Samstag, 14. August 2010

Notizen aus der psychiatrischen Provinz:




Ich will jetzt sitzend gegen den Strom schwimmen!
( B.H. aus B. zu mir, als sie auf der Poolnudel Richtung Gegenstromanlage steuerte)

Wasch dir die Füße, dann rutscht vielleicht der Dreck aus den Ohren nach!
( A.H. aus E., als ich sie beim Frühstück zuerst nicht verstanden hatte).

Der Monat ist fast zur Hälfte herum, und ich hab noch immer ein Ticket für die Psychiatrie. Ende August werde ich ausgewildert, wenn alles so läuft, wie es soll. Dann sind fast drei Monate um, viel mehr Zeit, als ich zunächst erwartet hätte, aber diese ist blitzartig schnell vorbei gegangen. Das lag zur einen Hälfte am tough durchgeplanten Tagesablauf, der oft nicht viel Zeit ließ, auf dem ziemlich weitläufigen Klinikgelände vom Einzel zur Wassergymnastik und von dort in den Kunstraum I zu kommen- und die drei Etagen Höhenunterschied lasse ich dabei ebenso aus wie den schwierigen Versuch, nach dem Schwimmen so weit trocken zu werden, dass man in seine Klamotten kommt, ohne sich auf die Nase zu legen. Aus unerfindlichen Gründen scheint Chlorwasser besonders schlecht durch Handtücher entfernbar zu sein. Oder liegt das daran, dass man nach dem Schwimmen im auf Badewassertemperatur erhitzten Pool (35 °C. Fünfunddreißig Grad. Celsius.) schwitzt wie ein Elch?
Egal.
Die andere Hälfte der relativen Zeitbeschleunigung haben meine Mitpatienten verursacht, die eigentlich immer da sind, außer wenn ich schlafe. Die merkwürdigsten Gestalten (unter denen sich auch euer aller Lily befindet) freunden sich miteinander an, und die Spontantreffen unter Sonnenschirmen, in Wintergärten, Ergo-Werkstätten oder Teeküche, Raucherraum oder Fernsehzimmer, Schwimmbad oder Seminarraum sind das Tüpfelchen auf dem I. 38 Patientenplätzen stehen knapp 60 Angestellte gegenüber- teilweise sind wir in den Gruppen nur zu dritt. Jede Person hat ihren Charme, ihre Geschichte, ihre Schönheiten, und ich bin ausgesprochen dankbar, sie alle kennen gelernt zu haben. Dabei ist eine Malerin, deren Bilder ich im nächsten Post mal ein bisschen vorstellen will, eine begnadete Textilkünstlerin und Menschen aus ganz anderen, ebenso interessanten Berufen, die jedoch nicht so sehr in der Öffentlichkeit stehen.
Von ihnen hab ich viel gelernt- daher hier mein Dank an

Elena, für das Abguckenlassen und die ästhetischen Highlights, sowie deine kluge und liebenswerte Art, zu lachen und zu leben, und für die Bekanntschaft mit Katzi
Alex, deren Fröhlichkeit und Warmherzigkeit immer noch fehlen,
Barbara, die so herrlich kreischen kann und mit der ich schon so unglaublich alberne Gespräche geführt habe, du hast mir gezeigt, dass man cool und warm zugleich sein kann.
Anne, die, die immer wieder aufsteht- dich bewundere ich, aber nicht kritiklos :-)
Anja- denk ab und zu an rosa Elefanten! Du schaffst es, meine Liebe!
Malou- halt die Ohren steif, das Leben wird klasse werden.
Antje- ich hoffe, ich sehe dich bald.
Margit: I'll never forget the sign of the flying asshole. Du rockst, meine Liebe.
Gaby, für Wärme, Zuneigung und den trockensten Humor am See.
Marita, für eine mörderische Lache,
Marianne, eine der weichherzigsten Frauen, die ich je kennen gelernt habe,
Regina, eine begnadete Aqua-Joggerin und Mit-Singstar-Gewinnerin, der ich Kickboxen als Lieblingsübung unter Wasser verdanke :-)
Dirk, für seinen Humor und die stete Arbeit an der Erlösung,
Dietmar, für sein mutiges Ansprechen der Neuen, und für die guten, langen Gespräche.
Einige der hier nicht Genannten sind nur kurz gemeinsam mit mir hier gewesen, und ihr Name ist mir nicht so deutlich in Erinnerung geblieben wie ihre Gesichter und ihre Geschichten. Aber auch die sind wichtig. Vielleicht schreibe ich ja mal einen Psychiatrie-Krimi, da kommen sie dann alle drin vor. Plus Ärzten und Therapeuten.
Ihr alle solltet immer dran denken: Sonne macht albern. Aber Tabletten auch :-)

Aber am meisten von allen verdanke ich meinem besten Freund S., für unentwegtes Da-Sein, für das Zurückziehen von der mentalen Bahnsteigkante, für endlose Gespräche zur Seelenrettung- ohne dich wäre ich schon tot, mein Lieber!
Auch Sandra und Gianna, die sich meine endlosen Irrwege bis hierher angetan haben: Ich danke euch, ihr seid echte Freundinnen.
Mein Bruder Georg, der sich unermüdlich die mehr als 200 km antat, um seine Schwester in der Klapse zu besuchen: Ich wünsch dir und S viel, viel Glück :-)
Der jedoch, ohne dessen Mitwirkungsbereitschaft ich niemals hierher hätte kommen können, fehlt noch: Mein Sohn T., der sich um die Katzen kümmert und meinen verlotterten Haushalt führt, so lange ich das nicht kann.

Vielen vielen Dank, euch allen.
Ich kanns nie wieder gut machen.

Lily

9 Kommentare:

rebhuhn hat gesagt…

*

Anonym hat gesagt…

....Du bist mächtig in Vorkasse getreten, da gibt's nix gut zu machen. Hab Dich lieb!
S.

Georg hat gesagt…

Doch. Das hast Du schon.
Du warst es die mir den Arsch gerettet hat.
Anderen konntest Du halt immer gut helfen.
Ich Danke Dir.

Und auch den anderen die es möglich gemacht haben das Lily noch da ist...

Svenja-and-the-City hat gesagt…

Mensch Lily, ein Posting, das wirklich sehr zu Herzen geht. Das können doch unmöglich schon fast drei Monate sein?
Ich wünsche dir weiterhin viel Power und gute Freunde bei deinem Flug übers Kuckucksnest.
Herzliche Grüße, Svenja

Schäfchen hat gesagt…

Ich hab Tränen in den Augen *schnief*
Du bist ein toller Mensch und ich bin froh und dankbar, dass dir in der Klinik geholfen wird!

Bis bald und ganz liebe Grüße
Melly

mkh hat gesagt…

Ich wünsche dir unbekannterweise, aber von Herzen, dass du deinen neuen Platz auch ab Ende August finden wirst. Bestimmt wird vieles neu. So intensiv, wie du schreiben, malen, fühlen kannst, wünsche ich dir auch "draußen" frischen Boden unter deinen Füßen, der genau diese Qualitäten zulässt. Und der dir nicht die Energie rauszieht, sondern dich darin stärkt, deine ureigenen Kräfte anzuwenden.

Hört sich für dich vielleicht abgehoben an, was ich da schreibe, aber das sind gerade meine Gedanken beim Lesen deiner Einträge. Glück auf, Frau Lily! Und Danke auch für deinen Mut, auf dieser Plattform so starke Eindrücke zu hinterlassen.

Kate hat gesagt…

Was mich betrifft hast du schon längst alles wieder "gut gemacht"! Doppelt und dreifach!

Bin froh, dich zu kennen!! :-)

Steffen hat gesagt…

Blöde Neue Deutsche Schreibung.
Gut machen kannst Du viel. Und um das Gutmachen mach Dir mal keine so großen Sorgen, das ist schon in Ordnung so im Weltenplan.
Seine eigenen Verdienste nimmt man ja selten so intensiv wahr, dafür braucht es die anderen (die vielleicht in diesem Moment einen ähnlichen Text schreiben, in dem Du dann am prominenter Stelle vorkommst).

mo jour hat gesagt…

liebe Lily! frau vivaldi hat mich 'hierhergeschickt' - weil ich auch gerade in einer klinik sitze, aber ganz andere erfahrungen mache.

das tut gut, zu lesen, wieviel gutes du (darf ich?!) von dort mitnehmen kannst .... vielen dank auch für so viel offenheit hier, das berührt mich sehr.

ich sende kraft, licht & liebe und wünsche weiterhin gute genesung!