Dienstag, 28. Oktober 2008

Der Tapir kann sprechen!

Kann er, aber nur mit Mühe.

Was gestern noch ein lästiges, pochendes kleines Knübbelchen in meiner Wange war (und wovon ich trotzdem annahm, dass es jeder sehen könne) hat sich zu einem ...interessanten Phänomen ausgewachsen.

Es schmerzt zwar nicht mehr, aber ich habe eine Oberlippe wie die kleine Ohoven sie hatte, kurz nach dem Rendezvous mit dem Typ, der ihr die Lippen aufgespritzt hat. Außerdem ist die Wange selbst angeschwollen, so dass ich sie sehen kann- ohne in den Spiegel zu schauen. So ein Mist. Hab mich daher heute krank gemeldet- mal abgesehen von dem lächerlichen Aussehen muss ich offenbar zum Doc damit. Grrrr.


Update: Hab den Doc angerufen- Kühlen und Mundspülen ist angesagt, nun denn. Auf in die Apotheke. Wenns morgen nicht besser ist, soll ich reinkommen.


Des weiteren vermute ich stark, dass meine überaus maue und miese Stimmung am Wochenende, die gekoppelt war mit einem überwältigenden „Lasst mich doch alle in Ruhe“, an einer zu geringen Dosis der Schilddrüsenhormone liegt. Offenbar scheint sich die Drüse zur Ruhe zu begeben, wenn man einige Tage die Hormone nimmt, und dann wird es Zeit für ein Upgrade. Dummerweise hat der Doc mir 75 µg verordnet und ich kann erst Ende November wieder hin- aber wer mich kennt, weiß, dass es nicht so mein Fall ist, mich an Verordnungen zu halten. Oder, besser gesagt, dass ich von der Therapie meines Diabetes an Ausprobieren gewöhnt bin. Ich hab also gestern und heute jeweils 100 µg eingeworfen, und voilà, es geht mir besser. Nix mehr mit weinerlich, unmotiviert und Weltuntergang. Auch konnte ich gut schlafen, also war das auch nicht zuviel.


Und die dritte Doc-Nachricht:


Dieses Treffen mit meinen Vergangenheiten, auf Veranlassung der besten Therapeutin ever organisiert, hat offenbar einiges bewirkt.

In den vergangenen fast zweieinhalb Jahren seit Beginn meiner Besuche dort war ich oft nicht so recht davon überzeugt, dass es jemals eine Entwicklung geben würde. Nicht, weil es mir nicht mies ging, sondern weil, wie bei einem Karussell, die gleichen Problem-Schauplätze immer wieder auftauchten. Mein Verdacht, dass dem ganzen Zirkus eine gemeinsame Basis zugrunde lag, hat sich jedoch hartnäckig gehalten- und genau so hartnäckig kam ich da nicht dran. No way.


Oft haben wir (für mein Gefühl) banales Zeug ausgetauscht, so dass ich Mitte des Jahres schon überlegt habe, ob ich weitermachen soll- und wie, vor allem. Davon abgehalten hat mich ein Erlebnis mit einer „Traumreise“, die wir im April oder so veranstaltet haben, und bei dem ich, trotz meiner Skepsis, fast wie hypnotisiert assoziiert und „gearbeitet“ habe. Dann, es ist ungefähr 8 Wochen her, ergab sich die Gelegenheit, im wirklichen Leben einen Hebel anzusetzen.

Mein Problem ist, dass ich in vielen Situationen nicht klar genug auf meiner Seite stehe. Dafür kann ich mir zu gut vorstellen, wie mein Gegenüber denkt- oder ich bilde mir das ein, und Dinge wie Höflichkeit, Respekt und jahrelange Gewöhnung hindern mich dran, Sachen auf den Grund zu gehen und mein Gegenüber auch mal festzunageln. Gleichzeitig hör ich oft nicht richtig zu, weil ich zu sehr damit beschäftigt bin, mein inneres Drehbuch für das, was sich da gerade abspielt, zu schreiben- alles in allem eine nicht sehr erfolgreiche Art, seine Interessen zu wahren.

Jedenfalls ergab sich die Gelegenheit zu einem Gespräch während ich abgelenkt genug war, um mir ein Drehbuchschreiben nicht leisten zu können, und gleichzeitig gezwungen war, zuzuhören- und dann hab ich gefragt, und gefragt, und nicht locker gelassen. Ich habe Antworten bekommen, die mich sprachlos zurück gelassen haben, und die wie ein Flutlicht Teile meines Lebens ausgeleuchtet haben.

Ich war nicht nur sprachlos, sondern auch wütend und sauer und traurig, und konnte nicht erwarten, diese Geschichte in der Therapiestunde zu besprechen.

Von da an ging alles sehr, sehr schnell.

Und sehr auf und ab.

Von der absolut schwarzen Hass-Grube ging es recht fix zu der Erkenntnis, dass die betreffenden Dinge erstens schon sehr sehr lang her sind. Zweitens kann ich zwar die Pathologie hinter dem damaligen Verhalten erkennen, aber auch die Tatsache, dass im Grunde das, was da geschehen ist, auf menschliches Versagen zurück geführt werden kann- und muss. Die beteiligten Personen sind heute andere als sie es damals waren, und es ist sehr viel geschehen. Aus der Tatsache, dass die Dinge, die stattgefunden haben, sorgsam verdrängt wurden, kann ich schließen, dass die Person, die damals verantwortlich war, sich sehr wohl darüber klar ist, dass Fehler begangen wurden- und mehr kann ich nicht verlangen. Ich werde diese Dinge nicht endgültig klären können, und es ist auch nicht meine Intention, da einen fruchtlosen Streit vom Zaun zu brechen- wer bin ich schon, Steine nach anderen zu werfen. Dafür hab ich selbst zuviel falsch gemacht in meinem Leben.

Vielmehr ist es Zeit, nach vorne zu schauen, denn es ist nicht mehr genug Zeit, blinde Rache auszuleben.

Und wofür auch? Dafür, dass jemand etwas nicht besser konnte? Nein, danke.


Als dann meine Therapeutin vorschlug, Zeitzeugen zu befragen, und zwar in Gestalt verschiedener „Bruchstücke“ meiner selbst, war ich erst skeptisch, und dann, in Erinnerung an die Traumreise, ziemlich angetan.

In der Zwischenzeit hatte sich die Diagnose Morbus Hashimoto ergeben- und die Medikamente taten auch ihre Wirkung. Viele als depressiv diagnostizierte Menschen haben „nur“ einen Schaden an der Schilddrüse, und so sortierte sich ein Teil der Probleme schon mal von selbst weg.

Vor dem Termin mit der gesamten „inneren Familie“ lag auch noch ein Urlaub der Therapeutin, so dass ich Zeit hatte zum Nachdenken. In einem Anfall von Assoziationswut bin ich mittags mit der ExBraut losgezogen und habe Gastgeschenke eingekauft, für alle „Beteiligten“. Spielzeug, Kleinigkeiten, Stifte, bunte Tempotücher, Süßigkeiten, Kalender.

Dann habe ich Fotos rausgesucht, bunte Mappen besorgt, Einladungen geschrieben. Und jede einzelne Person mit ein paar Worten begrüßt, schriftlich, versteht sich.

Das alles hab ich mitgeschleppt zu der ersten Sitzung mit „Allen“.

Was sich dann abspielte, war ein innerer Film, deren Inhalt hier auch nachzulesen ist, und zwar in dem „Something will remain“-Post von letztens.

Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Es waren noch drei weitere Sitzungen nötig, noch einige Briefe an einige der Gäste, noch einige Tränen, einige Hassausbrüche, einiges an Einfühlung und Verzeihen.

Was außerdem nötig war, war eine Auseinandersetzung mit der nicht mehr in ICD-Ziffern gefassten Abschluss-Diagnose. Obwohl es eine Diagnose im medizinischen Sinn ist, hat sie dazu beigetragen, dass ich mich nicht mehr als fehlerhaft und krank sehen kann, sondern lediglich als MenschMitSchwierigkeiten.

Ich habe mich gestern bis auf weiteres von meiner Therapeutin verabschiedet.

Bis auf weiteres heißt:

Erst mal sehen, was sich jetzt so ergibt.

Lernen, das überzogene Energiekonto auszugleichen, Kraft zu schöpfen und zu speichern, und dann gebündelt einzusetzen.

Es hat schon angefangen, in dem ich eine große, bisher fraglos übernommene Verantwortung dahin zurück gegeben habe, wo sie hingehört. Mich abgegrenzt habe und ein paar entscheidende Fragen gestellt.


Es ist ein bisschen so, wie noch einmal zu Hause ausziehen- spannend, und auch ein wenig erschreckend.



Was mich dazu bringt, noch einmal in den Spiegel zu schauen. Die Wange schwillt ab. Yay.

Hoch lebe das Kühlelement. Wenn es auch komplett bescheuert aussieht.



Es ist ein schöner Tag draußen, die Sonne scheint.


Und es wäre schade, wenn man ihn nur deshalb weg wünschte, damit man einen Tag näher am Wochenende ist, am Leben... Das nämlich heute stattfindet. Wann sonst?



Macht was draus.



Lily

10 Kommentare:

Frau Vau hat gesagt…

Das klingt nach sehr harter Arbeit - Glückwunsch dazu, dass es zumindest vorläufig abgeschlossen scheint.
Ja, es ist wahr - Zeit für blinde Rache ist nicht vorhanden, weil zu kostbar. Ist aber trotzdem immer wieder mal schön, sich diese blinde Rache insgeheim vorzustellen - und auch noch besser, hinterher, auch auf Grund solcher schönen intensiven Posts wie Deinem, zu entscheiden, dass man es auch einfach lassen kann.
Danke auch dafür!
Gute Besserung für Deine Wange, hab einen schönen Tag, genieße ihn, mach "Wellness", mach was Schönes mit Dir und für Dich, das hast Du Dir verdient!
Herzlichst, FrauVau

Lily hat gesagt…

Welcome back :-)
Das war harte Arbeit, aber wenn man vorwärts kommt, ist das dem Schlendrian eindeutig vorzuziehen.
Tja, und die Rache... da zieh ich bei einigen Leuten vor, dass sich das Leben an ihnen rächt. Wenn es so richtige A... sind, passiert das auch irgendwann.
Soweit Lilys einfache Weltsicht...

:-)
L

Anonym hat gesagt…

Zu vielem in diesem Post kann ich nicken und mitfühlen, weil mein Weg damit durchaus Parallelen zeigt. Und die Methoden und Ansätze gefallen mir persönlich sehr. Glückwunsch auch von mir, besonders zum Empfinden, dass du nicht kaputt bist. :)

Mir kam spontan in den Sinn, dass deine Backe als Reminder für dich selbst gedacht sein könnte, damit du dich dieser Tage sehr oft daran erinnerst, dass es nicht gut ist, dir selbst wehzutun, und dass es legitim ist, wenn dein Leben sich um dich dreht und wenn du dich zu allererst um dich kümmerst. Zur besseren Verankerung von Neugewonnenem, sozusagen.

Wie es auch sein mag - ich wünsch dir viel Glück mit all dem!

Lily hat gesagt…

Ich sag doch- die beste Therapeutin ever :-) Es ist ein gutes Gefühl, etwas abgeschlossen zu haben. Zuviele Dinge in meinem Leben sind anders strukturiert, die enden irgendwie nie- das haben sie mit Hausarbeit gemein, und es nervt mich zunehmend. Welche Dinge durchaus enden können, werde ich in den nächsten Monaten versuchen, herauszubekommen.
Mal sehen, was passiert.
Gespannt bin ich jedenfalls :-)
L

Meise hat gesagt…

Ich finde, das hört sich toll an, das, was du für dich herausgefunden hast, was du für dich erreicht hast und noch ins Auge fasst. :)
Und: Du bist nicht der einzige MenschMitSchwierigkeiten. ;)

Meise hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Anonym hat gesagt…

Juhu! Gute Worte für eine sehr gute Entwicklung, ich freu mich mit Dir. Da hast Du aber wirklich schon eine Menge geschafft, und gut das mit der Erhöhung, so hab ich das auch immer gehandhabt, nach Wohlbefinden gehen und erst hinterher mit dem Doc abstimmen, super!

Meise hat gesagt…

Ich find's super, dass du so einen schönen Begriff gefunden hast: MenschMitSchwierigkeiten.
Ich selbst hatte es für mich mit "Arg daneben" tituliert. ;)

Lily hat gesagt…

@Paula Ich hab nur noch nicht raus, ob ich vor dem Blutbild wieder runterfahren soll, sonst ist das ja nicht das, was unter der verordneten Medikation wirklich der Fall wäre.


@Meise: Du bist nicht alleehiiiin...

So arg daneben fand ich dich eigentlich nie :-)

L

Anonym hat gesagt…

Du kennst mich noch nicht richtig. ;)