Sonntag, 7. April 2013

Gegensätze?

ZDF Info hatte gestern (mindestens) zwei Berichte zur Vergangenheitsaufklärung im Angebot (mindestens deshalb, weil ich nur zwei gesehen habe). Der erste war ein Bericht über Bayreuth und die Nazis, und der andere einer über „Hitlers ...Idole“ (die drei … weil ich das Adjektiv vergessen habe, mutmaßlich stand da „beliebteste“ Idole).

Und es ging um zwei Leute, wie sie auf den ersten Blick kaum gegensätzlicher gewesen sein konnten: Winifred Wagner und Heinz Rühmann.
Frau Wagner war nicht nur in ihren Glanzzeiten zu sehen, sondern auch in Ausschnitten aus dem Syberberg-Interview aus den Siebzigern, in denen sie ihre fortlaufende Sympathie für den Menschen Hitler formulierte. Der Film war, so der Off-Kommentar, bei der Ausstrahlung ein Skandal.
Ich kann mich noch erinnern, denn das ging heftig durch die Presse. Und schon damals hab ich mich unbehaglich dabei gefühlt, in dieses Gebrüll mit einzustimmen. Ich hab den Film nie am Stück gesehen, und kann also nur über die immer wieder gesendeten Teile urteilen, die auch gestern wieder über den Bildschirm gingen, und natürlich ist es beklemmend, zu sehen und zu hören wie diese alte Frau, die immer noch viel Kraft ausstrahlt, davon erzählt, dass sie, sie persönlich, immer ein gutes Verhältnis zu Hitler hatte und sich immer positiv an ihn erinnern würde.
Ich weiß noch, dass ich damals dachte, dass ihre Äußerungen haarsträubend seien. Andererseits empfand ich es als eine, nun ja, erfreuliche Abwechslung zum allgemeinen verbalen Totstell- und Verdammungsreflex sonstiger noch lebender Zeitzeugen (und deren gab es in den Siebzigern noch einen Haufen).
Was haben wir da gesehen? Eine alte Frau, die, zwar unreflektiert aber offenbar ehrlich, ihre Ansicht vertritt und ihre Freundschaft zu einer Ikone des Terrors schildert.
Inzwischen ist bekannt, dass sie persönlich einigen Verfolgten Arbeitsgelegenheit gegeben und sie somit unter den Schutzmantel ihrer Beziehung genommen hat, man weiß auch von persönlichem Einsatz bei Hitler für einige Menschen (was ihre sonstige Unterstützung der Machthaber nicht aus dem Bereich der Schuld schiebt).
Klar lässt das eine Republik auf dem Weg in die politische Korrektheit schaudern und aufschreien. Natürlich ist das der Stoff, aus dem die Alpträume sind: Der Massenmörder im Cut, der, Küss' die Hand, Madame, charmant das Champagnerglas hebt und in kostbar gewandeter Runde höflich konversiert. Und anschließend wohlwollend und huldvoll Nachrichten von Erschießungen und Vergasungsquoten entgegennimmt.
Aber, betrachtet man nur sie und das, was sie in diesen Ausschnitten sagt, so scheint mir, dass ihre Position sehr ihre Wahrheit widerspiegelt.
Demgegenüber mutet es heuchlerisch an, wenn ihr Sohn Wolfgang, immerhin bis zu seinem 26. Lebensjahr ein Profiteur der engen Beziehungen zwischen Hitler und dem Haus Wagner, der auch dann noch persönlichen Kontakt mit dem Regime hatte, als seine Mutter längst in Ungnade gefallen war, ihr das Betreten des Festspielgeländes nach dem Interview verbietet.

Und dann, im nächsten Feature, gibt es da Heinz Rühmann. Geboren 1902, hat er seine Karriere in den 12 Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft durchaus ungehindert verfolgt, und z. B. durch den „günstigen“ Erwerb einer Villa am Kleinen Wannsee auch andere persönliche Vorteile durch eine gewisse Regimenähe gehabt.
In der gestrigen Sendung fanden viele seiner zeitgenössischen Kollegen, wie Margot Hielscher und Bruni Loebel jede Menge erklärender Worte für ihn. Jede Menge, keines davon originell oder neu. Ein bisschen habe man gewusst, sagt Frau Loebel, aber längst nicht alles- und im nächsten Satz berichtet sie von einer bekannten Familie, die „abgeholt worden“ sei, und man sieht noch die Angst sich in ihren Augen spiegeln. Rühmann selbst hat öffentlich nie ausführlich über seine Rolle und seine Haltung in dieser Zeit berichtet. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die während der gesamten Zeit sich nicht von jüdischen Ehe- und Lebenspartnern trennten (Hans Albers, Theo Lingen...) ist er auf Abstand gegangen zu seiner ersten, jüdischen Ehefrau. Natürlich kann die Ehe auch zerrüttet gewesen sein, mutmaßlich war sie es. Aber der Schutz, den ein berühmter Name dem potenziell verfolgten Partner geben konnte, der war eigentlich auch nicht von schlechten Eltern. Andererseits war auch seine spätere Frau Hertha Feiler nach den obskuren Gesetzen der Nazis Vierteljüdin.
Sein Sohn Heinzpeter Rühmann, auch in dem Film zu Wort kommend, sprach von seinem Vater als „unpolitisch“ und meinte damit offenbar ein gewisses Unvermögen, Entwicklungen vorauszusehen und frühzeitig Position zu beziehen.
Nun ist das mit der Position so eine Sache: Ich bin mir sicher, ich hätte sie nicht beziehen können. Ich bin feige, ich hätte mein Maul gehalten.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille.
Auf der anderen vermisse ich – und das beileibe nicht nur von Herrn Rühmann- eine auch nur ansatzweise ehrliche Äußerung im Nachhinein. Nur ein bisschen so, wie Winifred Wagner es tut- nur mit dem nötigen Maß an nachträglicher Würdigung und Wertung.
Die Äußerung: Ja, ich habe profitiert. Ja, ich habe gewusst. Nein, ich konnte mich nicht wehren gegen mich selbst, meine Angst und meinen Ehrgeiz, ich habe in Kauf genommen, toleriert - und ich schäme mich dafür.
Vielleicht wäre eine solche Aussage in den Fünfzigern noch ein Skandal gewesen, in Zeiten der Entnazifizierung vielleicht sogar tödlich und Schweigen verständlich. Aber in den Sechzigern und Siebzigern hätte sie vielleicht Raum gefunden und hätte Anstoß geben können für eine befreiende Diskussion. Niemandem macht das Nix-Gewusst-Verteidigungsschema noch was vor. Alle haben gewusst, wenn auch auf sehr unterschiedlichen Ebenen. Alle haben gewusst und die Klappe gehalten. Denn wenn sie nichts gewusst hätten: Was wäre menschlicher gewesen als zu fragen? Neugier ist einer der stärksten Antriebe der Menschen. Neugier hat uns auf den Mars gebracht, Herrschaften. Zu behaupten, man habe nicht gewusst und nicht gefragt, ist mehr als unglaubwürdig und verhöhnt im Nachhinein noch die Opfer.
Also ist es eine Lüge, eine wirklich große Lüge. Das, was man Lebenslüge nennt. Und die stellt keine gute Basis dar für die Zeiten, die danach kommen. Sechs Millionen Tote übersieht man nicht, die verdrängt man nicht ungestraft. Auch eine Gesellschaft hat eine Art Unterbewusstsein, davon bin ich überzeugt. Eine Gesellschaft, die mit einer derartigen Last auf ihrer kollektiven Seele heranwächst (oder versucht, weiter zu leben) braucht Ehrlichkeit mehr als alles andere.
Und da niemand von uns im Nachhinein noch irgend etwas rückgängig machen, aufheben, auslöschen oder verändern kann, können wir eigentlich nur eines tun: Eine Fehlerkultur entwickeln, Ehrlichkeit etablieren und dafür sorgen, dass wir selbst zu dem stehen, was wir anrichten, und es bereuen.
Damit kann man einen Schritt weitergehen als Frau Wagner das getan hat. Und zwei Schritte über Herrn Rühmann und die anderen Nichts-Gewusst-Haben-Wollenden hinaus.

So, das war die Moralkeule zum Sonntag, Ihr Lieben.

Gehabt Euch wohl!

2 Kommentare:

http//paulacolumna.wordpress.com hat gesagt…

Jau, da stimme ich Dir zu. Klasse Statement!

Aber haben wir Kinder das nicht längst schon geändert? Hast Du vergessen, dass wir in den Siebzigern und vielleicht auch später noch hitzige Diskussionen mit unseren Eltern und Großeltern über die Nazizeit und "wir haben nichts gewusst" hatten und ihnen der Mund wie zugeklebt war? Das Schweigen war spürbar.
Und wie wir Jugendlichen untereinander versucht haben, sowas wie eine neue Moral zu finden, mit freieren Gefühlsäußerungen, freierem Sex, ehrlicherem Umgang miteinander?

Ich jedenfalls war keine bloße Kopie meiner Eltern, habe das glatte Gegenteil laut hörbar demonstriert und damit die nützlichen Seiten der kleinbürgerlichen Moral (Zurückhaltung, Fleiß, Leistung, Aufschieben der momentanen Wünsche zugunsten von materiellen Zielen etc)damals bewusst verteufelt.

Vielleicht spielt hier unser Altersunterschied eine Rolle, ich habe die 68er Leute noch bewusst miterlebt und ihre Proteste und Versuche neue Lebensmodelle zu leben im Fernsehen gesehen und später in der Großstadt beobachtet und nachgeahmt, obwohl ich nicht direkt zu der Generation mehr gehöre.

Für mich ist die Aufarbeitung der Verbrechen der Nazis abgeschlossen. Ich weiß inzwischen genug darüber und habe mich auch lange genug mit unserer kollektiven "Schuld", die uns unsere Großeltern und Eltern als Täter hinterlassen haben, beschäftigt.

Mich interessiert momentan eher, wie unsere Eltern uns mit ihrer verdrängten Katastrophenangst und ihrem Schweigen als traumatisierte Opfer geprägt haben. Das war ja das Gruselige an den 50er, 60er und 70er Jahren. Dieses Schweigen und das merkwürdige Verhalten unserer Eltern, diese fehlende Zärtlichkeit und Gleichgültigkeit ihren Kindern gegenüber. Das Betonen der Anpassung (was sollen die Nachbarn denken).

Die ZDF Trilogie "unsere Väter unsere Mütter" neulich hab ich mir aufgezeichnet. Und Amazon hat ne Menge Kohle von mir in den letzten Monaten bekommen für:

Sabine Bode: Die deutsche Krankheit – German Angst

Sabine Bode: Die vergessene Generation, Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Sabine Bode: Nachkriegskinder, Die 50er Jahrgänge und ihre Soldatenväter

Hanns-Josef Ortheil: Abschied von den Kriegsteilnehmern

Sönke Neitzel, Harald Welzer: Soldaten, Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben.

An das letzte habe ich mich noch nicht rangetraut, die anderen haben mir eine Menge Erklärungen zum Verhalten meiner Eltern und den Auswirkungen auf mich gegeben.

Schönen Sonntag auch Dir.

Lily hat gesagt…

Nee, ich hab die Diskussionen nicht geführt. Vermutlich, weil mein Vater bei Kriegsende 12 war und meine Mutter 5... und meine beiden Großväter tot. Natürlich haben auch die Großmütter erzählen können und dies auch getan. Keine von beiden hat uns geschont mittels irgendwelchen Lügen, weil die eine dafür (glaube ich) zu dumm und ungebildet war und die andere so erheblich traumatisiert, dass viel von dem, was zwischen uns an ernsthaften Themen geredet wurde, von dem Leid der Jahre 33 bis 49 handelte. Selbstverständlich war das zunächst das eigene Leiden, aber das war dann Basis für unsere Gespräche mit den Eltern, die uns sehr schnell, geradeheraus und unmissverständlich klar gemacht haben, wo Schuld lag, und wer die Verantwortung trug. Revisionismus, Vertriebenenmentalität und Selbstmitleid kam da nicht vor und wären nicht geduldet worden. Mein Vater hat in all den Jahren, seit ich halbwegs klar denken konnte, sich immer mit dem Thema auseinandergesetzt, und es war niemals nötig, ihn mit irgendeinem Vorwurf des Vergessens, Vertuschens oder Verdrängens zu konfrontieren. Was zu wünschen übrig ließ, waren Daten, Zahlen, Hintergründe. Die hatte vermutlich nicht, wer die Biografie meiner Eltern und ihre Schulbildung teilte. Aber sie haben in den letzten 30 bis 40 Jahren alles getan, um sich diese Informationen zu beschaffen und tun dies auch noch heute, mit über 70 bzw. über 80 Jahren.
Dass sie uns auch mit ihrer Angst geprägt haben, ist etwas, was mir seit einigen Jahren auch klar geworden ist, und womit ich mir viele Dinge erklären kann, die mich für Jahre beschäftigt haben. Dass mein Vater quasi ständig auf den Füßen ist, z. B. (nur immer in Bewegung bleiben, dann kriegen sie dich nicht- ein Flüchtling halt) und meiner Mutter an uns abgetretene Panik vor lauten Geräuschen, vor allem nachts. Und die krasse Kluft zwischen "Die Kinder sollen es besser haben" und "Wir müssen sie hart machen und vorsorgen, damit sie überleben können". Die Tatsache, dass die Nachkriegsjahre geprägt wurden von Männern, die keine eigenen Erfahrungen mit ihren Vätern gemacht haben, weil diese fort waren und die somit auch keine Chance hatten, sich an einem Vatervorbild abzuarbeiten ist auch so ein Faktum, das zumindest in meiner Familie eine Rolle spielt.
Ach ja... Stoff für 1000 Jahre.