So heißt ein Buch, das ich vor einigen Jahren gekauft und gelesen hab. Ich weiß gar nicht, ob ich es noch habe- gelesen hab ich es mit einem Auge, immer auf dem Sprung.
Den Inhalt kann man sich vorstellen, eine Mutter erzählt ihrer Tochter, dass sie sie nicht gewollt hat. Hart, aber ehrlich (doofe Worte, aber mir fallen keine anderen ein).
Das Thema ungewollte Schwangerschaft löst bei mir Hirnlähme aus, und Ausweichverhalten und Weglaufenwollen. Wer’s nicht glaubt (aber warum sollte das wer nicht glauben) braucht nur hier und heute zu lesen, oder auch zu schauen wie ich hier sitze, zappelig und aufgeregt. Viel zu aufgeregt für ein Thema, das vor 30 Jahren anfing, mir mein Leben zu diktieren.
Noch sieben oder acht Monate, dann ist er wirklich dreißig Jahre her: Der Tag, an dem ich schwanger wurde. Trotz Pille, nach einem Magen-Darm-Infekt, wie ich vermute (aber nicht mehr sicher rekonstruieren kann).
Der erste Verdacht wurde von mir noch mit dem Kindsvater geteilt, den das nicht weiter interessierte. Der Beipackzettel der Pille verhieß, dass es sich auch nur um eine hormonelle Abweichung handeln könne, und empfahl das energische Abwarten.
Der zweite Monat, der ereignislos verstrich, brachte mich zum Kauf eines Schwangerschaftstests, und in der Folge zum Arzt, der das Ergebnis bestätigte. Den Kindsvater schien auch das nicht weiter zu erschüttern, dachte ich jedenfalls (ich hab nie wieder einem Partner mitgeteilt, wenn ich befürchtet habe, schwanger zu sein. Das habe ich immer allein geregelt)
Bevor ich es aber meinen Eltern verklickern konnte, hatte der Kindsvater es schon den seinen gesteckt- die daraufhin meine informierten, und ihren Sohn weg schafften, damit das zarte Bübchen nicht länger das schädliche Lily-Miasma einatmen musste. (Das bedeutet, ich hab ihn das letzte Mal gesehen, als ich ungefähr in der achten Woche schwanger war. Und dann noch mal, auf der Abiturfeier unseres Sohnes)
Von da an ging alles sehr schnell.
Die Erinnerung an die folgenden Gespräche mit den „betroffenen“ Großeltern ist für mich hinter einer dicken Scheibe aus Zorn, Angst, Ungläubigkeit und Fassungslosigkeit verschlossen. Ich komm nicht dran, es ist alles sehr indirekt und verschwommen, und übertüncht von vermeintlich geschuldeter Dankbarkeit.
Andere Leute übernahmen, entschieden, und sorgten dafür, dass ich nicht auf die Idee kam, eventuell eigene Entscheidungen zu treffen. Dazu hätte ich mir eine Meinung bilden müssen, und dazu wiederum hätte man mir zubilligen müssen, dazu in der Lage zu sein.
Aber ich war minderjährig.
Was einige der Entscheider zu der Auffassung bewog, dass ich nicht mal berechtigt sei, selbst über meine Zukunft zu entscheiden.
Diese Einstellung wiederum ist auf soviel verschiedene Arten falsch, dass mir die Worte immer noch fehlen. Worte fehlen, aber ich spüre, wie mir das Frühstück mehrerer Jahre wieder hoch kommt.
Binnen kürzester Zeit war alles, was mein Leben betraf, fest vermauert und geregelt- ich würde das Kind kriegen, ich würde nicht heiraten, und ich würde meine Schule weiter machen. Anschließend würde ich einen Beruf ergreifen- letzteres wurde nicht gesagt, aber von mir erwartet. Auch Siebzehnjährige können unausgesprochene Erwartungen noch spüren, und ich war immer ein angepasstes Kind.
//Schnitt//
Von Zeit zu Zeit hat meine Mutter in den letzten 30 Jahren höchst befriedigt aus der Wäsche geschaut, und gesagt: „Dieses Kind (also das Lilykind) war ein Segen für unsere Familie“. Und ich hab das jeweils unangezweifelt im Raum stehen lassen bis…
Bis.
Bis ungefähr vor einem Jahr.
Da kamen wir gesprächsweise auf Abtreibung, und gerieten flugs in eine Auseinandersetzung darüber. Da ich durchs Autofahren bei der Gelegenheit ein bisschen abgelenkt war, schlug die Diskussion eine Richtung und ein Tempo ein, die ich, unabgelenkt, nicht zugelassen hätte.
Binnen fünf Minuten hatten wir einen heftigen Streit.
Ich bin entschiedene Befürworterin des Rechtes einer jeden Frau, selbst und ausschließlich allein entscheiden zu können, ob sie ein Kind bekommen will oder nicht.
Nach Ansicht meiner Mutter gehört Abtreibung verboten, wenn sie auch Ausnahmen einräumt.
Irgendwann im Lauf der Diskussion, die immer lauter geriet, schaute sie wieder so entsetzlich zufrieden drein und sprach erneut die Worte vom „Segen für die Familie“.
Da bin ich ganz gewaltig aus den Schuhen gekommen, Autobahn hin oder her, und hab sie angeranzt, wie sie denn, verdammt, auf das schmale Brett kommt- ein Segen??
Sie hat das aber einfach nur immer wieder wiederholt, und ich hab immer wieder gesagt, und nachher schon fast geschrien: Für euch vielleicht, für mich aber nicht.
Sie hat nicht zugehört, sondern immer und immer wieder dasselbe gesagt…
Bis ich irgendwann gefragt habe, worin denn dieser verfickte Segen bestanden habe?
Woraufhin sie herausplatzte mit: „Hättest du das Kind nicht bekommen, wärst du zum Studium weggegangen und wärst nie wieder gekommen und das hätte ich nicht ertragen“
Ich glaube, sie weiß bis heute nicht, wie knapp sie einem schweren Unfall entgangen ist.
Mir wurde wirklich schwarz vor Augen, und mich hat ein Zorn überschwemmt, der auch heute noch dicht unter der Oberfläche liegt und schnell bereit ist, überzulaufen.
Da lag also der Hund begraben- die ganze Geschichte kam ihr womöglich damals ganz gut zupass, denn sie brauchte auf diese Weise nicht auf ihre älteste Tochter zu verzichten??
Kein Wunder, dass mir so bereitwillig und schnell jegliche Verantwortung abgenommen (und abgesprochen) wurde.
Kein Wunder, dass sie lange Zeit gerne die Betreuung meines Sohnes übernommen hat, wenn ich zur Schule ging oder arbeiten musste.
Kein Wunder auch, dass ich bis heute das Muttersein mit Gefangensein gleichsetze.
Aus diversen Mommyblogs und Büchern, aus Erzählungen und Geschichten weiß ich, dass es Frauen gibt, die das Kinderhaben genießen (natürlich nicht jede Minute- aber die Grundidee).
Das hab ich nie verstanden, weil ich jede- jede einzelne!- Minute gehasst habe.
Ich beneide die Kinder dieser Frauen darum, dass sie geliebte Kinder sind. Das bedeutet nicht, dass mein Sohn nicht geliebt ist. Oder vielleicht doch. Das weiß ich einfach nicht. Ich habe ihn nicht geschlagen, er hatte immer genug zu essen, ein Dach überm Kopf und im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten auch Spielzeug, Technik, Urlaube. Ich weiß selbst, wie arm sich das anhört, aber positiveres habe ich nicht zu berichten.
Wie eine Mutter hab ich mich höchst selten gefühlt, eigentlich immer mehr wie eine ältere Schwester, deren Bedürfnisse kontinuierlich ignoriert werden dürfen, weil sie irgendwo unterschrieben hat, ohne zu wissen, was sie tut.
Solange mein Sohn auf der Welt ist, hab ich ihn älter gemacht, als er ist (derzeit berichte ich auf Nachfrage, er würde dreißig. Dabei ist er achtundzwanzig). Vielleicht mit dem Hintergrund, ihn schneller erwachsen zu sehen.
Gleichzeitig habe ich immer Entschuldigungen dafür gefunden, dass er nicht so vorwärts kommt, was sein Studium betrifft, wie es seiner Begabung entspräche.
Ich bin mir alles andere als sicher, welche unausgesprochenen Botschaften ich ihm vermittle- denn vermutlich signalisiere ich ihm auf irgendeiner Ebene, dass er mich bloß nicht in die Unabhängigkeit (meine und seine) verlassen soll. Er wiederum zeigt mir durch Misserfolge und Versagen an einigen Stellen, dass ich etwas falsch mache/gemacht habe- zumindest interpretiere ich das so.
Es scheint ein Teufelskreis zu sein und ich finde keinen Ausweg aus dem Gefühl, unentrinnbar in einem tiefen Loch voller klebrigster Verantwortung zu stecken.
Für die Ewigkeit, so wie es scheint.
//Schnitt//
In sechs oder sieben Monaten ist es dreißig Jahre her, dass ich schwanger wurde.
Ende Dezember zieht mein Sohn wieder bei mir ein. Mir ist nämlich das Geld ausgegangen für seinen Unterhalt.
Bis er dreißig ist, werde ich ihn noch unterstützen, und zusammen mit ihm versuchen, einen Ausweg zu finden aus diesem Loch, und ich will versuchen, ihm die Erlaubnis und den Tritt zu geben, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, und meines wirklich nur noch für mich alleine zu führen.
Danach? Will ich dieses elende Kapitel ein für alle Mal abgeschlossen haben.
Montag, 30. November 2009
Ich hab dich nicht gewollt, mein Kind
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16 Kommentare:
Lily, ich drück dich einmal ganz fest. Unglaublich, wie du den Mut gefunden hast, so ehrlich darüber zu schreiben.
Es ist sonst ein absolutes Tabuthema, nicht gerne Eltern zu sein und ich kenne dieses Gefühl selbst leider viel zu gut. Ich habe mich immer geschämt, dass ich kein guter Vater sein konnte und hab immer mit ungläubiger Bewunderung auf die Paare in der ELTERN geguckt.
Vielleicht ist das aber auch eine tolle Chance für euch beide, wenn ihr jetzt wieder zusammenzieht. Wer weiß? Ich wünsche es euch beiden.
DU hast es Dir verdient.
Ich bewundere Dich trotzdem.
@Svenja: Vielen Dank- ich bin echt zu Tode froh, dass jemand das versteht. Wenn ich zurückblicke auf mein Leben hab ich immer dann wirklich große Fehler gemacht, wenn ich mir habe gefallen lassen, dass jemand anderes für mich entscheidet. Oder wenn ich nicht laut genug aufgemuckt habe.
@Georg: Wofür denn bloß um alles in der Welt?
L
Ich muss mich dem Georg vorbehaltlos anschließen.
S.
Du bist mutig, Deine Wahrheit so offen zu sagen. Während wir auf die Uni gehen durften,ein Studium beenden oder abbrechen, auf Demos demonsrieren und auf Kifferparties gehen, die ersten Lieben folgenlos scheitern lassen konnten und neue ausprobieren, ins Ausland trampen, Erfahrungen sammeln und eine eigene Identität entwickeln durften, musstest Du Dich - entschieden viel zu früh - von Deiner Jugend verabschieden und Mutter sein. Immer in Abhängigkeit von Deiner, die Dich partout nicht ziehen lassen wollte. Kinder bentzen und in Rollen zwängen war damals noch ganz üblich und selbstverständlich.
Meine hat es auch mit mir versucht, aber wir leben in einem evangelischen Landstrich und die Pro Familia hat schon in den Siebzigern tolle Arbeit geleistet, so dass mir Dein Schicksal erspart blieb....
Nutzt die Chance, Du und Dein Kind, es ist nie zu spät! Und rede ruhig ganz offen mit ihm, er wird das verstehen und es wird ihm bestimmt auch helfen.
Ich bewundere Dich dafür das Du diese Gedanken zulassen kannst.
Und das Du unserer Mutter keine runtergehauen hast.
Ich war sehr wütend nach diesen Zeilen.
Hut ab!
Wow. Harte Worte, aber ehrlich. Um Dich selbst zu zitieren.. Und für diese Worte bewundere ich Dich! Du bist eine starke Frau, das weißt Du doch sicher?
Solche Gefühle sind aber auch mir als "Wunschkindmutter" nicht fremd. Gerade jetzt, in der Pubertät.. und gerade jetzt, mit dem "richtigen" Partner.. die Überlegungen was-wäre-wenn.. Die Gedanken, dass sie ihrem Vater doch manchmal verdammt ähnlich sind.. Und ob ich sie genug liebe?
Niemand, auch nicht jemand, der 10 Jahre älter ist wenn er Kinder bekommt, ist auf das wirkliche Mutter- oder Vatersein vorbereitet. Die Vorstellungen, die man davon hat, weichen zu 100% von der Wirklichkeit ab.
Niemand ist dazu verpflichtet, sein Kind immer und in jeder Situation zu lieben, zu verstehen, zu unterstützen. Redest Du mit Deinem Sohn über diese Gefühle? Weiß er, was er gerade jetzt auch von Dir abverlangt? Welche Opfer Du für ihn bringst?
Wie Du vielleicht merkst, bin ich durch Deinen Text ziemlich aufgewühlt - ich kann Dir aber eines versichern: Wenn ich mich hier so in der Nachbarschaft oder in meinem Bekanntenkreis umschaue, da gibt es so viele Kinder, die von ihren Eltern lange nicht so geliebt und unterstützt werden wie Dein Sohn von Dir! Egal wie Du selbst das empfinden magst.
Verd.... mein Kommentar ist weg..
Meine Hochachtung vor Deiner Ehrlichkeit!
Gefühle, auch Muttergefühle, sind keine Pflicht! Sicher ist aber, dass Dein Sohn mehr Liebe und Unterstützung bekommt als so manches Kind sonst..
?? Sorry.. grad war er noch weg...
Liebe Lily,
ich sitze hier und weine!
Vor Wut. Auf Deine Mutter und ihren offensichtlichen Egoismus.
Ich bewundere Dich für die Offenheit Deiner Worte. Und für Deine spürbare Stärke.
Ich wünsche Dir alles das was Du Dir für die Beziehung zwischen Dir und Deinem Sohn wünschst.
Gib acht auf Dich,
das Fräulein Wunder
Ich bin ganz bewegt von dem vielen Zuspruch- danke euch allen.
Wow, was für eine miese Tour deiner Mutter, ich bin gerade ganz furchtbar wütend!!!
Du leidest darunter, dein Sohn leidet darunter und mit 17 ist das sicher eine Entscheidung, die man selber treffen dürfen sollte.
Ich bin auch ungeplant schwanger geworden, mit 20, aber ich WOLLTE das Kind bekommen. Ich durfte es mir selber aussuchen und wurde nicht in eine Rolle gezwängt...
Hut ab für diese ehrlichen Worte, die mich wirklich sehr bewegt haben!
Hallo Du
löse Dein Problem mit Deiner Mutter, denn dann muss es Dein Sohn nicht mehr für Dich lösen und Ihr seit Beide viel besser dran. So ist es einfach nur Selbstmitleid und hilft keinem.
Susanne
Puh. Da bin ich aber erleichtert.
Da brauch ich nur das Problem mit meiner Mutter zu lösen...?
Echt toll- dass ich da noch nicht drauf gekommen bin, wundert mich ja doch. Bin wohl doch blöder, als ich dachte.
Lily
Boh, Lily, Du bist aber auch doof. Hättest mal vor 30 Jahren gleich die Frau Susanne gefragt - die weiß nämlich bescheid.
Liebe Susanne, kannst Du dann beim nächsten Kommentar auch gleich noch die Lottozahlen der nächsten Woche veröffentlichen, o Quell unerschöplicher Weisheit?
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