Hier meldet sich wieder der Haussender
mit einer kleinen Reportage aus dem Innenleben der Lily.
Lange nicht auf Sendung gewesen, wenn
ich mich hier so umschaue...
Das letzte Posting ist einigen Leuten
zu weit gegangen, entweder wegen der Musik (nun ja, de gustibus und
so), anderen wegen der Erwähnung des potenziellen Ablebens, welches
mir nun mal genau so bevorsteht wie allen- rein von der
Wahrscheinlichkeit her betrachtet. Aber trotzdem: Es bleibt da
stehen, und sei es nur, um zu demonstrieren, welchen musikalischen
Einflüssen so eine Psyche standhalten kann, wenn sie muss.
Nun denn.
Wie ihr wisst, bin ich seit Anfang
November (schon wieder) in einem neuen Berufsinhalt unterwegs, der
mir viel Spaß macht.
Das hab ich auch schon über den
letzten Ausflug in das Fachgebiet Geschäftsprozessgestaltung gesagt,
und rein vom Arbeitsinhalt (dem theoretischen!) stimmte das auch. Was
nicht so stimmte, waren die Erwartungen, die man so gegenseitig an
sich stellte. Kurz und gut: Man hat die Lily nicht so sehr gemocht,
und die Lily hat umgekehrt auch nicht gerade vor Liebe geseufzt,
sondern sich ordentlich in Formalien verhaspelt. Es ist schon ein
spezieller Verein da. Den dort vertretenen Ansprüchen hab ich nicht
genügt, und je mehr ich das Gefühl hatte, dass man mir auf die
Finger schaut, desto schlechter und unsicherer wurde ich. Die
Tatsache, dass die Stelle dann eingespart wurde, hat mich
schlussendlich nicht gerade mit tiefem Elend und Verzweiflung
erfüllt.
Jetzt aber hab ich das Gefühl, zu
Hause zu sein (was nicht daran liegt, dass dort auch ein 45
cm-Geschirrspüler steht, wie in meiner Küche) und natürlich
erheblich darüber nachgedacht, warum das so ist.
Ein Grund ist sicherlich, dass mir die
Arbeitsatmosphäre dort sehr behagt. Es wird viel getan, und dabei
schiebt man mich nicht als „die Verwaltungsfrau“ beiseite (ist
nicht selten in Fachreferaten und -Ämtern, die Spezialisten aus
anderen als Verwaltungsberufen einsetzen), sondern ich kann mir eine
inhaltliche Meinung bilden und die äußern, kann nachfragen und
insgesamt ziemlich ganzheitlich dran gehen. Das kommt mir entgegen -
ein nicht auszuräumender Kritikpunkt meines ehemaligen Vorgesetzten
war der, dass ich mich zu tief reinhänge in die Inhalte der Stellen,
die ich doch nur formal angehen sollte.
Zweites Wohlfühlkriterium ist, dass
die ganze Aufgabe dort mich in frühere Zusammenhänge zurück holt,
und zwar in die politischen Diskussionen und die Inhalte der frühen
Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Es ist ein Nachhause-Kommen,
und zwar zu den Demos und den Thesen meiner Jugendjahre, nach Bonn in
den Hofgarten und zu den langsamen Gangarten unter den Transparenten.
Jawoll, Leute, die Lily ist
hoffnungslos vieux-jeu, und daran wird sich nichts mehr ändern. Was
mir fehlt(e), ist der Anspruch, mit dem ich erwachsen geworden bin:
In meinem Rahmen für einen anständigen Umgang unter Mitmenschen zu
sorgen, ohne Vorurteile und ohne Ausgrenzung. So, wie wir das damals
alle als Utopie mit uns trugen. Irgendwie ist das verloren gegangen
in den letzten zwanzig, dreißig Jahren...
Und dazu gehört noch mehr.
Schau ich mich in meiner Wohnung um, so
sehe ich jetzt (wenn ich mal die Unordnung beiseite denke) nicht mehr
nur alte Möbel Ikea-Regale voller Bücher und wilde Bilder an der
Wand, sondern ich sehe meine Anfänge, zu denen ich stehen kann und
in die ich das Vertrauen verloren hatte. In den letzten Jahren hab
ich mich immer mies gefühlt, wenn ich mich umgeschaut habe, und
zwar, weil ich mich immer unterschwellig genötigt gefühlt habe,
ähnlich viel Tamtam um Deko und Mobiliar zu machen wie viele
Menschen in meiner Umgebung. Im Gegensatz zu denen hab ich aber
überhaupt keine Priorität auf diese Dinge legen wollen. Das allein
schon hat für Unbehagen und ein Gefühl von Minderwertigkeit
gesorgt. Ich bin halt nicht nur altmodisch, sondern auch noch
merkwürdig.
Man mag jetzt ruhig annehmen, dass ich
beschlossen habe, alt zu sein und mich nicht mehr zu ändern. Das
kann jeder beurteilen, wie er mag. Ich nutze meine Medien des 21.
Jahrhunderts auch weiterhin, und werde nicht zu miesem
Recycling-Papier und türkiser Tinte wechseln, sondern weiterhin
Mails schreiben. Darum geht’s mir nicht. Aber:
Meiner Meinung nach fehlt eine gute,
solide Achtzigerjahre-Moral in dieser unserer Gesellschaft, es fehlt
die Wahrnehmung der Person neben uns als Mensch, es gibt zu viel
Urteil, zu viel Verachtung, zu viel Schubladen-Denken über Andere.
Es gibt entschieden zu wenig Rotwein und schlechte Spaghetti-Gerichte
in verrauchten Kneipen, und zu wenig Menschen dort, die das nicht
stört, weil sie so in ihre Gespräche vertieft sind. Ich möchte
mich mal wieder mit einem Oberstudienrat beim Wühltisch in Ikeas
Resterampe um das letzte runtergesetzte Ivar-Regal prügeln und es zu
Hause dann bunt anmalen, bevor ich es aufstelle.
Und ich möchte nie wieder an mir
zweifeln, weil mir Jacobsmuscheln an pochiertem Seeigel einfach
komplett wurscht sind, weil ich nie wirklich Wert auf teuren Zwirn
gelegt habe und weil es mir immer noch leichter fällt,
Freundschaften mit Putzfrauen zu schließen als Smalltalk mit
Anzugträgern zu haben.
In diesem Sinne:
Frohe Weihnachten, zusammen.
Lily.
4 Kommentare:
Auch Dir fröhliche Weihnachten!! :-)
So wichtig das mit der Arbeit. Man lebt dort ja schließlich fast den ganzen Tag. Und das mit der "Entfremdung" haben ja fast alle Menschen im Job mehr oder weniger. Das ist ja ein Glücksfall, wenn Du Dir inhaltlich Gedanken machen darfst (rätsel, rätsel, was kann denn das für eine Behörde sein, wo sowas erwünscht und erlaubt ist?)
Stehst Du also auch zu Deiner 80er Jahre-IKEA-Einrichtung? Das finde ich ja sehr sympatisch. Wir haben unsere gerade ergänzt durch einige umwerfend einfach schöne Bambus Teppiche. Und die Schwägerin gestern, die selbst eine Art Biedermeier-Puppenstube kultiviert, hat sich bei uns wohl gefühlt und die selbst gemachten Schaschlikspieße mit Kartoffelsalat genossen.
Schöne Weihnachten!
Da Frohes Fest schon vorbei *g* --> guten Rutsch ins neue, gesunde und noch bessere Jahr!
LG,die prjanik
Mir mal wieder aus der Seele geschrieben ... Danke!
Alles Gute, Glück und Gesundheit im neuen Jahr, in dem ja bekanntlich sowieso alles besser wird.
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