Eisbär in Sibirien
In Afrika da haust das Gnu.
Der Braune Bär haust weißderHimmelwo,
in meinem Herzen haust nur du.
Das Pösie-Problem hatte ich auch :-)
Oh, Poesiealben gibt es immernoch, glaube ich! Zumindest "Freunde-Alben".
Zu meiner Grundschulzeit (so 1990) hatten wir noch beides, die leeren Poesiealben und die vorgedruckten "Freunde"-Alben, in die man Lieblingsessen, was man spaeter werden moechte (meistens "was mit Tieren") und woher man sich kannte usw eintragen sollte/musste.
Aber als neulich ein 9 jaehriges Maedchen mit einem solchen "Freundebuch" ankam war ich erstaunt. Ich dachte, die seien ausgestorben.
Die Sprueche haben bei uns schon nicht mehr an Goethe und Co herangereicht, beliebt waren "hast du Sorgen oder Kummer, waehle einfach diese Nummer: ..."(mit der eigenen Telefonnummer eingetragen). Vor allem kam das von Leuten, die man ueberhaupt nicht ausstehen konnte, und die einen genau so wenig mochten. Ja, bei uns mussten alle im Poesiealbum stehen, wenn man mutig war auch die Jungs. ;)
Oh man ....
Da kommen wirklich Erinnerungen auf, ob schoen steht auf einem anderen Blatt - lustig jedenfalls.
Kommentar veröffentlichen