Und, fragt man da, hat sie? Hat's was
gebracht, die viele Kohle, die lange Zeit, die vielen Tränen?
Wisst ihr was? Das frag ich mich oft
auch.
Die Antwort lautet ja - manchmal.
Ich hab dort so einiges gelernt. Unter
anderem, wie man mit Komplimenten umgeht (nicht meine
Standard-Ansprache durch andere, aber just in case kann man das ja
mal lernen), Kontakte zu knüpfen, ein bisschen Umgang mit Farbe und
Pinsel, die eher theoretische Wertschätzung von Routinen und
Struktur. Die Praxis bei letzteren hat sich bisher nicht so recht
ergeben, aber ich arbeite dran.
„Dran arbeiten“ ist der Allgemeine
Seinszustand seit diesen 12 Wochen, hab ich festgestellt.
Sicherlich geht es mir verflixt viel
besser, vor allem war das direkt danach der Fall, weil ich einfach
total erholt war von der Zeit, in der ich mich um nix als mich selbst
kümmern musste. Das war zwar super anstrengend, aber es entfielen
Dinge wie Büro, Einkaufen, Kochen, Alleinsein. Eine Menge gutes
Essen, serviert von netten Leuten, und ich bin sogar bereit, ein
Frühstück zu mir zu nehmen.
Entlassen wurde ich mit der Diagnose
„mittelgradige, chronische Depression“ und der Empfehlung, weiter
Therapie in Anspruch zu nehmen. Aus verschiedenen Gründen sind alle
meine Versuche, das zu verfolgen, gescheitert. Nicht zuletzt, weil
mich die Qualität und Diversität der Angebote in der Klinik echt
verbrannt haben für die übliche Tiefenpsychologisch orientierte
Gesprächstherapie. Im Endeffekt musste ich nämlich erkennen, dass
die Jahre der Gespräche selten zu den Ebenen geführt haben, in
denen sich bei mir die innerpsychischen Knoten finden. Kunsttherapie
und Musiktherapie waren die Mittel, um da was zum Knacken zu bringen,
und haben zu sehr weitreichenden Ergebnissen geführt, sind aber
nicht so einfach zu bekommen.
Was mir keine Therapie bisher zurück
bringen konnte, sind die Jahre, in denen die Krankheit mich für
Lernen und Erwachsenwerden blockiert hat. Mir fehlen beinahe alle
Gefühle und Erinnerungen bis ich so schätzungsweise 15 Jahre alt
war, außer bei schulischen Dingen. Schule war immer sehr positiv
besetzt, daran liegt das vielleicht. Das wirklich üble bei diesen
verlorenen Jahren ist, dass man nicht weiß, was passiert ist,
sondern nur raten kann. Ich vermute also, dass meinem wachsenden und
sich entwickelnden Gehirn die Störungen im Stoffwechsel nicht sehr
gut getan haben und dass ich auch damals bereits sehr viel Zeit dort
verbracht habe, wo ich es noch heute tue, wenn ich mich nicht
zusammenreiße: Abseits der Realität. Nicht im Jetzt, nicht im Hier,
sondern einfach woanders. Teilweise versponnen in irgendwelche
Bücher, Filme, Spiele, aber wahrscheinlich mehr als häufig in
Grübelhausen und Sorgenbrunn. Positiv ist, dass mir wer auch immer
Schwänke aus meiner Jugend erzählen kann, die mir tatsächlich neu
sind, negativ ist, dass man mir erzählen kann, was man will - ich
kann es glauben oder auch nicht.
Die üblichen Dinge, die so ein Mensch
zwischen 0 und 15 lernt, blieben also außen vor. Mein Verhalten in
bestimmten Situationen ist daher oft etwas unangemessen, meist das
einer überangepassten 8-Jährigen, deren Hauptanliegen ist, zu
beobachten und nicht aufzufallen. Natürlich sind da auch 14-jährige
Großmäuler unterwegs, und mit denen kann man sein blaues Wunder
erleben.
Bis ich z. B. merke, dass mir Menschen
nicht gut tun, ist der Schaden schon da, und die Konsequenz für mich
lautet dann, mich zu verpissen und in meiner Burg einzuigeln.
Inzwischen weiß ich das aber, und versuche manchmal, das nicht zu
tun, denn das Ergebnis in Zeiten des Erwachsenseins ist leider, dass
man Kontakte abbricht und keine neuen mehr bekommt, weil man einfach
nicht mehr so viele neue Menschen trifft. Offensiv bestimmtes
Verhalten einzufordern wird mir aber immer fremd bleiben, fürchte
ich. Oder einfach nur entschieden meine Grenzen zu verteidigen... was
nicht heißt, dass niemand merkt, wie es „da drin“ aussieht. Das
merkt wahrscheinlich jeder, spätestens bei einem meiner seltenen
aggressiven Durchbrüche, die dann leider oft soviel Porzellan
zerschlagen, dass es nicht mehr kittbar ist.
Meist ist meine Umgebung aber vor mir
sicher, weil es dann doch einfacher ist, Aggression gegen sich selbst
zu richten- auch so ein doofes Kapitel. Ich hab mir selbst und meinem
besten Freund versprochen, niemals Hand an mich zu legen- das kann
ich versprechen. Nicht zusagen kann ich, wirklich alles
selbstschädigende Verhalten einzustellen. Aber wer kann das schon?
Momentan arbeite ich gezielt daran,
meine Angewohnheit, grübelnderweise Horror-Szenarien zu entwickeln,
abzulegen und offener gegen das zu sein, was sich tatsächlich
abspielt. Das geschieht mittels Atemübungen, meditativen
Körperübungen und viiiiiiel Geduld. Des weiteren arbeite ich gegen
das Verdrängen und gegen neurotische Voreinstellungen an. Das ist
ziemlich spannend, weil es mir schon schwer fällt, überhaupt
festzustellen, was eigentlich genau die Trigger sind, die bestimmte
Verhaltensmuster und Reaktionen auslösen.
Aber wie dem auch sei: Ich bin mit den
letzten drei Jahren zufrieden. Manchmal war ich sehr unglücklich,
verwirrt und schief drauf, aber meistens ließ es sich aushalten und
das ist doch auch schon mal was.
Oder?
Schönen Sonntag!!
Vonne Lily.
6 Kommentare:
Nix oder.
Dir auch einen schönen Sonntag!
(Wenn ich mal die wirklich passende Gelegenheit habe, schreibe ich dir was "richtiges" dazu, heute aber eher nicht..) Liebe Grüße!
Gutes Resumée (Resumme, Rehsumme, Restsumme?) Was haben die da bloß mit Dir gemacht von 0 - 15?
Komme gerade wieder von einem Ausflug zum Landkreis, wo ich meine Kindheit verbracht habe. Bei mir sind da wenigstens auch ein paar paradiesische Erinnerungen dabei von lieben Großeltern und heißen Sommern auf dem Land. Auf der Rückfahrt habe ich mich gefragt "was haste eigentlich bisher geschafft in Deinem Leben? Und was muss unbedingt noch anders werden?"
Dranbleiben, auch wenn die Jahre immer schneller ins Land ziehen.
Danke für diesen Post.
In vielen Punkten erkenne ich mich wieder...darüber denk ich jetzt mal nach...
Dir einfach einen lieben Gruß, kluge Worte hab ich nicht...
Hast Du diese Erklärungsversuche schon mal weiter verfolgt?
http://www.randomhouse.de/Buch/Seelische-Truemmer/Bettina-Alberti/e324620.rhd
Die seelischen Trümmer unserer Eltern haben nach dem Krieg auch unsere Seelen mehr oder minder zertrümmert. Das wurde mir gestern am Grab meines Vaters auch wieder klar.
Hach, das "dran arbeiten" kenn ich verdammt gut. Klappt sogar hier und da mal. Für fünf Minuten oder so. ;)
Mir bringen die Gespräche einmal die Woche aber was - eine ganze Weile haben nur sie es ermöglicht, dass ich den Rest der Woche überhaupt klar kam. Mittlerweile helfen sie mir, die Spur zu wahren, weil ich schnell, schnell (nach fünf Minuten?) schon wieder vergesse, woran ich habe arbeiten wollen. Trotdzem klingt da noch was nach, auch wenn mein Hirn ziemlich gut darin ist, Ungemütliches auf die lange Bank zu schieben (zusammen mit dem Riesenhaufen an anderen Digen, die schon dorthin geschoben wurden...).
Übrigens schaue ich jeden Tag auf die beiden Bilder von dir und freue mich an ihnen. Das nur mal so am Rande.
@Frau Vau: Mach das mal, ich freu mich drauf:-)
@Paula: Ich glaube nicht, dass da "was gemacht" wurde- ich glaube an die falsche Dekade zum Großwerden und an eine ziemlich aufgemischte Hirnchemie, sowie zuviel Kinder in meiner Familie. (Nix für Ungut, Georg!) Aber, wie auch schon im Posting geschrieben: Es bringt mich nicht (mehr) weiter, wenn ich weiß, was ich verpasst habe. Entscheidend ist aufm Platz, bzw. entscheidend ist, was ich jetzt tun kann, um mit mir umzugehen.
Die Kriegsfolgeschäden sind nur eine Facette dessen, was ich oben das "Aufwachsen in der falschen Dekade" genannt hab.
@Meise: Den Stressabbau durch die Gespräche hab ich auch lange gebraucht. Um das zu lernen, was mir ein Rudel Therapeuten aber empfohlen hat (sich selbst annehmen und so), musste ich erst wieder raus aus der Therapie und mich mir selbst zuwenden. Vieles von dem, was ich in den Gesprächen von mir gegeben habe, war auch an die Adresse des Therapeuten gerichtet. Man will sich ja auch "gut verkaufen" bzw. sich die Anerkennung der projizierten Elternfiguren abholen. Manche Übertragung blieb da dann doch eher an der Oberfläche- rückwirkend betrachtet.
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