Der von mir sehr gern gelesene Herr Buddenbohm, Alltagsprosazauberer von der Elbe, hat dort das ehrgeizige Unterfangen, über die Stadtteile Hamburgs zu schreiben, zu einem Blogprojekt gemacht und Hamburger Blogger dazu aufgerufen,über ihre Stadtteile zu berichten...
Rührig wie der Ruhrmensch nun mal ist,
hat sich Anne
auf Ach komm geh wech vorgenommen, dieses Konzept mal ins
Ruhrgebiet zu tragen. Und obwohl Bottrop
schon wech ist, kommt hier mein Beutel Kleingeld zu meiner
Heimatstadt.
Was ich zu Bottrop kaum habe, ist
Distanz. Das liegt daran, dass ich hier a) geboren bin, b) aufwuchs
und c) immer noch wohne. Ich bin also eine waschechte Insiderin, und
als solche betriebsblind, voreingenommen, parteiisch und so. Außerdem
stolz drauf.
Aufgewachsen bin ich in einem Teil des
Ortes, der keinen Namen hat- irgendwo auf einer gedachten Linie von
der Altstadt zum Ortsteil Eigen. Vor dem Haus meiner Eltern (na
gut, dazwischen lagen die Häuser gegenüber und noch eine weitere
Straße) ist der Stadtpark (okay, die Ausläufer), dahinter ist viel
Garten, von meinem Vater in preußisch-gerade Form gebracht.
In
meiner Kindheit war alles voll mit Kindern, die niemand daran
hinderte, Spiele wie „Deutschland erklärt den Krieg“ auf der
Straße zu spielen. Kennt einer die Regeln? Entweder ich hab sie
nicht behalten, oder sie waren damals schon so nebulös, dass sie nur
aus Rumschreien und Mit-Kreide-Herumschmieren bestanden. Die gefühlte
Idylle des Auf-der-Straße-spielen-Könnens ( Tempo 50, Spielstraßen
waren noch nicht erfunden) leidet im Nachhinein darunter, dass ich
mich an mindestens fünf teils schwere Unfälle erinnern kann.
Ich bin in den Jahren des abflauenden
Babybooms geboren, genauer gesagt kurz nach Aussterben der
Velociraptoren, 1963. In meine Klasse gingen 42 Schüler, und einige
haben nichts gelernt, andere dafür waren recht erfolgreich. Wichtig
war es, ordentlich aufzupassen, die Hausaufgaben zu machen und nicht
unbrav zu werden. Insofern unterscheidet sich vermutlich Bottrop in
den Sechzigern nicht von irgendwelchen anderen Städten, es sei denn
durch den extrem schlechten Ruf als schmutzig, ungebildet und
proletenhaft.
Betrachtet man die Vergangenheit, so
ist festzustellen, dass der Anteil an klassisch-bürgerlichen
Bevölkerungsteilen früher vermutlich sehr gering war.
Die Stadt selbst, hervorgegangen aus einem Dorf am Rande des Münsterlandes, wurde zu Beginn des Kohleabbaus
überschwemmt von Arbeitssuchenden, zusammengewürfelt aus ganz
Deutschland und aus Polen- die ersten Gastarbeiter, später dann
gefolgt von denen der zweiten Generation, die dann aus Südeuropa
kamen.
Es kamen die Ärmsten der Armen, die,
die keine Chance hatten in ihrer Heimat- wer verlässt sonst schon in
Massen den Mittelpunkt seines Lebens, außer denen, denen das
tägliche Brot, das Dach überm Kopf oder der Frieden vor der Tür
fehlt?
Natürlich prägt so ein Massenzulauf
der Armen und Ungebildeten auch den Charakter einer Stadt- und so
ging es hier Jahrzehnte lang nur um Arbeit, überwiegend schwere körperliche Arbeit
unter Tage.
Nach Feierabend brauchte der Mensch
schlichtes Erholen, oder Energie, um mit einem zweiten Job und der
Arbeit im Garten das Futter für die Familie aufzubessern. Denkt man
sich noch eine Welt, in der Bildung selbst in einem
Kleinstadtgymnasium Geld kostete, so kann man sich vorstellen, dass
Bottrop für einen großen Teil des zwanzigsten Jahrhunderts die
kleine, dumme, schmuddelige Schwester neben den Stars wie Essen war.
Mitten in die Zeit, als man sich hätte
berappeln und ein paar Dinge hätte starten können, kam das
Zechensterben und der Rückzug des Bergbaus. Sehr schlecht für eine
Stadt, die Kohle hatte und sonst kaum etwas.
Heute ist es so, dass die Finanzdecke
immer noch zu dünn, zu löchrig, und auch zu kurz ist an allen
Enden. Die öffentliche Umgebung verfällt, egal, wie viel Mühe sich
die Menschen geben. Jede neue Aufgabe, die uns zuwächst, kostet-
Konnexitätsprinzip hin oder her- mehr, als wir zur Kompensation
bekommen. Wir zahlen immer noch für Städte im Osten, und nicht nur
der Kämmerer ballt die Fäuste in der Tasche deswegen.
Klein ist hier alles geblieben. Die
Beschränkung auf das Machbare und das Bezahlbare hat über die
Jahrzehnte trotzdem ein beachtliches Gesamtwerk zu Tage gebracht. Mit
dem wird gern geworben, zu Recht, aber irgendwie ist das nicht meine Stadt (nicht nur,
jedenfalls).
Viele Dinge, denkmalgeschützte
Gebäude, alte Waldbestände, gewachsene Wohn- und Lebensstrukturen
in alten Siedlungen, sind nur geblieben, weil wir immer arm waren,
und uns auch den Hau-es-um-und-bau-es-neu-Wahnsinn der sechziger und
siebziger Jahre nicht leisten konnten. Viele ebenfalls schöne Dinge
haben schon den Krieg nicht überlebt, weil wir hier durch die
Schwerindustrie doch sehr im Mittelpunkt von Angriffsinteressen
lagen.
Natürlich wurde für den Wiederaufbau
in der ganzen Republik Kohle und Stahl gebraucht, natürlich brauchte
man dafür Arbeiter, die Wohnungen brauchten, die dann aus dem Boden
gestampft wurden - und heute wird gelächelt, geschimpft und
gespottet über die alten Straßenzüge mit den Nachkriegsbauten.
Schön sind sie wirklich nicht.
Ich lebe an so einer Straße. Zugegeben
an dem „neuen“ Ende, einer Verlängerung aus den Endneunzigern,
gebaut auf verkauftem Tafelsilber meiner Stadt, Teil eines
Naturschutzgebietes.
Die Straße selbst war in den alten
Teilen so marode, dass sie bereits in Plänen von vor zehn Jahren als
„unbefahrbar“ eingestuft wurde. Was macht eine Stadt wie Bottrop
mit so einer Straße? Richtig. Sie stellt Schilder auf, auf denen
„Straßenschäden“ steht, und wartet eine Dekade mit der
Reparatur.
Wenn ich eine Qualität meiner Heimatstadt benennen sollte, wäre es die Geduld...
Von meinem Wohnzimmer aus könnte ich
das Tetraeder sehen, wenn die rechte Wand eine Außenwand mit Fenster
drin wäre (ist sie aber nicht). Gehe ich bis zur Ecke und überquere
die Hauptstraße, bin ich in besagtem (s.o.) Naturschutzgebiet, und kann
lange darin spazieren gehen, und wenn ich richtig gehe, treffe ich
auf ein hübsches Schlösschen, das zur Nachbarstadt gehört. Die
nächste Einkaufsmöglichkeit ist 25 Minuten strammen Fußmarsches
entfernt. Ich nehme das Auto, danke schön.
Meine Kindheit war noch geprägt von
Rußflocken (samtig und sehr schwarz) auf weiß lackierten
Fensterbrettern, vom Geruch der Kohlefeuerung in den Öfen der
Wohnhäuser und schwarzem Schnee. Aber auch von sommerlichen
Radtouren, die vom Stadtpark aus bis ins Münsterland führten, ohne
dass man andere Städte auch nur berühren musste, und von vielen
Nachmittagen im Museum für Ur-und Ortsgeschichte, das später Teil
des Quadrats wurde.
Rußflocken übrigens sehen nur gut
aus, solange sie auf Fensterbrettern liegen. Versucht man, sie in die
Hand zu nehmen, wird Dreck draus. Schade.
Schönes Wochenende von der
Lily.
4 Kommentare:
Chöööön !!!!
In Bottrop möchte ich nicht mal tot überm Zaun hängen, aber das möchte ich in meiner Heimatstadt auch nicht, einem Kaff an der Westküste.
Aber, wie sagt man so schön: "Home is where the heart is". Schöne Liebeserklärung an Deinen Heimatort!
Hach, ich find Bottrop auch toll! :-)
Und das Abgefahrene ist, dass wirklich JEDER die Spielregeln von diesem Kriegsspiel vergessen hat! Wir haben das früher auch gespielt (und ich fand das toll) aber keiner weiß mehr, wie die Regeln waren...unfassbar... ich wär für ein Remake des Spiels! Scheiß auf politische Korrektheit! :-)
Schönen Samstag zusammen!
Liebe Autor dein Blog gefällt mir sehr.
sehr gut artikel, sehr nüzlich!
vielen Dank für deine super Ideen, nur gemeinsam sind wir stark, echt prima!
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