Sonntag, 9. August 2009

Frauen!?

Erinnert ihr euch noch daran?

Frau sein ist gar nicht mal so übel, alles in allem. In mancher Hinsicht bestimmt farbiger und vielfältiger als das Mann-Sein.


Beispiele?


Ich kann hier vom Leder ziehen über Stickmuster oder mich in elaborierten Schimpfworten ergehen, kann morgens aufgebrezelt und geschminkt und mit hohen Hacken zur Arbeit gehen oder in Jeans, T-Shirt und abgelatschten Turnschuhen, meine Hobbies „dürfen“ sich in einem sehr weiten Spektrum bewegen- alles das, ohne dass die Mehrheit (die Einschränkung muss einfach sein) sich bemüßigt fühlt, mir das Frau-Sein abzusprechen.

Männer haben es da schwerer. Klar kann man sagen, dass ein „echter Mann“ sich gar nicht schminken will- aber ist das nicht schon ein Urteil? Eindeutig, oder? Wer sagt, dass nicht dem ein oder anderen männlichen Menschen ein bisschen Farbe im Gesicht gut täte? (Abtönfarbe mal außen vor gelassen.)

Und warum sollte das automatisch unmännlich sein, wenn jemand sich gut aussehend fühlen will und dafür die Dinge in Anspruch nehmen möchte, die die halbe Bevölkerung dieser Erde ganz selbstverständlich nutzt? Fakt ist, dass Männern, deren Interessen und Wünsche in dem Sektor liegen, der gemeinhin als frauenzugehörig empfunden wird, in erheblichem Ausmaß mit Diskriminierung und Häme zu kämpfen haben.

Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass es auch Männer gibt, die gern stricken würden- aber ob die sich trauen, nachmittags mit Gleichgesinnten irgendwo im Café die Nadeln zu zücken und loszulegen? Das Attribut „schwul“ wäre sicher schneller im Raum, als man „Sexist“ antworten könnte. Und auch, wenn „schwul“ nicht mehr ohne weiteres ein diskriminierendes Wort ist: In diesem Kontext wäre es das.

Auch ein besonders gepflegter Mann, der keine Hemmungen hat, beim Friseur mehr zu verlangen als „Trocken schneiden, Ohren frei!“ muss in dieser Gepflegtheit in hohem Maße Männlichkeit ausdrücken, um sich der Verurteilung entziehen zu können, so ist zumindest mein Eindruck. Erst in den letzten Jahren ist es z. B. halbwegs anerkannt, dass auch ein Mann sich nicht auf die frisch rasierte Wange scharfen Alkohol kippen muss, sondern zu Kosmetika greifen kann, die die Haut nicht noch zusätzlich stressen.

Die derzeitige Mode erlaubt auch andere Pastelltöne bei Oberhemden als himmelblau, rosa hat aber immer noch ein gewisses „Flair“, und es gibt bestimmt viele Männer, die niemals ein rosa Hemd tragen würden, auch wenn es ihnen noch so gut steht- sie wüssten nicht mal, dass es ihnen gut steht.

Hätte ich ein rothaariges Kind, mit den beinahe obligatorisch unsichtbaren Brauen und Wimpern, ich würde ihm mit 13 (spätestens) die zwanzig Euro fürs Augenbrauen- und Wimpern-Färben in die feuchte Pubertistenhand drücken, das ist sicher. Und warum auch nicht? Das einzige, was dagegen spricht, ist, dass es übel in den Augen brennt, wenn man die nicht ordentlich zukneift. Keinesfalls würde ich da einen Unterschied zwischen Junge und Mädchen machen.


Bei der Berufswahl ist ein weiteres Phänomen zu beobachten: Die Bauingenieurin, die Atomphysikerin und die Elektrikerin sind inzwischen schon fast Standard (auch wenn der ein oder andere Special-Feature-Zeitungsartikel allein durch die Tatsache, dass er geschrieben wurde, etwas anderes vermuten lässt)- aber der Kindergärtner*, der Entbindungspfleger (Hebammer hört sich echt doof an, und das Wort gibt’s auch nicht) und der Arzthelfer?

Die gibt’s hier nicht, scheint mir. Liegt es daran, dass die typischen Frauenberufe immer noch als weniger angesehen gelten, so dass eine Frau in einem Männerberuf sich quasi heraufarbeitet, ein Mann in der umgekehrten Situation hingegen einen Abstieg in Kauf nimmt?

Rein ausbildungstechnisch ist der Beruf der Hebamme einer, der ungefähr so aufgebaut ist wie der zur Krankenschwester bzw. zum Krankenpfleger. Daran kann’s also nicht liegen. Es gibt vermutlich mindestens soviel männliche wie weibliche Gynäkologen- daran also auch nicht.

Muss also ein Mann immer dann, wenn er Interessen hat, die die herrschende Stimmung als „weiblich“ einstuft, quasi einen Ansehensverlust fürchten? Und die Frau, deren Vorlieben aus dem „männlichen“ Spektrum kommen, hat den sozialen Aufstieg gleich mit abonniert, und sie kriegt auch noch ein Lob, weil sie über ihre Welt „hinausgewachsen“ ist?


Dazu würde passen, dass es zu „weibisch“ meinem Empfinden nach keine parallele -und ebenso abwertende- Nebenform von „männlich“ gibt.


Solange die weibliche Hälfte der Berufe, Hobbies, Interessen, Handlungsschwerpunkte immer noch als unterlegen, weniger wertvoll und unwichtiger gilt, wird es Männern vermutlich weiterhin sehr schwer gemacht werden, die gesamte Welt entsprechend ihren wirklichen Vorlieben zu bewohnen.

Schade.




findet

Lily, die Svenja für die Anregung dankt.


* die sehr wohl weiß, dass der Beruf „Erzieher“ heißt. Die meisten männlichen Vertreter, die diesen Beruf erlernen, arbeiten jedoch im Bereich der Hilfen zur Erziehung, also in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen wie Heimen und Wohngruppen- nicht jedoch in Kindertageseinrichtungen.

4 Kommentare:

Chrisi hat gesagt…

Gibt es hier irgendwo einen Applausknopf? Wenn nicht, sofort einbauen.

Lt. Commander Mayflower hat gesagt…

Hebammer....
He-Bammer....

Svenja-and-the-City hat gesagt…

Wow, Lilly!
Das ist vielleicht der beste Artikel, den ich je zu diesem Thema gelesen habe. Und das von einer BioFrau :-)

Besonders dein Hinweis auf den Begriff "weibisch" trifft es auf den Punkt. Du hast Recht, ich kenne kein entsprechendes Wort, mit dem Frauen abqualifiziert werden. Früher hörte man das Wort "Mannweib", aber das ist aus der Mode gekommen. Inzwischen gelten solche Frauen eher als cool. Außer sie sind hässlich, dann haben sie Pech und niemand findet sie mehr cool. Eigenartig, oder?

Ich habe viele Kolleginnen (Polizei), die sich rein männlich kleiden und auch so geben. Niemandem scheint das aufzufallen.
Hätte ich mich früher als Mann so weiblich gegeben und gekleidet, wie diese Frauen sich männlich präsentieren, dann hätte es ganz sicher Ärger gegeben.

Inzwischen lebe ich selbst als Frau und kann beide Seiten gut verstehen. Umso schräger sind diese merkwürdigen Geschlechtergrenzen. Unsichtbare Linien, die man nicht überschreiten darf. Jedenfalls dürfen Männer das nicht tun, ohne für einen Lavendeltarzan gehalten zu werden.

Toller Beitrag, Lilly!

Georg hat gesagt…

Es ist doch immer so. Es gibt immer Menschen die glauben das Verhalten und die Lebensweise der anderen Menschen bewerten und Kritisieren zu können. Doch geht es sie in der Regel nicht an.
Gerade bei der Polizei habe ich es am schlimmsten erlebt. Frauen welche Frauen lieben und das auch leben werden so gerade akzeptiert. Doch auch über die wird hintenrum gelästert.
Homosexuelle Männer sind in unserem Beruf nicht erwünscht. Die werden ganz offen ausgegrenzt und gemobbt. Stellt man sich auf ihre Seite, so wird man auch zum Opfer.
Das hat mich echt krank gemacht...

Die Hoffnung das es sich mal ändern wird habe ich nicht mehr.