Donnerstag, 26. Januar 2012

Die Lily…


sitzt gerade hier und kraust die Stirn. Immer öfter erwische ich mich dabei, mit zusammengekniffenen Augen irgendwas oder irgendwen anzustarren, vorzugsweise den Fernseher, oder mein Strickzeug.
Oder Timo.
Timo ist ein Exemplar der Gattung Teilnehmer am öffentlichen Personen-Nahverkehr, also ein Töff-P.

Timo nimmt immer den Bus um fünf vor sieben, und er ist ein wichtiger Grund, lieber den um halb sieben zu erwischen, da sitzt er nämlich nicht drin.

Timo zeichnet sich durch ein herabgesenktes Bedürfnis nach Distanz zu anderen Menschen aus. Er rückt einem, wie man hierzulande sagt, dermaßen auf die Pelle, dass man ihm schon dafür eine klatschen könnte. Jawohl, um viertel vor sieben.

Timo bringt, sobald er morgens an der Haltestelle auftaucht, die aufgereihten anderen Fahrgäste in Unordnung. Alles steht, wie von einem unsichtbaren Regisseur platziert, am Fahrbahnrand aufgereiht in beinahe identischen Abständen voneinander entfernt, und dann kommt Timo.
Meist bin ich die Erste, die morgens da aufläuft, daher gebührt mir der Platz direkt da, wo der Bus halten wird. Oder?   
Alle akzeptieren das (und amüsieren mich dadurch)- nur Timo nicht, Timo drängelt sich vor. 
Dabei redet er vor sich hin. 
Nichts Interessantes, sondern dumme kleine altkluge Kinderwitzchen. Er steht zum Beispiel da und fragt, sobald ein beleuchtetes Busschild am Straßenende auftaucht, ob das jetzt unser Bus sei. Fragt das drei Mal. Niemand Bestimmten, mehr so sich selbst, gibt sich aber keine Antwort.
Zeigt dann zum Himmel und sagt: "Der Stern da, das ist der Einkaufswagen. Haha.“. Dabei zappelt er und wackelt hin und her und drängelt sich so klammheimlich vor mich. 
Kommt dann der Bus, übernimmt er gerne Platzanweiserfunktion. Erstmal muss der vordere rechte Platz frei sein. Wenn er nicht frei ist, muss Timo woanders sitzen, was ihm (und uns Anderen) Probleme bereiten wird. 
Denn er wird den Rest der Fahrt über immer wieder sagen, dass das doch sein Platz sei? Und dass er da doch sitzen wolle? Das sagt er aber immer so leise, dass man es nur hört, wenn man sich unmittelbar neben (oder hinter) ihm aufhält.

Heute morgen war der Ticket-Leser im Eimer. Daraufhin hat Timo an jeder Haltestelle erst Verrenkungen gemacht, um nachzuschauen, ob das Ding immer noch kaputt ist. Dann hat er jedem der gefühlt einhunderttausend Fahrgäste gesagt, dass das Ding kaputt sei, und sie möchten doch bitte weitergehen. Nicht, dass das nicht auch auf dem Ticket-Leser- Bildschirm selbst zu lesen gewesen wäre. 

Er hat schon Blockwart-Qualitäten, der Gute- was dann darin gipfelt, dass er immer und immer und jeden Morgen vor seiner Aussteige-Haltestelle auf „Haltewunsch“ drückt. Das wäre ja auch ganz okay, schon fast sinnvoll, wenn, ja wenn nicht diese Haltestelle ohnehin die Endstation wäre. Dort hält der Bus, so sicher wie das Amen in der Kirche.

Während der ganzen Busfahrt plappert und schwätzt und sabbelt der Knabe ununterbrochen. Erzählt von Onkel Günter, der sich ein neues Auto gekauft hat. Faselt was von „Wetten, das?“. Berichtet, dass irgendwer gestorben sei. Alles in derselben hektisch-monotonen Sprechweise.

Ich schwanke immer zwischen Mitleid und dem Wunsch, ihn terminal zum Schweigen zu bringen.

Ganz besonders, seitdem ich weiß, wie er heißt… seitdem nämlich Mutti (oder der Friseur) ihm diesen Namen seitlich in den Raspelhaarschnitt rasiert hat.

Warum tut man so etwas? Vielleicht, weil Mutti hofft, dass er sich dem nächstbesten Menschen anschließt, der ihn beim Namen ruft?

Vermutlich werden wir es nie erfahren.

Einstweilen beschäftige ich mich mit der Frage, ob er a) sein Ritalin immer erst nachmittags nimmt oder b) das Zeug bei pathologischen Gelaber nicht wirkt.

Und komme mir ziemlich blöd vor, dass mich ein Zwölfjähriger so (ent)nerven kann.

*seufz*.




11 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Schenk ihm das nächste Mal ein Stück Schokolade - vielleicht mit ein wenig Arsen versetzt - soll Wunder wirken. Lass ihn neben Dir sitzen und geh dann einfach weg, wenn bevor er es vollständig verzehrt hat Sag nicht seinen Namen, sonst folgt er Dir! :-) Ich weiß, böse! Aber so bin ja und so kennst du mich nicht anders :-) Guess who.

Womble hat gesagt…

Obacht! ....Von den leicht irren 12-jährigen von heute, haben viele das Zeug zu einem ausgewachsenen Psychopathen.

Kate hat gesagt…

Ach Liebelein, du bist doch nicht die Einzige, die von 12jährigen genervt ist! Frag doch mal die ganzen Eltern mit diesen Halbwüchsigen! ;-)

Ich würd ja sagen, stell dir mal vor, du wärst die Mutter, dann hättest du ständig den kleinen Racker um dich rum aber meist ist es ja leider so, dass die Eltern noch bekloppter...äh, anstrengender sind. Von nix kommt ja nix ;-)

Ritalin wirkt leider nicht immer...das sind die schlimmsten Kinder, die schon resistent gegen das Zeug sind! Da schließ ich mich Womble an!

Und ich find es völlig legitim, dass man nen hass gegen nervige Kinder hat! Vor allen Dingen um diese Uhrzeit...vielleicht fahr ich doch mal mit dir im Bus, das klingt spannend da ;-)

Georg hat gesagt…

Sag blos nicht seinen Namen! Denk an Beetlejuice...

Da steckt ein ganz perfider Plan dahinter.

Und: Nur weil jemand eventuel Behindert ist bedeutet es nicht, das man sich jeden Scheiß anhören oder gefallen lassen muss. Sag ihm, wenn er Dir auf die Pelle rückt er soll sich verpi.... sonst gibt's was auf die Fr....
mir geht diese politische Korrektheit auf die Nerven. Wer mich nervt und nicht in Ruhe lässt wenn ich weggehe der kriegt Ärger. So oder so...

kieselstein hat gesagt…

Hört sich so an, als wenn alleine Ritalin da nicht helfen würde...richtige Störung....aber Lily, da machste nix, als dich selbst zu schützen....

Paula hat gesagt…

Da höre ich doch unsere Großeltern aus der braunen Vorzeit sagen: "Ja früher, da hätte es sowas nicht gegeben, da wurden freche Kinder zum Schweigen gebracht...Sowas gehört doch eingesperrt...."
oder was?

Ja, geht's noch? Habt ihr denn keine Kinder? Wie steht es denn mit eurer Gelassenheit, Großzügigkeit und Souveränität als "Erwachsene"? Und wie wäre es mit ein bisschen Humor, vielleicht?

Als ob Vordrängeln und distanzloses Gequatsche etwas wirklich Bedrohliches wären.

Ich glaub ich bin in Deutschland.

Georg hat gesagt…

@ Paula: stimmt: das vergasen hatte ich vergessen. Prima Idee wenn man seine Ruhe haben will.

Heutzutage soll man die Kinder doch machen lassen. Die Regeln lernen sie dann später...

Tut mir leid das ich so egoistisch war und auch meine Rechte beachtet haben wollte.

Womble hat gesagt…

Da ich es in meinem Job seeeeehr oft mit psychisch auffälligen Menschen zu tun habe, kann ich folgendes mit Sicherheit sagen:

Wer als Kind schon auffällig ist, und das geht vom Klassiker intensives Selbstgespräch murmeln (womit nicht das gelegentliche Selbstgespräche gemeint ist) bis zur körperlichen Übergriffigkeit, dessen Verhalten wird sich, ohne dass ihm Grenzen aufgezeigt werden, nicht bessern. Es wird sich verschlechtern.
Es ist völlig legitim da helfen zu wollen, sei es mit Taten oder mit Geduld. Allerdings ist es genauso legitim genervt zu sein und ruppig zu reagieren. DENN: Es ist meine Zeit, und ich entscheide ob ich mich nerven lasse oder nicht. Das hat nichts mit politischer Korrektheit zu tun. Sondern ganz allein mit der persönlichen Toleranzschwelle und mit Selbstschutz.
Und nur weil unsere Großeltern vielleicht eine braune Vergangenheit haben, muss keiner von uns vor jeder unterdrückten Minderheit den tiefen Diener machen. Weil man von manchen Leuten genervt ist, heißt noch lange nicht, dass man braune Tapeten hat.
Insofern... Schorsch for the win!

Womble hat gesagt…

Da ich es in meinem Job seeeeehr oft mit psychisch auffälligen Menschen zu tun habe, kann ich folgendes mit Sicherheit sagen:

Wer als Kind schon auffällig ist, und das geht vom Klassiker intensives Selbstgespräch murmeln (womit nicht das gelegentliche Selbstgespräche gemeint ist) bis zur körperlichen Übergriffigkeit, dessen Verhalten wird sich, ohne dass ihm Grenzen aufgezeigt werden, nicht bessern. Es wird sich verschlechtern.
Es ist völlig legitim da helfen zu wollen, sei es mit Taten oder mit Geduld. Allerdings ist es genauso legitim genervt zu sein und ruppig zu reagieren. DENN: Es ist meine Zeit, und ich entscheide ob ich mich nerven lasse oder nicht. Das hat nichts mit politischer Korrektheit zu tun. Sondern ganz allein mit der persönlichen Toleranzschwelle und mit Selbstschutz.
Und nur weil unsere Großeltern vielleicht eine braune Vergangenheit haben, muss keiner von uns vor jeder unterdrückten Minderheit den tiefen Diener machen. Weil man von manchen Leuten genervt ist, heißt noch lange nicht, dass man braune Tapeten hat.
Insofern... Schorsch for the win!

Falcon hat gesagt…

Morgens um halb sieben schläft mein Humor noch. Und meine Gelassenheit hat sich auch gerade herumgedreht und noch mal die Decke über den Kopf gezogen. Also steh ich leider ohne diese kleinen Hilfsmittel in der U-bahn und gestehe, dass mir auf dem Weg zur Arbeit lautstark herumpubertierende 12-jährige ebenso wie schubsende 7-jährige immens auf den Sack gehen.

Paula hat gesagt…

@ Womble, Kate, Georg:
OK, ich unterstelle Euch kein braunes Gedankengut. Nur einige Worte haben mich provoziert wie "Psychopath", "Hass gegen nervige Kinder ...legitim" "auf die Fr... und verpi....".
Leider nehme ich alles allzu gern wörtlich.

Und zu den scheinliberalen Eltern, die zu schwach sind, ihren kleinen Monstern Grenzen zu setzten, zähle ich mich eigentlich auch nicht.

Ich bin auch dafür, gestörten Kindern oder dreisten Rentnern im Bus Grenzen zu setzen, wie, ergibt sich dann irgendwie in der Situation.