Donnerstag, 4. April 2013

Meine Stadt

Meine Stadt, wie unschwer errät, wer hier n bissken mitliest, ist Bottrop, und ich bin ein Fan. Nicht nur auf der entsprechenden Faceb**k-Seite, sondern auch so. Paula hat in ihrem letzten Kommentar auf einen interessanten Artikel in der Zeit verwiesen, dort ist etwas zu lesen über die Umwelt hier, und es wird ein wenig mit den alten Vorstellungen aufgeräumt, dass hier noch immer der Schnee mit Ruß gemischt vom Himmel fiele. Als ich Kind war, war das noch so, und die Luftverschmutzung hatte drei Monate vor meiner Geburt offenbar ein all-time-high erreicht (steht auch in dem Artikel)
... ich kann mich noch erinnern, dass früher auf den hoch glänzend lackierten Fensterbrettern im Haus meiner Eltern samtig schwarze Rußflocken lagen, die leider nie so samtig blieben, wenn man versuchte, sie mit dem Finger aufzuheben. Auch an das Gespött unserer Nachbarn, als mein Vater gegen Ende der sechziger Jahre unser Haus verputzte und weiß anstrich. Eins der ersten Straßenschilder, die ich hier lesen lernte, war auf meinem Schulweg: "Niederschläge durch Kühltürme" stand da, und darunter das Hinweisschild für Rutschgefahr. Zu Hause las ich gerade den Kater Mikesch. Hinter der Mauer, an dem entlang mein Schulweg lief, standen tatsächlich zwei Kühltürme (zwei? Hm.) "Niederschläge" hab ich damals nicht verstanden, aber später in der Schule haben wir dann was über Mikroklimata gelernt, und dann war auch das klar (ich hätte auch meine Eltern fragen können, aber ich mochte lieber die Sorte Fragen, mit denen ich den Rotwerd-Koeffizienten meiner Mutter messen konnte. Sonntags bei Tisch: "Mama, was ist ein Bordell?" Sie wurde nicht rot, hat aber geantwortet. Sehr kurz und sehr sachlich.)

Liest man also den Artikel in der Zeit, könnte man den Eindruck entwickeln, dass tatsächlich der Luftkurort Ruhrgebiet nur noch eine Frage der Zeit ist. Aber weit gefehlt... das, was früher eine prosperierende Republik ihrem Hinterhof antat, tun heute die "schönen" Stadtteile den "schlechten" an. Und alle IBA-Romantik hat da nicht viel Veränderung gebracht. Der Internationalen Bauausstellung haben wir hier so einiges zu verdanken, unter anderem das in dem Artikel erwähnten Tetraeder, die "Pyramide" auf einer quadratischen Grundfläche, die als Stahlgerüst oben in ihrer Spitze ein oder zwei sehr zugige Aussichtsplattformen beherbergt. Der Ausblick ist tatsächlich spektakulär, das muss man sagen. Auch hat die IBA dafür gesorgt, dass die Industrieruinen, die nach der ersten Rezessionswelle zurück blieben, romantisch zu Industriedenkmälern umgewidmet und mit fantasievollen Neuzwecken versehen wurden. Ich bin fast überall gewesen, und ich finde die meisten Sehenswürdigkeiten sind wirklich das: Eines Ansehens würdig. Wie gesagt, das ist das "alte" Ruhrgebiet auf schön getrimmt. Es gibt aber auch noch genug weiterhin leidende Standorte.
 Man nehme den Bottroper Stadtteil Ebel. So sozialromantisch das da auch aussieht, und so repräsentativ für Bergbausiedlungen einer bestimmten Zeit das auch ist: Dieser Ortsteil hat nur zwei Möglichkeiten... entweder, im Verkehr zu ersticken, oder abgekoppelt zu vereinsamen. Er liegt ungünstig links neben der Hauptverkehrsader Richtung Essen (von mir aus gesehen links, heißt das). Natürlich verhält sich der Verkehr auf der Straße wie Blut in einem Körpergefäß. Aber der Eigentümer dieses Körpers hat offenbar noch nie von hohem Blutdruck und solchen Dingen gehört, möchte man meinen, wenn man in einem der tagesüblichen Staus dort feststeckt. Wohnt man in Ebel, dann dröhnt also zunächst mal die Hauptstraße an einem vorbei. Dann gibt es dort prachtvoll und traditionell aufgestellte Gewerbegebiete... soll heißen: Relativ alte Ansiedlungen, Hafen, Schrottplätze, aus Zeiten, wo "saubere" Industrie noch ein Oxymoron war. Viel Verkehr. Der durch den Ortsteil rauscht. Meist schwere LKW für die Anlieferung der Gewerbegebiete, plus dem radiotypischen ortskundigen Verkehrsteilnehmer, der einfach mal versucht, dem Stau auf der Borbecker/Bottroper/Essener Straße zu entgehen (und dabei meist am beschrankten Doppel-Bahnübergang stecken bleibt, danke auch). Dann ist da die A42, die, nicht weit weg, beinahe  über die Dächer der Häuser führt, und deren Benutzer tagein, tagaus darüber hinweg heulen. Und dann ist da die Emscher und  das Berne-Klärwerk. Das Berne-Klärwerk ist inzwischen umgebaut zu etwas Industrieromantischem, s. IBA, man kann dort in Beton-Abflussrohren übernachten (ja, wirklich). Ich habe schon einige Sonntag Morgende dort verbracht und dieses nicht ganz überzeugende Konglomerat von Neu und Alt fotografiert.
"Emscher" heißt an dieser Stelle "stinkende Abwassersammelrinne". Immer noch. Eine Libelle hat man dort vermutlich schon länger nicht mehr gesehen, und die Renaturierungsarbeiten sind noch nicht dort angekommen.
Der Stadtteil ist somit wirklich stark belastet. Auf den schmalen Straßen donnern die LKW vorbei, rücksichtslose abkürzende Autofahrer missachten habituell das Tempo 30, und doch ist der Ortsteil abgeschnitten- denn es liegen eine Hauptverkehrsstraße, eine Autobahn und ein stinkendes Flüsschen an drei Seiten des Gebietes, und an der vierten ein Gürtel aus Industrie der schmutzigeren Art, und dann noch der Rhein-Herne-Kanal. Es gibt keinen Supermarkt, keine Cafés, nicht einmal mehr eine fest mit einer Pfarrerstelle versorgte Kirche - also kaum einen Grund, dort zu sein, wenn man nicht dort wohnt.

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Aber es gibt viele engagierte Menschen, die sich für "ihren" Stadtteil einsetzen und sich bemühen, den Denkmalschutz, unter dem die Siedlung steht, zu etwas Lebendigem zu machen. Es gibt (oder gab) millionenschwere Programme aus EU- Mitteln für benachteiligte Stadtviertel, aus denen auch Bottrop-Ebel eine Schippe abgekriegt hat. Projekte für verschiedene Menschengruppen wurden dort aus dem Boden gestampft, für den Umweltschutz und die Neu-Vereinnahmung der alten Industrieruinen, zur Integration der dort lebenden Migranten, vor allem der Frauen (idealer Nährboden zur Entwicklung einer Parallelwelt, so ein abgeschnittener Ortsteil mit einer Bebauung, die einst  "billiges Wohnen" geradezu schrie). 
Kurz und gut: Bei aller Renaturierung des Ruhrgebiets, das plötzlich voller Kulturräume ist- es ist vieles noch immer abgehängt von den Entwicklungen hin zu weniger Dreck, weniger Lärm und weniger Gestank. Vieles ist immer noch sehr von dem Engagement einiger Weniger abhängig, und mit deren Kraft wird auch vieles irgendwann enden. Ich glaube, das kann man nur aufhalten (und damit die ganze Stadt lebendig erhalten) wenn sich die Menschen alle als Bewohner ihrer Stadt begreifen. Und wenn auch die Leute, die "schön" wohnen, sich informieren, engagieren und interessieren für das, was ein paar Kilometer weiter passiert. Anders wird's nicht gehen, fürchte ich.
Das war mein Wort zum Donnerstag :-)
Und wenn ihr mal nach Bottrop kommt, sagt Bescheid und wir fahren nach Ebel, Zechensiedlung gucken, und Betonröhren zum Drin-Schlafen.

Schönen Tag!
Lily

8 Kommentare:

http//paulacolumna.wordpress.com hat gesagt…

Dachte ich mir doch, dass der Artikel nicht so ganz der Wahrheit entspricht.Und ich kann mir vorstellen, was den Hamburger "Wilhelmsburgern" möglicherweise bevorsteht, da hat nämlich gerade die diesjährige IBA angefangen. Einige meckern schon jetzt, schön und schich - schön und gut - aber die Mieten steigen jetzt schon

Lily hat gesagt…

Versteh mich nicht falsch. Es hat sich in der Tat viel getan, und die IBA-Projekte sind zu einem nicht geringen Teil auch daran "schuld", dass sich überhaupt etwas bewegt hat. Aber die Wunden des abgestorbenen Alten vernarben nur langsam, und die Narben bleiben dort, wo sie sind- es sei denn, man füllt diese Orte wieder mit Leben. Sonst laufen sie Gefahr, zu verkümmern.

Paula hat gesagt…

Ja nee schon klar, ich hab schon verstanden, dass sich grundsätzlich viel zum Positiven verändert hat im Ruhrgebiet. Nur ist es überall gleich, die "kleinen Leute" haben wenig Möglichkeiten etwas in ihrer Umgebung zu verändern und sind eher vorsichtig, was Bürgerinitiativen etc. angeht, da müssen dann erst Mutige vortreten und den Anfang machen.

schon gesehen?:
http://anneschuessler.com/der-rest-vom-ruhrgebiet/

Anonym hat gesagt…

Ich scheine wohl ein unaufmerksamer Leser zu sein, denn mir ist bisher nicht aufgefallen, dass wir Nachbarinnen sind. :D

Die Betonröhren habe ich mal beim Geocaching gesehen und ernsthaft überlegt da mal ein Wochenende zu verbringen. Einfach nur weil es geht. Völlig unabhängig davon, dass "Urlaub" nur 20 Minuten von zu Hause ja irgendwie kein Urlaub ist...

Anonym hat gesagt…

und wir hier bekommen uns wegen
froschtunnel und gräben in die haare.......aber ist ja auch der norden.lg bridget jones

Lily hat gesagt…

@livsglaedjen: Nachbarinnen? Das ist schön :-) Man muss schon länger mitlesen, wenn man sich das zusammen reimen will, also ist es kein Wunder, wenn man du das noch nicht bemerkt hast. Am Anfang hab ich mich auch bemüht, das nicht erkennbar werden zu lassen, aber dann hab ich mich mal gefragt, warum eigentlich nicht. Seine Stadt zu mögen ist leicht, wenn sie schön ist oder berühmt. Manches hier regt mich derart auf, dass ich nicht aufhören kann, die Augen zu rollen, aber auch das gehört schon beinahe dazu. Wenn du die Röhren mal angetestet hast, dann erzähl mal davon :-) Geocaching = Neidobjekt hier chez Lily...

@Bridget: Krötendings haben wir hier auch, und bestimmt auch Leute, die sich darüber fetzen können. Aber die hab ich nicht auf dem Schirm- den Ortsteil Ebel aber schon, weil ich damit auch ein bisschen beruflich zu tun habe.

Anonym hat gesagt…

Ja... Essen :)

Das mit den Röhren ist schon geplant. Habe mich bereits informiert und werde da im Juni eine Freundin hinschleppen. Wird unser Test fürs Festival :D

Und wieso Neid? Hast du keine Möglichkeit es mal zu probieren?

Lily hat gesagt…

@livsglaedjen: Ich müsste mich mal erkundigen, wie die Möglichkeiten fürs Geocaching so sind, around here. Aber ich schätze, ich war bisher einfach zu faul. Das Konzept find ich faszinierend, nur den Hintern hoch zu kriegen war bisher so eine Sache für sich.
Kann man aber bestimmt prima mit Fotografie kombinieren...