Samstag, 9. August 2008

Abflussgeschichtenzeit!

Ihr wolltet noch eine, ihr kriegt noch eine. Weil Samstag ist. Im Gegensatz zu der vorigen hab ich diese nicht selbst erlebt, aber sie hält sich in meinen Genen, sozusagen.


Fast rewind:


Ende der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts, in einer kleinen Stadt im Westen dieser Republik.

Handelnde Personen: Ein Trupp Handwerker verschiedener Fachrichtungen, teilweise mit Neubau beschäftigt, teilweise in einem neben der Baugrube gelegenen Haus.

Dieses war nach längerer Nutzung als Übergangswohnheim für Flüchtlinge nun freigezogen und sollte renoviert werden. Mitten in der Renovierung war es nötig, einen Klempner zu holen, denn, der aufmerksame Leser kann es fast schon erraten: Da war eine Verstopfung.


Der Klempner kam, in Gestalt des Seniors einer örtlich durchaus bekannten Firma. Ich hab ihn mir immer wie den Meister Röhrich aus den Werner-Comics vorgestellt. Aber eure Fantasie kann sich selbstverständlich frei entfalten!

Besagter Meister also schulterte das Werkzeug seiner Profession und suchte den Ort der Verstörung auf. Nach Zeugenaussagen begab er sich in den oberen Stock und versuchte alldorten, das Problem näher anzugehen. Jedoch, vergeblich. Da war nichts- jedenfalls war da nicht das Problem.

Eine Etage tiefer fand er auch nur eine ziemlich geflutete Kloschüssel. Aber im Einzugsbereich seiner Spirale (oder was immer man damals hatte) konnte er auch keine wirkliche Ursache feststellen, geschweige denn beseitigen.

Unverzagt ging es dann noch eins tiefer, mit etwas weniger Elan, aber genau so gewissenhaft. Jedoch: Auch dort nur erhöhter Pegelstand, keine Verstopfung.

Was ihn veranlasste, im Keller dann einen Revisionsschacht zu öffnen, um den Schwierigkeiten auf den Grund zu gehen.

Gedacht, getan- Schacht auf. Spirale rein. Und dann?

Hat er die Verstopfung gefunden.


Allerdings hat die Säule aus Scheiße Toiletteninhalt der drei oberen Etagen auch ihn gefunden.


Endlich befreit, mag sich der angestaute Unrat gedacht haben, bevor er auf ihn niederprasselte.


Zeugen berichten, dass man ihn in der nebenan liegenden Baugrube mit einem Schlauch abspritzen musste, bevor er nach Hause gehen konnte.


Fazit: Haltet euch nie zusammen mit einem Klempner im Keller auf.

Es gibt Erfahrungen, auf die kann man verzichten.



Was mich dazu bringt, über den Verfall der Schulbildung ein bisschen zu lamentieren.

Wenn auch dieser Installateur das Prinzip der Schwerkraft nicht so ganz verinnerlicht hat, so hatte ich doch vor einigen Jahren ein Erlebnis, welches mir gezeigt hat, was praxisbezogene Bildung an Vorteilen bietet:


Mein Vater bekam ein neues Gewächshaus.

Nun ist er von Haus aus Handwerker (Maler und Lackierer im ersten Beruf, und Gärtner im zweiten- worum ich ihn beneide, ganz offen und schamlos), und als solcher in der Lage, beinahe alle am Haus anfallenden Arbeiten selbst zu erledigen. Er ist übrigens der Gewährsmann für die oben kolportierte Story, die er in seiner Lehrzeit erlebt hat.

Jedenfalls: Das Gewächshaus. Es kam. Und dann lag es da, als 1000-Teile-Puzzle, auf dem vermutlich frühsommerlich grünen Rasen ausgebreitet, und harrte seiner Aufstellung.


Mein Vater liest Bauanleitungen, insofern ist er untypisch. Meist brummelt er dann und wirft sie zerknüllt durch die Gegend, insofern ist er wieder typisch.

Er sah sie sich also an, und stellte fest, dass er als erstes für die Aufstellung des Gerüstes einen rechteckigen Grundriss auf der Aufstellfläche zu markieren hatte. Und schritt munter fürbaß. Zu meinem Erstaunen kramte er eine Weile in seinem Motorradschuppen und kam wieder heraus, mit einem Bündel aus kurzen Holzstücken und dünnem Seil. Damit hat er sonst immer neu eingesäte Rasenflächen (Hasenflächen) abgesperrt. Gegen Kinder, nicht gegen Vögel.

Dann verbeugte er sich nach Süden und murmelte Beschwörungen hantierte er eine Weile mit Seil und Stöcken, rammte hier was ein und zog da was fest- und dann hatte er einen perfekten rechten Winkel auf dem Boden markiert.


Was war geschehen?, fragte ich mich... Was nur?


„Wie haste denn das gemacht?“ fragte ich ihn.


Er schaute mich ungläubig an.


„Noch nie was vom Pythagoras gehört?“


Ähm. Doch. Ja. Da war mal was.



Mein Vater, das Flüchtlingskind mit der lückenhaften Volksschulbildung stand mir da gegenüber. Ich hatte gerade Abitur gemacht. Die Mathe-Vier ist da keine wirkliche Entschuldigung.



Letzten Samstag dann wollte ich von ihm eine Abflusspirale ausborgen. Er hätte sie mir geliehen, auf jeden Fall- aber er konnte sie nicht finden. Schlimmer noch, er konnte sich nicht mehr erinnern, jemals eine gehabt zu haben. Ich hab mich dann schließlich hinter meine Mutter geklemmt, und sie gezwungen, ihm zu sagen, dass er sie verliehen hätte, und sie wüsste auch nicht mehr, an wen.

Es war ziemlich schrecklich, ihm dabei zuzusehen, wie er immer verzweifelter in seinem Gedächtnis und den Behältern suchte, und sich einfach nicht mehr erinnerte.



Er ist jetzt 76. Manchmal zeigt sich mir eine Welt, in der es meinen Vater nicht mehr geben wird. Und ich weiß noch viel zu wenig über ihn.



Der Kalender an der Wand zeigt noch den Juni, und mein Blick fällt immer auf den 21., da steht: Sommeranfang.

Wenn ich nach draußen schaue, wird es Herbst.


Meine Lieblingsjahreszeit.

Macht einen Spaziergang!



Lily


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich will an diese Zeit noch gar nicht denken...
Danke.
bis später

Anonym hat gesagt…

ich schließe mich Georg an und bitte, die kommenden Jahreszeiten bis auf weiteres zu nicht mehr zu erwähnen ;-)
...auch wenn gerüchteweise schon wieder Spekulatius in den Geschäften gesichtet wurden...

Meise hat gesagt…

Ja, es ist angsteinflößend, die Eltern zu sehen, wie sie vieles von dem einbüßen, verlieren, was sie in der Vergangenheit vielleicht sogar ausmachte oder was man mit ihnen verband. Beispielsweise wenn die Mutter, die früher in einem 6-Personen-Haushalt sämtliche Koffer packte, wenn's in den Urlaub ging und nebenher noch alles andere managte, heute bei einem anstehenden Kurzurlaub nicht weiß, was sie in ihren eigenen kleinen Koffer packen soll und wie.
Es erschrickt, zu sehen, wie hilflos die Eltern im Alter werden können. Oder wie vergesslich. Oder wie schrullig. Oder oder oder.

Allerdings steht uns allen das auch noch bevor.
Aber das ist eine andere Geschichte.

Lars hat gesagt…

Ich schliesse mich auch Georg an. Meine Mutter ahb ich schon verloren und ich weiss was für ein Loch es gibt ins Herz wenn eine Elternteile nicht mehr Da ist.

Anonym hat gesagt…

Oder wenn man mit dem Vater, der einen früher durch den Bottroper Stadtgarten gejagt hat, im Duisburger Landschaftspark hertrottet und er schon nach 10 Minuten nen roten Kopf kriegt und man sieht, dass er eigentlich gar nicht mehr kann! Da ich auch viel zu wenig von meinen Eltern weiß, hab ich ihnen zu Weihnachten das hier geschenkt: (hier hätte eigentlich der Link zu dem Buch hingesollt, aber das klappt nicht) BUCH "Mama, (Papa) erzähl mal"
und jetzt hoffe ich, dass meine schreibfaulen Eltern das hinkriegen bevor es eben nicht mehr geht!