Donnerstag, 28. August 2008

Cheyne-Stokes

In völlig banalem Zusammenhang (nämlich als gestern Abend im „Tatort“ ein Verletzter per Trage aus einem Hausboot geborgen wurde) fielen mir wieder meine drei Ausflüge im RTW ein.
Das muss daran gelegen haben, dass der Schauspieler es geschafft hat, so auszusehen, wie ich mich damals gefühlt habe- soweit ich mich überhaupt an die Vorfälle erinnern kann.
Nur ein bisschen Erinnerung ist da an die letzten zwei Notfälle, als jeweils ein Notarzt und ein paar kräftige Rettungsassistenten mich aufgegabelt und abtransportiert haben. Da war ich einfach umgekippt und privat versichert, da findet man sich schnell für zwei Tage stationär aufgenommen.
Alles halb so tragisch.

Aber das erste Mal, damals, 2002- das sitzt mir immer noch in den Knochen.

Vorangegangen waren einige Wochen, in denen ich mich noch schlechter, schlapper und müder gefühlt habe als üblich (und, ehrlich- wann ist man schon mal richtig wach?), gefolgt von circa drei Wochen, in denen ich Gewicht verloren haben muss wie ein Abreißkalender.
Jeans am Montag gekauft, am Donnerstag zu weit.
Keinen Appetit, nur Durst, Durst, Durst- und ich? Zu blöd oder zu verstrahlt, um das einordnen zu können.
Zum Arzt gehen? Warum denn das? Abnehmen ist toll, oder?
Von ziemlich deprimierenden und verstörenden weiteren körperlichen Beeinträchtigungen rede ich jetzt mal lieber nicht…
Irgendwann bin ich dann zum Arzt gegangen, und die (meine) Verdachtsdiagnose Diabetes hat sich mit einem Nüchternblutzucker von über 500 mg/dl bestätigt.
Der Arzt hat sich nicht durchsetzen können, und hat mich nach Hause gehen lassen, mit einer AU-Bescheinigung für drei Tage.
Von diesen drei Tagen habe ich kaum Erinnerungen. Ich weiß noch, dass ich die Beipackzettel der Medikamente (Metformin- sicher nicht das richtige für einen Typ 1 Diabetes) nicht mehr lesen konnte, weil mein ganzes Sichtfeld fast einheitlich grau war. Allerdings mit einem kleinen hellen Punkt in der Mitte, in dem ein scharfes Sehen noch halbwegs möglich war.
Mir war irgendwo klar, dass ich sterben würde, wenn ich so weiter mache (besser gesagt wenn ich nichts mache)- aber ich konnte nichts daran ändern.
Es war mir auch tatsächlich egal.
Vollkommen gleichgültig.
Ich kann mich nicht mal mehr erinnern, wer meinem Sohn die Erlaubnis gegeben hat, den Arzt zu rufen.
Erlaubnis…pfff. Da sieht man mal wieder, was ich für eine dominante Mutter bin.

Der Arzt hat jedenfalls den Notarzt gerufen und die haben mich dann mitgenommen, direkt über die Anfahrt Liegend Kranke auf die Intensivstation. Schon vom Verlassen der Wohnung habe ich nichts mehr mitbekommen.
So richtig wach und orientiert war ich dann wieder nach ungefähr 14 Tagen. Ohne fremde Hilfe zur Toilette gehen oder den Raum verlassen hat länger auf sich warten lassen.
Dinge wie Telefonieren und Lesen brauchten noch viel länger - wie man zum Beispiel ein Telefon bedient wusste ich erstmal nicht mehr.
Insgesamt hat die körperliche Erholung ein halbes Jahr gedauert. Manches ist nicht wieder weg gegangen.
Irgendwann im Krankenhaus habe ich den Aufnahmebericht gelesen, und mir dann anschließend versucht, klar zu machen, wie eng das war.
Nur soviel: Der Arzt, der meiner Mutter sagte, ich hätte noch ne knappe halbe Stunde gehabt, hat nicht übertrieben.
Und obwohl ich damals, an diesem Tag im Februar, nichts dagegen gehabt hätte, zu sterben, glaube ich schon, dass ich die Erleichterung auf dem Gesicht des Schauspielers gestern Abend wieder erkannt habe.
Denn alles in allem ist es doch schöner, zu leben.
Allermeistens.




Lily

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Und nicht nur du bist froh, dass es damals nicht sein sollte, was nicht sein durfte!!!
Ich bin sehr froh, dass es dich gibt und dass du ein so toller Mensch bist mit dem man nicht nur herrlich rumphilosophieren kann sondern auch noch hervorragend kochen oder einfach mal Pommes Currywurst essen oder Voodoounwetterstürme heraufbeschwören (da komm ich bestimmt auch noch mal drauf zurück)!
Danke für jede Mail, die mich manche Dinge klarer sehen läßt auch wenn ich sie manchmal öfter lesen muss ;-) und jedes Gespräch! Und wunder dich deshalb nicht, dass ich ab und an schimpfe, wenn du wieder Schindluder mit deiner Gesundheit treibst! :-)

Anonym hat gesagt…

An die Zeit kann ich mich noch gut erinnern. Am meisten aufgefallen ist mir damals, dass Du ununterbrochen an der Sprudelflasche gehangen hast (ich habe gedacht, das sei vorbildliche Flüssigkeitsaufnahme, etwas was mir nicht gelingt) und dass kein Gespräch mit Dir möglich war, weil Du andauernd rennen musstest und sowieso vollkommen unkonzentriert warst - irgendwo in Deiner eigenen Welt und da auch nicht zu Hause. Erst als Du im Krankenhaus warst ergab das alles ein Gesamtbild.
Hast Dich gut gemausert!

Meise hat gesagt…

Ach du Scheiße!!!
Wie gut, wenn sich Söhne im richtigen Moment über die fehlende Erlaubnis ihrer Mütter hinwegsetzen können!

Anonym hat gesagt…

In der Tat - gesunder Menschenverstand ist zum Glück noch nicht ausgestorben (und der Sohn schon in der Lage ihn einzusetzen)

Anonym hat gesagt…

... gewesen (und bleibt es hoffentlich noch eine Weile).
(Da war ein Klickfinger zu schnell :( :( ).

Lily hat gesagt…

Oh ja, der Sohn- der war damals 19, und ich fürchte, er hat trotzdem ein Trauma zurückbehalten. Schließlich hab ich ihn tagelang mehr oder minder gezwungen, sich das mit anzusehen. Kein wirklich netter Charakterzug. Und warum? Weil die Wohnung unordentlich war.
So kanns gehen.

Anonym hat gesagt…

Nene, der Hauptgrund war wohl eher, weil hoher Zucker so doof im Kopf macht! ;-) Das gibt mildernde Umstände, das hatte mit der Wohnung nur äußerlich zu tun und dass weiß er auch, ist doch ein clever Kerlchen! :-)