Freitag, 13. November 2009

Bücher, über die man lieber nicht verrät, dass man sie gelesen hat.





Okay, der Titel ist unpraktisch lang. Aber er ist doch sehr aussagekräftig. Wer hat nicht solche Werke auf dem Lese-Kerbholz? Die Buchsorte, die beim Friseur auf dem Tisch läge, wenn da Bücher liegen würden, und keine Zeitschriften, die Sorte meine ich. Die Sorte, in der Sprache, Plot und Stil billiger sind als das schlechte Papier, auf dem sie gedruckt ist.


Aber auch da muss fein unterschieden werden. Da gibt’s die komplett sinnlosen, die zum Beispiel nur dazu dienen, dass sich der Autor oder die Autorin über ihr verfolgtes Dasein auslassen- das ist die gern autobiografische „Ich war ein willenloser Sexsklave in einem orthodoxen Taliban-Nonnenkloster“-Variante. Meist findet diese Sorte über suspekte Bestsellerlisten auf die Nachttische der Leute, die da sonst nur die Ohrstöpsel und die Gleitcreme liegen haben. Für mich ist da das K.O.-Kriterium, dass Leute diese Wälzer gekauft (nicht auch gelesen, oh nein!) haben, die außer der Bildzeitung und der Bedienungsanleitung (reich bebildert!) für ihr Handy überhaupt nichts lesen. Wenn also meine frühere Schwägerin S. mir ein bestimmtes Buch empfahl, so hab ich das allein schon deshalb nicht in die Hand genommen, weil sie es empfohlen hat. Bisher habe ich meinen Lebensweg also erfreulich unbeeinflusst von Werken wie „Nicht ohne meine Tochter“ beschreiten können.


Dann gibt’s da die Verschenkerle. Das reicht von Hirnwichsereien zu Unrecht populärer „Comedians“ über die Biografien abgehalfterter Politiker, den Teil 2 von irgendeinem verfilmten und erfolgreichen Teil 1, bis hin zum Sachbuch über die Sucht/Neurose/Krankheit/Bastelarbeit des Monats. Serviettentechnik, here we come!
Ich bekenne mich da schuldig, habe ich doch, z. B., sowohl „Hannibal“ als auch „Menschen und Mächte“ gekauft und gelesen. Naja, gelesen ist relativ. Hannibal hab ich überflogen und dann vertickt, Menschen und Mächte hat jahrelang meinen Schlaf sichergestellt. Wollte sich dieser sanfte Übergang zum süßen Schlummer nicht einstellen, reichten drei Zeilen des Vorworts. So sehr ich Helmut Schmidt auch schätze, das Buch war irgendwie nicht der Reißer.


Und dann ist da die „Unterhaltungsliteratur“, die ihre Fans und auch ihre Berechtigung hat, die Lesestoff bietet für den Liegestuhl. Da muss man sich nicht konzentrieren, sollte sich aber amüsieren. Und trotz aller Flachheit gibt’s da witzig geschriebene, spannende und auch wiederlesenswerte Bücher, die zu Unrecht verramscht und auf die Remittendentische geworfen werden. In manchen Kreisen ist das jedoch schon grundsuspekt und peinlich: Lesen um der puren Unterhaltung willen. Nicht um sich „tief bewegen“ zu lassen, oder um „mitzuleiden“ oder irgendwelche sprachlichen Durch-den-Reifen-Springereien zu erdulden, sondern um Spaß zu haben, sich zu gruseln, zu kichern oder auch eine romantische (oder saftige) Geschichte zu lesen.
Mit 17 und 18 und 19 (andere haben sich da durch den Dostojewski gequält) haben meine Schwester und ich abends vorm Schlafengehen das gelesen, was wir unter uns „Hausfrauenpornos“ nannten, und was im Grunde immer die gleiche Geschichte war, mit anderen Namen, anderen Handlungsorten und anderer Handlungszeit, aber stets rings um ein paar mehr oder minder heftige Sexszenen konstruiert. Heute weiß ich, dass das sowas von harmlos war... damals kam es uns verworfen vor. Aber amüsiert haben wir uns. Bestimmt mehr als was fürs Leben zu lernen. Dostojewski hatte entschieden einen schlechten Stand.
Es gab grauenhaft schlecht geschriebene Exemplare darunter, aber einige waren gar nicht mal übel. Mal vom Inhalt abgesehen :-)


Ein Indikator, um die gut geschriebenen Bücher vom Crap zu unterscheiden ist für mich immer die Adjektiv-Ratio. „Show, don’t tell“ ist das Geheimnis spannenden Stils, und zu viele Adjektive töten meine Fantasie schneller als die Schweinegrippe das könnte.
Beispiel:
„Die unbewegte, feucht-schwüle Luft unter den tief hängenden dicken Monsunwolken wird durch die aufdringlichen Fliegenschwärme noch drückender und unerträglicher“.
Es kommen auch noch schweißverklebte (uäh!) Haare, fleckige Kleidungsstücke und müde, abgezehrte Gesichter vor. Bestimmt auch keuchende, sich windende Körper, unter deren Haut sich Muskeln abzeichnen, rosige und feuchte Was-auch-immers und zitternde Hast-du-nicht-gesehens. Und dann geht es sage und schreibe noch 950 Seiten so weiter. Im Präsens... Aber nicht für mich, weil ich die erste Seite schon nicht zu Ende gelesen habe.
Überhaupt, dicke Bücher: Wenn ich einmal am Haken hänge, ist es ein echtes Plus, wenn das Buch mehr als 600 Seiten hat. Wenn sich kein Haken zum dranhängen bietet, dann ist Dicke eher ein Abbruch-Kriterium, da hätten 300 Seiten eher eine Chance, trotzdem gelesen zu werden.
Auch gibt es die Initial-Langweiler: Z.B. den „Herrn der Ringe“. Ich habe bestimmt 5 Anläufe gebraucht, bis ich über die ersten, einführenden hundert Seiten (oder so) hinweg war und die Handlung endlich anfing. Dito der „Name der Rose“. Eines meiner Lieblingsbücher, aber die ersten was-weiß-ich-wieviel Seiten hab ich nur einmal gelesen, und seither werden sie gnadenlos übersprungen, da mag der Herr Eco weinen wie er will.


Enttäuschend finde ich die Bücher, bei denen man glaubt, dem Autor sei das Papier oder der Festplattenplatz ausgegangen: Siebenhundert Seiten voller Verwicklungen, Drama, Drama, Drama, und dann auf einmal fällt der ganze Plot in sich zusammen wie ein Kartenhaus oder eines dieser Patent-Zelte, und das Buch ist zu Ende. Alle sind glücklich oder tot, außer dem Leser, der sich fragt, ob da einer keine Lust mehr hatte. Oder vielleicht dringend weg musste.


So wie ich, ich geh jetzt duschen, und dann ins Büro.
Schönen Tag!






3 Kommentare:

Svenja-and-the-City hat gesagt…

Deine Feststellung im letzten Absatz kann ich voll und ganz bestätigen. Gerade die spannendsten Bücher und Filme, die einen schier unerträglich guten und komplexen Spannungsbogen aufbauen, schaffen es häufig nicht, die komplexen Verwicklungen wieder glaubhaft aufzulösen. Plötzlich tritt irgendeine Nebenperson aus dem OFF nach vorne, legt alle um und serviert eine verrückte, völlig unglaubhafte Story.
Selbst bei dem unglaublich guten Film "Verblendung" nach Stig Larsson ist mir das aufgefallen. Toller Film, aber das Ende? Na ja...

Falcon hat gesagt…

Hach, die Nackenbeisser-Romane (diesen putzigen Namen hab ich vor langer Zeit mal gehört - die Romane heißen so, weil es auf ihren Titelbildern immer so aussieht, als ob dort eine halbnackter Herr einer Dame mit arg lädierter Rüschenbluse in den Nacken beissen will...). Ich finde es erschreckend, in wievielen Varianten es die mittlerweile zu kaufen gibt. Der Bedarf scheint aber da zu sein, sonst würden sie nicht in solchen Zahlen heraus gehauen.
Mein Initial-Langeweiler, ich erwähnte es schon einmal, ist Otherland. Nach den ersten 100 Seiten unglaublich spannend.
Warum aber kann jemand, der tolle Geschichten erzählen kann, nicht auch tolle Anfänge schreiben? Wer weiß, wieviele Schätze noch ungelesen schlummern, weil einen selbiger beim Anlesen des Buches übermannte.
Dostojewski hab ich, im Gegensatz zu meiner Frau, übrigens auch nie gelesen, genausowenig Hesse, Brecht nur mit Widerwillen.
Ich gestehe, ich bin eher ein Freund flacherer Literatur.

Und das mit dem Captcha ist schade, aber wohl unvermeidlich.

Georg hat gesagt…

Ich war ein willenloser Sexsklave in einem orthodoxen Taliban-Nonnenkloster“
Einfach genial dieser Titel. Dafür liebe ich Deine Schreibe. ;-)
mein Wort heißt "heurampf" echt klasse. Mit Fritten.