Bei Plus an der Kasse in der Schlange stand ich heute mittag, da steuerte jemand auf mich zu- eine gebeugte, breitschultrige Gestalt. Lang, trotz der Schultern dünn und mit einer Ausstrahlung wie Michael Endes Scheinriese Herr Turtur, schlurfte er auf die Reihe der Wartenden zu und reihte sich hinter mir ein.
Irgendwas kam mir bekannt vor.
Ich kam nicht drauf.
Eine eher abgerissen aussehende Gestalt, die ich unwillkürlich der ärmlichen Wohngegend rings um meine Arbeitsstätte zuordnete, aber im Gegensatz zu dem, was von weiter weg plausibel und wahrscheinlich erschien, kam weder eine Fahne noch abgestandener Rauchgeruch noch der Mief billigen Waschpulvers (das Aldi-Zeugs, das so grässlich nach Keller und alten Lappen riecht) rüber.
Neutrales bis kein Aroma.
Ungefähr Mitte bis Ende 50, schätzungsweise.
Dann versuchte der Mann, über meine Einkäufe hinweg den Zigarettenspender zu bedienen, und drückte beharrlich auf die Taste mit dem Abbild einer bekannten und als teuer berüchtigten Marke in goldfarbener Verpackung. Leer, das Häuschen, und der Apparat sonderte jedes Mal nur ein lautes Piepsen ab.
Die Verkäuferin reagierte etwas ungehalten und meinte irgendwann „Das ist leer, das hören Sie doch“, und „Welche hätten Sie denn gerne?“
Der Mann machte den Mund auf und sagte „B*nson und H*dg*s“ und sie stierte einen Moment in seine Richtung- das hatte sie offenbar nicht erwartet.
Dann griff sie unter ihren Kassentisch und förderte eine Stange zu Tage, aus der sie drei Schachteln herausnahm und dem Mann hinhielt.
Der Mann griff zu, und in dem Moment hab ich die Hände erkannt.
Und nach einem weiteren Blick, diesmal an den grauen Bartstoppeln vorbei, auch das Gesicht.
Nichts da Mitte bis Ende fünfzig.
Ein Freund aus Jugendjahren.
So alt wie ich.
Und offenbar krank- dem Aussehen, der Körperhaltung und dem Gang nach Morbus Parkinson oder was Zerebrales.
Das ist geblieben von jemandem, der vor 26 Jahren mal auszog, die Welt der Philosophie und Theologie zu erobern: Ein vorzeitig gealterter Mensch, bei dem die Leute unwillkürlich den Atem anhalten, prophylaktisch. Ein alter Parka, eine zu große Jeans, eine Art Gelehrtengesicht hinter grauschwarzen Stoppeln- und teure Zigaretten.
Ich hab den Laden fluchtartig verlassen und bin in mein Auto gestiegen, als wäre mir wer auf den Fersen.
Hab mich geschämt- über mich selbst, und meine Feigheit, jemanden anzusprechen, dem es offenbar schlecht geht.
Kam mir plötzlich feist, arriviert und dickfellig vor.
Ich werde demnächst öfter mittags da einkaufen gehen.
Und ihn das nächste Mal hoffentlich erkennen.
Immer die Eure, hoffentlich bald eine bessere
L
Dienstag, 24. März 2009
Dienstag.
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8 Kommentare:
Offensichtlich hat er dich aber auch nicht erkannt - oder wollte dich nicht erkennen.
Und gerade wenn es einem nicht gut geht, will man vielleicht nicht unbedingt mit einem "Wie geht's dir?" angesprochen werden. Zumindest ging's mir schonmal so.
Ein gelogenes "Och, prima." schmerzt einen da genauso wie ein aufrichtiges "Im Moment echt scheiße!"
Aber das ist eine Möglichkeit.
Mach dich nicht so fertig deswegen. Beim nächsten Mal erkennt ihr euch beide ja. ;)
...vielleicht.
(kommt hinter's "ja".)
Schreib es einfach dem Schock zu. Und der Hilflosigkeit, weil man nicht weiß, was man sagen soll, wenn das einzig ehrliche wäre: "Meine Güte, was ist denn mit Dir passiert?"
Er wird Dir auch nicht unbedingt an der Supermarktkasse sein Leben erzählen wollen und war vielleicht ganz froh, dass Du ihn nicht angesprochen hast.
Ich mache mir jetzt erstmal Gedanken über den Geruch meines Waschpulvers ;-)
Das war nicht die Art Begegnung, bei der man sich irgendwie näher ansieht... ich bezweifle, dass ich ihn anders als an den Händen hätte erkennen können, oder dass er mir ins Gesicht geguckt hat. Dafür war seine ganze Haltung zu sehr "Ich schau dich nicht an, also schau du mich auch nicht an". Er ist direkt hinter mir aus dem Laden geschlufft, ohne aufzublicken und hatte eindeutig sein persönliches Unsichtbarkeitsfeld aktiviert.
Mann, ich fühl mich immer noch scheiße deswegen.
Ich versteh, dass dich das mitnimmt.
Über den Rest haben wir ja gerade schon gesprochen aber erklär mir doch bitte mal, wie du nach 30 Jahren (passt das??) jemanden an seinen Händen erkennst??? Ich grübel da schon die ganze Zeit drüber nach... das schaffst auch nur du ;-)
Wenn er sein persönliches Unsichtbarkeitsfeld aktiviert hat, dann wollte er nicht angesprochen werden, weder von der Kassiererin (die sich wenig darum scherte)noch von Dir oder sonstwem.
Hinsichtlich Hände-erkennen nach zig Jahren kann ich mich nur Kate anschließen. Wie macht man das???
Recht einfach, in diesem Fall... weil sie recht hässlich waren, und das waren sie schon auch vor dreißig Jahren. Markant- hässlich, sozusagen, und das hat eingehakt bei mir.
Auf jeden Fall genug, um noch ein zweites Mal richtig hinzuschauen.
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