Samstag, 13. September 2014

Dem Selbst vertrauen

Depressionen, die ja ohnehin scheiße sind, haben noch zusätzlich die Angewohnheit, am Selbstvertrauen zu nagen wie ein Biber auf Baumentzug.
Unabhängig vom aktuell miesen Leistungspotenzial hat nämlich eins mit Sicherheit keine Winterruhe, und das ist die Bewertungs- und Vorsatz-Industrie, die immer weiter produziert, ob es einem gefällt oder nicht.
Man vegetiert  mehr oder minder modernd auf der Couch vor sich hin, und die innere Stimme ist das, was am lebendigsten ist. Sie verschont einen nicht mit sarkastischen Bemerkungen, harschen Urteilen und einer Taskliste, die jeden Tag länger wird.
Kriegt man dann mal was auf die Reihe, beruhigt dies die inneren Kritiker um kein bisschen. Denn jeder Versuch, sich deshalb besser zu fühlen, wird kommentiert mit "Demnächst findest du dich toll, nur weil du aufs Klo gehst, anstatt hier einfach sitzen zu bleiben" oder ähnlich aufmunterndem Wortwerk.
Jedes kleine bisschen Aktivität wird nicht begrüßt, sondern auch noch als zusätzlicher Anlass für Bösartigkeiten benutzt.
Das findet noch mehr Widerhall, weil man ja nach so vielen Jahren gelernt hat, dass man sich nicht darauf verlassen kann, nach einer Woche fleißiger Observanz der täglichen Pflichten nicht einfach wieder aufzuhören wie ein Auto, dem der Sprit ausgeht- einmal stottert der Motor, und schon darf man am Straßenrand auf den Abschleppdienst warten.
Also muss man sich, wenn es denn nötig ist, nicht nur gegen lähmende Antriebslosigkeit sondern auch gegen die eigene scharfe Zunge und die auch aus Verzweiflung geborenen Hohnattacken motivieren, damit man  trotzdem aufsteht.
Zwischendurch war es, wie mit einer Kugel am Bein durch hüfthohen Honig zu waten. Angefeuert von einer Horde hämischer Kommentatoren, die mit Tomaten werfen. Oder so.
Meist ist dann irgendwann der Punkt erreicht, an dem man sich sogar die guten Vorsätze spart und gleich zu Häme übergeht. Um gegen die inneren Kommentare anzukommen, müsste man mindestens ein oder zwei Jahre lang leben wie ein Soldat mit Zwangsstörung, und man weiß sehr genau, dass das nicht passieren wird.
Deshalb hat der jüngste Schub an Motivation und Ausdauer zuerst für Euphorie gesorgt, hielt er doch länger an als nur einen halben Tag- und im nächsten Atemzug kam dann schon die Panik, dass alles wieder so wird wie noch vor ein paar Wochen. Dieser gelähmte Zustand hat Jahre gedauert,  und nicht einmal die Psychiatrie hat viel geholfen. Der Klinikaufenthalt hat mir die Task-Liste für eine Weile aus der Hand genommen, und unter Psychopharmaka waren die Kritikerstimmen leiser, manchmal auch die Stimmung besser. Aber hat sich dadurch grundsätzlich was an der Motivationslage geändert? Nö.
Derzeit fange ich ein klitzekleines bisschen an, darauf zu vertrauen, dass das, was ich heute nicht erledige, mit Sicherheit dann morgen an die Reihe kommt. Etwas zu planen, fängt an, so etwas wie Sinn zu ergeben.
Das ist sehr ... unerwartet, irgendwie.

Wünscht mir Ausdauer und Glück, Herrschaften.

Euch wünsche ich das Gleiche, und außerdem ein schönes Wochenende.
DieLily

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4 Kommentare:

SassenachvonWaldweiler hat gesagt…

Hallo Lilli,
ich bin so frei - als Leidensgenossin - und gebe dir den folgenden Rat (was mir persönlich sehr geholfen hat):
1. Task-Liste wegschmeisen
2. grundsätzlich davon aus gehen das die nötigen Dinge erledigt werden (ich mein jetzt so tagtägliche Dinge wie Essen kochen usw.)
3. Pro Woche nur eine Extra-Aufgabe vornehmen
4. Keinen Stress machen wenn die Extra-Aufgabe noch nicht erledigt ist
5. Wenn die Extra-Aufgabe erledigt ist sich selbst belohnen / etwas gutes tun.
6. UNBEDINGT AUFHÖREN PERFEKT SEIN ZU WOLLEN!
7. Die Bücher von Pierre Franckh lesen und umsetzen (War sehr hilfreich).
8. Bei Fragen und Unklarheiten fragen Sie Ihre Sasse ;-D ich bin immer für ein Gespräch zu haben.

Alles liebe
Sasse

Meise hat gesagt…

Liebe Lily,
ich wünsche dir ganz feste diese Ausdauer. Wobei ich dir eigentlich wünsche, dass diese "Ausdauer" nicht so angestrengt sein wird, wie es sich anhört, sondern dass sie ganz von selbst sich einfach ereignet und ergibt. Ich wünsche dir Leichtigkeit und den Flow im Alltag.
Ganz liebe Grüße aus dem Rheinland
die Meise


P.S.: Ähm, und für mich wünsch ich das auch... Aber da bin ich leider noch nicht.
Das glutenfreie Brot und die ganze Umstellung muss noch warten, habe bisher nur ein wenig reduzieren können.

Lily hat gesagt…

Hallo liebe Sasse,
mit TaskListe meinte ich die Dinge des Alltags. Und ich versuche, mich jetzt mal nicht zu schämen: Essen kochen, auch nur regelmäßiges Essen war auch schon ein Teil davon, weil ich das nicht sicherstellen konnte. Zu Schweigen von Dingen wie Staubsaugen, Einkaufen, Spülmaschine einräumen... Nur das Zur-Arbeit-Gehen und die Katzen versorgen, das hat immer noch geklappt, aber auch natürlich nicht perfekt. Und so richtig angst und bange wurde mir, als ich feststellte (nach einem Gespräch mit meiner neuen Therapeutin), dass mir nichts Schönes mehr einfällt, mit dem ich mich belohnen könnte...
Besteste Meise von allen- ich danke dir. Und wünsche vice versa.

Paula hat gesagt…

Oooch, das tut mir Leid, dachte ich doch neulich nach dem Gluten-Post, dass Du nun endlich die Antwort auf alle Deine Fragen bekommen hättest. Wäre ja auch zu schön gewesen.

Sag mal dem höhnischen Stimmenchor einen schönen Gruß von mir: "die Lily ist in Ordnung, die hat ein großes Potential und sie weiß wie's geht."

Und To do Listen finde ich sinnvoll (meine letzte hängt immer noch überm Schreibtisch nach zwei Jahren, den letzten Punkt habe ich erst neulich erledigt). Für den Alltag muss eine Gewohnheitsroutine reichen, Hamsterrad, Du weißt schon, aber Hamster müssen zunächst mal gut ernährt werden, jeden Tag wieder!

Alles Liebe, hoffe Deine neue Therapeutin ist nicht zu teuer.