Ja dann, sag ich mir, und träume ein bisschen vor mich hin, ja dann muss das wohl so sein. Das Navi schweigt beleidigt, es hat gerade versucht, mich über eine gesperrte Ausfahrt von der Autobahn zu locken. Jetzt steh ich drin, im Stau, nachts um elf.
Vor mir macht ein polnischer LKW Anstalten, mit Anfahrts- und Bremsmanövern seine Ladung abzuschütteln, was zum Glück misslingt. Bei der nächsten Lücke links von mir fahr ich raus, LKW mit PKW hinten drauf sind mir unheimlich. Auf der Spur ganz links bohrt ein Typ in der Nase. Vermutlich hat man ihm gesagt, dass man durch die Fenster seines Daimlers nicht reinschauen kann. Da hat man ihn wohl belogen.
Wenn ich es nicht gerade eilig habe, stört mich nur der Spritverbrauch im Stau. Und heute, dass ich so müde bin. Das Rotlichtgeorgel vor mir hält mich wach, und eine Weile denke ich drüber nach, ob das wohl schmeichelhaft für den Teint ist, so intensiv rotes Licht. Dann wandert mein Gehirn durch die vielen Dinge, die in der letzten Zeit passiert sind, es gab viel Tod und viel Krankheit in den letzten zwei Jahren. An manchen Dingen wächst man, lernt, sich besser zu orientieren im Leben, sich klarer zu werden über das, was gerade passiert. Es fällt mir aber immer noch schwer, die Realität mit ausreichender Aufmerksamkeit zu bedenken. Zu oft geh ich den einen Schritt zur Seite, klinke mich aus und lass um mich herum alles so geschehen, wie andere oder auch das Schicksal das so gestalten. Das ist ein bisschen so, wie auf der Autobahn die Spur nicht zu halten. Irgendwann kommt wer von hinten und scheucht einen mit Hupe und Fernlicht wieder nach rechts, dahin, wo man herkommt. Keine Therapie, keine Grübelei, kein proaktives Handeln oder auch psychoaktives Mittel hat da bisher geholfen. Hirn auf Urlaub, manchmal.
Ja, denke ich- vielleicht muss das dann so sein.
Dienstag, 27. September 2016
Ja dann...
Montag, 19. September 2016
Step by Step
Der Alltag, das Leben, die Arbeit hat mich wieder. Drei Wochen Urlaub sind schnell um, wenn es viel zu tun gibt... und es gab viel zu tun. Eine Beerdigung war zu organisieren, mit allem was da dran hängt. Viele Dinge, die in den letzten Wochen liegen geblieben sind, waren nachzuholen. Der Garten schrie nach Zuwendung.
Wie jeden Urlaub in den letzten drei Jahren hab ich auch diesen überwiegend mit Eltern(Teilen) verbracht.Auch aus den Plänen, einige Tage wegzufahren, wurde nix, dafür war zuviel zu tun.
Ein bisschen grimmig hinterlässt mich das. Von Beruf Tochter zu sein, ist nicht das, was ich mir so vorgestellt habe... Und irgendwie sind es ja doch meist die Töchter, nicht wahr?Meine Schwester und ich wohnen vor Ort, ein Bruder ziemlich weit weg, und der andere sozusagen im Vorort. Letzterer hat sich allerdings bei allen Vorfällen, Sorgen und Nöten des letzten Jahres fein herausgehalten, und sich einfach nicht gemeldet. Als er dann spitz kriegte, dass es mit unserem Vater zu Ende geht, hat er ihn noch besucht, war auch mit im Krankenhaus und auf dem Friedhof, aber seither- Fehlanzeige. Er hat offenbar beschlossen, dass es jetzt reicht mit der familiären Zuwendung.Meinetwegen kann er das ruhig beschließen. Ich hoffe nur, er wundert sich dann später nicht, wenn seine Kinder ihn genauso im Stich lassen. Denn Kinder lernen ja gut aus Beispielen.
Für den Beerdigungskaffee hab ich eine Diashow/Präsentation mit Fotos meines Vaters aus acht Jahrzehnten zusammengebastelt, und die dann über den Laptop laufen lassen. Und wenn man sich intensiv mit alten Bildern beschäftigt, die man auch in den Bilderkisten anderer Leute findet, dann gewinnt so eine Person eine ganz neue Dimensionalität. Papa als Kleinkind, als junger Mann, als Bräutigam... und dann mit uns Kindern, immer wieder mit meiner Mutter, später dann ist der Verfall deutlich zu sehen und man kann die verschiedenen Abschnitte der Krankheit am Gesicht ablesen. Und immer wieder die Erinnerung daran, dass wir bei jedem Stadium dachten, jetzt sei es aber sehr schlimm. Nur um Wochen oder auch nur Tage später zu sagen, oha, das geht jetzt aber flott abwärts.
Der Schritt vom gebrechlichen, fast immobilen alten Mann zum Sterbenden ging dann sehr schnell- am Tag X konnte er noch allein essen und trinken, am Tag x + 1 war das vorbei, er konnte nicht mehr sitzen, nicht mehr aufstehen, und war darauf angewiesen, dass wir ihm Essen und Getränke anreichten. Am Tag x + 2 waren es nur noch kleine Portionen Wasser, dann auch das nicht mehr, und dann starb er. Dass wir alle da sein konnten, weil es ein Wochenende war, und dass wir gemeinsam Damalsgeschichten erzählen konnten, zusammen gebetet und gesungen haben (es war uns ziemlich egal, was der Rest der Station davon hielt), das war ein außergewöhnliches Erlebnis. Und er hat, trotz seines komatösen Zustands, davon noch allerhand mitbekommen. Das konnte man an seinem Puls fühlen, und weil ihn laute Geräusche aufregten, sind wir dann irgendwann alle still gewesen. Es war entsetzlich heiß, und wir waren eindeutig zu viele Leute für das kleine Zimmer, aber niemand wollte gehen, außer, er musste.
Diese zwei Tage werde ich wohl nie vergessen.
Es ist alles noch nicht wieder richtig zusammenhängend, aber das geht auch noch nicht, da fehlt jemand. Dieses Loch muss zuwachsen. Ein bisschen hat die überwältigend gut besuchte Trauerfeier geholfen, denn die Kirche war voll, und die Kondolenzkarten gehen in die Hunderte. Es tut gut, wenn man erfährt, wie sehr auch andere Menschen den Vater oder Ehemann geschätzt haben. Eines hab ich draus gelernt: Kondolieren ist wichtig. Nicht für den Verstorbenen, sondern für den Angehörigen.Man muss ja nicht die Karte kaufen, auf der "In tiefer Trauer" steht, wenn man den Betreffenden nicht sehr gut kannte.
So. Und jetzt werde ich versuchen, rauszukriegen, warum ich seit zwei Wochen keinen Internetzugang habe zu Hause.
Grrr.