Tja, ihr Lieben, erst liest man hier lang nichts, dann gleich mehrmals an einem einzigen Dienstag- aber so ist das Leben.
Nachdem das ganze Internet jetzt weiß, dass ich eine behandlungsbedürftige Problemzone zwischen den Ohren habe, hab ich mir gestern ein Herz gefasst und meine Eltern informiert, die nicht einmal wussten, dass ich in Therapie bin.
Mir war gar nicht so klar, was mich so lang davon abgehalten hat.
Aber durch die megacoole Reaktion meiner Mutter, die ich ihr im Leben nicht zugetraut hätte, ist mir ein Licht aufgegangen.
Es ging nicht etwa darum, ein „schändliches Geheimnis“ nicht preisgeben zu müssen, sondern es hing damit zusammen, wie gerade meine Eltern in ähnlichen Situationen, vor allem, wenn sie sich Sorgen machen, reagieren. Da kommt dann kein „Du schaffst das, und wir stehen hinter dir!“, sondern da wird gesorgt, und gepanikt und gefürchtet, dass es nur so kracht, und das Ergebnis ist, dass man bei aller Angst und Unruhe, die man schon ganz allein hinkriegt, auch noch jemand anderen trösten muss.
Aus der ersten Zeit, als bei mir der Diabetes festgestellt wurde, kann ich mich nur an sehr wenige Dinge erinnern (was hauptsächlich am Koma lag), aber zwischendurch, wenn ich wach wurde, unruhig und desorientiert und halb verdurstet, saß meine Mutter an meinem Bett und weinte. Wenn nicht sie, dann meine Schwester- mein Vater, der Krankenhäuser hasst, aber sehr pflichtbewusst seine Besuche absolviert, kam, so weit ich weiß, erst später. Und wenn man auch kaum glauben kann, dass ich meine Geschwätzigkeit nur von einem Elternteil geerbt habe: Er hat kaum was zu sagen bei solchen Gelegenheiten, denn ich bin seine Tochter, und als solche erstens weiblich (und sozusagen unansprechbar) und zweitens kein Arbeitskollege oder Vereinskamerad.
Die eine weint, der andere schweigt- oder aber er sagt Dinge wie letztens, als ich sagte, dass ich nicht essen wolle, weil ich so fett geworden bin: „Na- dann abnehmen!“ im Brustton moralischer Überlegenheit.
Tja, wie gut, dass er mir das sagt, da musste ich wenigstens nicht selbst überlegen. Charme hat er ja, der alte Herr.
Aber, wer hätte das gedacht- diesmal hat sie mich überrascht. Als ich ihr die Planung eröffnet habe, fragte sie nur recht ruhig, warum denn, und hörte sich die Diagnose an. Dann kamen ein, zwei Sätze, des Inhalts, dass es richtig sei, zu unternehmen, was nötig wäre, dass Depressionen eine Krankheit seien wie ein gebrochenes Bein und auch nicht von selbst wieder heilten, und dass es Zeit würde, dass man offen drüber reden könne.
10 Kommentare:
Das hätten wir unserer alten Dame nicht so sehr zugetraut. Aber wie sagt man so schön;
Man lernt nie aus. Das gilt auch für Eltern. Und ganz besonders für unsere.
Wow. Das lief ja richtig gut. Klasse! Freut mich sehr für dich :)
Im Nachhinein frag ich mich, warum ich eigentlich so einen Zirkus gemacht hab darum.
Man lernt wirklich nie aus, nicht mal ich.
Hmpf.
Ich war vor vielen Jahren auch mal einige Wochen wegen Depressionen in Behandlung. Was mir am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben ist, war die Tatsache, dass meine Umwelt komplett anders reagierte, als ich es erwartet hatte.
Nix von wegen "Du hast nicht alle Tassen im Schrank!", sondern von allen Seiten Geständnisse, dass man sich selbst ja auch oft so fühle und es ein großartiger Entschluss von mir wäre, das Problem mit professioneller Hilfe anzugehen. Sowas in der Art.
Außerdem war ich ganz erstaunt, wie viele Leute plötzlich Ängste, Überforderung etc. zugaben, von denen ich das NIE IM LEBEN gedacht hätte.
Sehr lehrreich das Ganze.
Ja, das geht mir auch so. Ganz viele Leute waren selbst schon in Behandlung, einige auch stationär, und seit ich mit der ganzen Sache offener auftrete, wird mir dieselbe Offenheit entgegengebracht- was ja eigentlich überhaupt nicht verwunderlich ist. Heut weiß ich, dass ich mir eine Menge hätte ersparen können. Aber Selbstschutz ist nicht mein Lieblingsfach in der Schule gewesen.
Ich hoffe, du hast den Aufenthalt dort gut nutzen können.
toll, daß du das hinter dich gebracht hast - und es auch noch so positiv verlaufen ist! ich habe auch noch etwas, was ich meinen eltern nicht erzählen mag, wenn auch aus anderen gründen. ich sorge mich um sie, weil ich fürchte, daß sie dann sehr traurig würden. aber vielleicht schätze ich das ja auch falsch ein...
[captcha ist übrigens cakedpee ;)!]
bevor ich hier vom Blogger erkannt und als Lily da stehe, seh ich auch immer ein Captcha. Das gerade war Camoky. Überhaupt nicht lustig. Ich hab nie lustige Captchas hier. Kann man sich da irgendwo beschweren?
Ach, die Eltern und die Dinge, die sie alle nicht wissen (sollen)... bei mir und meinen Eltern würde das eine mittelgroße Leihbibliothek füllen. Manches geht sie schlicht nichts an, manches ist zu peinlich- und manches würde sie wirklich traurig machen, und da finde ich es legitim, es ihnen nicht auf die Nase zu binden.
Wenn man etwas Besonderes, etwas Wichtiges, etwas Persönliches mitzuteilen hat, vor dem man selbst ein wenig Angst hat, dann überlegt man sich vorher automatisch, wie wird dieser, oder jener reagieren. Das ist ganz normal und spiegelt unsere Befürchtungen wieder.
In dieser Outing-Situation habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, dass fast alle meine Einschätzungen falsch waren. Kaum jemand hat so reagiert, wie ich es vorab vermutet hatte. Die vermeintlich Konservativen zeigten sich überraschend gut informiert, aufgeklärt und tolerant und einige der jungen flippigen Leute waren erstaunlich pikiert, zugeknöpft und abgestoßen distanziert.
Umso mehr freut es mich für dich, liebe Lily, dass ausgerechnet deine Ma mit soviel liebevollem Verständnis auf dich eingeht. Das finde ich richtig klasse.
Beide Daumen hoch: Svenja.
Sie mal an, Deine Mama ist noch lernfähig und hat sich super verhalten.
Vor Eltern muss man sich schützen und sie auch bis zu einem gewissen Grad schonen, also sehr selektiv erzählen, was los ist, das sehe ich genauso. Denn sie haben doch meistens noch direkten Zugang zur Kinderseele in einem und können mit ihrem moralischen Urteil sehr verletzend sein. Und das hört nie auf, selbst wenn sie 80 sind und man selbst schon längst erwachsen ist.
Meine alte Dame hat mich immer mit ihren eigenen Depressionen versucht zu überbieten, "Symtomschlacht" statt Mitgefühl. Da war es dann letztendlich besser, gar nichts mehr zu erzählen.
Mach Dir keine Sorgen über Dein "Coming Out", ich kenne sehr viele, die bereits am depressiven Rand des Abgrunds gestanden haben, mich eingeschlossen. Man kommt da wieder raus, nötigenfalls mit professioneller Hilfe, und dann ist das Leben umso schöner!
@Svenja: Ich geb dir da voll Recht- andererseits muss ich sagen, dass ich mich schon auch das frage, was mich meine Mom gefragt hat (übrigens ganz ohne den obligatorischen Vorwurf in der Stimme): Man frage sich nur unwillkürlich, warum ich nicht mit ihr geredet habe- schließlich sei sie meine Mutter, der Mensch, der mich am längsten kennt. Wie gesagt, vorwurfslos, und da konnte ich dann auch nur zustimmen: Das frag ich mich auch.
Und was du, Paula sagst, ist wahrscheinlich die Antwort darauf. Weil sie das Kindheitsich ansprechen können, dass da immer noch ist, und dass auch sehr kindlich reagiert und sehr kindlich-schutzbedürftig ist.
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