Montag, 22. August 2016

Willkommen im Irrenhaus. Bewohner: Du





Vor drei Wochen, am 5. August, ging mein Vater abends ins Bett. Nicht fit, nicht ohne Hilfe, aber er ging.
Am nächsten Morgen war er nicht zu wecken. Der herbei gerufene Rettungsdienst fuhr ihn in ein örtliches Krankenhaus. Nach nur sechs Stunden hatten sie dann entschieden, dass sie ihn da behalten. Untersuchungen ergaben Mitte der folgenden Woche, dass er eine Lungenentzündung hatte. Diese wurde mit Antibiotika behandelt. Klar war da, dass er nicht mehr weiter zu Hause bleiben konnte. Erstens mangels Infrastruktur, wie Pflegehilfsmittel, z.B. Bett, zweitens mangels qualifizierter Pflegekräfte, die ihn rund um die Uhr betreuen könnten. Wir haben es geschafft, innerhalb von zwei Tagen ein Heim aufzutun, welches ihn aufzunehmen bereit war- nachdem das Krankenhaus versprochen hatte, ihn bis zum Aufnahmetag ins Heim (19.08.) zu behalten.
Das haben sie nicht getan. Am Montag, dem 15. August nachmittags bekamen wir die Info, dass sie ihn am Dienstag, dem 16. 8., entlassen würden. Ungeachtet der Tatsache, dass der Mann auf der Terrasse würde schlafen müssen, weil keine Möglichkeit bestanden hätte, ihn ins Haus zu kriegen. Ungeachtet der Tatsache, dass er nicht mehr allein isst, nicht mehr allein trinkt…
Eine mitfühlende Pflegedienstleitung einer örtlichen Kurzzeitpflegeeinrichtung hat sich meiner verzweifelten Mutter erbarmt, und wir brachten den armen Kerl dann aus dem Krankenhaus in Einrichtung Nummer eins, nur um ihn dann drei Tage später in Einrichtung Nummer zwei zu bugsieren. Vollkommen egal, dass ein dementer Mensch solche Verschubungen nicht gut verkraftet (dafür muss man aber nicht unbedingt dement sein). Wie war das noch mit dem ärztlichen Eid? „Niemandem Schaden zufügen“?
Jetzt sitzt der alte Herr in einem Rollstuhl, ohne eine Ahnung davon, wo er eigentlich ist, die Familie nähert sich dem Zustand kompletter Entropie, und ich will emigrieren. Auf den Mars. Dahin, wo Ruhe ist, und keiner was von mir will. Nie wieder.

5 Kommentare:

Paula hat gesagt…

Oh je, Du Ärmste, das hat Kraft gekostet. Gut dass ihr endlich einen Platz gefunden habt. Krankenhäuser sind mehr denn je Kommerzunternehmen geworden, da gibt es kein Pardon mehr, wie früher mal. Es geht da schon lange nicht mehr um das Wohl der Patienten, nur noch um GOÄ Nummern für die Kasse.

Du brauchst Urlaub!
Ich drück Dich virtuell.

Frau Vau hat gesagt…

Unfassbar. Kommt aber leider zu oft vor. Alte Menschen sind den Krankenhäusern oft nur lästig. Meine Schwiegermutter ist gestürzt, es wurde nicht ordentlich geröntgt, ein Beckenbruch übersehen. 3 Tage später ist sie an einem Schock gestorben. Unnötig. Alltag.
Ich wünsche dir Kraft.. Liebe Grüße!

Lily hat gesagt…

Liebe Paula,
mich beschleicht der Verdacht, dass alte und multimorbide Menschen den Krankenhäusern die Benchmarkings versauen. Daher entlässt man sie, nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Oder der MRSA.
Mögen alle diese Entscheidungsträger irgendwann man in derselben Situation sein.

Lily hat gesagt…

Liebe Frau Vau,
mein Vater ist auch gestürzt, noch im Krankenhaus. Angeblich hat man ihn dort untersucht... und er hatte keine Verletzungen. Erst in der Einrichtung haben wir gesehn, dass er eine verkrustete Wunde an der Schulter hat, und inzwischen eine geschwollene und äußerst schmerzhafte Hand.
Daher muss er dann heute mit einem erneuten Krankentransport aus der Einrichtung in eine Röntgenpraxis. Macht je Fahrt knapp 500 €. Aber die muss halt das Krankenhaus nicht zahlen.
Möge der Blitz sie alle treffen.

Tina hat gesagt…

Liebe Lily,
ohje, mein ehrlich empfundenes Mitgefühl! :-( Für Euch und für den armen Mann.
Es ist unfassbar, was heute in diesen rein profitorientierten Krankenhäusern abgeht. Nur noch die Kohle im Blick, Menschlichkeit gerät immer mehr in den Hintergrund. Es macht so wütend, aber auch hilflos.

Mein Dad war damals in einer Geriatrie, also einer Spezialabteilung für alte Patienten, zu umfangreichen Untersuchungen. Er hatte dort eine Schluckstörung bekommen, und als ich ihn eines Tages besuchte hing ein Schild über seinem Bett, sinngemäß "bitte nicht füttern". Wir durften ihm also nichts zu essen oder trinken mitbringen, und sein Mittagessen nahm er mit Betreuung ein.
Als ich am nächsten Tag kam hatte man ihm das Abendessen aufs Nachtschränkchen gestellt und sich wieder von dannen gemacht. So viel zum Thema "Fürsorge"!
Er bekam dann eine Lungenentzündung, die mit Antibiotika behandelt wurde. Danach hatte er ganz schlimme Diarrhö, die ewig anhielt. Nur durch Zufall erfuhren wir von einer Verwandten mit medizinischer Ausbildung, dass es wohl Clostridien seien. Das käme bei alten Leuten fast immer vor nach einer Antibiose und hätte eigentlich in der Geriatrie bekannt sein müssen.
Aber schon davor machte mein Vater nicht den Eindruck als würde man sich gut um ihn kümmern, so dass ich mich beim Chefarzt beschwerte dass er offenbar nicht gewaschen und umgezogen würde.
Ich war so dermaßen sauer, dass gerade ein KH, das sich regelmäßig in der Presse seiner geriatrischen Abteilung rühmt und sich dafür feiern lässt, so dermaßen nachlässig mit seinen gebrechlichen Patienten umgeht.

Ich wünsche Euch, dass sie sich jetzt wenigstens gut um ihn kümmern und das Heim eines von den guten ist.
Und Dir wünsche ich viel Kraft ... und baldigen Urlaub oder irgend etwas anderes schönes, das Dich etwas entlasten wird.
Diese Situation ist ja jetzt noch ganz frisch und ich kann mir vorstellen dass es insgesamt ruhiger wird, wenn ein paar Wochen ins Land gegangen sind.

Alles Gute und liebe Grüße
Tina