Sonntag, 24. August 2008

Schlaf wird überbewertet




Es ist jetzt 4 Uhr 10, und bisher habe ich

a) eine Katzenhinterlassenschaft direkt vor meiner Schlafzimmertür beseitigt
b) eine Kanne Kaffee angesetzt und ihre Vernichtung in Angriff genommen
c) die Farbeinstellungen meines Bildschirms von Standard-XP-Blau in eine Kombination zarter Grüntöne geändert (einige besonders schreiende Schattierungen haben sich bei dem Versuch in meine Netzhaut gebrannt)

d) medizinische Notfallmaßnahmen vorgenommen.


Eure Aufgabe ist nun, die Ereignisse in der richtigen Reihenfolge darzustellen...


Nein, natürlich nicht.


Das mach ich schon für euch.


Zuerst kam d), wie so oft in letzter Zeit- denn der Sport, der ist supergesund! Ja!

Wer da eine gewisse Aggression raus hört, hört richtig. Trotzdem ist auch die Aussage richtig, dass Sport gesund ist. Wie wir ja alle wissen.


Wie ungefähr vier mal in den letzten sieben Tagen bin ich gegen viertel nach drei/halb vier wach geworden mit dem, was der Diabetiker eine fette Hypo nennt. Dabei handelt es sich um eine besonders starke, heimtückische Variante der positiven Auswirkungen von Sport.

Sp. wirkt unterschiedlich auf den Blutzucker. Wenn nicht gerade absoluter Insulinmangel herrscht, senkt er den BZ.

Unmittelbarer Effekt ist, dass er kurzfristig die Wirksamkeit des Insulins verbessert, so dass man bereits während des Sports weniger Insulin benötigt, als sonst in vergleichbarer Zeit.

Was dazu führt, dass der Blutzucker sinkt. Ein wünschenswerter Effekt, summa summarum. Nicht gut, wenn er, also der BZ, unter gewisse Grenzen sinkt. Dem trägt man Rechnung, in dem man entweder während des Sports Kohlenhydrate zuführt, in Form von Obst oder Getränken (Zwangs-Kohlenhydrate...).

Ist man Pumpenträger so wie ich, hat man das Glück, den Kalorien verbrennenden Effekt des Trainings nicht mit Obst und Getränken aufheben zu müssen: Man stellt einfach die Pumpenleistung um- auf, sagen wir, 80 oder 90 % der Normleistung. Zwei Tastendrücke, fertig.

Mit der Zeit kriegt man das raus, das hängt auch davon ab, wie hoch der Ausgangs-BZ war und wann man zuletzt gegessen (und die Mahlzeit mit Insulin abgedeckt) hat. Denkt man nicht mehr dran, dass man eine halbe Stunde vorher noch ein Brötchen gegessen und das mit den üblichen 2 Einheiten Insulin bedacht hat, kann man sein blaues Wunder erleben.

Aber, wie gesagt, man kann das wirklich ganz gut rauskriegen, durch Messen, Messen, Messen und vor allem Aufschreiben der Ergebnisse, unter Einbeziehung der Trainingsintensität und der Trainingsuhrzeit sowie -Dauer. Die Insulinwirkung ist auch von der Tageszeit, also vom Biorythmus, abhängig. Der gleiche Sport mittags statt abends= Blaues Wunder.


Das b.W. ist mir in den vergangenen 9 Wochen des Trainings zweimal passiert. Das ist nicht oft, aber es war jedesmal knapp, Also, knapp vorm Notarzteinsatz.


Problematisch ist nämlich erstens, dass beim Sport die Symptome von einem Unterzucker (Hypoglykämie/ Hypo) gern überdeckt werden von den somatischen Auswirkungen des Sports selbst. Schweißausbrüche und beschleunigten Herzschlag hab ich nämlich schon vom Bewegen.

Wenn man dann die Hypo endlich bemerkt, ist der BZ oft schon sehr niedrig. Entsprechend schwierig ist es dann, in der nicht mehr sehr langen Zeit bis zum Umfallen noch genug Traubenzucker nicht nur in einen reinzukriegen, sondern auch wirken zu lassen.

Dummerweise ist es auch so, dass der Körper die Signale zum "Mach was- mir ist so komisch" immer später sendet, je öfter er sowas erlebt. Das nennt man Unterzucker-Wahrnehmungsstörung.


Dass mir das nur zweimal passiert ist, ist guter Schnitt, für mich sehr guter Schnitt. Denn ich hatte schon mehrere Notarzteinsätze wegen unterzuckerungsbedingter epileptischer Anfälle.

Das heißt immer Krankenhaus, und das HASSE ich.


Abgesehen von diesen unmittelbaren, rasch eintretenden und sehr, SEHR unangenehmen Sportfolgen gibts da den Langzeit-Effekt auf den Blutzucker.

Muskelmasse hat, abgesehen davon dass sie uns mopsfidel und elastisch hält, die Eigenschaft, Insulin erheblich besser zu verarbeiten als das gute, alte Fett. Fett ist sogar eine Bremse normaler Insulinwirkung bei Gesunden, was die Blutzuckerprobleme bei vielen Übergewichtigen erklärt. Fett erzeugt Insulinresistenzen- was über komplizierte Zusammenhänge, die nicht nur mit Übergewicht zu tun haben, für einen Diabetes Typ 2 sorgen kann.

Aber wir waren ja bei Muskeln.

Nimmt deren Anteil im Körper zu, verbessert sich ganz allgemein die Wirkung des Insulins. Also hat man, abgesehen von dem kurzfristig eintretenden Muskelauffülleffekt einer Trainingseinheit (der aktive Muskel "zieht" Zucker aus dem Blut, um seinen Bedarf zu decken, und senkt damit wie oben beschrieben den BZ) mit wachsenden Muckis auch damit zu rechnen,dass der Grundbedarf an Insulin sinkt.

Und nicht nur der Grundbedarf, den jeder immer hat, ob er was isst oder nicht, sondern auch die Dosis, die man sich pro Kohlehydrateinheit (oder Broteinheit- jeweils 10-12 g Kohlenhydrate je nach Schule) jeweils verpassen muss, um seine Mahlzeiten abzudecken.

Und nachdem ich fast zwei Jahre lang laufend gegen teils extrem hohe BZ angekämpft habe, haben sich diese in den letzten Monaten zusehends normalisiert.

Das bedeutet, keinen Sirup mehr in den Adern zu haben. Das bedeutet, sich unendlich viel leistungsfähiger und fitter und wacher zu fühlen. Sirup ist nicht nur dickflüssig- man fühlt sich auch so, als würde alles in Zeitlupe passieren. Mal abgesehen von den erheblichen Langzeitfolgen der Durchschnittswerte, mit denen ich aufwarten konnte. Ich mag weder auf Füße, noch Nieren, noch meine Augen verzichten. Echt jetzt.

Also: Normale Werte! Hurra! Endlich!

Das Insulin wirkt, wenn es soll- und es sind keine Maxi-Dosen mehr erforderlich, deren Wirkung recht unkalkulierbar ist.

Naja. Die Schattenseite bleibt nicht aus- wobei es eigentlich keine ist.


Inzwischen ist nämlich meine Basalrate dauernd zu hoch. Das hat relativ lange gedauert, und ist mir erst gestern richtig klar geworden. Der Muskelanteil ist wohl inzwischen soweit angestiegen, dass ich nicht mehr soviel Insulin brauche. Seit einer Woche muss ich ständig Traubenzucker konsumieren, um in der Norm zu bleiben, und das ist Blödsinn. Ansonsten lande ich, unabhängig von tatsächlicher Bewegung, auch während des Tages gern in Hypo-Bereichen.

Als eine Folge davon wache ich oft nachts mit Unterzuckersymptomen auf- nachts gegen 2, 3 Uhr ist die biorythmisch gesteuerte Insulinempfindlichkeit am höchsten. Ich bin froh, aufzuwachen, denn einen Unterzucker zu überschlafen, und es der Leber zu überlassen, damit fertig zu werden, ist auch nicht gerade dolle. Davon krieg ich Migräne. Aber ich brauch immer einige Zeit, um gegen viertel nach drei nachts zu kapieren, was los ist. Und dann? Bin ich wach.

Und muss meine Bildschirmfarben umstellen. Bloggen. Kaffee trinken. Katzensch... entfernen (Emily hat wieder Durchfall. Seufz).

Im weiteren heutigen Tagesverlauf werde ich mich dann damit beschäftigen, meine Basalrate neu zu programmieren. Aber erst dann, wenn die Nachbarn wach sind. Ich fürchte nämlich, dass ich laut fluchen werde. Ich bin doch so schlecht im Prozentrechnen... und wieviel sind 80 % von 0,7 Einheiten Insulin? Und warum? Und wo ist die Bedienungsanleitung?


Ganz wunderbarer Nebeneffekt wird sein, dass die durch zuviel Insulin hervorgerufenen Heißhungerattacken ausbleiben werden. Gotcha.

Da gibt's nämlich noch einen netten Kreislauf: Viel Insulin= viel Hunger = viel Essen = viel Fett= reduzierte Insulinwirkung = hoher Blutzucker = erhöhte Insulinsekretion (bei Gesunden) = viel Insulin im Blut = viel Hunger. Und so weiter. Ich krümme mich immer, wenn ich diese Schuldzuweisungen an Typ 2-Diabetiker höre. Ganz Blöde scheren uns Zuckernasen alle über einen Kamm. Diabetiker = fettes, unbeherrschtes Schwein = selbst schuld... Und lasst mich bitte nicht anfangen, dagegen los zu argumentieren. Besser nicht...


-Ende der Abhandlung, ihr dürft wieder wach werden:-)



Schönen Sonntag,



Lily



11 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ja,ja. Wat dem einen sin Bloodsugar, is dem andren sin Hitzewallungen.
Och mensch.
Betrachte deine Pumpe doch mal als Nintendo. Super Lily Brothers. Immer am hin- und her huepfen, aber am Ende gewinnen. Ta daa.
Der Kandidat hat 64.000 Punkte, und gewinnt den Jackpot ! Und ein paeckchen Traubenzucker....Und ein automatisches Katzenklo...

Lily hat gesagt…

Ach, Hitzewellen hab ich auch:-) Und ich warte auf das Add-on, das mir erlaubt, mp3s auf die Pumpe zu laden. Oder Tetris...
:-) Lily

Meise hat gesagt…

Oh Goooott, das liest sich ja so, als müsse man erstmal seinen Doktor darin machen, bevor man mit dem ganzen Pumpenkram klar kommt!
Meine Herren!!!
Respekt, dass du das trotzdem alles so gut hinbekommst!
Respekt!
*strammsteheundsalutiere*

Anonym hat gesagt…

Liebe Lily,

Klasse, du hast es geschafft, Deine Basalrate zu verringern, Erfolg! Super!!

Mein Taschenrechner sagt: 0,7 x 80% = 0,56, und da ich ihm nicht traue, hab ich hier die Probe gemacht:

0,7 = 100%
0,007 = 1%
0,007 x 80 = 0,56

Also Taschenrechner hat recht, einfach den Wert eingeben und mal 80% eingeben.

Schönen Sonntag!

Paula

PS Und über die Zusammenhänge von Fettmasse und Insulinresistenz muss ich mir mal etwas ernsthafter den Kopf zerbrechen.

Lily hat gesagt…

@ Meise: N Doktor braucht man nicht. Die Zusammenhänge sollte jeder T1 (Typ 1-Diabetiker) drauf haben. Es reden nur nicht alle so gern darüber wie ich. Aber danke für das Salutieren:-)
@ Paula: Danke:-) So eine wachsende Resistenz schlaucht die Bauchspeicheldrüse ganz enorm, weil die sich so anstrengen muss... und orale Antidiabetiker geben ihr manchmal den Rest, womit dann die Insulinpflicht eintritt. Kann man sich mit Muskelvermehrung (will das Wort mit Sp am Anfang nicht schon wieder schreiben) und mit einer Rohfaser reichen und fett/kh-armen Ernährungsumstellung wirklich sparen, und sooo schlimm ist Sp. auch wieder nicht. Ausdauersportarten sind in dem Zusammenhang zwar bestimmt ganz gesund, aber Muskelmasse muss her- daher ist es günstig, wenn man auch so eine Sportart ausübt. Und wenn es Aerobics sind. Am besten immer abwechselnd, damit die Muskeln jeweils Zeit zum Regenerieren und Wachsen haben. Aber wem sag ich das, das weißt du ja auch :-)
LG
Lily

Lily hat gesagt…

Es muss natürlich "orale AntidiabetikAAAAAAA" heißen. Nicht Antidiabetiker.
Meine Herrn.
Herrje.

Anonym hat gesagt…

Da hab ich doch wieder was dazu gelernt, ich dachte eigentlich, dass durch Sport die Fettreserven aufgebraucht würden und das allein schon ausreichend wäre um den Insulin-Resistenz-Teufelskreis zu durchbrechen, an die Muskelbildung habe ich in meinem Fall noch nicht gedacht.

Wird denn das angelagerte Fett nur verbrannt, wenn man gleichzeitig Muskeln aufbaut?

Gruß P.

Lily hat gesagt…

Nein- soweit ich weiß, wird es auch ohne zusätzliche Muskeln zur Sicherstellung des Energiebedarfs irgendwann genutzt. Das Problem ist aber, dass ohne Training nicht nur das Fett, sondern auch das Eiweiß aus den Muskeln aufgezehrt wird, und sich daher Muskelmasse zurückbildet, was wiederum für einen sinkenden Grundumsatz sorgt- und ich glaube, dass das ein Teil vom JoJo-Effekt ist. Denn Muskeln verbrauchen auch im Ruhezustand recht viel Energie. Das macht das Abnehmen erheblich wirkungsvoller. Merkwürdigerweise hab ich unter Trainingsbedingungen (haha! Hätte nie gedacht, dass ich das Wort mal verwenden würde, um einen Zustand bei mir zu beschreiben) erheblich weniger Appetit, als wenn ich nichts tue. Wenn ich mich nicht überfordere. Mach ich zuviel, bin ich genau so schlapp wie ohne Sport. Da ist das 30-Minuten-Training im Zirkel genau das richtige. Danach bin ich angenehm warm (man könnte auch sagen, ich schwitze wie ein Schwein- aber ich bin eine Dame, die schwitzen nicht, die transpirieren... egal, das Handtuch ist nachher nass).
Also, ich bin warm, aber ich hab keinen Heißhunger, sondern kann in Ruhe nach Hause gehen, und esse erst zwei, drei Stunden später. Üblicherweise was eiweiß- und rohfaserreiches. Was dann auch besser schmeckt als Berge von Kohlenhydraten, wie zum Beispiel Nudeln oder so, die ess ich kaum noch, weil ich keinen Hunger mehr drauf habe.
Zusammenfassend kann ich nur sagen: Sport, Sport, Sport. Nimm dir unbedingt die Zeit, was zu finden, was dir Spaß macht. Wirklichen Spaß. TIschtennis. Walken. Fitnesstraining, egal, was. Und lieber dreimal die Woche eine halbe Stunde als einmal zwei... Mit einer Woche Abstand nehmen die Muskeln den Wachstumsanreiz nicht besonders ernst. Außerdem wird man nicht so schlabbrig, wenn man Muskeln aufbaut. Man sieht besser aus, weil man besser durchblutet ist. Auch die Haut. Trotz fortgeschrittenen Alters:-)
Auf der Couch sitzen und hungern ist soo schrecklich...
Lily

Anonym hat gesagt…

Ich werde mal versuchen, eine Kombination aus Hatha-Yoga täglich 20 Minuten und Radfahren 3 x die Woche je 30 Minuten und Schwimmen 1 x die Woche 30 Minuten (mit Puls bis zu 120) hinzubekommen. Das sind die einzigen Bewegungsarten, die mir wirklich Spaß machen außer Treppensteigen.

Danke für Deine "Profi"-Tipps.

Bin jetzt mal eben weg, mit dem Rad...rrrrrrrhh

Lily hat gesagt…

War das ein Knurren? :-D
Mach nicht zuviel auf einmal...


L

Anonym hat gesagt…

Das war das Surren von der Fahrradkette...Ich hab's mir dann doch anders überlegt und war lieber Schwimmen ..... in einem Natursee, schön kalt war's und herrlich einladend.

Bei dem Wetter sind nur Sporttaucher unterwegs,die man zum Glück vor dem Auftauchen an ihren Blubberblasen erkennt. (Ich hab mal einen Krimi gesehen, der in Amsterdam spielte, wo der Mörder immer in den Grachten unter Wasser unterwegs war und seine Opfer mit Harpunen erledigt hat. Seitdem kann ich nicht mehr so unbedarft in tiefen Gewässern schwimmen. Zu blöd aber auch, was man sich da manchmal so für Scheiß-Bilder antut, die man nie wieder los wird!)