Donnerstag, 13. August 2009

Samstag

Heute nacht habe ich geträumt, ich sei wieder bei meinen Eltern und wäre 14 und es wäre Samstag.
Alle sitzen um den großen Küchentisch herum, bis auf Muttern, die am Herd steht und im Akkord ihre sensationellen Reibekuchen backt.
Dazu gibt es Apfelkompott, auch made by Mom, und um 12 heulen die Sirenen los.

Ich glaube, so ein Sirenen-Probealarm würde mir heute die Eingeweide verflüssigen.
Komisch, damals gehörte das zum Samstag, und ich hab mir nie die Mühe gemacht, zu fragen, was dieses Geheule im einzelnen eigentlich bedeutet. Fliegeralarm, mehr Fliegeralarm und Entwarnung? Und was hätte man da tun sollen, wenn die Dinger mal im Ernst losgeheult hätten? Luftschutzräume gabs ja nun nicht mehr, und der nahe Bunker, der heute in ein bizarres Wohnhaus verwandelt ist, enthielt mehr Schrecken für uns als ein Himmel voller Flugzeuge. Mehr, weil viel realer: Ratten, und „Gammler“, sowie sortierte andere, aber namenlose Gräuel.
Meine Mutter, Jahrgang 40, muss jeden Samstag Höllenängste ausgestanden haben, denn sie hat ja in einem sehr zarten Alter gelernt, dieses Geheul mit nächtlichem Aus-dem-Schlaf-Gerissenwerden, mit panischen Eltern und wildem Gerenne in einen fremden Keller zu assoziieren. Silvester jedenfalls bleibt sie drin, jedes Mal, auch noch mehr als 60 Jahre nach Kriegsende.
Mein Vater hat ganz andere Sachen aus dem Krieg herübergeschleppt: Reisen mit leichtem Gepäck, den Verzicht auf alles Überflüssige, was man sowieso nicht retten und mitnehmen kann, wenn man bei Nacht und Nebel plötzlich los muss.
Als Kind hat es mich amüsiert, zu lesen, dass seine Mutter „ihres Wissens am vierten April neunzehnhundertpaarunddreißig ein männliches Kind geboren hat“.
Heute weiß ich, dass auch Geburtsurkunden im Zweifel verzichtbar sind, und dass, für den Fall, dass man überlebt, eine eidesstattliche Versicherung auch deren Verlust verschmerzbar -und verwaltbar!- macht.

Und es ist tröstlich, dass es auch in Zeiten von Gewalt, Chaos und dem Untergang des Abendlandes as we knew it, immer Behördendeutsch geben wird. To inifinity and beyond.

Und nun: Auf zum Straßenverkehrsamt, Papiere holen.
Den Dieb soll der Blitz beim Scheißen treffen.

4 Kommentare:

Paula hat gesagt…

Na, da kommen sie doch , die Erinnerungen, schön in Cinemascope mit Gerüchen,in Farbe und mit Sirenengeheul!

Meine Mutter hat den Krieg geschützt überstanden auf einem Bauernhof im Norden. Mein armer Vater kam für immer seelisch zerstört aus dem Krieg wieder. Er konnte nur andeuten, was für Schreckliches er gesehen hat (und sehr wahrscheinlich auch getan hat!) Die Gefangenschaft in Sibirien hat ihm den Rest gegeben.

Und mein alter Onkel ist mit fast 80 Jahren eines Nachts schlafwandelnd durchs Schlafzimmerfenster im 1. Stock in den Garten gesprungen, auf der Flucht vor den Russen.

Time hat gesagt…

An das Sirenengeheul kann ich mich auch noch gut erinnern. Ich glaube, es wurde nur Entwarnung geheult. Damals gab es ja die Erklärungen dazu noch auf der Rückseite der Telefonbücher. Auf dem Land hat es mich wieder eingeholt, hier galt es der freiwilligen Feuerwehr. Bis die dann auch - Jahrzehnte vor der Polizei - im Handyzeitalter ankam.

Lily hat gesagt…

Als mein Vater vor 2 Jahren eine neue Herzklappe bekam, seine war, eine Erinnerung an die Hungerjahre, nach vielen Jahren harter Arbeit einfach verschlissen, da hat sich das Durchgangssyndrom, das so viele Leute nach schweren OPs haben, in Form von Kriegsalpträumen und Halluzinationen geäußert. Schrecklich, für alle Beteiligten. Ich hab meinen großen, starken Vater nie so ängstlich und klein erlebt, und gleichzeitig so wütend und traurig.
Wie man hört, ist der Zivilschutz gar nicht glücklich über die Abschaltung der Sirenen und die nicht mehr stattfindenden Probealarme. War wohl offenbar eine gute Sache, wenn man schnell wirklich jeden informieren wollte.
Könnt ihr euch auch noch dran erinnern, dass alle Naselang ein Flugzeug den Überschallknall auslöste? Gibts das heut noch? Oder sind wir nicht mehr in Flugschneisen, wo so schnelles Zeugs unterwegs ist?

Georg hat gesagt…

Die Tiefflüge mit Überschall sind in Deutschland über bewohntem Gebiet verboten.
Die Sirenen haben wirklich immer nur "Entwarnung" signalisiert. Mit Rücksicht auf die Kriegsgeneration. Die Sirenen sind auch heute noch auf dem Land die wichtigsten Melder für die Freiwilligen Feuerwehren. Da hat auch das Mobiltelefon nicht viel geändert.

Heute werden die Probealarme im Regierungsbezirk Köln im Vorfeld angekündigt. Dann läuft aber auch die ganze Bandbreite...