Dienstag, 5. Juli 2016

A Knife Between my Teeth


Zurzeit gibt es hier chez Lily genau zwei Aggregatzustände: Müde oder wütend. Oder den überlappenden Zustand aus beidem.

Mich bringt alles in Wut. Leute, die was von mir wollen, Umstände, die ich nicht ändern kann, meine Eltern, die Kollegen (selten), das Wetter, die Katzen, deren Bedürfnisse. Zuviel zu tun, zu wenig Lust, was zu tun, zu wenig Dinge, die ich mir als schön vorstellen kann (außer die, die man kaufen kann), die Spritpreise, Werbung, mein Kontostand- lauter Sachen, die mich aufregen, bis es Abend ist und ich vor Zorn nicht schlafen kann.
Es ist mir klar, dass das ein pathologischer Zustand ist. So schnell und gründlich bin ich meist nicht aufzuregen, wenn auch vielleicht etwas fixer als Ottonormalfünfzigerin. Mein letzter Urlaub war irgendwann vor Oktober 2014, ich weiß nicht mehr genau wann, und das hat bestimmt damit zu tun.

Mich ärgert die Selbstverständlichkeit, mit der Leute über mich verfügen, und das Gejammer meiner Mutter. Mich macht mein Arschlochbruder sauer, der sich die Eier breitsitzt und Andere machen lässt- er wäre außer mir der einzige hier vor Ort und ebenso in der Pflicht wie die anderen. Wobei die anderen zurzeit auch durch Abwesenheit glänzen und ich hier mit zwei Enkeln meiner Eltern und meiner Wenigkeit versuche, die unhaltbaren Zustände zu halten. Mich ärgert es, mir dreimal am Tag meine Mutter anzuhören, wie sie mit leidender Stimme die gleichen Sachen erzählt und mich flugs mit ominösen Gesundheitsproblemen aus dem Sonntag holt, wenn ich den Samstag nicht bei ihnen verbracht habe. Mich regt es auf, wenn sie zeigt, dass sie das passiv-aggressive Manipulieren zu einer Kunstform entwickelt hat. Entsprechend gereizt reagiere ich dann, woraufhin sie sich mit Jammerstimme entschuldigt und ich sie fast anschreie, dass sie aufhören soll mit dem Entschuldigungsgeseire. Es macht mich aggressiv, dass ich hier gefühlt alleine ausbaden kann, dass meine Mutter sich Jahre nicht darum gekümmert hat, sich und/oder meinen Vater für eine Altenwohnung oder einen Pflegeplatz anzumelden. Um ein Haar in einen hysterischen Wutanfall hat es mich heute getrieben, dass sie meinte, sie brauche eine Sekretärin (für den Schriftwechsel mit einer (!) Krankenkasse(!)). Dreimal dürft ihr raten, wer sich nicht bewirbt? 
Richtig.
Und dann hab ich das getan, was für einen kurzen Moment einen roten Blutschleier vor meinen Augen verursacht hat:
Ich habe gegoogelt „Wohin mit meiner Wut“.

Jetzt weiß ich, was ich tun soll. 
Nicht etwa Leute aufschlitzen, faulen Ärschen die Nase platt hauen, jemanden so lang vors Schienbein treten, bis er lacht, einen geschliffenen, bösartigen Brief an die Krankenkassen schicken oder sonstwie für die Veränderung der Umstände sorgen… Nein. Mir was Schönes ausdenken. Ein Bad nehmen. Mir vorstellen, dass es schlimmer kommen könnte. Glücklich sein, dass ich lebe. 

Da fällt mir doch nur ein WHAT THE FUCK IS WRONG WITH YOU??? ein…(Man beachte die Zahl der Satzzeichen…) 
Überall wird von Frauen offenbar erwartet, dass sie entschuldigend ein Wattebäuschchen vor sich her pusten, wenn die einzige Lösung ein bewaffneter Aufstand wäre. In keiner der verdammten und verzuckerten Beispiele von Niederjournalismus im Psychologenpyjama ist die Rede davon, dass man sich vielleicht mal hinsetzen sollte (mit dem spitzen Bleistift, nicht zwingend mit dem Stilett) um zu überlegen, wie man an den Umständen was ändern kann. 
Wo man tatsächlich vielleicht Recht mit seiner Wut hat. 
Wo es krank macht, sich immer vorzustellen, dass man ja auch einbeinig in einer Grashütte auf den äußeren Hundsinseln leben könnte- nur um nicht zu merken, dass man verarscht, manipuliert und ausgebeutet wird.
 
Mein Eindruck war eigentlich, dass wir die Fünfzigerjahre lang hinter uns gelassen haben und dass inzwischen klar ist, dass alberne kosmetische Schraubereien an der eigenen Zufriedenheit weiß Gott nicht jedes Problem lösen. Und dass sich das auch schon in die Blättchen herumgesprochen hat, die man aus unerfindlichem Grund Frauenzeitschriften nennt. Aber weit gefehlt… 
Für richtige, vollständige, hirntragende Frauen sind die Dinger nun wirklich nicht gedacht. Staats- und familienerhaltende Schleimabsonderungspostillen sind das. Und so eine Art verbales Narkosemittel, vermutlich.
Und jetzt geh ich raus. Barrikaden anzünden. Und wenn es nur die in meinem Kopf sind.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Vermutlich ist die Funktion von Frauenzeitungen die, dass sie den Blick ihrer Leserinnen auf ihre figürlichen und sonstigen eingebildeten Probleme lenken, damit die gar nicht auf die Idee kommen, sich mit den wirklich wichtigen Fragen zu befassen.

Lily hat gesagt…

Und damit mehr Sachen verkaufen, die die meisten Leute eh nur zu brauchen glauben, um das Alltagselend zu übertünchen.

Paula hat gesagt…

"...Mich regt es auf, wenn sie zeigt, dass sie das passiv-aggressive Manipulieren zu einer Kunstform entwickelt hat...

Ja so sind sie, die Frauen aus dieser Generation,die die Abhängigkeit von der bestimmenden Männergeneration und ihre anerzogene Unmündigkeit in Macht umwandeln mit perfiden Mitteln. Meine Mutter war genauso. Der Manipulation kann man nur mit stoischer Standfestigkeit und nüchterner Verweigerung widerstehen, mit klaren Neins, sonst hat sie Dich in der Hand. Wutausbrüche nützen da gar nichts, sie zeigen nur, dass sie Dich am "Haken" hat.

Frau Vau hat gesagt…

Das ist wirklich widerlich.... der Hauptgrund, warum ich "Frauenzeitschriften" nicht lese! Und dabei wird "so was" komischerweise meistens sogar von Frauen geschrieben!
Beim Rest... schade, dass ich dir da nicht helfen kann... ich hoffe, du lässt deine Wut wenigstens bei deinem doofen Bruder aus! Ich schicke dir Kraft, um dem allem entgegen treten zu können... lass dir kein schlechtes Gewissen machen! Ich kann für mich nur hoffen, dass ich später mal nicht so werde.. das möchte ich meinen Kindern nicht antun.
Ganz liebe Grüße!!

Tina hat gesagt…

Schrecklich, dass heute nichts mehr seinen Platz haben darf: Wut, Trauer, Tränen ... bitte alles unterdrücken, beiseite schieben und bloß niemanden damit belästigen!!! Immer lächeln und winken .... Grrr ...
Und sowas wird ernsthaft im 21. Jahrhundert noch immer verbreitet??!!

Deine Wut ist jedenfalls mehr als berechtigt und darf auch ausgedrückt werden. Nun ja, sicher nicht zwingend in einem blutigen Gemetzel ... Aber irgendwo muss sie doch hin, und in einem duftenden Wannenbad lässt sie sich leider nicht ersäufen.
Deine Überlegungen eine Liste anzulegen sind doch schon richtig gut. Ich empfehle übrigens einen langen, strammen Waldspaziergang - nicht im Sinne von "freu dich dass du überhaupt am leben bist!", sondern mir hilft es wirklich in allen Gefühlslagen, wenn ich in die Natur gehe. Körperliche Bewegung baut ja auch tatsächlich Stress ab, und wenn man beim marschieren noch so wenigen Leuten wie möglich begegnet kommt man irgendwie allmählich runter und "zu sich". Klingt esoterisch - ist aber so. Also, bei mir zumindest. ;-)
Dann kann ich Dir nur empfehlen, Dir freie Zeiten zu nehmen, und die auch von niemandem stehlen zu lassen (Notfälle natürlich ausgenommen).
Ich denke man geht vor die Hunde, wenn man nicht konsequent bleibt und seine sämtlichen Reserven nur noch für die Eltern opfert.
Natürlich will man helfen, aber man kann und darf auch nicht sein eigenes Leben regelrecht opfern dafür. Langfristig macht man sich damit kaputt und kann im schlimmsten Fall am Ende dann auch nicht mehr helfen, weil man schlicht seine Reserven verschleudert hat.
Kann man vielleicht irgend etwas "outsourcen", auch wenn es Geld kostet? Weiß ja nicht ob/welche Arbeiten für Dich bei Deinen Eltern anstehen, aber wenn es sowas ist wie Rasen mähen, einkaufen usw., dann vielleicht einen Studentendienst oder Schüler aus der Nachbarschaft damit beauftragen?
Und mit der Mutter feste Zeiten vereinbaren, in denen Du dort bist - aber auch andere feste Zeiten, in denen Du Zeit für Dich brauchst?

Ich lebe ja mit meiner Mutter zusammen, das hat mich fast in den Wahnsinn getrieben. Seit ich ein kleines Domizil in der Region habe, wohin ich mich an 3-4 Tagen pro Woche zurück ziehe, geht es mir SEHR VIEL besser. Und vor allem kann ich nun auch viel gelassener mit meiner Mutter umgehen, geduldiger mit ihr sein usw..
Denn auf Dauer kann man das irgendwann nicht mehr, alles nervt nur noch und man ist sogar oft grundlos aggressiv, weil die Nerven immer dünner werden.
In dieser Zeit bestelle ich für sie Essen auf Rädern, rufe täglich an um zu hören ob alles ok ist, und es funktioniert prima.
Und ich habe sogar das Gefühl, dass sie dadurch aufgeblüht ist, weil sie wieder ein Stück Verantwortung bekommt.
Manchmal hab ich den Eindruck, je mehr man ihnen abnimmt, umso unselbständiger und bedürftiger werden sie auch, verlassen sich immer mehr auf andere usw....

Das alles ist kein Egoismus, sondern dient der Selbsterhaltung und auch dem besseren Umgang miteinander. Sag ich mal so als Laie, aus eigener Beobachtung heraus. :-)

Lily hat gesagt…

Liebe Paula,

ich würde nienicht meiner Mutter mit einem Wutanfall kommen. Nee, das ist für mich keine Option, kann ich nicht gut. Vermutlich hätte ich nicht mit 17 mein erstes Magengeschwür gehabt, wäre ich dazu fähig. Nein, ich werde sehr dominant und unangenehm, und dann frag ich mich zu Hause, ob ich noch ganz frisch bin zwischen den Ohren. Denn - und das sag ich trotz allem Belastungsgefühl- was sie erlebt, ist vermutlich um einiges schlimmer als mein Eingespannt-Sein. Sie verabschiedet sich in Raten und kleinen Schritten von dem Menschen, mit dem sie seit 62 Jahren ein Paar bildet. Der Mensch, den sie so sehr mag, dass sie eine Menge mitgemacht hat in all den Jahren. Gesundheit, Krankheit, Geburt und Verlust und was dergleichen mehr sind, der verlässt sie gerade Stück für Stück und tauscht sich ein gegen einen Impostor, der so aussieht wie ihr Mann aber im Kern ungefähr drei Jahre alt ist. Der sie nä-chtelang wach hält, weil er sie nicht erkennt und sie fragt, was sie mit seiner Frau angestellt hat. Der so sehr klammert und so abhängig ist, dass er ihr teilweise aufs Klo folgt. Es ist, glaube ich, für uns alle eine Hölle. Ich hab das Internet und Verständnis bei euch gefunden. Was mir das Hirn und die seelische Gesundheit oft genug rettet...

Lily hat gesagt…

Besteste Frau Vau,
leider geht das Bruderarsch nicht ans Telefon, wenn ich anrufe. Wenn es was wirklich wichtiges ist, dann schnapp ich mir ein Gerät, dessen Nummer er nicht kennt. Dann bestehen Chancen auf ein Gespräch, aber auch nur dann. Oft genug aber denk ich mir, dass es wirklich verschwendete Energie ist, in Rachephantasien zu schwelgen. Ein klitzekleines Stück Himmel, das ihm auf den Kopf dengelt, fände ich trotzdem klasse, und würde ein Kärtchen von mir dran befestigen. Nur zur Info, wem er die Beule zu verdanken hätte. Ich reime auch oft fiese Sprüche, die ich in die Zeitung setzen würde, wüsste ich nicht genau, dass er keine liest.
But alas! Auch er wird alt. Und was er gerade seinen Kindern vermittelt in puncto Umgang mit alten Eltern spricht nicht für ein gutes Altenheim in seiner Zukunft.

Lily hat gesagt…

Liebe Tina,

Waldspaziergang zum Austoben ist sehr gut- im Moment kann ich mir die Motivation nicht zusammenkratzen. Aber bald, da wird das auch wieder so sein. Zurzeit bemühe ich mich, meiner Mutter zu verklickern, was sie noch alles allein tun kann. Klar hätte sie es gern, dass ich sie herumfahre und ihr möglichst viel abnehme. Aber das bringt nix, weil es sie unselbständig und noch abhängiger werden lässt. Und das können wir alle nicht gebrauchen. Zum Glück hab ich meine Arbeit und kann darauf verweisen, dass ich nur in Ausnahmesituationen einfach hier in See stechen und früher Feierabend machen kann. Wobei sie das weniger gut akzeptiert als die gleiche Auskunft von meinen Brüdern. (Wenn man sie darauf aufmerksam macht, ist das natürlich nicht so :-) )
Ich bin im Moment besonders genervt, weil Schwester in Urlaub ist, und der Restbruder, also der Nette, viel arbeitet und locker 150 km von hier entfernt wohnt. Und auch wenn mein Sohn und die Nichte auch tätig sind, so bin ich doch die, die ständig sagen soll, was jetzt zu tun ist und wo es lang geht. Das macht es vor allem dann anstrengend, wenn es um Entscheidungen geht, die ich gar nicht treffen kann, aber soll, damit einige Leute sich nicht festlegen müssen.
Seufz. Bei meinen Eltern einzuziehen kommt ü-ber-haupt nicht in Frage. Niemals. Nie nicht. Dann kann ich mich einsargen lassen. Ich lebe seit über dreißig Jahren in einer eigenen Wohnung, und das wird so bleiben. Auch wenn sie das gern anders hätten, damit muss mir keiner kommen. Hätte keinen Zweck.
Jeder, der sowas kann, sollte sofort heiliggesprochen werden, jawoll. Und vielleicht regelmäßie Tests zur geistigen Gesundheit machen :-)